Psychiatr Prax 2007; 34(5): 259
DOI: 10.1055/s-2007-985001
Serie · Szene · Media Screen
Media Screen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
03 July 2007 (online)

 

Wer hinter dem Titel "Diagnose Kunst" eine Einführung in die auch gerne als "ärztliche Kunst" bezeichnete medizinische Handlungslehre vermutet, sieht sich beim Blättern in dem Band rasch getäuscht. "Diagnose Kunst" ist der aufwändig gestaltete, reich bebilderte Katalog einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die die unterschiedlichen Erscheinungs- und Ausdrucksformen der modernen Medizin zum Gegenstand hat (gezeigt im Kunsthaus Ahlen und Museum im Kulturspeicher Würzburg).

Worum geht es? Die Ausstellungskuratoren und Herausgeber des Buches wollen mit den Kunstwerken Aspekte der Medizin zeigen, die im Alltag von Klinik und Praxis nicht wahrgenommen werden können: Wer sich als Patient oder Arzt selbst in dem System der Medizinwelt bewegt, in ihrem Denken begriffen ist und Teil dieser Wirklichkeit ist, dem fehlt die Distanz, ihre charakteristischen Merkmale und Züge zu erkennen. Die Künstler dagegen als medizinische Laien betrachten die Medizin, den Medizinbetrieb, die Ärzte, ihr Handeln, ihre Produkte und die sich darin ausdrückenden Ideen und Motive aus der Aussenperspektive und haben insofern eine andere Wahrnehmung, die sie uns in dem Medium der Kunst präsentieren.

So wird der in der Medizin beruflich beheimatete Leser und Betrachter des Buches (oder Besucher der Ausstellung) in den Kunstwerken prima vista vieles wiedererkennen, was ihm bekannt erscheint - Medikamentenpackungen, Echokardiografie, operierte Körper, ein Praxisschild oder einen Operationssaal -, das hier nun aber in dem ganz anderen Kontext dann doch nicht mehr vertraut ist, sondern das irritiert, künstlerisch verfremdet, grotesk verzerrt oder prägnant fokussiert ist. Die Künstler zeigen uns den Menschen der modernen Medizin als Cyborg, die Verdinglichung von Körperfunktionen durch die medizinische Diagnostik und die medizinische Wissenschaft als Ersatzreligion, sie veranschaulichen die Ästhetik medizinischer Techniken und Verfahren und die Ästhetisierung von Krankheit. Unter den Exponaten finden sich Werke namhafter Künstler wie Joseph Beuys, Rosemarie Trockel, Damien Hirst u.a., die in dem Katalog ausführlich und im einzelnen besprochen werden. In diesem bunten Kaleidoskop künstlerischer Darstellungen wird einmal mehr das Selbstverständnis der Medizin als einer vermeintlich objektiven, angewandten Naturwissenschaft als Illusion entlarvt. Die moderne Medizin konstruiert Realitäten, in Wechselwirkung mit den vielfältigen soziokulturellen Tendenzen unserer Zeit attribuiert sie Bedeutungen und schafft eigene Sinnzusammenhänge.

Anzumerken ist hier, dass die in der Ausstellung thematisierte Medizin jene biotechnisch orientierte moderne Medizin des ausgegangenen 20. Jahrhunderts ist, die wissenschaftsphilosophisch dem Positivismus gefolgt ist. Auch wenn medizinkritische Stimmen in der Gesellschaft die Medizin immer wieder hierauf reduzieren möchten, so ist aber doch anzumerken, dass die Realität der medizinischen Versorgungslandschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts von einer postmodernen Diversifizierung gekennzeichnet ist, in deren Kultur und Praxis neben anderen neuen Tendenzen das biopsychosoziale Modell zunehmend wirkungsmächtig wird. Gleichwohl: Diagnose Kunst ist ein spannendes und - im konkreten wie übertragenen Sinne - buntes Buch, das nicht nur für an der zeitgenössischen Kunst Interessierte, sondern auch für jeden anderen Leser eine Anregung darstellt, der die Medizin als Teil von Gesellschaft und Kultur versteht.

Philipp Portwich, Luzern

Email: Philipp.portwich@suva.ch

Leismann B, Scherer R (Hrsg). Diagnose Kunst. Köln: Wienand Verlag, 2006, 209 Seiten, 38,- €