Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2007; 39(3): 128-129
DOI: 10.1055/s-2007-985975
Praxis
Das Interview
© Karl F. Haug Verlag

Kinderonkologie: Eine Behandlung ist dann effektiv, wenn sie keine Spätschäden verursacht und das Kind eine gute Lebensqualität hat.

Unser Gesprächspartner: Rolf Mertens
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
28. September 2007 (online)

Prof. Dr. Rolf Mertens

Seit 1977 Kinderarzt an der Universitätskinderklinik in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der RWTH Aachen, seit 1982 Leiter der pädiatrischen Hämatologie und Onkologie, Habilitation im Jahre 2000, seit 1992 Studienleiter der Nasopharynxkarzinom-Studie bei Kinder- und Jugendlichen (NPC-91- und NPC-93-GPOH).

DZO:

Welche Fortschritte sind Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren im Bereich der Kinderonkologie gemacht worden?

Prof. Mertens:

Ca. 80 % der Kinder mit bösartigen Erkrankungen können heute geheilt werden. Durch zunehmende Kenntnisse in der immunologischen Diagnostik und der molekulargenetischen Untersuchung ist man in der Lage, bei verschiedenen malignen Erkrankungen eine Risiko adaptierte Therapie durchzuführen. Durch diese Maßnahmen lassen sich Risikopatienten besser definieren, die ggf. einer veränderten individuellen Therapie zugeführt werden sollten, um das angestrebte Ziel der Heilung zu erreichen.

DZO:

Was ist Ihrer Ansicht nach das Wichtigste bei der Behandlung onkologisch erkrankter Kinder?

Prof. Mertens:

Eine adäquate Behandlung der an Krebs erkrankten Kinder, verbunden mit hohen Heilungsraten, sollte möglichst keine Spätschäden verursachen und die Lebensqualität verbessern. Eine effektive Supportivtherapie soll vor akuten Organschäden schützen. Und schließlich ist eine psychologische Begleitung der Patienten und ihrer Eltern unbedingt erforderlich, damit die Behandlung kein seelisches Trauma hinterlässt. Weiterhin sollten kinderonkologische Stationen ausreichend räumlich und personell ausgestattet sein.

DZO:

Haben Sie Erfahrungen mit der Behandlung von Kindern durch komplementäre Maßnahmen, beispielsweise um die Nebenwirkungen belastender Therapien zu lindern?

Prof. Mertens:

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Schulmedizin in der Kinderkrebsbehandlung den höchsten Stellenwert hat. Die Therapien werden anhand einheitlicher Protokolle in den einzelnen Kliniken durchgeführt; somit ist eine statistische Erfassung wegen der hohen Anzahl der Patienten rasch möglich und eventuell häufige Komplikationen können durch die zeitgerechte Kommunikation vermieden werden. Bisher sind die guten Heilungsraten durch die konsequent durchgeführte Schulmedizin erreicht worden. Falls zusätzliche Begleittherapien gewünscht werden, so muss berücksichtigt werden, dass keine Interaktionen mit den Zytostatika entstehen. Eine Wirksamkeit der Begleittherapie sollte bewiesen und gesichert sein, damit die Patienten durch diese zusätzlichen Maßnahmen keine Nachteile erfahren, so z.B. durch zusätzliche Injektionen von Medikamenten. Außerdem sollte die Erstattung weitestgehend durch die Krankenkassen gewährleistet sein, damit die Eltern nicht in eine finanzielle Notlage geraten. Gute Erfahrungen haben wir mit den Mistelpräparaten gemacht.

DZO:

Wie würden Sie z.B. Hausärzten raten vorzugehen, wenn der Verdacht besteht, dass ein Kind an Krebs erkrankt ist?

Prof. Mertens:

Falls der Hausarzt den Verdacht einer bösartigen Erkrankung hat, sollte er den Patienten möglichst rasch in eine Kinderklinik mit onkologischem Schwerpunkt überweisen. Da es keine praktizierenden Kinderhämatologen gibt, ist eine Einweisung in eine Klinik, die Erfahrung mit der Behandlung onkologischer Patienten hat, unbedingt erforderlich.

DZO:

Stichwort Impfung. Wann empfehlen Sie, Kinder nach onkologischer Primärbehandlung wieder impfen zu lassen?

Prof. Mertens:

Im Prinzip kann nach 3 Monaten, spätestens 6 Monate nach Beendigung der spezifischen onkologischen Primärbehandlung eine Impfung erfolgen.

DZO:

Bei der intensiven und belastenden Therapie ist eine psychische Betreuung häufig notwendig. Wie helfen Sie den Eltern, mit ihren Sorgen und mit den Nöten ihres Kindes besser umzugehen?

Prof. Mertens:

Das onkologische „Team” in den Zentren besteht aus Ärzten, Schwestern, Psychologen und Sozialarbeitern. Die Gespräche über Diagnose, Aufklärung und über das gesamte Procedere sollten in einer ruhigen Atmosphäre durchgeführt werden. Der Arzt sollte sich die Zeit nehmen, ausführlich auf die gesamte Problematik einzugehen. Eltern und Patienten müssen die Erkrankung und die erforderlichen Therapiemaßnahmen verstehen. Sie müssen motiviert werden, diese Therapie konsequent durchzuführen zu lassen. Fragen sollten situationsadäquat und ehrlich beantwortet werden. Regelmäßige Gespräche mit dem psychologischen Team sollten stattfinden. Und die Patienten sollten altersgemäß in die Diagnostik und in die Therapiemaßnahmen mit einbezogen werden. Vielleicht das Wichtigste: einen Patienten und dessen Eltern niemals belügen!

DZO:

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Mertens:

Ich betreibe gerne Sport, soweit es die Zeit zulässt, z.B. Mountainbike, Tennis und Skifahren.

DZO:

Herr Prof. Mertens, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Rolf Mertens

Universitätsklinikum Aachen
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Abteilung Pädiatrische Hämatologie und
Onkologie

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

    >