Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(49): 2619
DOI: 10.1055/s-2007-993106
Editorial
Diabetologie, Kardiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Glitazone auf dem Prüfstand

Glitazones at critical evaluationG. Schernthaner1
  • 1Medizinische Abteilung, Rudolfstiftung Wien
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Publication Date:
29 November 2007 (online)

75 % aller Patienten mit Typ-2-Diabetes sterben an kardiovaskulären Komplikationen. Zentrales Ziel einer umfassenden Therapie muss es sein, das hohe kardiovaskuläre Risiko dieser Patienten so weit wie möglich zu reduzieren. Im Gegensatz zur Therapie mit Statinen und ACE-Hemmern ist die Evidenz, dass antidiabetische Medikamente die kardiovaskuläre Prognose verbessern können, außerordentlich gering. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes liegen für Sulfonylharnstoffe, Insuline und Resorptionshemmer keine harten Endpunktstudien vor, die eine kardiovaskuläre Protektion erkennen lassen. Nur für Metformin gibt es aus einer Subgruppenanalyse der UKPDS (n = 342) den Hinweis, dass bei stark übergewichtigen Patienten (BMI ca. 30 kg/m2) kardiovaskulärer Tod und Herzinfarkt signifikant im Vergleich zur konventionellen Gruppe reduziert werden konnten. Weder in der UGDP-Studie noch in der UKPDS-Studie wurden unter der Therapie mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin kardiovaskuläre Ereignisse signifikant gesenkt, woraus eine therapeutische Insuffizienz von vorwiegend „glukozentrischen” Interventionen ableitbar ist. Einschränkend muss allerdings erwähnt werden, dass bisher in allen Studien die glykämische Zielwerte weit verfehlt wurden, auch dann wenn Metformin und Sulfonylharnstoffe mit verschiedenen Insulintherapiestrategien kombiniert wurden (Holman RR et al. N Engl J Med 2007; 357: 1716 - 1730).

Glitazone wurden entwickelt, um die Insulinresistenz, die damit assoziierten kardiovaskulären Risikofaktoren und das hohe kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit Typ-2-Diabetes zu reduzieren. Übereinstimmend konnte für Pioglitazon und Rosiglitazon gezeigt werden, dass sie die Insulinresistenz und den inflammatorischen atherothrombotischen Prozess bei Diabetespatienten tatsächlich günstig beeinflussen: So werden Stent-Restenose und Mikroalbuminurie durch beide Glitazone signifikant reduziert. In den letzten Monaten kam es allerdings weltweit durch zahlreiche Meta-Analysen bzw. durch einen „Medien-Tsunami” bei Ärzten und Betroffenen zu einer großen Verunsicherung, ob Glitazone wirklich Nutzen bringen oder eher schaden. Völlig unerwartet kam der relativ konsistente Befund, dass nach einer Therapie mit Rosiglitazon Herzinfarkte nicht - wie zu erwarten - seltener, sondern um bis zu 40 % häufiger auftreten sollen. Alle diese Meta-Analysen weisen allerdings beträchtliche Limitationen auf. Insbesondere waren die inkludierten Studien meist nur von kurzer Dauer und nicht geplant worden, um kardiovaskuläre Endpunkte zu analysieren. Die kardiovaskulären Ereignisraten waren daher in allen Meta-Analysen außerordentlich gering (z. B. 1,91 % unter Rosiglitazon vs. 1,51 % in den Kontrollgruppen der firmeneigenen Analyse), sodass die Validität dieser Daten von vielen Experten eher kritisch beurteilt wird. Wesentlich aussagekräftiger sind Analysen in Studienpopulationen, bei denen mit einer hohen Ereignisrate zu rechnen ist. In der PROactive Studie konnten durch die Therapie mit Pioglitazon in den Subgruppen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall das Auftreten eines neuerlichen Herzinfarktes um 28 % und eines Re-Apoplex in 47 % signifikant reduziert werden.

Am 30. Juli 2007 hat bei der FDA eine ausführliche Analyse aller Glitazonstudien durch 24 Experten stattgefunden, wobei die FDA-eigenen Meta-Analysen zu Rosiglitazon und Pioglitazon mit den vorher und nachher publizierten Meta-Analysen weitgehend übereinstimmen. 21 der 23 FDA-Experten stimmten dafür, dass Rosiglitazon das Risiko für myokardiale Ischämie erhöht, obwohl die Risikosteigerung nur versus Placebo (Hazard Ratio [HR] 1,4), nicht aber im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen oder Metformin (HR 1,0) nachweisbar war (N Engl J Med 2007; 357: 1775 - 1777). Bemerkenswert ist allerdings, dass die Zunahme der kardiovaskulären Ereignisse v. a. bei jenen Patienten unter Rosiglitazon beobachtet wurde, die Nitrate einnahmen. Für Pioglitazon wurden von der FDA die Daten der PROactive Studie bestätigt (HR 0,84), und zusätzliche neue Daten präsentiert, die auch für eine kardiovaskuläre Risikosenkung (HR 0,75) bei jenen Patienten sprechen, die Pioglitazon in Studien erhielten, die nicht in PROactive inkludiert waren.

Welche Folgerungen haben FDA und EMEA aufgrund der äußerst schwierigen Datenlage gezogen? Die EMEA gab am 18. 10. eine Pressemitteilung heraus (www.emea.europa.eu/pdfs/human/press/pr/48427707en.pdf): Im Beipacktext sollte eine Warnung aufgenommen werden, dass Patienten mit ischämischen Herzerkrankungen Rosiglitazon nur dann erhalten sollen, wenn das individuelle Patientenrisiko evaluiert wurde. Die Kombination von Insulin und Rosiglitazon sollte nur in Ausnahmefällen und unter enger Überwachung erfolgen. Für Pioglitazon, das in der Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Insulin zugelassen ist, forderte die EMEA keine Änderung des Beipacktextes. Die FDA ist am 14.11. gefolgt und empfiehlt, Patienten, die Rosiglitazon einnehmen, besonders sorgfältig auf kardiovaskuläre Risiken zu überwachen (www.fda.gov/bbs/topics/NEWS/2007/NEW01743.html).

Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner

Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung, Rudolfstiftung Wien

Juchgasse 25

A-1030 Wien

Email: guntram.schernthaner@meduniwien.ac.at

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