Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2007; 2(6): 477-492
DOI: 10.1055/s-2007-995375
Pädiatrische Orthopädie und Unfallchirurgie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aktuelles Management bei Kindern mit zerebralen Bewegungsstörungen

B.  Doll1
  • 1Klinik für Kinderorthopädie, HELIOS Klinikum Emil von Behring, Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité - Universitätsmedizin
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Publication Date:
09 May 2008 (online)

Die infantile Zerebralparese ist als Mischbild einer primären neurologischen Störung aufzufassen, die nur in den leichten Fällen ausschließlich die statomotorische Entwicklung der Kinder betrifft. In den schwereren Verlaufsformen ist regelmäßig eine Störung der allgemeinen und neurophysiologischen Entwicklung koexistent. Das spastische Bewegungsmuster ist Ausdruck dieser Störung. Es ist bereits als Kompensation zu betrachten. Die Bewegungsform wird vom Kind erlernt und genutzt. Sie stellt aber insgesamt für das Kind eine erhebliche Einschränkung seiner motorischen Möglichkeiten dar. Im Rahmen der weiteren Entwicklung stellt sich eine ständige Wechselwirkung zwischen der neurologischen Störung und den persönlichen kompensatorischen Möglichkeiten (motorisch, kognitiv, verbal) ein. Dies führt zu einem immer stärker werdenden individuellen Mischbild. Die Problematik der Kinder wird durch eine unterschiedlich ausgeprägte Wahrnehmungsstörung und Wahrnehmungsverarbeitungsstörung (Perzeptionsstörung) zusätzlich erschwert.

Grundsätzlich lassen sich aus dieser Überlegung heraus die ICP-Kinder in 2 Gruppen einteilen:

  • die Gruppe, die Bewegung als angenehm empfindet, die Bewegung nutzen kann, erlernte Funktion in den Alltag integrieren kann und damit eine günstige Entwicklungsprognose aufweist,

  • die Gruppe, die Bewegung als unangenehm störend, irritierend erlebt, da sie deren Reiz nicht tolerieren kann und darauf nur mit Primärreaktion reagiert, die die Entwicklung von anderen zielgerichteten, funktionellen Bewegungsabläufen hemmen und deren innere Ruhe (Ausgeglichenheit, Wohlbefinden) durch ein äußeres (passives) Bewegungsangebot stark beeinträchtigt ist. Diese Gruppe versucht eigene Bewegung zu vermeiden und sie weist eine schlechte Entwicklungsprognose auf.

Für den Therapeuten ist es wichtig, diese Gruppen zu trennen. Ist die Zuordnung klar, ist auch das therapeutische Konzept eindeutig.

Der therapeutische Ansatz kann nur individuell sein. Da wir das ideale Ziel einer Auslöschung (Heilung) der Störung nicht erreichen können, müssen wir reale Ziele, d. h. Modifikationen der Störung als Therapieziel anstreben. Die therapeutische Intervention erfolgt konservativ oder operativ. Beide Verfahrensweisen sollten sich ergänzen. Sie sollten in der Hand von in der Behandlung von ICP-Kindern ausgewiesenen Spezialisten liegen. Ob und wann operiert werden soll, ist nur nach Kenntnis der Gesamtsituation zu entscheiden. Die Operation schafft häufig irreversible Verhältnisse und muss vorher in Absprache mit allen an der Therapie beteiligten Personen (Kind, Eltern, Physiotherapeuten, Kinderneurologen, Orthopäden usw.) abgesprochen werden. Wichtige, sich anbahnende statomotorische Entwicklungsschritte sollten durch operative Maßnahmen nicht unterbrochen, sondern unterstützt werden. Die Operation ist keine isolierte Maßnahme, sondern sie muss mit den sie begleitenden Folgemaßnahmen koordiniert werden. Zu diesen gehört möglichst frühe Aufnahme der Physiotherapie, um das Kind bei der Testung und Anwendung neuer Bewegungsmöglichkeiten zu unterstützen. Eine Orthesenversorgung (Lagerungs- und Funktionsorthesen) sichert und stabilisiert das operative Ergebnis.

Ein therapeutischer Abschnitt ist dann beendet, wenn die erreichte Funktion vom Kind in seinen Alltag integriert worden ist. Alle therapeutischen Maßnahmen haben zum Ziel, die Wahlfreiheit der Kinder zu erweitern.

Literatur

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  • 11 Scrutton D, Damiano D, Mayston M. Management of the motor disorders of children with cerebral palsy. 2nd ed. Oxford; Cambridge University Press 2004

Dr. med. Bernd Doll

Klinik für Kinderorthopädie
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