Fortschr Neurol Psychiatr 1995; 63(4): 131-138
DOI: 10.1055/s-2007-996611
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prodrome der Schizophrenie

Prodromes of SchizophreniaG.  Huber
  • Emerit. o. Professor der Universität Bonn, em. Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Bonn
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Publication Date:
10 January 2008 (online)

Abstract

This review deals with the opinions and findings of the last six decades regarding occurrence, frequence, and phenomenology of precursor stages of schizophrenic and schizoaffective psychoses. Already in his classical delineation of the onset of schizophrenia Mayer-Gross (1932) differentiated between uncharacteristic and characteristic precursors of schizophrenia and anticipated essential aspects of the concept of basic stages and basic symptoms which has been gradually developed by clinical psychiatrists and psychologists since the 50s. In his monograph "The beginning schizophrenia" Conrad (1958) resumed the "promisingly undertaken, but prematurely coming to a standstill" work of the descriptive-phenomenological psychopathology of the Heidelberg School (Jaspers, K. Schneider, Mayer-Gross, Gruhle) and investigated systematically early abnormalities of behaviour with the method of morpho-analysis. However, the study of Conrad refers already to the onset of the first psychotic episode, the "trema" which is not identical with the outpost syndromes and prodromes in the sense of Mayer-Gross and the authors of the basic symptom concept. The "trema" is characterized mainly by disorders of behaviour and expression, the precursor syndromes by dynamic and cognitive basic deficiencies, experiential and not behavioural in kind, typically only recognizable by the self-reports of the patients. The ability of recognition and realization of the basic symptoms as complaints and disorders and to develop coping strategies was the presupposition for a standardized survey and assessment of basic symptoms in the Frankfurt Questionnaire (FBF) and the Bonn Schedule for the Assessment of Basic Symptoms (BSABS). The patients in prepsychotic precursor syndromes that precede the first psychotic episode as prodromes 3.3 years, as outpost syndromes 10 years, are in contrast to patients in the "trema", with so-called negative schizophrenia or "prodromal or residual symptoms" according to DSM-III-R, aware of the basic symptoms as deficiencies and able to develop self-help strategies.

The results of the systematical clinical psychiatric and clinical-psychological studies are reported with regard to the topic precursor stages of schizophrenia and the consequences of these findings for the early recognition and early treatment of schizophrenic and related diseases. The findings demonstrate that certain first rank symptoms of schizophrenia develop from certain transition-relevant cognitive basic symptoms and that the course models of Kraepelin, Andreasen and Crow cannot be maintained. Basic symptoms, positive symptoms and negative symptoms must be differentiated. As a rule, except of a subgroup of primary negative anosognosia-schizophrenias, they also develop in this chronological sequence: First of all, there are uncharacteristic, and then more or less characteristic basic symptoms; these are followed, on average many years later, by positive (psychotic) symptoms and, finally, by negative symptoms. According to the results of the Bonn-Aachen prospective early recognition study of schizophrenia, many seemingly neurotic and psychopathic conditions which, according to DSM-III-R, would be diagnosed e.g. as anxiety, somatoform or personality disorders or dysthymia, are prepsychotic basic stages of idiopathic psychoses. The article outlines theoretical and practical consequences of the findings on the true onset of the disease (nowadays still termed "schizophrenia") for a better understanding of the disorder and its adequate, effective and early therapy.

Zusammenfassung

In der Arbeit werden anhand der relevanten psychiatrischen Literatur seit dem Heidelberger Schizophrenie- Band von 1932 Befunde und Auffassungen über Vorläufersyndrome schizophrener und schizoaffektiver Psychosen kritisch referiert. Schon die traditionelle Psychiatrie bemerkte, daß die erste psychotische Manifestation - zumindest bei einer Teilgruppe - nicht mit dem Erkrankungsbeginn gleichzusetzen ist, daß vielmehr schon lange zuvor Symptome auftreten können. Mayer-Gross stellte im Heidelberger Schizophrenie-Band den eigentlichen Krankheitsbeginn gesondert und nicht im Zusammenhang mit anderen, späteren Verlaufsproblemen dar. Er nennt als Gründe hierfür die großen Schwierigkeiten der Diagnose in den oft über lange Zeit sich hinziehenden Vorstadien, in denen aber die erhaltene Selbstwahrnehmung der ersten Krankheitszeichen besonders klare Einblicke in die Symptomatologie gewähren könne. In seinem Versuch, uncharakteristische (vegetative, affektive und psychasthenische) von zeitlich späteren ,,kennzeichnenden" Vorboten (u.a. Störungen des Denkens, der Aktivität und der Sympathiegefühle) abzugrenzen, wobei im Verlauf die Entwicklung von völlig uncharakteristischen Phänomenen (Stufe-1-Basissymptome späterer Autoren) ohne scharfe Grenzen zu schon einigermaßen charakteristischen Symptomen (Stufe-2-Basissymptome) und von diesen zu typisch schizophrenen Symptomen gehe, kann man eine Vorwegnähme des Konzeptes der präpsychotischen Basisstadien und Basissymptome sehen, das von klinischen Psychiatern und Psychologen schrittweise seit den 50er Jahren entwickelt wurde. Mayer-Gross sieht, daß es immer wieder auch und gerade einfache Patienten gibt, die das Einsetzen der Störungen auch nachträglich gut schildern können. In den Kasuistiken aus den 20er Jahren ist ein großer Teil der später im Frankfurter Beschwerdefragebogen (FBF) und im Bonner Instrument für die Erfassung von Basissymptomen (BSABS) beschriebenen dynamischen und kognitiven Basisdefizienzen, so die kognitiven Denk- und Wahrnehmungsstörungen und die Zoenästhesien klar erkennbar. Trotz der großen praktischen und theoretischen Bedeutung der Vorboten für das Verständnis der Krankheit fehlte eine systematische Bearbeitung.

Erst Conrad hat dann in seiner Studie ,,Die beginnende Schizophrenie" (1958), die an die Psychopathologie von Jaspers, Gruhle, Mayer-Gross und K. Schneider anknüpfte, das Thema wieder aufgegriffen, um das von jenen ,,so hoffnungsvoll begonnene, dann aber so frühzeitig steckengebliebene" Werk mit Hilfe der Gestaltanalyse neu anzupakken. Conrads Untersuchung an einem großen Beobachtungsgut bezieht sich aber bereits auf die erste Phase des schizophrenen Schubes, das ,,Trema", das nicht identisch ist mit den von Mayer-Gross und den Autoren des Basisstörungskonzeptes gemeinten Prodromen und Vorpostensyndromen: das Trema ist in erster Linie durch Verhaltensstörungen (,,unsinnige" Handlungen und Entgleisungen) gekennzeichnet, nicht aber durch Basisdefizienzen, die typischerweise nur anhand der Selbstschilderungen und nicht in Verhalten und Ausdruck erkennbar sind. Die Patienten in Vorläufersyndromen, die als Prodrom durchschnittlich 3,3 Jahre und als Vorpostensyndrome 10 Jahre der ersten psychotischen Episode vorausgehen, sind, anders als die Kranken im ,,Trema", mit sog. negativer Schizophrenie oder ,,prodromalen oder residualen Symptomen" nach DSM-III-R, zu kritischer Auseinandersetzung mit den Basisdefizienzen und zur Entwicklung von Bewältigungsund Selbsthilfestrategien imstande. In einem Rückblick wird gezeigt, wie die deskriptiv-phänomenologische Forschung in den letzten Jahrzehnten die Kenntnisse über die uncharakteristischen oder schon einigermaßen charakteristischen Anfangsstadien schizophrener und verwandter Erkrankungen auf eine festere Grundlage stellte. Es ergibt sich, daß prodromale Basisdefizienzen und Basisstadien bereits als Initialsymptome der Erkrankung ,,Schizophrenie" anzusehen und bestimmte kognitive Basissymptome für die Frühdiagnose und Frühbehandlung geeignet sind. Nach den Befunden der Gruppe von Hafner lassen sich die Verlaufsmodelle von Kraepelin, Crow und Andreasen nicht aufrecht erhalten, während wesentliche Annahmen des Basissymptomkonzeptes über die ersten Anfänge der Schizophrenie bestätigt werden. Basissymptome, positive und negative Symptome, sind zu differenzieren und entwickeln sich in der Mehrzahl der Verläufe, abgesehen von den primär negativen Anosognosie-Schizophrenien, auch in dieser chronologischen Reihenfolge. Die neueren Erkenntnisse über die initialen präpsychotischen Basisstadien und Basissymptome führen zu Einsichten in die Eigenart des Erlebens und Reagierens der Patienten, die eine Früherkennung und die Entwicklung von adäquaten und effizienten psychologischen und medikamentösen therapeutischen Strategien ermöglichen.

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