Zusammenfassung
Hintergrund: Die Ätiologie und die Pathogenese des Stotterns sind nur ungenügend aufgeklärt. In
der Klinik hat sich die Annahme einer multifaktoriellen Genese mit organischen, psychischen
und sozialen Komponenten bewährt. Als mögliche organische Ursache des Stotterns gilt
eine gestörte zerebrale Hemisphärendominanz, andere Theorien fokussieren mehr auf
sprachmotorische Defizite. Aktuelle Untersuchungen mit funktionell bildgebenden Verfahren
stützen die Organtheorien zur Stottergenese. Gegenstand dieser Untersuchung ist die
Frage, ob bei Stotterern die sprachevozierten Hirnrindenpotentiale gegenüber Gesunden
verändert sind und ob damit ein elektrophysiologisches Korrelat der gestörten rezeptiven
Sprachfunktion bei den betroffenen Patienten gefunden werden kann. Patienten und Methode: Es wurden 10 junge Erwachsene im Alter von 16 bis 43 Jahren mit einem seit dem Kleinkindalter
bestehenden Stottersyndrom untersucht. Durch Ton-, Wort- und Rauschreize evozierte
kortikale Potentiale wurden nach einer bereits andernorts ausführlich beschriebenen
Methode abgeleitet und ausgewertet. Ergebnisse: Es bestand keine Korrelation zwischen der klinischen Symptomatik und den abgeleiteten
Potentialen. Nur in einem Fall war das Potentialbild unauffällig, in allen anderen
Fällen wurden sehr heterogene elektrophysiologische Befunde erhoben. Sie betrafen
in unterschiedlichem Ausmalß sowohl die Ton- wie auch die Wort- und die Rauschreizantworten
ohne eine eindeutige Tendenz. Auch Seitenunterschiede zwischen beiden Hemisphären
wurden gesehen. Schlußfolgerung: In Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Untersuchungsverfahren lassen die
erhobenen Befunde den Schluß zu, dass dem Stottern eine organische, zentralnervöse
Ursache zu Grunde liegt. Offenbar finden sich organische Stotteräquivalente in Projektion
auf motorische und rezeptive Hirnareale. Das Stottern sollte daher nicht mehr nur
als eine isolierte Redeflußstörung angesehen werden, sondern als eine wahrscheinlich
auf einer hirnorganischen Störung beruhende komplexe Sprachstörung. Die besonderen
psychosomatischen Aspekte bei der Krankheitsbewältigung durch die betroffenen Patienten
bleiben davon unberührt.
Summary
Background: The cause of stuttering is unknown. For clinical purposes it proved to be useful
to assume a multifactorial genesis with organic psychological and social aspects.
A longstanding organic theory focussed on the failure to develop left-hemispheric
dominance for speech, whereas others favoured deficits of the speech motor system.
Positron emission tomography (PET) studies support organic theories for the development
of stuttering. The purpose of this study was to find out whether in stutterers auditory
cortical potentials evoked by pure tones, noise and words are different to those of
healthy controls. Patients and Methods: 10 young adults having suffered from stuttering since infancy were examined. The
potentials were measured and analysed as previously described. Results: No correlation of clinical and electrophysiological findings were found. In one case
the evoked potentials were normal, in all other patients heterogeneous results were
obtained in respect of tone-evoked and both noise- and speech-evoked potentials. Cortical
hemispheric differences could be detected. Conclusions: In agreement with PET findings reported in the literature the data obtained in this
study indicate an organic, central nervous cause of stuttering. Obviously both speech
motoric components and perception elements are affected. These facts have to be taken
into account whenever a psychological cause of stuttering is suspected. Nevertheless,
psychosomatic aspects of the disturbances must be considered since they influence
the patients' ability to cope with their symptom.
Schlüsselwörter
Stottern - Hirnrindenpotentiale - Sprachverarbeitung
Key words
Stuttering - Auditory evoked cortical potentials - Speech processing