Zusammenfassung
Die Volksrechte der germanischen Stämme hatten im frühen Mittelalter detaillierte
Bußgeldkataloge entwickelt, in denen u. a. für einzelne Körperverletzungen bestimmte
Bußgelder festgelegt waren. Der Täter mußte das Bußgeld an den Geschädigten oder im
Todesfalle an dessen Sippe zahlen und konnte damit die sonst drohende Fehde ablösen.
Diese Bußgeldkataloge geben einen genauen Einblick, welcher relative Wert einzelnen
Körperteilen und Sinnesfunktionen zugewiesen war. Der Bußgeldkatalog der Lex Saxonum
(um 802), der als Körperschäden Verluste einzelner Fingerglieder, getrennt für Daumen,
Zeigefinger, Kleinfinger und die anderen Finger bis hin zum Todesfall auflistet, wird
mit den heutigen MdE-Sätzen verglichen. Es ergeben sich erstaunliche Parallelen und
interessante Gegensätze. Die beiderseitige Taubheit wird der beiderseitigen Blindheit,
dem Verlust beider Hände, beider Füße oder beider Hoden und dem Todesfall gleichgesetzt.
Summary
The legal systems of the Germanic tribes in the early Middle Ages elaborated detailed
catalogs of forfeits in compensation for certain physical injuries. The perpetrator
had to pay the forfeit to the injured person, or in case of manslaughter, to the tribe
of the dead. By doing so he could avert the feud which otherwise faced him. These
catalogs of forfeits exactly reflect the relative value that was appointed to certain
parts of the body and to sensory functions. The catalog of the Lex Saxonum (c. 802),
in which physical injuries are listed, ranging from loss of single phalanges, differentiated
between thumb, forefinger, small finger, and the other fingers, to death, is compared
with modern grades of disability. There are surprising parallels and interesting contrasts.
Bilateral deafness is put on a level with bilateral blindness, the loss of both hands,
both feet, both testicles, and death.