Fortschr Neurol Psychiatr 1993; 61(7): 241-253
DOI: 10.1055/s-2007-999092
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prosodische Störungen bei neurologischen Erkrankungen - eine Literaturübersicht

Disturbances of Speech Prosody in Neurological Diseases - A ReviewH.  Ackermann1 , I.  Hertrich1 , W.  Ziegler2
  • 1Neurologische Klinik der Universität Tübingen
  • 2Entwicklungsgruppe Klinische Neuropsychologie, Abteilung Neuropsychologie, Städtisches Krankenhaus München-Bogenhausen
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Publication Date:
09 January 2008 (online)

Abstract

The prosodic quality of speech comprises intonation, accent pattern, and rhythm. Among others, these dimensions contribute to the linguistic structure of an utterance and subserve emotional behaviour. Both cortical and subcortical dysfunctions can give rise to impaired speech prosody. The present paper reviews the clinical and linguistic features of the various dys- and aprosodic syndromes as well as their neuroanatomic substrates.

1. Sporadically, lesions of the left hemisphere present with dysprosody in terms of a ''foreign accent''. In most instances this syndrome seems to be due to apraxia of speech.
2. Some authors consider dysprosodic speech a characteristic feature of Broca 's aphasia. The dysprosody of these patients predominantly reflects disturbed temporal organisation of speech utterances. Altered intonation contours, presumably, result from disordered sentence planning rather than from deficits of pitch processing. Wernicke aphasics may show increased variability of intonational patterns.
3. Impaired discrimination and identification of affective prosody has been observed in patients with temporoparietal lesion of the right hemisphere ("auditory affective agnosia"). With respect to linguistic prosody, controversial findings are reported on. Besides pitch extraction from acoustic signals the right hemisphere seems to provide categorical representations of emotional behaviour required for the "Interpretation" of perceived Intonation.
4. Damage to the right hemisphere can give rise to monotonous speech devoid of affective modulation ("motor aprosodia"). It is unsettled to which extent linguistic suprasegmental features are also distorted. The available data indicate an underlying dysfunction of basal ganglia loops and/or transcallosal projections.
5. Both Parkinson's and Huntington's disease may present with reduced prosodic modulation of speech. Probably, these deficits reflect disordered motor control of articulatory and phonatory functions. At least with respect to Parkinsonian patients perceptual and acoustic studies have so far failed to provide sufficient evidence of impaired prosodic planning.

Zusammenfassung

Unter dem Begriff ,,Prosodie" werden Intonation, Akzentuierung und Rhythmus sprachlicher Äußerungen zusammengefaßt. Prosodische Komponenten können u. a. linguistische Information vermitteln (linguistische Prosodie), z. B. Wort- und Satzakzent indizieren, als auch Stimmungen zum Ausdruck bringen (affektive Prosodie). Veränderungen der Prosodie (Dysprosodie, Aprosodie) wurden bei kortikalen und subkortikalen Dysfunktionen beschrieben. Der vorliegende Literaturüberblick soll die klinischen und linguistischen Merkmale der verschiedenen dys-bzw. aprosodischen Syndrome darstellen und die für die Verarbeitung prosodischer Merkmale relevanten neuroanatomischen Strukturen herausarbeiten.

1. Insbesondere nach einer Läsion der vorderen Sprechzentren ist gelegentlich ein "foreign accent Syndrome" zu beobachten, gekennzeichnet u. a. durch Artikulationsstörungen und ein verändertes Intonationsmuster. In den meisten Fällen dürfte es sich um eine in Rückbildung befindliche bzw. residuale Sprechapraxie handeln.
2. Manche Autoren zählen eine dysprosodische Sprechweise zu den charakteristischen Merkmalen der Broca-Aphasie. Die Dysprosodie dieser Patienten ist wohl in erster Linie durch Veränderungen der Zeitstruktur sprachlicher Äußerungen bedingt. Abweichungen der Intonation lassen sich, zumindest teilweise, als eine Folge gestörter Satzplanung deuten. Bei Wernicke-Aphasikern wurde eine erhöhte Variabilität der Grundfrequenzbewegung beschrieben.
3. Temporoparietale Läsionen rechts können mit einer Beeinträchtigung von Diskrimination und Identifikation affektiver Prosodie einhergehen ("auditory affective agnosia"), Somit scheint der rechten Hemisphäre eine wesentliche Rolle bei der Verarbeitung affektiv-prosodischer Merkmale zuzukommen. Möglicherweise ,,verwaltet" diese Hirnhälfte die zur Identifikation der affektiven Tönung sprachlicher Äußerungen erforderlichen Repräsentationen emotionalen Ausdrucksverhaltens. Hinsichtlich des Beitrags der rechten Hemisphäre zur Perzeption linguistischer Prosodie liegen uneinheitliche Befunde vor.
4. Rechtshemisphärische Schädigungen können eine monotone Sprechweise hervorrufen (,,motorische Aprosodie"). Noch nicht ausreichend geklärt ist, inwieweit in diesem Zusammenhang neben einer fehlenden affektiv-prosodischen Modulation die Implementierung linguistisch relevanter suprasegmentaler Merkmale mitbetroffen ist. Die vorliegenden Untersuchungen lassen sich dahingehend deuten, daß einerseits Bahnen vom anterioren Zingulum zu den Basalganglien und andererseits transkallosale Projektionen temporoparietaler Strukturen für die affektiv-prosodische Ausgestaltung sprachlicher Äußerungen von Bedeutung sind.
5. Die prosodischen Auffälligkeiten im Rahmen von Basalgangliendysfunktionen sind am ehesten auf Defizite der motorischen Kontrolle artikulatorischer und phonatorischer Leistungen zurückzufuhren. Wahrnehmungsexperimente und akustische Analysen ergaben zumindest im Falle des Parkinsonsyndroms keine sicheren Hinweise auf eine Beeinträchtigung der kognitiven Verarbeitung, d. h. der Planung prosodischer Merkmale.

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