Z Gastroenterol 2008; 46(3): 257-258
DOI: 10.1055/s-2008-1027294
Nachruf

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf Prof. Dr. med. Gustav Adolf Martini

G. Strohmeyer1
  • 1Krankenhaus Mörsenbroich-Rath, Düsseldorf
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Publication Date:
06 March 2008 (online)

Prof. Dr. med. Gustav Adolf Martini ist am 27.12.2007 in Hamburg im Alter von 91 Jahren verstorben. Er war von 1963 - 1981 Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Marburg/Lahn. Mit ihm verliert die Innere Medizin, insbesondere aber die Gastroenterologie und Hepatologie einen der prägenden Ärzte der Deutschen Hochschulmedizin. Nach dem Studium in Freiburg und Tübingen wurde er zum Wehrdienst eingezogen und in Russland verwundet. In Italien übernahm er bis zum Kriegsschluss eine italienische Sanitätskompanie. Mit Ende des Krieges geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1945 entlassen wurde. Er bewarb sich noch im gleichen Jahr um eine Assistentenstelle im Universitätskrankenhaus Hamburg/Eppendorf bei Prof. Dr. H. H. Berg. Die Kliniken waren fast noch alle zerstört, nur wenige wichtige Geräte und Güter waren übrig geblieben. In der Klinik lehrte und lernte man daher die klinische Diagnostik und Untersuchungstechnik mit einfachsten Untersuchungsmethoden einschließlich einer minutiösen Anamnese und gründlicher Untersuchung am Krankenbett.

Martini wurde unter Berg ein Vorbild dieser klinischen Tugenden, die er nachdrücklich an seine frühen und späteren Mitarbeiter weitergab. Die gleichen Prinzipien wandte er bei den mühsam beginnenden wissenschaftlichen Untersuchungen an, die zunächst aus genauen Beobachtungen am Krankenbett gespeist wurden. Er war besonders fasziniert von den Fortschritten und neuen Ergebnissen der anglo-amerikanischen Medizin, die er mit großem Enthusiasmus aufsog. Es ergaben sich dadurch die ersten Ansätze und Verbindungen zu englischen/amerikanischen Kliniken, aber auch zu Zentren in Frankreich, Schweden und Holland. Die zum Teil epidemisch auftretenden akuten und chronischen Leberkrankheiten, zum Teil noch Folge der hohen Zahl von Hepatitiskranken und durch Unterernährung mitbedingten chronischen Leberkrankheiten während des Krieges und bei Kriegsgefangenen, waren für ihn Anstoß zu wissenschaftlichen Untersuchungen zur Leberzirrhose und ihren verschiedenen Ursachen und Komplikationen. Mit Gustav Adolf von Harnack erschienen grundlegende Arbeiten zu Lebererkrankungen in der Schwangerschaft und bei Kindern.

Durch den British Council kam er zu einem Studienaufenthalt nach London bei Frau Prof. Sheila Sherlock, die ihn wiederum nachhaltig förderte, weil sie von Martinis klinischem Scharfblick und seiner Begeisterung für die wissenschaftliche Hepatologie beeindruckt war. Die am Hammersmith Hospital in London durchgeführten Untersuchungen zur Bakterienbesiedlung des Darms bei chronischen Leberkranken, die für die Pathogenese des Leberkomas wichtig war, fanden internationale Anerkennung in der medizinischen Welt. Sie werden noch heute in der Leberkomaforschung und für die Entstehung der Portocavalen Encephalopathie zitiert. Da er bei den Medizinstudenten durch seinen neuen, englisch geprägten Vorlesungs- und Praktikumsstil am Krankenbett große Begeisterung auslöste, versammelte er nach seiner Rückkehr aus London eine Gruppe junger Assistenten und Studenten um sich, die sich von seinem Drang zu klinischer Forschung von ihm anstecken ließen. Er suchte sich entsprechende Mitarbeiter aus, die mit biologischen und biochemischen Vorkenntnissen neue Wege in der Leberforschung entwickelten.

1963 wurde er als Nachfolger von Prof. Dr. H. E. Bock Klinikchef der Universitätsklinik Marburg, die er nach kurzer Zeit zu einem Zentrum für Innere Medizin und Gastroenterologie formte. Martini war kein einfacher Klinikchef: Er erwartete von seinen Mitarbeitern volle Präsenz am Krankenbett, in der Forschung und in problemorientierter Lehre. Bei seinen Visiten forderte er die genauen Kenntnisse der Krankendaten und die intensive Auseinandersetzung und Diskussion der erhobenen Befunde. Das erforderte bei den Betroffenen Stehvermögen in jeder Weise! Sein voller ärztlicher Einsatz war gepaart mit analytischem Denken, ohne dass die Fürsorge und menschliche Teilnahme und Zuwendung zum Patienten verloren ging. Beeindruckend war sein Gedächtnis für Befunde und Krankheitsverläufe von Patienten aus lang zurückliegenden Zeiten. Er war immer bereit, Anamnese und Befunde in der Zusammenschau zu diskutieren, aber nur wenn sein Gesprächspartner informiert war. Monologe und unklares Schwadronieren waren ihm ein Gräuel.

In der Forschung gab er Hinweise und Anregungen auf neue Felder, deren Bearbeitung er empfahl, aber nicht forderte. Auch eigene Forschungsansätze und Projekte wurden von ihm gefördert. Es entstanden in der Klinik Forschergruppen, in der sich auch ältere und ganz junge Assistenten und Studenten in der Klinik zusammenfanden. Besonders interessierte und forschungsorientierte Assistenten schickte er zur Weiterbildung in Forschungszentren ins In- und Ausland, meistens nach England oder USA. Zahlreiche von ihnen wurden später „martini-geprägt” und mit Auslandserfahrung Chefs von Kliniken oder anderen Institutionen in Deutschland und darüber hinaus. Eine große Zahl wissenschaftlicher Publikationen in erstklassigen medizinischen Journalen und ungezählte Einladungen zu nationalen und internationalen Fachtagungen zeugten von ihrer Fruchtbarkeit und wissenschaftlichen Ernte, die eingefahren werden konnte. Meilensteine waren die zum Teil in Marburg, in Hamburg (Naturforscher und Ärzte) und im Ausland unter der Leitung von Martini gehaltenen internationalen Gastroenterologischen besonders Hepatologischen Kongresse in England, USA, Dänemark, Italien u. a. Die European Association for the Study of the Liver war 1966 in Marburg gegründet worden und ist bis zum heutigen Tag die führende Hepatologische Forschungsgesellschaft. Martini war Kongresspräsident dieser Gesellschaft und später auch seine Schüler.

Auf Reisen und Auslandsbesuchen, aber auch bei den jährlichen Klinikausflügen konnte man Martini als einen liebenswerten, lockeren und humorvollen, den Künsten und der Literatur zugewandten Kenner erleben. Durch ihn wurde man mit den führenden Internisten und Gastroenterologen dieser Welt bekannt gemacht. Er war sicher einer der im Ausland weithin bekannten Deutschen Kliniker und Leberforscher. Er kannte sie alle, die „Großen” ihrer Zeit: Popper, Sherlock, Caroli, Benhamou, Tygstrup u. a. in Schweden, Schweiz, Australien, Belgien, Holland, Japan - alle kannten ihn und seine Arbeit. Er wurde fast immer von forschungsorientierten Mitarbeitern zu den Kongressen begleitet. Dabei öffneten ihm seine vorzüglichen Sprachkenntnisse in Englisch, Französisch und Italienisch viele Türen. Als er einmal in Rom den Europäischen Internisten Kongress eröffnet und in vorzüglichem Englisch und Italienisch seine Gäste begrüßt hatte, wurde er sehr gefeiert - und er genoss es! Ich fürchtete schon, allein von Bella Italia - das er so liebte - nach Bella Germania zurückreisen zu müssen. Aber am nächsten Tag war um 8:00 Uhr wieder unter seiner kritischen Leitung die klinische Morgenbesprechung in Marburg, Mannkopfstraße 1.

Besonders erwähnt werden sollen an dieser Stelle noch zwei Ereignisse, die die Klinik im August 1967 unvorbereitet trafen und zu schweren Belastungen jeder Art führten:

Das plötzliche Auftreten einer bis dahin völlig unbekannten, vielfach tödlich verlaufenden Viruserkrankung, die durch infizierte Affen in den Behringwerken Marburg übertragen wurde und danach als „Marburger Affenkrankheit” in die Literatur einging. Außer symptomatischen Maßnahmen gab es keine Therapie. Improvisierte Notfallmaßnahmen, die mit dem Ziel eingeleitet wurden, die Ausbreitung der Infektion zu verhindern und Gefahren für Ärzte und Schwestern abzuwenden, erforderten rasches und tatkräftiges Handeln. Die Klinik schloss sich solidarisch unter der Leitung Martinis eindrucksvoll zusammen, sodass diese Krise gemeistert werden konnte. Besonders belastend war der Umgang mit den Medien, d. h. die umfassende, aber betont beruhigende Information der Journalisten. Die damals täglichen Pressekonferenzen in der Klinik und Fernsehauftritte von Klinikärzten und Virologen verminderten die Ängste und Fragen der Öffentlichkeit. Die Situation inner- und außerhalb der Klinik hat Martini später noch bis zu seinem Tod beschäftigt. Noch in der letzten Zeit hat er die Fragen und die Wege der Virusisolation des Marburg-Virus erneut mit ehemaligen virologischen Mitarbeitern diskutiert und posthum publiziert (Deutsches Ärzteblatt vom 25.1.2008). Anfang 1968 schwappten auch die Studentenunruhen intensiv auf die „reformatorische Marburger Universität” über, sodass auch klinikinterne Spannungen auftraten, die die Universität und weniger stark auch die Kliniken erschütterten. Es kam zu Unterrichtsstörungen und meist frustranen endlosen Sitzungen, die Martini sehr zusetzten, weil natürlich nicht nur pflegeleichte Studenten und Assistenten in der Klinik mitredeten. Manche persönlichen Angriffe haben Martini sehr verletzt, ihn aber nicht verzagen lassen, weil er wusste, dass die Mehrheit seiner Mitarbeiter hinter ihm stand. Er hat dies nicht vergessen.

Die letzten Lebensjahre waren überschattet von schwerer Krankheit, die seine physischen Aktivitäten stark einschränkte. Die Schärfe und Weite seines Geistes waren jedoch nahezu ungebrochen. Seine Besucher waren beeindruckt, von seiner geistigen Präsenz - noch immer in der Medizin -, aber auch in Literatur, Kunst und in kritischer Distanz zur Politik.

Wir, seine ehemaligen Mitarbeiter und vielfachen Freunde, werden unseren Lehrer und Mentor G. A. Martini nicht vergessen. Wir verneigen uns vor einem großen Arzt, Lehrer und Menschen, der uns geprägt hat. Er wurde Anfang Januar 2008 in Marburg im engsten Familienkreis beigesetzt. Seiner Frau Elisabeth und seinem Sohn Jürgen und Familie gilt unsere Anteilnahme.

G. Strohmeyer, Düsseldorf

Im Namen der Schüler und Freunde Martinis

G. Strohmeyer

Krankenhaus Mörsenbroich-Rath GmbH

Amalienstraße 9

40472 Düsseldorf

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