PiD - Psychotherapie im Dialog 2008; 9(3): 311-312
DOI: 10.1055/s-2008-1067488
Im Dialog

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SUPPORT 25 – Jugendarbeitslosigkeit und seelische Gesundheit

Meike  Rosien, Volker  Reissner, Johannes  Hebebrand
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Publication Date:
05 September 2008 (online)

„Die Arbeit stellt der Menschen stärkste Bindung an die Realität dar” (S. Freud).

Die 18-jährige Sara lebt in Essen und ist seit 1 Jahr arbeitslos. Sie hat deshalb regelmäßige Termine im Job-Center bei ihrer zuständigen Fallmanagerin Frau A. Frau A. macht sich um Sara große Sorgen: „Sie kommt eigentlich immer pünktlich zu jedem Termin und ist sehr freundlich. Wenn sie nur nicht so schüchtern wäre”, berichtet sie. Sara hat Probleme, offen auf unbekannte Menschen zuzugehen und in Gruppen zu sprechen. Sie wollte beispielsweise ihren Schulabschluss an der Volkshochschule nachholen. Sie ist dort zunächst regelmäßig hingegangen, hat sich aber nicht an gemeinsamen Gesprächen beteiligt und ist schließlich gar nicht mehr zum Unterricht erschienen: „Ich hatte Angst, dass ich mich blamieren könnte und habe mich dann nicht mehr getraut, zum Unterricht zu gehen.” Durch die Schüchternheit von Sara sei es in der Vergangenheit bereits zweimal zum Abbruch einer Maßnahme gekommen, berichtet die Fallmanagerin Frau A. besorgt: „Deshalb bin ich nun sehr froh, dass wir hier dieses neue Projekt haben.”

Seit März gibt es am Job-Center Essen in Kooperation mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen das Pilotprojekt Support 25, das sich an arbeitslose Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren richtet. Ein Psychiater sowie eine Diplom-Psychologin bieten täglich Sprechstunden an, zu denen Fallmanager auffällige oder belastete Jugendliche schicken können. Dabei müssen die Kunden nicht erst den Weg zum Psychiater bzw. zur psychiatrischen Klinik auf sich nehmen, der sie oft zurückschrecken lässt, sodass sie dort gar nicht ankommen. Denn die Mitarbeiter des Support-25-Projekts sitzen direkt vor Ort im Job Center. Im Rahmen der Sprechstunden werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mittels Fragebogen und standardisierten Interviews psychiatrisch untersucht und es wird festgestellt, ob eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung vorliegt oder nicht. Anschließend wird der Jugendliche dabei unterstützt, sich in Behandlung zu begeben, falls das notwendig erscheint.

In Essen sind derzeit insgesamt 2 300 Jugendliche arbeitssuchend sowie 2 000 Jugendliche arbeitslos gemeldet. Von den arbeitslosen Jugendlichen in Essen haben 36 % laut Bundesagentur für Arbeit keinen Schulabschluss. Deutschlandweit haben demgegenüber bei den unter 25-Jährigen laut Statistischem Bundesamt 8,3 % der Schulabgänger keinen Abschluss. Die jungen Erwachsenen erhalten bei Erwerbsfähigkeit, d. h. täglicher Einsetzbarkeit von mindestens drei Stunden auf der Grundlage des SGB II die sog. „Grundsicherung für Arbeitssuchende”. Sie werden betreut von rund 60 Fallmanagern und Arbeitsvermittlern des U25-Bereichs im Job-Center Essen. Junge Erwachsene, bei denen viele Vermittlungshemmnisse vorliegen, wie z. B. Probleme im persönlichen und sozialen Bereich (z. B. familiäre Probleme), werden dabei als „integrationsfern” eingestuft und aufgrund eines hohen Unterstützungsbedarfs den Fallmanagern zugeordnet. Ziel des Fallmanagements sowie der Arbeitsvermittlung ist die (Re-)Integration in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt sowie besonders bei den jungen Erwachsenen unter 25 Jahren darüber hinaus die Verbesserung der schulischen und beruflichen Qualifizierung.

Betrachtet man Erstdiagnosen amtsärztlicher Begutachtung bei 18–65-jährigen Arbeitslosen, so treten Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und Bindegewebes mit 42,4 % am häufigsten auf. An zweiter Stelle liegen mit 25,0 % psychische und Verhaltensstörungen (Hollederer 2002). Aufgrund des frühen Manifestationsalters vieler psychischer Störungen könnte bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen die relative Rate von psychischen Erkrankungen überproportional hoch sein. Betrachtet man die gesamtdeutsche Jugendarbeitslosigkeit, die laut Statistischem Bundesamt im November 2007 bei ca. 9,8 % lag, so findet man derzeit für Deutschland keine repräsentativen Zahlen über die Auftretenshäufigkeit und Verteilung von psychischen und körperlichen Erkrankungen bei arbeitslosen jungen Erwachsenen.

Das Modellprojekt Support 25 wurde initiiert von Prof. Johannes Hebebrand, dem Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Rheinischen Kliniken Essen. In einer großen US-amerikanischen Studie konnten Cook et al. (2005) nachweisen, dass die Vermittlungsquote von Langzeitarbeitslosen durch eine Verknüpfung von Fallmanagement und psychiatrischer Betreuung verdoppelt werden konnte. Aus diesem Grund wurde beschlossen, in Essen ein solches für Deutschland einmaliges Modellprojekt zu initiieren. Durch Support 25 wurde eines der Kernelemente des SGB II „Fördern und Fordern” insbesondere bei Jugendlichen umgesetzt. Statt Sanktionen bei vermeintlich leistungswidrigem Verhalten erhalten Jugendliche eine fachliche Unterstützung (Förderung) auf hohem Niveau, damit das Fallmanagement letztendlich auch die adäquaten Integrationshilfen anbieten kann. 2007 wurde Support 25 mit dem dritten Platz des Gesundheitspreises NRW ausgezeichnet.

Die statistische Analyse der bisher untersuchten Jugendlichen (n = 250) ergab, dass nahezu 95 % der Jugendlichen unter mindestens einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung litten. Häufig gestellte psychiatrische Diagnosen waren depressive Störungen, Angststörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen und nichtorganische Schlafstörungen. Rund 50 % der Jugendlichen litten an den Folgen von kindlichen Traumatisierungserlebnissen, die in der Regel bis zum Zeitpunkt der Projektteilnahme nicht zu einer Behandlung geführt hatten. 12 % der Jugendlichen waren übergewichtig, d. h. hatten einen BMI ≥ 25; 19 % litten unter Adipositas (BMI ≥ 30), rund 60 % der Jugendlichen zeigten in der Vergangenheit Phasen von Schulverweigerung. Die vorliegenden Erkrankungen erschwerten eine Integration in den Arbeitsmarkt. Diesen vielfältigen Krankheitsbildern gegenüber stand die Tatsache, dass sich nur ein geringer Prozentsatz der Jugendlichen vor der Teilnahme an Support 25 bereits in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung befand.

Ein Teil der Jugendlichen wurde durch Support 25 zur Behandlung in die Rheinischen Kliniken Essen weitervermittelt. Die hier durchgeführten Interventionen waren vielfältig: Neben dem Aufbau einer Tagesstruktur stand die Förderung angenehmer Aktivitäten, der Abbau von selbstverletzenden Verhaltensweisen sowie die Stärkung des Selbstwertgefühls im Vordergrund. Darüber hinaus erhielten die Jugendlichen, wenn nötig, eine medikamentöse Behandlung.

Die Fallmanager und Vermittler im U25-Bereich des Job-Centers erleben die Maßnahme ebenfalls als entlastend. Nach Beendigung der Diagnostik findet eine kleine Fallkonferenz statt, in deren Rahmen der Jugendliche, der Fallmanager und der Support-25-Mitarbeiter gemeinsam überlegen, wie die berufliche Wiedereingliederung konkret verlaufen könnte: Der Jugendliche gibt an, wo seine beruflichen Interessen liegen, der Fallmanager steuert das Wissen über die existierenden Maßnahmen und Berufsangebote bei und der Support-Mitarbeiter gibt darüber hinaus eine Einschätzung der Belastbarkeit aufgrund der bestehenden Erkrankung ab. Diese Vernetzung des Wissens wird von allen beteiligten Parteien als unterstützend erlebt.

Die bisherige Analyse der Ergebnisse zeigt, wie psychiatrische Störungen und psychosoziale Belastungen eine erfolgreiche Integration der jungen Erwachsenen in den Arbeitsmarkt verzögern oder gar verunmöglichen. Während in Essen das Job-Center gut vernetzt mit Gesundheitsamt, Jugendhilfe, Industrie- und Handelskammer sowie weiteren lokalen Trägern zusammenarbeitet, existierte bislang keine Kooperation mit dem medizinischen System zur Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen. Es fand somit zwischen diesen Institutionen kein systematischer Erfahrungsaustausch statt, Kommunikationsprozesse wurden erschwert und das fachspezifische Know-how der jeweiligen Institution war nur vereinzelten Personengruppen zugänglich. Support 25 ist somit ein Versuch, diese strukturellen Defizite zu verbessern, um so die teilweise schwer benachteiligten Jugendlichen noch qualifizierter bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen.

Sara konnte die Teilnahme an dem Projekt mittlerweile erfolgreich beenden. Sie ist sehr froh, dass sie nun endlich weiß, dass ihre Schüchternheit einen Namen hat: Sie leidet wie ca. 5 % aller Deutschen an einer sozialen Phobie. Während sie auf ihren ambulanten Therapieplatz wartet, hat sie im Rahmen des Projektes regelmäßig an der Diagnostik teilgenommen und erste Strategien an die Hand bekommen, besser mit ihren Ängsten umzugehen: „Im nächsten Kurs werde ich in einem neuen Anlauf versuchen, meinen Schulabschluss nachzuholen. Dann klappt es bestimmt.”

Literatur

  • 1 Hollederer A. Arbeitslosigkeit und Gesundheit.  Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. 2002;  3 411-428
  • 2 Cook J A, Lehman A F, Drake R. et al . Integration of psychiatric and vocational services: a multisite randomized, controlled trial of supported employment.  American Journal of Psychiatry. 2005;  162 (10) 1948-1956

Korrespondenzadresse:

Dipl.-Psych. Meike Rosien

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Rheinische Kliniken Essen

Virchowstraße 174

45147 Essen

Email: meike.rosien@googlemail.com

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