B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2008; 24: S14-S17
DOI: 10.1055/s-2008-1076919
B & G SUPPLEMENT

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Bewegungs- und Sporttherapie in der Psychiatrie und im Suchtbereich – Rückblick und Ausblick

H. Deimel1
  • 1Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Rehabilitation und Behindertensport
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Publication Date:
17 September 2008 (online)

Einleitung

In meinem Beitrag möchte ich den Schwerpunkt auf die Veränderungen in der psychiatrischen Landschaft und im Suchtbereich legen, wie ich diese seit der Gründung des DVGS (früher „DSThB e. V. – Deutscher Sporttherapeutenbund”) wahrgenommen und erlebt habe sowie mögliche Schlussfolgerungen für zukünftige Aufgabenfelder oder Erweiterungen der Bewegungs- und Sporttherapie formulieren, die hieraus resultieren könnten. Meine Schwerpunktsetzung begründet sich dadurch, dass Gerd Hölter in seinem Beitrag zur Psychomotorik ja schon grundlegende Gedanken und Aussagen zu einer zukünftigen „Klinischen Bewegungstherapie” in diesem Feld thematisiert hat. Ich möchte daher im Folgenden insbesondere auf drei Punkte näher eingehen, die sich m. E. in diesem Zeitraum deutlich gewandelt haben bzw. die zukünftig neue Überlegungen oder Konzepte aus der bewegungs- und sporttherapeutischen Sicht verlangen. Es sind:

Aufrechterhaltung sozialpsychiatrischer Konzepte Veränderungen der Klientel durch Doppeldiagnosen bzw. Komorbiditäten Vermittlung grundlegender Kenntnisse im Umgang mit „schwierigen Klienten”

Aufrechterhaltung sozialpsychiatrischer Konzepte

Schaue ich von dem heutigen Zeitpunkt aus zu den Anfängen der Verbandstätigkeit des DVGS zurück, so fällt mir zunächst auf, dass zu dieser Zeit sowohl im Bereich der Psychiatrie als auch bei dem „Sporttherapeutenbund” eine starke Aufbruchbewegung existierte. Bei dem Verband ging es darum, den Stellenwert von Bewegung und Sport als Präventions- und Rehabilitationsmaßnahme bei Zivilisationserkrankungen, hier besonders in einer Vorreiterfunktion bei der Herzinfarkt-Rehabilitation, zu etablieren und eine Berufsvertretung für das relativ neue Berufsbild des ausgebildeten Sporttherapeuten zu bilden. Als bedeutsames Merkmal eines solchen Sportkonzepts galt v. a. seine ganzheitliche Ausrichtung; neben den funktionellen Aspekten wurden auch psycho-soziale und gruppendynamische Funktionen sowie Verhaltensänderungen hin zu einem aktiven Lebensstil betont, um zu einem kontinuierlichen, lebenslangen Sporttreiben zu motivieren, zur Verbesserung der Lebensqualität beizutragen und eine Integration in eine Gruppe von gleichbetroffenen Menschen anzustreben. 

Auf dem Gebiet der Psychiatrie ließ sich zeitgleich eine stark ausgebildete sozialpsychiatrische Orientierung mit der Ablehnung eines einseitigen biologischen Modells als Erklärungsansatz für psychische Erkrankungen zugunsten eines bio-psycho-sozialen Ansatzes beobachten. Dieser Ansatz betonte v. a. vehement die normativen, gesellschaftlichen und sozioökonomischen Faktoren, die die Entwicklung, die Aufrechterhaltung bzw. den Verlauf von psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft beeinflussen sowie deren Rehabilitation erschweren. Die sozialpsychiatrische Bewegung hatte u. a. ihren Auslöser durch die Psychiatrie-Enquête (1975), die durch die damalige Bundesregierung über die Versorgung psychisch kranker Menschen in Deutschland in Auftrag gegeben worden war. In diesem Bericht wurden die eklatanten Mängel in Versorgung, Behandlung und Rehabilitation von psychisch erkrankten Menschen schonungslos aufgedeckt und eine komplette Reformierung der psychiatrischen Versorgung gefordert. Die überwiegende Behandlung dieser Personengruppe fand zu dieser Zeit noch schwerpunktmäßig in psychiatrischen Großinstitutionen statt, die teilweise mehr als 1 000 Betten hatten, extrem ungünstige Therapeuten-Patienten-Relationen besaßen und in ihrer ganzen Struktur eher auf die Verwaltung und Versorgung in Form von Langzeitunterbringung besonders von schwerer erkrankten Patienten ausgerichtet waren als auf ihre Rehabilitation und Eingliederung in Arbeit, Familie und Gesellschaft. Dies trug maßgeblich zu ihrer Chronifizierung aufgrund dieser ungünstigen strukturellen und sozialen Bedingungen bei. Ebenso existierten keinerlei Überlegungen zu der in diesem Feld zwingend notwendigen Nachsorge auf der Wohnortebene, was zu dem berühmten „Drehtüreffekt” führte, sodass Patienten ohne sozialtherapeutische Unterstützung schnell wieder erkrankten, da sie unfähig waren, die vielfältigen Anforderungen und Belastungen am Wohnort zu bewältigen. Als Orientierung für die Reformierung galten Versorgungsmodelle aus den skandinavischen Ländern, aus Großbritannien oder den Niederlanden, in denen das Prinzip der gemeindenahen psychosomatischen und psycho-sozialen Behandlung und Betreuung erfolgreich umgesetzt worden war.

Der zugrunde liegende sozialpsychiatrische Ansatz befürwortete ein bio-psycho-soziales Modell der Entstehung von psychischen, psychosomatischen und Suchterkrankungen, in denen jedoch die sozialen Faktoren eine besondere Beachtung fanden. Beispielsweise wurde das Recht auf Wiedereingliederung in Familie, Arbeit und Gesellschaft auch für psychisch kranke Menschen gefordert sowie eine „Gemeindenahe Psychiatrie”, in der diese Personen, ähnlich wie bei somatischen Erkrankungen, auch vor Ort im Krankenhaus behandelt werden können und nur in schweren Fällen eine psychiatrische Fachklinik aufsuchen sollen. Zudem wurde mit dem Prinzip der gemeindenahen Versorgung auch der Anspruch formuliert, dass Gemeinde, Stadt oder Region gleichzeitig Sorge tragen müssen für die Prävention von psychischen Erkrankungen, d. h. durch entsprechende Einbeziehung von präventiven und sekundärpräventiven Maßnahmen können Krankheiten oder ihre Rückfälle beeinflusst oder vermieden werden. 

In dieser Zeit gründeten sich viele sozialpsychiatrische Zentren, Patientenclubs, Selbsthilfegruppen, Wohngemeinschaften, Wohngruppen mit und ohne sozialpädagogische Betreuung. Sozialpsychiatrisches Denken und Handeln war und ist auch heute noch dadurch gekennzeichnet, dass der psychisch kranke Mensch einen Anspruch auf respektvolle Begegnung, auf Hilfe und Unterstützung hat, aber auch auf die Akzeptanz seiner Andersartigkeit. Ein ganz zentraler Gedanke war dabei die Einbeziehung von Angehörigen und interessierten Mitgliedern der Gemeinde. Gerade die Hinzuziehung von Laienhelfern, also interessierten Gemeindemitgliedern, führte zu einer günstigen Form der „normalen” Kommunikation und Beziehung zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen, was wesentlich dazu beigetragen hat, dass viele Vorurteile und Voreingenommenheiten gegenüber psychischen Erkrankungen sich verändern konnten. Wer die Publikationen in den Verbandszeitschriften „Herz, Sport und Gesundheit”, später „Sporttherapie in Theorie und Praxis” nachliest, wird feststellen, wie diese sozialpsychiatrischen Vorstellungen auch auf die Bewegungs- und Sporttherapie übertragen worden sind und gut funktioniert haben.

So gab es lange Zeit in den sozialpsychiatrischen Zentren, in denen ich sporttherapeutische Angebote durchgeführt habe, einen nicht unbeträchtlichen Anteil von Laienhelfern, die zusammen mit den betreuten Patienten gemeinsam Sport trieben. Erstaunlich war dabei, dass durch diese Bedingungen der Grad an auffälligem Verhalten seitens der Patienten deutlich geringer war und eine sehr supportive und ungezwungene Atmosphäre von Normalität herrschte. Außenstehende Zuschauer hätten nicht immer sofort erkennen können, wer denn nun Patient oder Laienhelfer ist.

Durch die zunehmende Professionalisierung dieses Bereichs, durch die damit verbundenen sozialarbeiterischen / sozialpädagogischen Aufgaben, z. B. Arbeitsplatzsuche, Behördengänge, betreutes Wohnen, aber auch durch die zunehmend komplexeren Krankheitsbilder, sind heute die Laienhelfer zumindest in unseren betreuten Zentren kaum noch tätig, allenfalls noch bei gelegentlichen Freizeitaktivitäten. Zudem ist es wieder schwieriger geworden, Laien für diesen Bereich zu gewinnen. Möglicherweise spiegelt sich hier die allgemeine gesellschaftliche Tendenz des Rückzugs in das Private wider. Es wird deutlich, dass durch die zunehmende Professionalisierung zwar einerseits die betreuerischen und rehabilitativen Maßnahmen qualitativ verbessert werden, andererseits der direkte Austausch und das gemeinsame Handeln zwischen Gemeindemitgliedern und psychisch Erkrankten im Sinne einer gelungenen Integration jedoch auf der Strecke geblieben ist. Die sozialpsychiatrische Betrachtungsweise ist meines Erachtens eher wieder in den Hintergrund getreten zugunsten einer stärkeren pharmakologischen Behandlung, allenfalls kombiniert in Verbindung mit psychoedukativen und sozialpädagogischen Maßnahmen.

Diese Veränderungen haben sich auch in der Bewegungs- und Sporttherapie bemerkbar gemacht. Kamen früher die Klienten, unabhängig von ihrer jeweiligen stimmungsmäßigen Tagesverfassung, mit den Laienhelfern zusammen, so geschieht das heute kaum mehr, d. h. Klienten kommen allein und nur, wenn ihre Stimmung und Befindlichkeit gut ist, während sie sich bei negativer Stimmung nicht allein motivieren können, obwohl es gerade an diesem Punkt notwendig und sinnvoll wäre. Insgesamt erscheint mir, dass der Bereich der Nachsorge – auch die gemeindenahen Bewegungs- und Sportangebote – in den letzten Jahren nicht weiter expandiert ist und an Aufmerksamkeit verloren hat. Zwar existieren einige gut laufende Vereine oder Modelle, z. B. in Leipzig, Tübingen, Würzburg oder Köln, insgesamt ist das Angebot jedoch bei Weitem nicht flächendeckend, sodass hier in meiner Einschätzung ein riesiger Nachholbedarf existiert. Sozialpsychiatrisches Denken mit einem ressourcenorientierten Ansatz ist zukünftig weiter gefordert, da ja auch die Gruppen in der Nachsorge nicht diagnosespezifisch zusammengesetzt sind, sondern eine Mischung der unterschiedlichsten Krankheitsbilder darstellen, sodass störungsspezifische Ansätze der Klinischen Bewegungstherapie hier nicht zwangsläufig übertragen werden können.

Insgesamt bleibt an dieser Stelle erst einmal festzustellen, dass unter rehabilitativen Gesichtspunkten die Kontinuität und Nahtlosigkeit des Übergangs von Klinik und Wohnort vielfach noch nicht gewährleistet oder realisiert ist, wenn es um Bewegungs- und Sportangebote im Sinne der Partizipation, der Erhaltung des Wohlbefindens und der Lebensqualität geht. Das ist deswegen schon wichtig, da gerade für psychisch Kranke mangelnde Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt bestehen und solche Angebote für die Tagesstrukturierung von besonderer Bedeutung sind. 

Veränderungen der Klientel durch Doppeldiagnosen bzw. Komorbiditäten

Eine weitere auffällige Veränderung ergibt sich aus meiner Sicht durch das veränderte Krankheitsspektrum mit den erhöhten Komorbiditätsraten oder den Mehrfachdiagnosen bei psychischen Erkrankungen und im Suchtbereich. Ein Kennzeichen dieser Personengruppe ist, dass sie eine stark erhöhte seelische Verletzbarkeit besitzt, sich vielfach sehr impulsiv, risikoreich, widersprüchlich oder eigensinnig verhält. In ihrem Beziehungsverhalten agieren und reagieren diese Menschen extremer, womit natürlich ihr soziales Umfeld rasch überfordert ist. Ihre Biografien sind durch früh auftretende Störungen, z. B. in Form von emotionaler Vernachlässigung oder Traumatisierung, durch eine negative Progredienz aufgrund der Entwicklung von Leistungs- und Verhaltensstörungen sowie durch eine früh einsetzende Chronifizierung ihrer Verhaltensstörungen, geprägt. So lässt sich beispielsweise bei einem beträchtlichen Anteil von Menschen mit Doppeldiagnosen schon im Kindesalter ein hyperkinetisches Syndrom nachweisen. Im Jugendalter findet sich nicht selten ein exzessiver Nikotin-, Cannabis- und Alkoholmissbrauch, was dann in vielen Fällen zum Ausbruch von Psychosen führen kann.

Die neuere Hirnforschung zu den Auswirkungen von chronischem Cannabismissbrauch belegt eindrücklich, wie massiv die Auswirkungen auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Gehirns bei Jugendlichen sein können. So verharren viele Jugendliche und junge Erwachsene lange Zeit als Folge davon auf einem vergleichsweise niedrigen Entwicklungsniveau, sodass schulische oder berufliche Abschlüsse kaum realisiert werden können. Aufgrund ihres „schwierigen Beziehungsverhaltens”, einer geringen Belastungsfähigkeit und eines manchmal exzentrischen, nonkonformistischen Lebensstils fallen sie schnell aus den üblichen Hilfsangeboten heraus und gelten schnell als „Systemversager”. Das verstärkt ihre Abwärtsspirale und die damit verbundenen negativen psychosomatischen Konsequenzen sowie den immer stärkeren Rückzug aus allen Bindungen.

Erschwerend kommt hinzu, dass für die Personengruppe mit Doppeldiagnosen auch im somatischen Bereich zusätzliche erschwerende Bedingungen bestehen. Beispielsweise hat sich in unseren Gruppen bei den jüngeren Teilnehmern der Anteil an zusätzlichen Diagnosen, z. B. Adipositas, Rückenbeschwerden, Diabetes, Essstörungen, neurologische Störungen oder Muskel- und Gelenkschmerzen, deutlich erhöht, sodass die bewegungs- und sporttherapeutischen Inhalte allein von der Belastungsintensität und den funktionellen Voraussetzungen her deutlich modifiziert werden müssen. Während man in der Klinischen Bewegungstherapie noch mit der Bildung von spezifischen Indikationsgruppen dieser Problematik begegnen kann, stößt man in der ambulanten Behandlung oder in der Nachsorge trotz aller Differenzierungsmöglichkeiten schnell an Grenzen. 

Im Suchtbereich sind in diesem Zeitraum ähnliche Veränderungen, bedingt durch Doppeldiagnosen bzw. Komorbiditäten, feststellbar. Auch hier hat sich in dieser Zeit das Spektrum der Erkrankungen erheblich verändert. So fällt auf, dass zunehmend mehr Jugendliche und junge Erwachsene mit Polytoxikomanie (Alkohol-, Drogen- und Cannabismissbrauch in Verbindung mit Persönlichkeitsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen) in Suchtkliniken auftauchen. Diese Personengruppe benötigt aufgrund ihres früh einsetzenden Suchtverhaltens und den daraus resultierenden persönlichkeitsspezifischen Entwicklungsrückständen und mangelnden Kompetenzen ganz andere therapeutische Programme im Vergleich zur üblichen Suchtrehabilitation, zudem auch viel längere Zeiträume zur Behandlung. Unter bewegungs- und sporttherapeutischen Gesichtspunkten liegen dazu noch so gut wie keine konzeptionellen Überlegungen oder empirischen Untersuchungen zu dieser Personengruppe vor. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass teilweise schon massive Störungen in funktionellen Bereichen des Verhaltens bestehen, die u. a. durch die massiven Auswirkungen des chronischen Missbrauchs auf die Hirntätigkeit erklärt werden müssen.

Eine zweite Gruppe mit wachsendem Umfang sind Menschen mit chronischer Mehrfachabhängigkeit (CMA). Auch diese Personengruppe, die sich durch jahrzehntelangen Missbrauch, viele vergebliche Therapieversuche, Abbrüche und durch stark körperliche und psycho-soziale Beeinträchtigungen und Störungen ausweist, benötigt ein konzeptionell andersartiges, eher soziotherapeutisch und salutogenetisch ausgerichtetes, basales Bewegungs- und Sportprogramm im Vergleich zu den „normalen alkoholabhängigen Menschen”. Auch hier spielt der Faktor Zeit eine bedeutsame Rolle, d. h. Entwicklungsgeschwindigkeit und -prozess verlaufen verlangsamt und diskontinuierlich. Dennoch ist es erstaunlich, wie viele dieser Menschen trotz jahrzehntelang erlebtem Chaos wieder Struktur, Ordnung und Zufriedenheit in ihrem Leben finden, wenn ihnen ein beschützender und akzeptierender Rahmen mit gleichzeitig schrittweise wachsender Verantwortungsübernahme, aber auch ein bestimmtes Maß an Freiheit zugestanden wird. Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Bewegungs- und Sporttherapie wider, in der sich die motorischen Funktionen sowie viele der zuvor extremen Verhaltensweisen bessern oder mildern. Der DVGS wäre für die Zukunft gut beraten, Bewegungs- und Sporttherapeuten für diese beiden Gruppen spezifischer zu qualifizieren, hier besonders unter dem Gesichtspunkt, wie sich über Bewegung und Sport v. a. die kognitiven Funktionen beeinflussen lassen.

Vermittlung grundlegender Kenntnisse im Umgang mit „schwierigen Klienten”

Einen letzten Bereich möchte ich an dieser Stelle noch ansprechen und auf zukünftige Forschungsschwerpunkte aus bewegungstherapeutischer Sicht hinweisen. So wird aller Voraussicht nach der Anteil der „schwierigen Patienten” in Zukunft noch größer werden, was u. a. mit Anspruchshaltungen an die Therapie, mit der Erwartung lebenslanger Beschwerdefreiheit oder der Beseitigung von Symptomen ohne Verhaltens- oder Lebensstiländerung zu tun haben kann. Mit dem „schwierigen Patienten” werden von mir etwas willkürlich Personen mit Persönlichkeitsstörungen, z. B. Borderline-Störungen, Patienten mit chronischen psychosomatischen Beschwerden, Schmerzpatienten, Patienten mit beginnender Demenz- oder Alzheimer-Erkrankung, verstanden. Weiterhin sind hierunter Personen mit unterschiedlichsten Diagnosen zu zählen, die als gemeinsames Merkmal eine „widerspenstige Haltung” gegenüber der Medizin und Therapie zeigen, d. h. nicht unbedingt eine positive Compliance mitbringen, sich vielmehr misstrauisch, überkritisch, uneinsichtig, negativ oder gelegentlich aggressiv verhalten. 

Weitere Muster sind z. B. der überstarke Wunsch nach vermehrter und absoluter Beachtung und Aufmerksamkeit der Person mit ihrem Leiden, das Fordern von maximaler Hilfe und Unterstützung von Therapeuten ohne eigenes Engagement oder auch das permanente Abwerten von Maßnahmen bzw. die permanente Ablehnung aller alternativen Angebote. Also insgesamt eine Personengruppe, denen man es niemals so ganz recht machen kann, die riesige oder illusionäre Erwartungen mitbringen, die Schuld ihres Leides nur der Umwelt zuschreiben und die sehr schnell Widersprüchlichkeiten oder Schwächen beim Therapeuten seismografisch aufdecken können. Diesen verschiedenen Typien wird man in allen Bereichen und Disziplinen der bewegungs- und sporttherapeutischen Betreuung gelegentlich begegnen. Sie hinterlassen häufig ein ärgerliches Grundbefinden aufseiten der Therapeuten, lösen ambivalente Reaktionen, Unwillen, Intoleranz, Zorn oder innere Widerstände aus.

Die Betreuung solcher Menschen stellt besondere Anforderungen an das gesamte Team oder den einzelnen Therapeuten, da die gewöhnlichen Kommunikationsstrukturen nicht immer genügen. Hier werden neben guten fachlichen Qualifikationen v. a. Eigenschaften benötigt wie eigene psychische Stabilität, innere Distanzierungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Humor, Geduld, Flexibilität und eine nicht wertende Gelassenheit. Diese Merkmale sind jedoch keine angeborenen Fähigkeiten. Sie lassen sich allerdings durch Supervision anbahnen und verbessern. Der DVGS sollte zukünftig solche Angebote für die berufstätigen Bewegungs- und Sporttherapeuten aller Spezialisierungen entwickeln und anbieten. Schließlich dienen derartige Kurse auch der eigenen Psychohygiene und der Protektion vor emotionaler Überforderung, Hilflosigkeit und Burn-out.

Abschließend möchte ich auf das dringende Problem der Alterserkrankungen, hier besonders der Demenz-Erkrankungen, hinweisen, zu dem bisher wenig Forschung aus sportwissenschaftlicher Sicht vorliegt. Auch hier wird man analog zum sozialpsychiatrischen Denken und Handeln möglichst gemeindenahe Versorgungsstrukturen entwickeln müssen, um den Familien, die ihre betroffenen Angehörigen zu Hause betreuen, Entlastung und Unterstützung zu gewähren. Bewegungstherapeutische Aktivitäten in einer Gruppe wirken bei dieser Klientel unseren bisherigen Erfahrungen nach positiv auf die psychomotorischen Funktionsbereiche. Besonderheiten der bewegungstherapeutischen Betreuung und der Kommunikation mit diesen Menschen wären m. E. notwendige und sinnvolle Kurse im Katalog zukünftiger Fortbildungsangebote.

Korrespondenzadresse

Dr. H. Deimel

Institut für Rehabilitation und Behindertensport · Deutsche Sporthochschule Köln

50927 Köln

Email: deimel@dshs-koeln.de

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