Das Neugeborene nach Geburt außerhalb einer Klinik
Jede ungeplante Hausgeburt, insbesondere ohne Anwesenheit einer Hebamme, muss bis
zum Beweis des Gegenteils als neonatologischer Notfall angesehen werden. Deshalb muss
jede Meldung einer drohenden Geburt außerhalb der Klinik, aber auch einer ungeplanten
Hausgeburt, sowie von geburtshilflichen Problemen bei einer Hausgeburt in Anwesenheit
einer Hebamme beim lokalen Einsatzzentrum die parallele Alarmierung des Notarztes
und des Neugeborenennotarztes zur Folge haben.
Oftmals ist der allgemeine Rettungsdienst zuerst zur Stelle, die Begutachtung des
Neugeborenen durch einen erfahrenen Pädiater ist in dieser Situation dennoch unverzichtbar.
Wenngleich die meisten Fälle sowohl für die Mutter als auch für das Neugeborene ohne
größere Probleme enden, muss immer von der Möglichkeit eines mütterlichen oder kindlichen
Notfalls ausgegangen werden.
Geplante oder ungeplante Geburten außerhalb einer Klinik weisen in der Vorgeschichte
oftmals eine nach medizinischen Standards inadäquate Schwangerschaftsvorsorge auf.
Eine unbemerkte Eröffnungsperiode, aber auch die schnelle Sturzgeburt sind überproportional
häufig mit mütterlichen und/oder kindlichen Problemen nach der Geburt assoziiert.
Insbesondere die sehr schnelle Geburt führt oftmals zu einer pulmonalen Anpassungsstörung.
Aber auch bei einer Hausgeburt in Anwesenheit einer Hebamme müssen die eingeschränkten
diagnostischen und Überwachungsmöglichkeiten außerhalb der Klinik als erhebliches
Risiko angesehen werden, falls es zu geburtshilflichen und/oder Problemen beim Neugeborenen
kommt.
Bei einer Hausgeburt fehlt es an
-
einem adäquaten Versorgungsplatz (Arbeitsfläche, Lichtverhältnisse, Instrumentarium
in greifbarer Nähe),
-
einer adäquaten Absaugvorrichtung,
-
einer Wärmequelle,
-
einem kontinuierlichen Sättigungsmonitoring,
-
einem kontinuierlichen Herzfrequenzmonitoring,
-
einer (erweiterten) Blutgasanalysendiagnostik.
Zudem ist die Expertise der ambulant tätigen Hebammen für die adäquate Versorgung
eines Risikoneugeborenen meistens unzureichend; es fehlt sowohl an der nötigen Geräteausstattung
als auch an regelmäßigem, mindestens jährlichem Training auf dem Niveau des Basic
Life Support (BLS) für Neugeborene.
Cave
Jede notfallmäßige Meldung einer Geburt außerhalb der Klinik muss, unabhängig von
den individuellen Umständen im Einzelfall, bis zum Beweis des Gegenteils, wie ein
lebensbedrohlicher Neugeborenennotfall behandelt werden und bedarf der Anwesenheit
eines in der Neonatologie erfahrenen Pädiaters. Dasselbe gilt für alle gemeldeten
Neugeborenenprobleme bei einer Hausgeburt in Anwesenheit einer Hebamme.
Mutter und Neugeborenes können nur dann zu Hause verbleiben, wenn
-
gute Apgar-Werte nach 5 und 10 Minuten durch Hebamme und/oder Notarzt glaubhaft gemacht
werden können bzw. vom Kinderarzt festgestellt wurden
-
und ein in der Neonatologie erfahrener Pädiater bei einer gründlichen klinischen Untersuchung
(falls er nicht selbst bei der Geburt anwesend war) den guten Apgar-Wert zu einem
späteren Zeitpunkt bestätigen kann
-
und außerdem keine Anzeichen einer Adaptationsstörung, Anämie oder Sepsis feststellbar
sind
-
und eine erfahrene Hebamme die Betreuung von Mutter und Kind kontinuierlich für mindestens
die nächsten 3 Tage gewährleisten kann.
Ist dies nicht gegeben, so muss das Neugeborene in eine Kinderklinik verlegt werden.
Die Mutter sollte im Hinblick auf ein adäquates Bonding entweder in der geburtshilflichen
Abteilung oder in der Kinderklinik (mit-)aufgenommen werden.
Die Geburt außerhalb einer Klinik erzeugt beim medizinischen Personal erfahrungsgemäß
sehr viel Stress. In den meisten Fällen ist die Adaptation jedoch adäquat, es ist
kein spezielles Eingreifen erforderlich. Besondere Umstände, wie die Geburt aus atypischer
Lage oder die normale initiale Zyanose, verstärken jedoch bei unerfahrenem Personal
den Stress.
Tipps
Die wichtigste Frage an die Schwangere ist die nach der Schwangerschaftsdauer.
Die wichtigste therapeutische Maßnahme ist die Gewährleistung der Temperaturkonstanz.
Die Gewährleistung einer Temperaturkonstanz ist außerhalb der Klinik oft schwer zu
bewerkstelligen – auch bei moderaten Außentemperaturen in der warmen Jahreszeit. Das
Bewusstsein für die Gefahr einer Auskühlung des Neugeborenen, auch bei normaler Raumtemperatur,
ist leider nicht sehr weit verbreitet ([Abb. 1]). Der Stress von Hebamme und Arzt in der akuten Versorgungssituation erzeugt offenbar
eher ein unrealistisches Hitzegefühl!
Es ist auch ein Irrglaube, ein Neugeborenes, das mit der Mutter in direktem Hautkontakt
ist (Bonding) und zusätzlich mit einem Laken überdeckt ist, könne nicht auskühlen!
Der Feuchtigkeitsfilm zwischen Mutter und Kind bewirkt eine kontinuierliche Evaporation,
deshalb muss in 10-minütigen Abständen die Temperatur des Neugeborenen gemessen werden,
und warme Tücher müssen immer wieder mittels Mikrowelle, Föhn oder Backofen präpariert
werden. Das gründliche Abtrocknen des Neugeborenen – ohne die Vernix caseosa zu entfernen
– wird oftmals vernachlässigt, da das Bestreben darauf zielt, das Neugeborene so schnell
wie möglich der Mutter auf die Brust zu legen. Dieser „natürliche Impuls“ darf aber
niemals eine inkomplette klinische Untersuchung zur Konsequenz haben.
Abb. 1 Ursachen für Wärmeverluste nach der Geburt.(Quelle: Jorch G, Hübler A, Hrsg. Neonatologie,
1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015)
Das Hauptaugenmerk beim deprimierten Neugeborenen gilt der Initiierung der Spontanatmung
über die Etablierung von Ventilation und Oxygenierung [2]. Nur so kann bei ausreichender Oxygenierung auch eine häufig bestehende kardiozirkulatorische
Einschränkung überwunden werden.
Spezielle Notfallsymptome
Das zyanotische Neugeborene
Meist unmittelbar nach der Geburt, oftmals aber auch erst in den folgenden Wochen,
kann das Neugeborene zyanotisch erscheinen. Zu beachten ist zunächst die normale physiologische
Anpassungskurve des Neugeborenen nach der Geburt, die bewirkt, dass auch 10% aller
gesunden reifen Neugeborenen mit normaler Adaptation 6 Minuten nach dem Abnabeln noch
eine pulsoxymetrische Sättigung von weniger als 80% haben ([Abb. 3]).
Abb. 3 Verlauf der Sauerstoffsättigung nach der Geburt ohne Intervention. Normalwerte der
pulsoxymetrischen Sättigung bei reifen Neugeborenen in den ersten 10 Minuten nach
der Geburt. (Quelle: Hentschel R, Jorch G, Hrsg. Fetoneonatale Lunge. 1. Auflage.
Stuttgart: Thieme; 2016)
Zu unterscheiden ist prinzipiell zwischen der peripheren Zyanose von Händen und/oder Füßen und der zentralen Zyanose, die sich bei einer Inspektion der Mundschleimhaut offenbart ([Abb. 4], [Abb. 5]). Während erstere meist harmlos ist, bedarf die zentrale Zyanose immer einer sofortigen
Abklärung. Die Diagnose einer Zyanose ist jedoch nur von Interesse, wenn eine Spontanatmung
ohne Zeichen einer Bradypnoe oder Apnoe besteht, ansonsten ist sie Ausdruck eines
tiefer greifenden akuten respiratorischen Problems, das unmittelbar beseitigt werden
muss.
Abb. 4 Zentrale Zyanose eines Neugeborenen.
Abb. 5 Periphere Zyanose (Akrozyanose) eines Neugeborenen.
Praxis
„Zentrale“ Zyanose
Fälschlicherweise wird der Begriff „zentrale“ Zyanose oftmals auf den Stamm (im Unterschied
zu den Akren) bezogen, gemeint ist jedoch das „zentrale“ Innere des Körpers, d. h.
die Schleimhaut in warmer Umgebung, die eine Inspektion der Mundhöhle in geeignetem
Licht voraussetzt. In der warmen Umgebung der Mundhöhle scheidet die harmlose Zyanose
durch Gefäßengstellung als Erklärung für eine Zyanose aus, deshalb ist eine zentrale
Zyanose immer sofort abklärungsbedürftig.
Allerdings ist bei einer zentralen Zyanose tatsächlich oft auch der Stamm des Neugeborenen
zyanotisch, die Verfärbung ist hier jedoch oftmals schwer zu erkennen (s. u.) ([Abb. 4]).
Die periphere Zyanose entsteht durch eine komplette Ausschöpfung des Sauerstoffangebots
in den Endstromgebieten der Akren (Akrozyanose) ([Abb. 5]). Sie wird begünstigt durch eine kühle Umgebung, die zu kalten Extremitäten und
einer Vasokonstriktion in diesem Bereich als Wärmesparmechanismus führt.
Die fetalen Erythrozyten (HbF) haben eine andere Sauerstoffaffinität als adulte Erythrozyten
([Abb. 6]), dadurch geben sie Sauerstoff im Gewebe schlechter ab, d. h. sie bleiben theoretisch
unter gleichen Bedingungen länger oxygeniert. Obwohl sie ein größeres Volumen haben,
besitzen sie in Laboruntersuchungen die gleiche Deformationsfähigkeit wie adulte Erythrozyten.
In engen Kapillaren schränkt ihr größeres Volumen jedoch die Fließgeschwindigkeit
möglicherweise ein. Aber auch die physiologische Polyglobulie des Neugeborenen begünstigt
die Entwicklung einer Zyanose (s. u.).
Abb. 6 Sauerstoffdissoziationskurve. Beeinflussung durch unterschiedliche physiologische
und pathophysiologische Faktoren. Beachte, dass eine Linksverschiebung sowohl durch
fetale Erythrozyten als auch durch eine niedrige lokale Temperatur gefördert wird.pCO2 = Kohlendioxidpartialdruck2,3-DPG = 2,3-DiphosphoglyceratHbF = fetales Hämoglobin(Quelle:
Hentschel R, Jorch G, Hrsg. Fetoneonatale Lunge. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2016)
Cave
Die Zyanose reflektiert die Entsättigung der Erythrozyten in den peripheren Kapillaren,
sie ist nicht gleichbedeutend mit einer Sauerstoffuntersättigung im Gewebe. Bei einer
langsamen Fließgeschwindigkeit der Erythrozyten in peripheren Geweben sind die Erythrozyten
desoxygeniert, und die Peripherie erscheint deshalb zyanotisch, der Sauerstoffgehalt
im Gewebe kann aber trotzdem normal sein.
Die periphere Zyanose als alleiniges Symptom ist praktisch immer harmlos, wärmende
Kleidung (Handschuhe) führen zum Verschwinden der pathologischen Hautfarbe. Typischerweise
findet man die Zyanose auch an den bekleideten Füßen nicht, wohl aber an den unbekleideten
Händen – oder umgekehrt. Eine niedrige Hauttemperatur des Stamms kann aber auch dort
zu einer Zyanose führen.
Die periphere Zyanose zeigt immer normale Pulsoxymetriewerte.
Insgesamt betrachtet ist die Tendenz zur Zyanose ein typisches Neugeborenenproblem,
bedingt aber auch durch den pro Kilogramm Körpergewicht deutlich höheren Sauerstoffbedarf
von 5,1 ml/min im Unterschied zu 3,6 ml/min beim Erwachsenen [5].
Die Hautfarbe ist im Neugeborenenalter aber nur eingeschränkt zur Abschätzung der
Lungenfunktion, d. h. des Gasaustauschs, geeignet.
Das typische Merkmal der Zyanose bei einer Sauerstoffuntersättigung ist beim Erwachsenen
und beim älteren Kind wegweisend, nicht jedoch beim Neugeborenen, das eine deutlich
zyanotische Hautfarbe trotz guter Sauerstoffsättigung aufweisen kann. Umgekehrt gibt
es hypoglykämische Neugeborene, die eine rosige Hautfarbe, aber eine niedrige Sauerstoffsättigung
aufweisen.
Die fehlende Korrelation zwischen Hautfarbe und Sauerstoffsättigung nach der Geburt
ist durch die starke Variabilität der folgenden Einflussfaktoren bedingt:
-
Hautbeschaffenheit in Abhängigkeit von:
-
Hämatokrit,
-
Verlauf der Sauerstoffdissoziationskurve durch physiologische Veränderungen (z. B.
Anteil fetales Hämoglobin),
-
periphere Hautdurchblutung in Abhängigkeit von:
-
Ikterus,
-
ethnisch bedingtes dunkles Hautkolorit.
Cave
Ein rosiges Hautkolorit garantiert beim Neugeborenen ebenso wenig eine ausreichende
Sauerstoffsättigung, wie eine Zyanose eine Untersättigung beweist.
Anämie, Polyglobulie, Umgebungstemperatur, Ikterus und weitere Bedingungen verändern
die Hautfarbe so stark, dass im Zweifelsfall eine pulsoxymetrische Messung oder eine
(arterielle) Blutgasanalyse zu empfehlen sind.
Gefährlich ist die nicht erkennbare Sauerstoffuntersättigung bei einer Anämie; hier
ist die Pulsoxymetrie von großem Wert. Ein zyanotisches Hautkolorit wird sichtbar
ab einem reduzierten, d. h. nicht oxygenierten Gehalt von 3 g/dl Hämoglobin im arteriellen
bzw. 4 – 6 g/dl im kapillären Blut.
Besteht trotz einer normalen Sauerstoffsättigung eine klinische Zyanose, so handelt
es sich um ein Kreislaufproblem – entweder um ein niedriges Herzzeitvolumen oder um
eine periphere Minderdurchblutung anderer Ursache.
Funktionelle oder anatomische Störungen mit Rechts-links-Shunt reagieren nicht auf
Sauerstoffgabe, die Zyanose bleibt. Bei allen pulmonalen Störungen verbessert sich
die Hautfarbe bei Sauerstoffgabe!
Bei einer zentralen Zyanose liegt einer der folgende Befunde vor:
-
entweder eine alveoläre Hypoventilation oder
-
ein Ventilations/Perfusionsmissverhältnis oder
-
eine Störung der alveolokapillären Diffusion oder
-
ein Rechts-links-Shunt auf kardiovaskulärer oder pulmonaler Ebene.
Die wichtigsten Differenzialdiagnosen zur Abklärung einer zentralen Zyanose im Neugeborenenalter
sind in der [Infobox] zusammengestellt.
Übersicht
Häufige Ursachen für eine zentrale Zyanose des Neugeborenen
-
1. kardiales Pumpversagen unterschiedlicher Genese
-
2. angeborene Fehlbildungen des Herzens (zyanotische Herzfehler)
-
Transposition der großen Arterien
-
Fallot-Tetralogie
-
Lungenvenenfehlmündung
-
hypoplastisches Linksherz
-
Truncus arteriosus communis
-
Trikuspidalatresie
-
Pulmonalstenose
-
3. kardiopulmonale Ursachen
-
4. pulmonale Ursachen
-
5. andere Ursachen
-
Sepsis (z. B. nach frühem vorzeitigem Blasensprung)
-
Krampfanfall (z. B. bei schwerer intrakranieller Blutung)
-
Geburtsasphyxie (z. B. nach Mekoniumaspiration)
-
Geburtstrauma (z. B. subgaleales Hämatom, Knochenfraktur)
Abb. 7 Congenital pulmonary Airway Malformation (CPAM) (alte Nomenklatur: CCAM).
a Röntgenbild.
b Operationssitus.
Außerdem findet sich eine Zyanose oftmals bei einem Hydrops fetalis, der aber als
relevante Hauptdiagnose nicht verkannt werden kann.
Kardiale Ursachen für eine Zyanose des Neugeborenen – Pulsoxymetrie und Hyperoxietest
Zyanotische Herzfehler manifestieren sich typischerweise erst nach wenigen Tagen,
unter anderem wegen des dann einsetzenden Verschlusses des Ductus arteriosus.
Merke
Zur Abklärung einer Zyanose sollte stets eine pulsoxymetrische Messung erfolgen.
Messstellen sind die rechte Hand, die hinsichtlich der arteriellen Versorgung sicher
präduktal liegt, und ein Bein, das immer einen postduktalen Ableiteort repräsentiert.
Eine deutliche Abweichung beider Werte ist ebenso auffällig wie niedrige Sättigungswerte
an beiden Ableitestellen. Der Hyperoxietest kann meistens Klarheit bringen.
Bei Vorlage von reinem Sauerstoff steigt die Pulsoxymetrie bei einer pulmonalen Störung
mindestens um 10% – und in der Regel auf 93 – 95% – an, hingegen bei einem zyanotischen
Herzfehler nur um etwa 10% vom Ausgangswert, d. h. beispielsweise von 80% auf 88%.
Steigt in einer arteriellen Blutgasanalyse der arterielle pO2 nach 10 Minuten reiner Sauerstoffatmung um 30 mmHg an, so liegt eine Gasaustauschstörung
vor, bei einer kardialen Ursache ist der Anstieg erneut nur minimal.
In der Klinik ist eine komplette Blutgasanalyse erforderlich, bevorzugt aus arteriellem
Blut, alternativ ist auch kapilläres Blut aus einer angewärmten Extremität verwertbar
[6]. Dabei sollte auch auf eine Methämoglobinämie geachtet werden, die in der Co-Oxymetrie
gemessen werden kann und weitere Abklärungen erfordert.
Das Neugeborene mit Apnoen
Apnoen werden oftmals automatisch mit einem Krampfanfall assoziiert, erfordern aber
bis zur endgültigen Diagnose breite differenzialdiagnostische Überlegungen ([Tab. 2]). Entscheidend ist zunächst die Frage, ob es sich um zentrale, obstruktive oder
gemischte Apnoen handelt.
Bei einer zentralen Apnoe fehlt jede Atembewegung ([Abb. 8]), bei einer obstruktiven Apnoe zeigt der Patient fortbestehende oder sogar verstärkte
Atemanstrengungen. Gemischte Apnoen sind am schwersten zu erkennen, sie beginnen mit
fehlender Atmung und münden dann in eine normale oder verstärkte Atemtätigkeit [7].
Abb. 8 Zentrale Apnoe. Apnoe mit Abfall des Signals der Staudrucksonde an der Nase (obere
Kurve), fehlenden Atemexkursionen am Thoraxgürtel (mittlere Kurve) und Abfall der
Oxygenierung (untere Kurve). (Quelle: Hentschel R, Jorch G, Hrsg. Fetoneonatale Lunge.
1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2016)
Obstruktive Apnoen werden durch Verlegung der oberen Atemwege verursacht. Hierzu gehören:
-
Fehlbildungen im Nase-Mund-Rachenbereich (Pierre-Robin-Syndrom, beidseitige Choanalatresie),
-
Fehlbildungen im Larynxbereich (Hämangiom, Laryngomalazie),
-
Makroglossie (z. B. bei Hypothyreose),
-
Sekretverhalt,
-
Blutkoagel,
-
Fremdkörper.
Die Ursachen für zentrale oder gemischte Apnoen sind vielfältiger und schwerer zu
erkennen. Dazu gehören:
Merke
Für den Notfall ist die Ursache der Apnoe jedoch zunächst nicht entscheidend, die
Freilegung der Atemwege und die Beatmung gehören zu den elementaren Bestandteilen
jeder Reanimation, unabhängig von der Ursache.
Die prolongierte Apnoe erfordert auch außerhalb der Klinik ein zielgerichtetes und
schnelles Vorgehen. Zunächst ist eine starke externe Stimulation zur Initiierung der
Spontanatmung die notwendige Sofortmaßnahme. Beim Ausbleiben einer ausreichenden Spontanatmung
ist eine Maske-Beutel-Beatmung mit reinem Sauerstoff über einen Reservoirbeutel erforderlich.
Bei noch erhaltener bradypnoischer Spontanatmung sollte jeder Atemzug mit einem kurzen,
kräftigen Beutelhub unterstützt werden. Bei einer kompletten Apnoe sollte ein Rachentubus
platziert werden ([Abb. 9]), bei entsprechender Erfahrung kann aber auch eine Larynxmaske verwendet oder eine
zügige Intubation vorgenommen werden.
Abb. 9 Beutelbeatmung über einen als Rachentubus platzierten Endotrachealtubus. Beachte,
dass Mund und beide Nasengänge mit der freien Hand verschlossen werden müssen, um
einen Verlust des Beatmungsdrucks über die oberen Atemwege zu verhindern.
Beim Verdacht auf eine pulmonale Ursache, z. B. Bronchiolitis oder Pneumonie bei vorbestehender
BPD (= bronchopulmonale Dysplasie), genügt bei wieder einsetzender Spontanatmung oft
eine Sauerstoffvorlage, die in der Klinik oder auf dem Transport dorthin möglichst
angewärmt und befeuchtet über eine Nasenbrille erfolgen sollte.
In der Klinik ist nach einem Ausschluss der zuvor genannten Hauptdiagnosen eine differenzierte
Monitorauswertung der Vitaldaten erforderlich, um Apnoen auszuschließen oder zu bestätigen.
Ist die Monitordarstellung mit den kardiorespirografischen Daten nicht eindeutig auszuwerten,
so muss sich eine Polysomnografie anschließen, um die Ursache der Apnoen einzugrenzen.
Dabei unterscheidet man zwischen symptomatischen und idiopathischen Formen. Bei den
symptomatischen Formen muss zunächst die Ursache therapiert werden. Insbesondere gilt
es aber auch, über die Behandlungsbedürftigkeit und/oder die Versorgung mit einem
Heimmonitor zu entscheiden.
Brief resolved unexplained event (BRUE) und apparent life threatening event (ALTE)
Von den Apnoen abzugrenzen sind unklare Ereignisse, die man früher als ALTE (apparent
life threatening events) bezeichnet hat und die heute anhand entsprechender Kriterien
unter dem Begriff BRUE (brief resolved unexplained event) zusammengefasst werden [8]. Sie machen einen großen Anteil der „Notaufnahmen“ in Kinderkliniken aus. Die Umbenennung
soll dem Umstand Rechnung tragen, dass der „offenbar lebensbedrohliche“ Charakter
des Ereignisses meist nicht eindeutig zu verifizieren oder zumindest nicht exakt zu
definieren ist. Außerdem bestärkt der Begriff selbst die Eltern offenbar in der Annahme,
dass Lebensgefahr bestand. Da zudem das ALTE häufig mit dem Near-missed SIDS (sudden
infant death syndrome) gleichgesetzt wurde, ist die Umbenennung prinzipiell zu begrüßen,
obwohl damit nicht alle diagnostischen und therapeutischen Probleme gelöst sind.
Begrüßenswert sind jedoch die klaren Kriterien für das BRUE. Die Definition des BRUE
bezieht sich auf alle Säuglinge unter einem Jahr, bei denen plötzlich und unerwartet
– d. h. auch durch keine andere Pathologie (z. B. Herzfehler) zu erklären – eine Veränderung
eintritt hinsichtlich
-
der Hautfarbe (blass oder zyanotisch) oder
-
der Atmung (Apnoe oder obstruktive Zeichen) oder
-
des Muskeltonus (schlaff oder „steif“) oder
-
Vigilanzminderung.
Nur eines der Kriterien muss vorliegen. Die bedrohliche Situation normalisiert sich
immer, entweder spontan oder nach Wiederbelebungsmaßnahmen. Die betreuende Person
setzt einen Notruf ab und beginnt eventuell selbst mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Wenn
sich dann im Krankenhaus weder aus der Anamnese noch aus der klinischen Untersuchung
eine andere, eindeutige Diagnose ergibt, so spricht man vom BRUE.
Der Vorteil des neuen Begriffs BRUE besteht darin, dass man anhand von festgelegten
Kategorien die Patienten in „higher risk“ und „lower risk“ eingruppieren kann; aus
dieser Einordnung ergeben sich dann unterschiedliche diagnostische Schritte.
Als „lower risk“ gilt ein Säugling mit den in der Übersicht genannten Kriterien, wobei
alle Punkte zutreffen müssen!
Praxis
Brief resolved unexplained event (BRUE) – Kategorie „lower risk“
Definitionskriterien
-
Alter > 60 Lebenstage
-
Geburt mit ≥ 32 SSW und postmenstruelles Alter ≥ 45 Wochen
-
erstes Ereignis dieser Art
-
kurze Dauer (< 1 Minute)
-
keine Reanimation durch medizinisches Personal erforderlich
-
keine diesbezüglichen Besonderheiten in der Anamnese
-
unauffällige klinische Untersuchung
Alle Punkte müssen zutreffen.
Passt das Ereignis nicht zu den Charakteristika eines Lower-Risk-BRUE, so liegt immer
ein „higher risk“ vor.
Die Eingruppierung als „lower risk“ ist aus der Kriterienliste gut nachvollziehbar
und entspricht der klinischen Erfahrung. Eine Auffälligkeit in der klinischen Untersuchung
würde logischerweise zu einer anderen Diagnose führen, z. B. angeborener Herzfehler,
Krampfanfall oder Sepsis. Bei Symptomen, die länger als 1 Minute dauern und die insbesondere
eine erkennbare Ursache haben, kann der Begriff ALTE zusammen mit der Hauptdiagnose
(z. B. Krampfanfall) weiterhin verwendet werden.
-
Häufig wird ein solches Ereignis durch einen gastrointestinalen Reflux verursacht,
ist also nach Ausschluss anderer Ursachen völlig harmlos. Aber selbstverständlich
kann dies auch der erste Hinweis auf eine gastrointestinale Fehlbildung oder z. B.
eine Invagination sein.
-
Im Atemwegsbereich ist eine, meist ebenfalls harmlose, Aspiration möglich, aber daneben
gibt es selbstverständlich auch Ereignisse wie z. B. eine Apnoe bei RSV-Infektion
oder Fehlbildungen (z. B. Laryngomalazie).
-
Als neurologische Ursachen sind Gelegenheitskrämpfe in dieser Situation häufig, seltener
finden sich Fehlbildungen des ZNS oder neuromuskuläre Erkrankungen.
-
Eine Sepsis mit Meningoenzephalitis ist stets die wichtigste Differenzialdiagnose.
-
Wichtige Diagnosen sind auch:
-
Kardiomyopathie,
-
Herzfehler,
-
Herzrhythmusstörung,
-
Stoffwechselerkrankung,
-
Kindesmisshandlung oder
-
Intoxikation.
Merke
Wichtig sind in diesem Zusammenhang eine möglichst genaue Beschreibung des Ereignisses
durch die betreuende Person und/oder den Ersthelfer und eine komplette Anamnese.
Bei einem Lower-Risk-BRUE muss man die Eltern über die Harmlosigkeit des Ereignisses
aufklären. Ob man ein Reanimationstraining anbieten sollte, ist umstritten; unter
Umständen verstärkt das noch die Ängste der Eltern. In jedem Fall muss man unnötige
Untersuchungen, wie EKG, EEG, Röntgenbild und aufwendige Laboruntersuchungen, vermeiden,
soweit dies nicht zur Abklärung eines konkreten differenzialdiagnostischen Verdachts
erforderlich ist. Eine pulsoxymetrische Überwachung für 4 Stunden ist ausreichend,
eine stationäre Aufnahme nicht erforderlich. Wichtig ist jedoch auch das Abfragen
von SIDS-Risikofaktoren bzw. eine (erneute) Aufklärung der Eltern diesbezüglich.
Die Eltern sollten außerdem aufgefordert werden, bei einem erneuten Ereignis dieser
Art unbedingt wieder die Klinik aufzusuchen.
Praxis
Brief resolved unexplained event (BRUE) – Kategorie „higher risk“
Ein Higher-Risk-BRUE liegt vor, wenn
-
die Symptomatik, die zu dem Notfall geführt hat, zumindest zeitweilig fortbesteht,
-
der Patient zum Zeitpunkt der Untersuchung weiterhin einen eingeschränkten Allgemeinzustand,
insbesondere eine verminderte Vigilanz, bietet,
-
die Notwendigkeit der Reanimation durch medizinisches Personal ohne Zweifel bestätigt
werden kann,
-
ein ähnliches Ereignis in der Vergangenheit bereits vorlag,
-
die nähere Familienanamnese ähnliche Ereignisse oder einen SIDS-Fall bietet,
-
Verletzungszeichen erkennbar sind oder
-
ein auffälliger klinischer oder Laborbefund besteht, der in einem Zusammenhang mit
der Auslösung eines lebensbedrohlichen Ereignisses stehen kann.
-
Zu den klinischen Befunden zählen auch alle gängigen Dysmorphiezeichen.
Es genügt eines der genannten Kriterien.
Higher-Risk-BRUE
Als Standard-Laboruntersuchungen kommen in Betracht:
-
Differenzialblutbild,
-
CRP,
-
Blutgasanalyse,
-
Blutzucker,
-
Laktat,
-
Elektrolyte (Na, K, Cl, Ca, Mg, PO4),
-
GOT, GPT,
-
Kreatinin, Urin-Stix.
Urin sollte außerdem für mögliche toxikologische Untersuchungen asserviert werden.
Ein Standard-EKG mit Rhythmusstreifen (QTc-Zeit!), die Blutdruckmessung an allen 4
Extremitäten und eine prä-/postduktale pulsoxymetrische Sättigungsmessung sind ebenso
indiziert wie eine Schädelsonografie. In der Ultraschalluntersuchung des Abdomens
sollte die Größe der Organe festgestellt und es sollte nach freier Flüssigkeit gesucht
werden; auch eine Hiatushernie bzw. ein gastroösophagealer Reflux müssen ausgeschlossen
werden.
Die stationäre Diagnostik erfordert im Übrigen eine wenigstens 48-stündige Überwachung
per Pulsoxymetrie und am EKG-Monitor, der kardiorespirografische Daten im Verlauf
speichern sollte.
Die erweiterte Diagnostik kann dann, abhängig von Anamnese, körperlicher Untersuchung und der Beobachtung im Verlauf,
die in der Übersicht zusammengefassten Maßnahmen umfassen. Mit einer der zuvor genannten
Auffälligkeiten in der Diagnostik ergibt sich dann die Diagnose ALTE.
Übersicht
Erweiterte Diagnostik bei BRUE/ALTE
-
Multiplex-PCR aus Nasopharynxsekret auf respiratorische Viren und Bordetella pertussis
-
EEG
-
Lumbalpunktion
-
Stoffwechselbasisdiagnostik:
-
Langzeit-EKG
-
Echokardiografie
-
Röntgenbild des Thorax
-
Tracheobronchoskopie
-
Magen-Darm-Passage mit der Fragestellung Reflux
-
Toxikologie-Screening in Urin (und Serum)
-
Funduskopie
-
Röntgen-Skelettscreening
-
kraniales CT oder kraniales MRT
-
Ganzkörper-MRT
Das Wiederholungsrisiko von ALTE liegt bei 10 – 25%, besonders, wenn es sich um rezidivierende
ALTE-Ereignisse handelt, außerdem bei Frühgeburtlichkeit und akut bei respiratorischen
Virusinfektionen oder einer Pertussis. Aber auch nach stattgehabtem ALTE beträgt das
Gesamtmortalitätsrisiko weniger als 1%. Der größte Teil der Kinder, die nach einem
ALTE sterben, haben eine zugrunde liegende Erkrankung (und damit kein SIDS) als Todesursache,
vor allem infektiologische, neurologische, kardiologische oder metabolische Erkrankungen
finden sich.
Kinder mit rezidivierendem idiopathischem ALTE, die eine kardiopulmonale Reanimation
benötigen, haben ein erhöhtes Risiko von 10 – 30% für ein SIDS. Verstorbene Kinder
mit der Diagnose eines SIDS oder eines ALTE müssen im Totenschein den Hinweis „Todesursache
nicht geklärt“ erhalten; in den meisten Fällen werden sie dann von Gerichts wegen
obduziert.
Generell ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber einer Vernachlässigung
oder Kindesmisshandlung eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe; dies gilt sowohl
bei suspekten Ereignissen (im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Kindes) als
auch bei unklaren Todesfällen (u. a. im Hinblick auf den Schutz überlebender Geschwister)
[9].
Zur Prophylaxe kommt ein Heimmonitoring in Betracht, allerdings setzt dieses immer
ein Reanimationstraining (BLS) aller Betreuungspersonen voraus. Außerdem müssen die
Maßnahmen zur SIDS-Prophylaxe, ebenfalls mit allen Betreuungspersonen, erneut besprochen
werden [10].
Das Neugeborene mit Ikterus
Der physiologische Neugeborenenikterus als harmlose Manifestation des massiven Abbaus
fetaler Erythrozyten nach der Geburt ist dem Kliniker gut bekannt. Dennoch kann sowohl
ein ungewöhnlich hoher Bilirubinwert als auch ein prolongierter Ikterus einen Neugeborenennotfall
darstellen.
Die Initialdiagnostik sollte umfassen:
Ein erhöhtes indirektes Bilirubin ist praktisch immer harmlos, sofern keine weiteren Symptome, beispielsweise
einer Sepsis, bestehen. Diese Form der „Gelbsucht“ ist meistens durch ein Persistieren
des normalen Ikterus oder durch Muttermilchernährung bedingt.
Der Muttermilchikterus kann früh auftreten, dann ist er durch Stillprobleme, zu wenig
Muttermilch, fehlendes Zufüttern und verspäteten Mekoniumabgang verursacht. Der späte
Muttermilchikterus tritt nach der ersten Woche auf und kann bis zu 3 Monate anhalten.
Ursächlich vermutet man Besonderheiten der Muttermilch, die sich hinsichtlich der
Zusammensetzung der Fettsäuren von der Säuglingsformula unterscheidet. Durch Hemmung
bestimmter Enzyme im Rahmen der Ernährung mit Muttermilch kommt es zusätzlich zu einer
Störung der Konjugation des Bilirubins, wodurch die Rückresorption von Bilirubin im
Darm gefördert wird (enterohepatischer Kreislauf).
Nur wenn die kritische Grenze von 20 mg/dl (342 µmol/l) Gesamtbilirubin erreicht wird,
besteht für das Neugeborene die Gefahr, durch Übertritt von Blirubin über die Blut-Hirn-Schranke
einen Kernikterus und bleibende Folgeschäden zu erleiden. Dennoch ist auch bei niedrigeren
Werten unter Umständen schon eine Indikation zur Fototherapie gegeben, durch die das
in der Haut eingelagerte Bilirubin in ungefährliche Bestandteile zersetzt wird, die
über den Urin ausgeschieden werden.
Als immunhämatologische Ursache kommt eine Inkompatibilität im AB0-System oftmals
vor, der direkte Coombs-Test kann negativ sein, die Verläufe erfordern aber trotzdem
gelegentlich eine Fototherapie in den ersten 2 Lebenswochen. Bei der häufigeren Rhesus-Inkompatibilität
ist die Blutgruppenkonstellation zwischen Mutter und Kind meist bekannt, aber auch
andere Sensibilisierungen gegen Blutgruppenantigene sind möglich. Gelegentlich ist
eine intensivierte Fototherapie mit mehreren Lampen erforderlich ([Abb. 10]).
Abb. 10 Intensivierte Fototherapie. Bestrahlung von oben und unten bei schnell steigendem
Ikterus gravis.(Quelle: Gieseler S. Gemeinsam gegen gefährliche Gelbsucht. JuKiP 2015;
4 (5): 215 – 218)
Ein Notfall liegt vor, wenn der Gesamtbilirubinwert über 20 mg/dl (342 µmol/l) liegt.
Unkonjugiertes Bilirubin ist toxisch für eine Vielzahl von Körperzellen. Ausdruck
einer zerebralen Schädigung sind subtile neurologische Auffälligkeiten, wie Schläfrigkeit,
Trinkschwäche, schwache Neugeborenenreflexe oder auch Unruhe, Opisthotonus und schrilles
Schreien. Es kann aber auch zu einer schweren Enzephalopathie mit bleibenden neurologischen
Schädigungen, wie psychomotorische Retardierung, Hörstörung, Spastik und athetotische
Zerebralparese kommen, letzteres als Ausdruck der Schädigung von Stammganglien, was
als Kernikterus bezeichnet wird.
Merke
Bei einem Gesamtbilirubinwert über 20 mg/dl (342 µmol/l) ist eine sofortige Klinikeinweisung
erforderlich, um die Ursache des Ikterus abzuklären, aber auch, um so schnell wie
möglich den Bilirubinwert zu senken.
Neben der intensivierten Fototherapie kann auch die Gabe von Immunglobulinen versucht
werden. Ab einem Wert von 25 mg/dl (428 µmol/l) ist ein Blutaustausch nötig, um einen
Kernikterus zu verhindern. Diese invasive Maßnahme erfordert jedoch größere Vorbereitungen,
insbesondere die Herstellung geeigneter Austauschkonserven und das Anlegen eines großlumigen
Gefäßzugangs.
Es gibt jedoch keine klare, „sichere“ Grenze für die Vermeidung des Kernikterus als
Hauptkomplikation der Hyperbilirubinämie, mittlerweile geht man eher davon aus, dass
das Integral des Bilirubinwerts über die Zeit bei Werten über 20 mg/dl entscheidender
ist als ein einzelner sehr hoher Wert ([Abb. 11]).
Abb. 11 Perzentilenverlauf der Bilirubinentwicklung bei Neugeborenen ≥ 35 SSW in den ersten
7 Lebenstagen. Notwendige Kontrollintervalle:
> 95. Perzentile (Gesamtbilirubin!): 12/6* Std.
> 75. Perzentile: 24/12* Std.
> 40. Perzentile: 48/24* Std.
≤ 40. Perzentile: 72/48* Std.
* Das kürzere Zeitintervall gilt jeweils:
– bei einem Gestationsalter < 38 SSW oder
– bei positivem Coombs-Test oder
– bei nachgewiesenem Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel.(Quelle: Hübler A, Jorch
G, Hrsg. Neonatologie, 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2019)
Seltene pathologische Ursachen einer indirekten Hyperbilirubinämie sind der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, die Sphärozytose,
das Gilbert-Syndrom oder das Crigler-Najjar-Syndrom. Aber auch eine Sepsis kann hinter
einer indirekten Hyperbilirubinämie stecken.
Cave
Grundsätzlich als Notfall anzusehen ist das Vorhandensein eines erhöhten direkten Bilirubins, dieses ist immer pathologisch.
Neben der Hepatitis, der Galaktosämie und dem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist insbesondere
die Gallengangsatresie als Ursache eines nach Geburt langsam immer weiter ansteigenden
direkten Bilirubins mit zunehmendem Ikterus zu erwähnen. Da eine frühzeitige Operation
erforderlich ist, um bleibende Leberschäden zu verhindern, ist eine sofortige Abklärung
erforderlich.