Z Sex Forsch 2018; 31(02): 175-185
DOI: 10.1055/a-0609-2207
Praxisbeitrag
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sexualbezogene Online-Fortbildung für Fachkräfte: Webvideos

Nicola Döring
a   Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Ilmenau
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. phil. Nicola Döring
Technische Universität Ilmenau
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft
Ehrenbergstr. 29 (EAZ 2217)
98693 Ilmenau

Publication History

Publication Date:
27 June 2018 (online)

 

Zusammenfassung

Dieser Praxisbeitrag stellt verschiedene Formen von Webvideos vor und geht vor allem auf die Videoplattform YouTube ein. Er erläutert exemplarisch, welche Arten von YouTube-Videos zur sexualbezogenen Online-Fortbildung von Fachkräften nützlich sein können. Vorgestellt werden sexualbezogene Fachvorträge und Sexualberatung auf YouTube, jeweils mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Zudem wird auf YouTube-Videos von Fachinstitutionen eingegangen und beispielhaft auf die Repräsentation von Trans* auf YouTube.


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Abstract

This practice-oriented article introduces various forms of web videos and focuses on the video platform YouTube. It explains by means of specific examples which types of YouTube videos can be useful in the sexuality-related online training of professionals. Sexuality-related lectures and sex counselling on YouTube are described, covering various thematic fields. Furthermore, YouTube videos from professional institutions and the representation of Trans* on YouTube are also discussed.


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Der vorliegende Beitrag möchte Ihnen Anregungen dazu geben, wie Sie als Fachkraft im Bereich Sexualität und sexuelle Gesundheit Webvideos für Ihre informelle Fortbildung nutzen und vielleicht sogar in Ihrer praktischen Arbeit einsetzen können ([Döring 2018]). Einleitend werden zunächst kursorisch die verschiedenen Erscheinungsformen von Webvideos vorgestellt. Anschließend lernen Sie konkrete Webvideo-Beispiele für unterschiedliche sexualbezogene Themenbereiche und Fortbildungsbelange kennen. Die Beispiele erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen die Möglichkeiten der Online-Fortbildung mit Webvideos illustrieren und Interessierte dazu motivieren, auf eigene Faust weiterzusuchen.

Webvideos: Definition und Erscheinungsformen

Unter Webvideos verstehen wir Videos, die über Internet-Plattformen verbreitet werden. Webvideos können am Internet-Rechner oder auf dem Smartphone angeschaut werden. Das Spektrum der Angebote ist breit: Es umfasst die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender (z. B. ARD Mediathek: http://www.ardmediathek.de/tv; RTL Mediathek: https://www.tvnow.de/) sowie die neuen kommerziellen Online-Videotheken (z. B. Netflix: https://www.netflix.com). Hier können Nutzende professionell produzierten Video-Content (TV-Sendungen, Serien, Kinofilme, Dokumentationen usw.) anschauen.

Social-Media-Videoplattformen wie Vimeo (https://vimeo.com/) oder YouTube (https://www.youtube.com/) dagegen erlauben es den Nutzenden auch, die angebotenen Videos zu bewerten, zu kommentieren und mit den Produzierenden in Kontakt zu treten (z. B. Fragen stellen, Themenwünsche äußern). Darüber hinaus können die Nutzenden selbst produziertes Videomaterial auf Social-Media-Videoplattformen veröffentlichen.

YouTube

Unter den Social-Media-Videoplattformen ist YouTube (http://www.youtube.com) mit großem Abstand die wichtigste Plattform, denn keine andere Internet-Adresse (außer der Suchmaschine Google ) wird in Deutschland und weltweit häufiger besucht als YouTube (siehe Alexa Ranking: https://www.alexa.com/topsites). Aktuell werden laut YouTube-Presseabteilung (https://www.youtube.com/yt/about/press/) pro Minute rund 400 Stunden Videomaterial neu auf YouTube hochgeladen und pro Tag eine Milliarde Stunden Videomaterial auf YouTube angeschaut.


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YouTube-Stars

Über YouTube können Einzelpersonen mit ihren Webvideos hohe Reichweiten erzielen, sodass erfolgreiche YouTuber_innen heute den Status von Berühmtheiten haben, als Social Media Stars und – im Kontext des Marketings – als Social Media Influencer bezeichnet werden. Ein Indikator für die Bedeutung eines YouTube-Kanals ist die Zahl der Kanal-Abonnements: Die Top 100 der meistabonnierten YouTube-Kanäle – sozusagen die aktuellen YouTube-Charts für Deutschland – sind auf der Plattform Social Blade (https://socialblade.com/youtube/top/country/de) einsehbar.

Auch wenn YouTube wie alle Social-Media-Plattformen definitionsgemäß niedrigschwellige Mitmach-Möglichkeiten bietet, so ist doch zu beachten, dass die Plattform in den letzten Jahren einen Prozess der Kommerzialisierung und Professionalisierung durchlaufen hat: Zunehmend mehr YouTube-Kanäle werden nicht von einzelnen Hobbyist_innen, sondern hauptberuflich von ganzen Produktionsteams betrieben. Dementsprechend steigen die Erwartungen des Publikums an die Videoqualität. Innerhalb der YouTube-Community wird der Erfolg der Plattform zwiespältig bewertet: Der Zustrom des Massenpublikums erhöht Einfluss und Verdienstmöglichkeiten der YouTuber_innen (durch Werbung, Product-Placement etc.), geht aber gleichzeitig mit einer stärkeren Orientierung am Massengeschmack der jungen Zielgruppen einher: Welche Videos auf YouTube am heutigen Tage gerade besonders populär sind, ist den YouTube Trends (https://www.youtube.com/feed/trending) zu entnehmen. Kritische Stimmen sprechen von einer zunehmenden „RTL-isierung“ von YouTube: Reißerische Themen, nackte Brüste und Skandale prägen – zumindest an der Oberfläche – das Bild, da solche Inhalte viele Klicks generieren. Doch auch Qualitätscontent ist auf YouTube umfassend vertreten, jedoch oft außerhalb der meistgesehenen Kanäle und Videos.

Der Video-Boom im Internet ist inzwischen auf andere Social-Media-Plattformen neben den dezidierten Video-Plattformen übergegangen: So werden beispielsweise auch über die Social-Networking-Plattform Facebook und über die Fotoplattform Instagram Videos verbreitet.


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Live-Streaming

Beim nutzergenerierten Video-Content ist zu unterscheiden zwischen vorproduzierten Videoclips, die typischerweise eine Länge zwischen drei und 30 Minuten aufweisen und mehr oder minder sorgfältig nachbearbeitet sind (Videoschnitt, Vertonung, Musikuntermalung, Vorschaubild etc.) und Live-Videos, bei denen keinerlei Nachbereitung erfolgt, sondern die Videoproduzierenden sich in Echtzeit vor der Kamera zeigen, spontan performen und dabei mit dem Publikum interagieren. Die Interaktion mit dem Publikum, das Kommentare, Fragen und Anregungen live beisteuert, erfolgt über einen mitlaufenden Chat-Kanal. Live-Streaming kann sich auf kurze Sitzungen von 30 Minuten beschränken, aber auch mehrere Stunden dauern. Die Videoplattform YouTube bietet die Möglichkeit, neben vorproduzierten Videos auch Live-Streaming anzubieten. Zudem gibt es für Live-Videos eigene Streaming-Portale wie Twitch (http://www.twitch.tv) mit Fokus auf Gaming oder YouNow (https://www.younow.com) für allgemeine Geselligkeit und Entertainment. Live-Streaming hat aus Zuschauersicht den Vorteil des direkten Dabeiseins, bindet aber an feste Termine. Demgegenüber können vorproduzierte Videoclips orts- und zeitunabhängig auf dem Rechner oder Smartphone angeschaut werden.


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Sexualbezogene Fachvorträge auf YouTube

Auf YouTube ist eine Fülle von sexualbezogenen Fachvorträgen zu finden. Zu den inhaltlich und rhetorisch besten Fachvorträgen auf YouTube gehören die TED Talks . Die TED (Technology Education Design)-Konferenz ist eine seit 1990 jährlich in den USA stattfindende Innovationskonferenz mit breitem Themenspektrum. Auch sexualbezogene Beiträge aus Wissenschaft und Aktivismus sind vertreten. Inzwischen gibt es TED-Ableger in vielen anderen Ländern, die TEDx-Konferenzen. Ausgewählte Konferenzvorträge werden als TED Talks im Videoformat über die Konferenzwebsite (http://www.ted.com) sowie über YouTube verbreitet. Der YouTube-Kanal „TED“ (https://www.youtube.com/user/TEDtalksDirector) umfasst 2.500 Videos, der Kanal „TEDx Talks“ (https://www.youtube.com/user/TEDxTalks) bietet knapp 100.000 Videos aus aller Welt. Die Besonderheit der TED Talks besteht darin, dass sie auf eine Maximallänge von 18 Minuten beschränkt sind und der Vortragsstil stets besonders anschaulich und persönlich gehalten ist. Die Zahl der sexualbezogenen TED Talks liegt in den Hunderten und umfasst Themen wie LGBTIQ-Rechte, sexuelle Gewalt, sexuelle Bildung, sexuelle Gesundheit und sexuelle Lust.

Vertreten sind bekannte Namen wie Dr. Debbie Herbernick, Direktorin des Center for Sexual Health an der Universität Indiana Bloomington, die sich in ihrem TEDx Talk „Making sex normal“ (rund 2,5 Millionen Abrufe) mit konkreten Tipps für eine sex-positivere Kultur ausspricht (https://www.youtube.com/watch?v=CE3tL9MMk3U&t=7m39s). Aber auch Monica Lewinsky kommt in einem TED Talk zu Wort: In „The price of shame“ (https://www.youtube.com/watch?v=H_8y0WLm78U) erzählt sie ihre Seite des 1998er „Clinton-Lewinsky-Skandals“, und bislang haben ihr weit mehr als sieben Millionen Menschen zugehört. Dabei ist ihre Geschichte hochgradig aktuell. Denn sie kann für sich in Anspruch nehmen, tatsächlich „Patient Zero“ für Online-Mobbing gewesen zu sein.

Viele TED Talks werden in englischer Sprache gehalten, sind mittlerweile aber mit deutschen Untertiteln versehen. Für die Vortragenden bieten TED Talks die Gelegenheit, ein breiteres Publikum zu erreichen, ihre Botschaften zu verbreiten, aber natürlich auch ihre Person und Arbeit (z. B. Bücher) zu vermarkten. Für das Publikum bieten TED Talks einen lebendigen Einstieg in die jeweilige Thematik, wobei sowohl Fachleute als auch die breite Öffentlichkeit angesprochen werden.

Sexualität in langjährigen Beziehungen

Die Psychologin und Therapeutin Esther Perel hat mit ihren TED Talks zu sexuellem Begehren in langjährigen Beziehungen („The secret to desire in long-term relationship“: https://www.youtube.com/watch?v=sa0RUmGTCYY) und zur Bedeutung des Fremdgehens („Rethinking infidelity – a talk for anyone who has ever loved“: https://www.youtube.com/watch?v=P2AUat93a8Q) insgesamt mehr als sieben Millionen Menschen erreicht. Nachzulesen sind ihre Thesen in den Büchern „Mating in Captivity“ (2006) und „The State of Affairs: Rethinking Infidelity“ (2017). Relevant sind Esther Perels Thesen für die Paarberatung und Paartherapie, da sie das schuldbehaftete Thema des Fremdgehens konsequent verständnis- und lösungsorientiert behandelt.


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Unverbindlicher Sex

Die Sexualforscherin Dr. Zhana Vrangalova behandelt in ihrem TED Talk forschungsbasiert die Chancen und Risiken von unverbindlichem Sex und fragt „Is casual sex bad for you?“ (https://www.youtube.com/watch?v=Soe7yjlFEJ8). Im Rahmen ihres „Casual Sex Projekts“ (http://casualsexproject.com/) sammelt sie Erfahrungsberichte von Menschen aller Altersgruppen und sexuellen Orientierungen. Hilfreich sind ihre Befunde für alle, die sexualpädagogisch und sexualberaterisch arbeiten und Klient_innen dabei unterstützen wollen, gute Entscheidungen in Bezug auf unverbindlichen Sex zu treffen und bei Interesse healthy hookups zu erleben. Da insbesondere der angloamerikanische Fachdiskurs dazu neigt, unverbindlichen Sex pauschal als unerwünschtes Risikoverhalten abzutun, ist die Würdigung positiver Potenziale eine wichtige Erweiterung der Perspektive.


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Sexualität in der arabischen Welt

Die kanadisch-ägyptische Wissenschaftsjournalistin Sheeren El Feki berichtet in einem TED Talk „A little-told tale of sex and sensuality“ (https://www.youtube.com/watch?v=x95nwilkaio) auf der Basis mehrjähriger Recherchen in Ägypten und einigen Nachbarländern über das heutige Sexualleben in der arabischen Welt. Nachzulesen ist dies in ihrem Buch „Sex und die Zitadelle“ (2013), das Einzelschicksale und kulturhistorische Analysen verbindet. Aufschlussreich sind derartige Darstellungen für alle, die sexualpädagogisch oder sexualberaterisch z. B. mit geflüchteten Menschen aus arabischen Ländern arbeiten. Einen wertvollen und originellen Beitrag zum Verständnis islamischer Kultur bieten die Medizinstudentin Narjes Jaafar und die Pharmaziestudentin Sally Beydoun aus dem Libanon: Sie sprechen miteinander über ihre persönlichen Gründe, den Hijab zu tragen bzw. nicht zu tragen. Ihr Video „On wearing the hijab“ (https://www.youtube.com/watch?v=G-2w5s4W-f8) verzeichnet über eine halbe Million Abrufe. Die Besonderheit dieses TED Talks besteht darin, dass junge muslimische Frauen selbst sprechen (und nicht über sie gesprochen wird), und dass völlig konträre Positionen nebeneinander anerkannt werden.


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Sexualberatung auf YouTube

Eine Reihe von YouTube-Kanälen sind der Sexualberatung gewidmet: Schriftlich eingereichte Fragen aus dem Publikum werden anonymisiert beantwortet. Entsprechende Kanäle können über die YouTube-Suche unter Stichworten wie „Beratung“ oder „Advice“ in Kombination mit sexualbezogenen Suchbegriffen (z. B. Orgasmus, Untreue, Impotenz, BDSM, Polyamory) gefunden werden.

Psychologische Beziehungsberatung

Auf seinem gleichnamigen YouTube-Kanal hat der Diplom-Psychologe und Paartherapeut Christian Hemschemeier (https://www.youtube.com/channel/UChAtAt6VNWkw5fDpqwGJOzQ) binnen zwei Jahren mehr als 330 Videos zu Zuschauerfragen veröffentlicht. Dabei geht es um alle möglichen sexuellen und nicht-sexuellen Probleme in Paarbeziehungen (insbesondere um Bindungsangst und toxische Beziehungen) sowie um Partnersuche und Online-Dating. Aktuell scheint er im deutschsprachigen Raum der Psychologe mit der größten YouTube-Reichweite zu sein. Neben seinem Praxisbetrieb in Hamburg bietet er Kurse an verschiedenen Orten sowie Online-Coachings per E-Mail und Skype an. Seine Videos wirken rein über den Inhalt, aufwändig produziert sind sie nicht. Neuerdings probiert er zuweilen auch Live-Streaming aus und reagiert dann spontan auf Zuschauerkommentare. Unabhängig davon, ob man mit seinem Ansatz inhaltlich konform geht oder wie man seine Selbstpräsentation auf YouTube beurteilt – es ist anzuerkennen, dass seine Videos auf großes Interesse stoßen. Sein fünfminütiges Beratungsvideo „Plötzlich kurz vor der Trennung…..was tun??“ (https://www.youtube.com/watch?v=VMxrE9tpInI) wurde bereits mehr als 40.000 Mal angeschaut, andere Videos haben zwischen 2.000 und über 20.000 Views (z. B. „Mein Mann / meine Frau will nicht mehr mit mir schlafen!“: 26.000 Views). Das sind Reichweiten in einer Größenordnung, die einzelne Psychotherapeut_innen im deutschsprachigen Raum mit Vortragsveranstaltungen, Seminaren oder Büchern sonst kaum erreichen.


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Feministische Sexualberatung

Die feministische Sexualaufklärerin und Ikone weiblicher Selbstbefriedigung Betty Dodson, Autorin des Klassikers „Sex for One: The Joy of Selfloving“ (1974), beantwortet zusammen mit der Juristin Carlin Ross, Geschäftsführerin der Betty-Dodson-Stiftung, seit über zehn Jahren wöchentlich Publikumsfragen zu sexuellen Techniken und Problemen auf dem YouTube-Kanal „Carlin Ross“ (https://www.youtube.com/user/carlincherrybomb). Selbstbefriedigung, Orgasmus, Partnersex und Paarbeziehung stehen im Fokus der bislang über 400 Videos. Der Kanal wirbt damit, völlig unzensiert absolut jede sexuelle Frage zu beantworten. Die Videos sind technisch schlicht gehalten und entfalten ihre Wirkung allein durch das lebendige Gespräch der beiden Videomacherinnen, die ihre persönlichen Lebenserfahrungen teilen. Der Kanal verzeichnet mehr als elf Millionen Abrufe auf alle bisherigen Videos und knapp 30.000 Kanal-Abonnements. Betty Dodson gehört der Generation der Urgroßeltern der heutigen Jugend an, aber spricht mit ungebrochener Leidenschaft über sexuelle Fragen und überzeugt mit ihrer YouTube-Präsenz.


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Peer-Beratung aus muslimischer Sicht

Für all diejenigen Fachleute, die ihre Kultursensibilität weiterentwickeln möchten, kann es aufschlussreich sein, die Videos der Peer-Beraterin Shamsa (https://www.youtube.com/channel/UCRARTJNNvKr6WbmNJzeuJGA) anzuschauen. Die 35-jährige Pakistanerin ist mit einem Angolaner verheiratet und lebt in England. Sie hat vier Kinder und gibt in der Rubrik „Let‘s Talk“ Lebens- und Sexualberatung aus muslimischer Sicht: Angst vor der Hochzeitsnacht, unverheiratet schwanger, missbraucht vom Onkel – das Publikum wendet sich mit teilweise sehr ernsten Problemen an die YouTuberin. Neben Peer-Beratung unterhält Shamsa ihr Publikum (mehr als 30.000 Kanal-Abonnements) mit diversen Lifestyle- und Familien-Themen.


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Peer-Beratung zu BDSM

Neben Kultursensibilität ist Kink Awareness eine Anforderung, die zunehmend an Fachkräfte im Bereich der sexuellen Gesundheit gestellt wird. In dem Maße, in dem sexuelle Vielfalt sichtbarer wird und mehr Menschen ihren paraphilen Interessen und Fetischen einvernehmlich privat oder in entsprechenden sexuellen Szenen nachgehen, sind in der beraterischen und therapeutischen Praxis Fachleute gefragt, die damit unbefangen und verständnisorientiert umgehen können ([Shahbaz und Chirinos 2017]). Eine Möglichkeit, sich über die Sichtweisen und Praktiken der BDSM-Szene aus erster Hand zu informieren, sind entsprechende YouTube-Kanäle. Morgan Thorne (https://www.youtube.com/channel/UCwx8uy7 nxohWLwnaPocLsyg) betreibt einen entsprechenden Kanal, der über BDSM-Beziehungen und -Praktiken aufklärt und berät. Der Kanal wird flankiert durch ein Webangebot (http://msmorganthorne.com/).


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Peer-Beratung zu Polyamorie

Der YouTube-Kanal von „Conor und Brittany“ (https://www.youtube.com/watch?v=qv0DK4XoKks) bietet ebenfalls die Möglichkeit, das Verständnis für sexuelle Nonmainstream -Lebensweisen zu vertiefen. Conor und Brittany berichten als Peer-Beratende über ihre Erfahrungen mit Polyamorie und gehen auf Zuschauerfragen ein. Die Besonderheit des Kanals besteht darin, dass sie als Paar ein Rollenmodell für konsensuelle Nicht-Monogamie darstellen, gemeinsam vor der Kamera agieren und viele emotionale und sexuelle Fragen sehr offen behandeln. Dabei geht es einerseits dezidiert um Fragen der Polyamorie und um Eifersucht, aber auch um allgemeine sexuelle Fragen, wie etwa verschiedene Varianten von Oralsex, den Umgang mit Pornografie oder gute Kommunikation in der Paarbeziehung. Sie bieten Interessierten ergänzend zum kostenlosen YouTube-Kanal auch einen kostenpflichtigen Mitgliederbereich an und organisieren Online-Coaching (https://conorandbrittany.com/).


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Fachinstitutionen auf YouTube

Angesichts der großen Bedeutung von YouTube besteht die Herausforderung für Fachinstitutionen darin, sich hier ebenfalls zu positionieren. Institutionen haben dabei oft das Problem, sich auf die YouTube-Kultur einzustellen, in der die Kommunikation sehr stark auf charismatische Personen zugeschnitten ist. YouTube-Kanäle von Einrichtungen wirken deswegen oft vergleichsweise steril und unpersönlich und haben meist deutlich geringere Reichweiten ([Döring 2017a], [2017b]).

Planned Parenthood

Während pro familia in Deutschland (bislang) nicht mit einem eigenen Kanal auf YouTube vertreten ist, ist Planned Parenthood in den USA auf der Videoplattform präsent (https://www.youtube.com/user/plannedparenthood). Der Kanal bietet kurze Aufklärungsclips und berichtet über die Arbeit von Planned Parenthood. Daneben betreibt Planned Parenthood eine eigene Website (https://www.plannedparenthood.org/) und ist auf Facebook (https://de-de.facebook.com/PlannedParenthood/) sowie auf Twitter (https://twitter.com/PPFA?lang=de) aktiv. Angesichts diffamierender Medienkampagnen gegen Planned Parenthood und aktuell zunehmender Einschränkungen sexueller und reproduktiver Rechte unter der Präsidentschaft von Donald Trump nutzt Planned Parenthood soziale Medien nicht zuletzt für politischen Aktivismus.


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UNAIDS

Die Vereinten Nationen setzen sich mit UNAIDS für die Bekämpfung der weltweiten AIDS-Epidemie ein. Neben der Website (http://www.unaids.org/) betreiben sie ein Facebook-Profil (https://de-de.facebook.com/UNAIDS/), einen Twitter-Account (https://twitter.com/unaids) und einen YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/user/UNAIDS), der sich vor allem an Multiplikator_innen richtet. Hier geht es um aktuelle Daten und Präventionskampagnen aus verschiedenen Ländern.


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Deutsche AIDS-Hilfe

Der YouTube-Kanal der Deutschen AIDS-Hilfe Berlin (https://www.youtube.com/user/DAHBERLIN) präsentiert Aufklärungsspots, Schulungsvideos und PR-Material. Er richtet sich an Multiplikator_innen, aber auch an die breite Öffentlichkeit. Zu finden ist unter anderem der Visiontrailer zur Kampagne „Kein AIDS für alle!“ (https://www.youtube.com/watch?v=D65cYOkGXXY).


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Trans* auf YouTube

In seinem Beitrag zum 30-jährigen Jubiläum der „Zeitschrift für Sexualforschung“ konstatierte [Volkmar Sigusch (2017)]: „Erfreulicherweise mehren sich seit einigen Jahren die rechtlich-politischen Zeichen eines sehr viel liberaleren Umganges mit Menschen, die früher Transsexuelle genannt wurden und heute als Transgender oder Transidente oder einfach Trans* bezeichnet werden.“ Folge und Voraussetzung dieses aufgeklärteren Umgangs mit Trans* ist nicht zuletzt die mediale Repräsentation in alten und neuen Medien – so auch auf YouTube ([O‘Neill 2014]; [Raun 2016]).

Trans*Personen auf YouTube

Trans*Personen sind auf YouTube vielfältig sichtbar. Im deutschsprachigen Raum klärt etwa der Kanal „MrThinkQueer“ (https://www.youtube.com/user/MrThinkQueer), der von einer Gruppe von jungen Transmännern betrieben wird, laut Selbstbeschreibung „easy und ehrlich“ über diverse Fragen von Transition und Identität auf. Als Gruppenprojekt kann der Kanal tatsächlich täglich mit einem neuen Video aufwarten. Die Transfrau Kim Nala – bekannt durch ihre Teilnahme an der TV-Sendung „Germanys Next Topmodel“ – betreibt einen sehr erfolgreichen Entertainment-Kanal auf YouTube, auf dem sie zuweilen auch Trans*-Fragen behandelt, etwa „10 Dinge die man zu Transfrauen niemals sagen sollte“ (https://www.youtube.com/watch?v=-3PGCnIUQkw). Transfleur“ (https://www.youtube.com/user/transfleur/) ist ein deutschsprachiger YouTube-Kanal, der als Gruppenprojekt von und für Transfrauen betrieben wird. Die Kanalaktivität ist in letzter Zeit gering, die älteren Videos können jedoch nützlich sein.

Im englischsprachigen Raum existieren noch viel mehr unterschiedliche YouTube-Kanäle, die von Trans*Personen unterschiedlicher Altersgruppen und Geschlechtsidentitäten betrieben werden. Besonders populär ist der Kanal von Alex Bertie (https://www.youtube.com/user/TheRealJazzBertie/featured?disable_polymer=1), der sich selbst als „British Transgender Guy“ beschreibt. Sein Kanal existiert seit vier Jahren und verzeichnet mehr als 300.000 Abonnements sowie über 17 Millionen Video-Views. Ein mit 15 Millionen Video-Views ebenfalls sehr erfolgreicher britischer Trans*-Kanal ist „JammiDodger“ (https://www.youtube.com/user/MrPinocchio17/about), er stammt von dem 23-jährigen Jamie Raines.


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Angehörige von Trans*Personen auf YouTube

Viel seltener als Trans*Personen melden sich Angehörige zu Wort. So berichtet Skip Pardee in seinem TEDx Talk „Proud to call you my transgender son“ (https://www.youtube.com/watch?v=GW8Plf_IXGs&t=1067s), wie sein Leben durcheinanderkam, als er – kurz vor seinem Ruhestand – das Trans*-Outing eines seiner erwachsenen Kinder erlebte.


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Fachpersonal in der Trans*-Versorgung auf YouTube

Inzwischen äußern sich auch einige Ärzt_innen auf YouTube. In seinem TED Talk „How I help transgender teens become who they want to be“ (https://www.youtube.com/watch?v=rzbtSeVZeEE) erläutert der Endokrinologe Dr. Norman Spack, warum und wie er Trans*Teenager_innen mit Hormonersatztherapie behandelt.


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Fazit

Ebenso wie das Themengebiet Trans* auf YouTube aus verschiedenen Perspektiven besprochen wird, sind auch beispielweise Homosexualität ([Wuest 2014]) oder Asexualität ([Döring 2018]), sexuelle Gewalt und sexuelle Gesundheit ([Döring 2017a], [2017b]) auf YouTube vertreten. Über die YouTube-Suchmaske und über die Vorschläge des YouTube-Algorithmus zu bereits gefundenen Videos lassen sich weitere passende Inhalte finden. Sei es, dass man sich für die Anliegen von Sexarbeiter_innen interessiert, für die Sexualitäten von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, für Online-Dating, für die wachsende Gruppe der Partner_innen suchenden Senior_innen oder für Ökosexualität als sinnliche Verbindung mit der Erde. Die Qualität der Videos ist dabei ausgesprochen heterogen – das betrifft sowohl die Evidenzbasierung oder anderweitige Fundiertheit der Inhalte als auch die Machart der Videos hinsichtlich Licht, Ton, Kameraführung oder Schnitt ([Döring 2017a]). Hier ist also eine kritische Rezeption empfehlenswert. Gleichwohl sollte eine überkritische Haltung vermieden werden. Ungeschickte Selbstpräsentationen und/oder fragwürdige Aussagen mögen in dem einen oder anderen Video direkt ins Auge springen. Doch bevor man deshalb YouTube-Videos pauschal in Zweifel zieht, ist redlicherweise zu fragen, wie qualitätsvoll denn sonstige Informationsangebote (Broschüren, Bücher, Seminare usw.) zu Fragen der Sexualität und sexuellen Gesundheit sind, welche Verzerrungen und Lücken sie aufweisen.

Der Fortbildungsaspekt von YouTube liegt einerseits darin, sich die Beiträge von Fachleuten zunächst über eingängige Videos zu erschließen, um danach gezielt zur Fachliteratur zu greifen oder vielleicht auch entsprechende Seminare zu besuchen. Andererseits liegt ein Fortbildungseffekt darin, die Stimmen direkt betroffener und beteiligter Personen zu hören und somit das eigene Verständnis für sexuelle Vielfalt zu verbessern. Einschlägige Einzelvideos sowie ganze Video-Kanäle können in sexualpädagogischen Maßnahmen als Diskussionsgrundlage genutzt oder im beraterischen und therapeutischen Kontext den Klient_innen als Hintergrundmaterial empfohlen werden. Sowohl in klinischen als auch in pädagogischen Kontexten empfiehlt es sich ohnehin, mit den Zielgruppen darüber im Gespräch zu bleiben, welche Online-Ressourcen sie im Zusammenhang mit ihren sexualbezogenen Anliegen nutzen.


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  • Literatur

  • Dodson B. Sex for One: The Joy of Selfloving. New York, NY: Harmony Books; 1974
  • Döring N. Online-Sexualaufklärung auf YouTube: Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen für die Sexualpädagogik. Z Sexualforsch 2017; a 30: 349-367
  • Döring N. Sexualaufklärung im Internet: Von Dr. Sommer zu Dr. Google. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz Z Sexualforsch 2017; b 60: 1016-1026
  • Döring N. Sexualbezogene Online-Fortbildung für Fachkräfte: Eine Einführung. Z Sexualforsch 2018; 31: 97-100
  • El Feki S. Sex und die Zitadelle. Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt. München: Hanser Berlin; 2013
  • O’Neill M. Transgender Youth and YouTube Videos: Self-representation and Five Identifiable Trans Youth Narratives. In: Pullen C. Hrsg. Queer Youth and Media Cultures. London: Palgrave Macmillan UK 2014; 34-45
  • Perel E. Mating in Captivity. Unlocking Erotic Intelligence. New York, NY: HarperCollins; 2006
  • Perel E. The State of Affairs. Rethinking Infidelity. New York, NY: HarperCollins; 2017
  • Raun T. Out Online: Trans Self-representation and Community Building on YouTube. New York: Routledge; 2016
  • Shahbaz C, Chirinos P. Becoming a Kink-aware Therapist. New York: Routledge; 2017
  • Sigusch V. Minima sexualia zu 30 Jahren Zeitschrift für Sexualforschung. Z Sexualforsch 2017; 30: 379-401
  • Wuest B. Stories like Mine: Coming Out Videos and Queer Identities on YouTube. In: Pullen C. Hrsg. Queer Youth and Media Cultures. London: Palgrave Macmillan UK; 2014: 19-33

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. phil. Nicola Döring
Technische Universität Ilmenau
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft
Ehrenbergstr. 29 (EAZ 2217)
98693 Ilmenau

  • Literatur

  • Dodson B. Sex for One: The Joy of Selfloving. New York, NY: Harmony Books; 1974
  • Döring N. Online-Sexualaufklärung auf YouTube: Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen für die Sexualpädagogik. Z Sexualforsch 2017; a 30: 349-367
  • Döring N. Sexualaufklärung im Internet: Von Dr. Sommer zu Dr. Google. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz Z Sexualforsch 2017; b 60: 1016-1026
  • Döring N. Sexualbezogene Online-Fortbildung für Fachkräfte: Eine Einführung. Z Sexualforsch 2018; 31: 97-100
  • El Feki S. Sex und die Zitadelle. Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt. München: Hanser Berlin; 2013
  • O’Neill M. Transgender Youth and YouTube Videos: Self-representation and Five Identifiable Trans Youth Narratives. In: Pullen C. Hrsg. Queer Youth and Media Cultures. London: Palgrave Macmillan UK 2014; 34-45
  • Perel E. Mating in Captivity. Unlocking Erotic Intelligence. New York, NY: HarperCollins; 2006
  • Perel E. The State of Affairs. Rethinking Infidelity. New York, NY: HarperCollins; 2017
  • Raun T. Out Online: Trans Self-representation and Community Building on YouTube. New York: Routledge; 2016
  • Shahbaz C, Chirinos P. Becoming a Kink-aware Therapist. New York: Routledge; 2017
  • Sigusch V. Minima sexualia zu 30 Jahren Zeitschrift für Sexualforschung. Z Sexualforsch 2017; 30: 379-401
  • Wuest B. Stories like Mine: Coming Out Videos and Queer Identities on YouTube. In: Pullen C. Hrsg. Queer Youth and Media Cultures. London: Palgrave Macmillan UK; 2014: 19-33