Aktuelle Dermatologie 2018; 44(07): 299-300
DOI: 10.1055/a-0624-3203
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Histamin und der sensible Mensch

Histamine and a Sensible Person
C. Bayerl
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Prof. Dr. med. Christiane Bayerl
Klinik für Dermatologie und Allergologie, Hauttumorzentrum Wiesbaden
Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken
Ludwig-Erhard-Straße 100
65199 Wiesbaden

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Publication Date:
02 July 2018 (online)

 
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Prof. Dr. med. Christiane Bayerl

Eine Cheilitis nach asiatischer Küche wurde beschreiben. Das Allergen wurde vermutet in einer Speise mit Sojasauce mit Namen „shoyu“, einem traditionellen japanischen Gericht. Pricktestung auf Soja und Weizen und die spezifischen IgE-Bestimmungen waren negativ. Die Hauttestung mit der Soße des Gerichts zeigte Rötung und Quaddeln [1]. Während des Herstellungsprozesses entwickeln Sojasaucen vermehrt Histamin. Es sind insbesondere die dunklen Soßen, die einen hohen Histamingehalt bei den Messungen aufwiesen. Shoyu wird durch Kochen von Soja mit Salz, Alkohol, Aminosäuren, Glukose und Zucker hergestellt. Shoyu-Flavone entstehen während der Fermentierung. Sie inhibieren Histidin-Decarboxylase, was dazu führt, dass freigesetztes Histamin nicht mehr abgebaut wird. Eine Soja-Allergie konnte ausgeschlossen werden, da sowohl der Prick-Test auf Soja als auch die spezifische IgE-Bestimmung negativ verliefen [1]. Dieser Fall stellt eine Differenzialdiagnose zu einem T-Zell-vermittelten Kontaktekzem der Lippen dar.

Das biogene Amin Histamin wird durch Decarboxylierung der Aminosäure Histidin synthetisiert. Der Vorgang wird durch L-Histidindecarboxylase katabolisiert. Histamin kann metabolisiert werden durch ein extrazelluläres oxidatives Entfernen der primären Aminogruppe durch Diamonoxidase (DAO) oder durch intrazelluläre Methylierung des Imidazolrings durch Histamin-N-Methyltransferase (HNMT). Daher führt eine insuffiziente Enzymaktivität entweder durch Enzymmangel oder Inhibition zu einer Akkumulation des Histamins. Beide Enzyme können durch ihr Reaktionsprodukt in einem negativen Feedback gehemmt werden. N-Metyhlhistamin wird oxidativ deaminiert zu N-Metyhlimidazolaldehyd durch Monoaminooxidase B (MAO-B) oder durch DAO. Da der Methylierungsweg im Zytosol der Zelle stattfindet, geht man davon aus, dass MAO-B diese Reaktion katalysiert [2].

Die Symptomatik einer Histaminunverträglichkeit [3] besteht in Flush-Symptomatik, Juckreiz, Rötungen am gesamten Körper, üblicherweise kein Brennen und kein Juckreiz an Mundschleimhaut und Lippen – aber dann eben doch bei Haut-/Schleimhautkontakt wie bei der eben dargestellten Kasuistik [1]. Zusätzlich können Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe und abdominale Schmerzen auftreten. Etwas seltener, aber möglich, ist eine Reaktion mit respiratorischen und kardiovaskulären Symptomen mit Blutdruckabfall, Schwindel und Tachykardie. Entsprechend sind als Differenzialdiagnosen entzündliche Darmerkrankungen, Kohlenhydratverwertungsstörungen, Zöliakie oder „echte“ Nahrungsmittelallergien auszuschließen. Histaminkonzentrationen über 1000 mg können schwere Intoxikationen auslösen, z. B. nach Verzehr von verdorbenem Fisch (Scrombridae: Thunfisch, Makrele) [3]. In der Diagnostik werden der Plasmahistaminspiegel, die Methylhistaminkonzentration im Urin und die DAO-Aktivität im Serum gemessen. Dabei ist zu beachten, dass Methylhistamin auch nach proteinreicher Nahrung ansteigt und tageszeitlichen Schwankungen unterliegt. In der aktualisierten Fassung der Leitlinie [4] wird als Ursache für die Histaminintoleranz eine Erniedrigung der HNMT in geschädigtem Kolongewebe diskutiert. Es existiert bisher kein objektiver Parameter für den Nachweis einer Unverträglichkeit gegenüber exogen zugeführtem Histamin. Als Ursache unspezifischer Gesundheitsstörungen ist eine Unverträglichkeit gegenüber exogen zugeführtem Histamin aktuell „in“. Ein Therapieversuch wird üblicherweise mit H1/H2-Blockern unternommen, einige Betroffene schwören auf die Substitution von DAO. Um Fehlernährungen zu vermeiden, müssen die Differenzialdiagnosen ausgeschlossen und eine Sicherung über die dreistufige Ernährungsumstellung erreicht werden.

Eine Nachweismethode ist die orale Provokation, üblicherweise mit 0,75 mg/kgKG Histaminhydrochlorid – aber bei dieser Dosis hatten auch gesunde Probanden reagiert. Die Leitlinie empfiehlt daher eine dreistufige Ernährungsumstellung mit Karenz (histaminarme Kost), dann Testphase (histaminreiche Nahrungsmittel nacheinander einführen und individuelle Verträglichkeit erarbeiten) und dann Dauerernährung (individuelle Ernährungsempfehlungen mit bedarfsdeckender Nährstoffzufuhr). Die individuelle Empfindlichkeit schwankt stark, abhängig von Alkoholgenuss, Hormonstatus, entzündlichen Darmerkrankungen und der Einnahme von Medikamenten (ASS, NSAIDs). Auch der Histamingehalt in Nahrungsmitteln schwankt stark. So hat Emmentaler Käse einen Histamingehalt zwischen 0,1 – 2000 mg/KG und geräucherte Makrele zwischen 0,1 – 1788 mg/KG Histamin. Histaminreiche Nahrungsmittel sind Fisch (Makrele, Hering, Sardine, Thunfisch), Käse (Gouda, Camembert, Cheddar, Emmentaler, Schweizer, Parmesan), Fleisch (geräucherte Würste, Salami, geräucherter Schinken), Gemüse (Sauerkraut, Spinat, Tomatenketchup) und Rotweinessig. Diätpläne finden sie bei Reese et al. [5]. Eine histaminarme Kost beinhaltet prinzipiell den Verzicht auf Alkoholika, alle geräucherten Fisch-, Fleisch oder Käseprodukte, Thunfisch, Makrelen und Rohmilchkäse. Champagner und im Fass gereifter Rotwein entwickeln einen höheren Histamingehalt als Weißweine aus dem Stahltank [6]. Ein Pommery Champagne Brut hat einen Histamingehalt von über 1000 µg/l, ein Lanson Champagne Black Label Brut um 360 µg/l und ein Schlumberger Sparkling Brut 7,4 µg/l.

Christiane Bayerl, Wiesbaden


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  • Literatur

  • 1 Stiefelhagen P. Allergy or histamine intolerance? Cheilitis caused by soy sauce. MMW Fortschr Med 2012; 154: 31
  • 2 Maintz L, Novak N. Histamine and histamine intolerance. Am J Clin Nutr 2007; 85: 1185-1196
  • 3 Reese I. Streitthema Histaminintoleranz. Gibt es tatsächlich Unverträglichkeitsreaktionen nach Aufnahme histaminhaltiger Nahrungsmittel?. Hautarzt 2014; 6: 559-566
  • 4 Reese I, Ballmer-Weber B, Beyer K. et al. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) und des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA). Allergo J Int 2017; 26: 72-79
  • 5 Reese I, Schäfer C, Werfel T. et al. Diätetik in der Allergologie. München: Dustri; 2017
  • 6 Jarisch R. Histamin-Intoleranz. Akt Dermatol 2011; 37: 1-8

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  • Literatur

  • 1 Stiefelhagen P. Allergy or histamine intolerance? Cheilitis caused by soy sauce. MMW Fortschr Med 2012; 154: 31
  • 2 Maintz L, Novak N. Histamine and histamine intolerance. Am J Clin Nutr 2007; 85: 1185-1196
  • 3 Reese I. Streitthema Histaminintoleranz. Gibt es tatsächlich Unverträglichkeitsreaktionen nach Aufnahme histaminhaltiger Nahrungsmittel?. Hautarzt 2014; 6: 559-566
  • 4 Reese I, Ballmer-Weber B, Beyer K. et al. Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) und des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA). Allergo J Int 2017; 26: 72-79
  • 5 Reese I, Schäfer C, Werfel T. et al. Diätetik in der Allergologie. München: Dustri; 2017
  • 6 Jarisch R. Histamin-Intoleranz. Akt Dermatol 2011; 37: 1-8

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