Schlüsselwörter
Effektivität - Evidenz - Leitlinien - Qualitätssicherung
Keywords
effectiveness - evidence - guidelines - quality assurance
Der Beitrag vermittelt zum einen die Bedeutung, die der Effektivität in der Sprachtherapie
zukommt. Zum anderen stellt er diejenigen Quellen vor, die für die Planung effektiver
Therapien genutzt werden können. Schließlich wird auf einige Therapieprinzipien eingegangen,
die sich für die Behandlung von Aphasien als effektiv erwiesen haben.
Effektivität in der Sprachtherapie
Effektivität in der Sprachtherapie
Effizienz und Effektivität. Nach Beushausen [1] untersucht das Clinical Reasoning (CR) die Denk-, Handlungs- und Entscheidungsprozesse,
mit denen medizinische Professionelle v. a. das Ziel verfolgen, effiziente und effektive
Behandlungen durchzuführen. Dabei gibt die Effizienz als Maß die Wirtschaftlichkeit
einer Behandlung an: Ideal ist es, wenn mit vorgegebenen Ressourcen ein maximaler
(medizinisch-therapeutischer) Nutzen erreicht wird. Im Unterschied dazu spiegelt die
Effektivität die Wirksamkeit einer Therapie wider. Sie wird ermittelt, indem das Therapieergebnis
mit dem jeweiligen Therapieziel verglichen wird. Je mehr das Ergebnis mit dem Ziel
übereinstimmt, desto effektiver ist die Therapie. Den Therapiezielen kommt somit eine
entscheidende Bedeutung zu. Sie müssen, um evaluiert werden zu können, genau, d. h.
messbar, sein. Bleiben sie vage, sind eine Evaluation und damit ein Wirksamkeitsnachweis
nicht möglich [2].
Die Effektivität einer Therapiemaßnahme lässt sich nur dann nachweisen, wenn das Therapieziel
messbar definiert wird.
Effektivität versus Effizienz Wenn Effektivität und Effizienz miteinander in Beziehung gesetzt werden, dann ergibt
sich, dass die Effektivität wichtiger ist als die Effizienz. Denn die Wahl einer unwirksamen
Therapie stellt selbst dann eine verschwendete Ressource dar, wenn sie kostengünstig
durchgeführt wird. Das CR muss sich daher v. a. darauf konzentrieren, die Effektivität
einer Therapie sicherzustellen. Damit wird zum einen den Erwartungen der Patienten
entsprochen, die sich von der Sprachtherapie eine (schnelle) Beseitigung oder zumindest
eine (rasche) Reduktion ihrer jeweiligen Störung erhoffen [3]. Zum anderen helfen Effektivitätsnachweise, wenn eine Entscheidung zu legitimieren
ist oder wenn Unsicherheiten bei einer Entscheidung vorliegen. So kann sich die Sprachtherapeutin
in dem folgenden Beispiel auf Effektivitätsdaten berufen und dadurch ihre Argumentation
untermauern:
Fallbeispiel 1: Effektivität von Aphasietherapie
Die Sprachtherapeutin Frau A. wird von der Ehefrau eines Patienten kontaktiert, der
seit mehreren Jahren als Folge eines Schlaganfalls unter einer ausgeprägten Aphasie
leidet. Die Ehefrau berichtet, dass ihr Mann schon seit längerer Zeit keine Sprachtherapie
mehr erhalten habe. Sie möchte jetzt jedoch einen neuen Therapieversuch starten, um
ihrem Mann die Chance zu geben, weitere sprachliche Fortschritte zu erreichen.
Frau A. wendet sich daraufhin an den behandelnden Hausarzt des Patienten mit der Bitte,
Sprachtherapie zu verordnen. Der Hausarzt lehnt die Bitte zunächst mit dem Argument
ab, dass es nach den vielen Jahren der Erkrankung mehr als unwahrscheinlich sei, Verbesserungen
zu erzielen. Frau A. verweist jedoch auf den Inhalt der Aphasie-Leitlinie [4] und auf neue Studienergebnisse [5]
[6], nach denen mit einer hochfrequent durchgeführten Aphasietherapie auch dann noch
Fortschritte erreicht werden, wenn die Sprachstörung schon seit Jahren besteht. Der
Hausarzt akzeptiert den Hinweis und sagt zu, eine Verordnung gemäß den Empfehlungen
der Aphasie-Leitlinie auszustellen.
Der Effektivität kommt im Vergleich zur Effizienz in der Evaluation sprachtherapeutischer
Maßnahmen eine höhere Priorität zu.
Planung effektiver Therapien
Planung effektiver Therapien
Wissensquellen Bei der Planung einer effektiven Therapie können Sprachtherapeuten auf das Wissen
zurückgreifen, das sie in ihrer Ausbildung sowie in Fort- und Weiterbildungen erworben
haben. Außerdem stehen ihnen (wissenschaftlich ermittelte) Evidenzen zur Effektivität
von Therapiemethoden zur Verfügung, die in Fachzeitschriften, Büchern und medizinischen
Leitlinien veröffentlicht werden. Schließlich können sie noch Kollegen um Rat fragen
und auf ihre Expertise bauen. Trotz der verschiedenen Wissensquellen bleibt jedoch
die Herausforderung, sich für ein bestimmtes therapeutisches Vorgehen zu entscheiden.
Denn für die Behandlung einer Störung gibt es in der Regel nicht nur eine, sondern
mehrere therapeutische Optionen, die nicht selten in Konkurrenz zueinanderstehen.
Da sich leicht vorhersagen lässt, dass für die Mehrheit der konkurrierenden Methoden
keine zuverlässigen Evidenznachweise zur Verfügung stehen [7], wird die Wahl einer Therapieoption in der Praxis weniger auf Effektivitätsnachweisen
und mehr auf der Erfahrung der Sprachtherapeuten beruhen.
Für die Planung einer effektiven Therapie stehen verschiedene Wissensquellen zur Verfügung.
Sie umfassen die eigene Expertise, wissenschaftlich ermittelte Evidenzen und Leitlinien.
Patientenpräferenzen Obwohl die Effektivität bei der Bestimmung einer Therapiemethode zweifelsohne eine
wichtige Rolle spielt, kann sie nicht das einzige Entscheidungskriterium sein. Der
Grund dafür liegt darin, dass die Patienten mit einer gewählten Methode einverstanden
sein müssen. So macht es bspw. keinen Sinn, einem Patienten verdickte Getränke zu
verordnen, wenn der Patient das Verdickungsmittel ablehnt. Ebenso sinnlos ist es,
eine hochfrequente Aphasietherapie zu planen, wenn ein Patient dazu nicht bereit ist.
Mehr noch: Wie das folgende Beispiel zeigt, kommt dem Willen der Patienten eine höhere
Bedeutung zu als jeder noch so gut begründeten therapeutischen Entscheidung.
Fallbeispiel 2: Priorität Patientenwille
In einer neurologischen Rehabilitationsklinik wird der 54-jährige Herr S. mit der
Diagnose eines bilateralen Hirnstamminfarkts aufgenommen. Als Folge des Infarkts bestehen
eine Stand- und Gangataxie, eine Dysarthrie sowie eine Dysphagie mit dem Aspirationsgrad
IV nach Wuttge-Hannig ([8], S. 109). Aufgrund der hohen Aspirationsgefahr wird Herr S. darüber informiert,
dass eine orale Ernährung nicht möglich ist. Herr S. protestiert dagegen heftig und
besteht darauf, normale Nahrung zu sich zu nehmen. Er beharrt auch dann noch auf seinem
Willen, nachdem ihm die (Aspirations-)Bilder der flexiblen Nasenendoskopie gezeigt
und erklärt worden sind.
Da Herr S. im Alter von ca. 20 Jahren ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit nachfolgenden
ausgeprägten exekutiven Störungen erlitten hat, ist bereits vor vielen Jahren eine
Betreuung eingerichtet worden, die in den Händen eines Rechtsanwalts liegt. Der Rechtsanwalt
wird daher darüber informiert, dass sein Mandant trotz einer hohen Aspirationsgefahr
auf einer oralen Ernährung besteht. Er wird als gesetzlicher Betreuer gebeten, dem
Willen des Patienten zuzustimmen. Nach Rücksprache mit dem behandelnden Sprachtherapeuten
verweigert der Rechtsanwalt jedoch seine Zustimmung mit dem Hinweis auf die gesundheitlichen
Risiken, die mit der oralen Ernährung verbunden sind.
Herr S. ist allerdings auch mit der Entscheidung seines Betreuers nicht einverstanden.
Er sucht daher den neurologischen Chefarzt der Klinik auf, um vehement eine orale
Ernährung zu fordern. Der Chefarzt entschließt sich, den Sachverhalt dem zuständigen
Betreuungsgericht mit der Bitte um Klärung vorzulegen. Das Gericht kommt zu dem Schluss,
dass der Wille des Patienten selbst dann zu erfüllen ist, wenn er eine gesundheitliche
Gefährdung darstellt. Daraufhin erhält Herr S. Normalkost, die nach einigen Tagen
zu einer Aspirationspneumonie führt. Herr S. wird daraufhin ins Akutkrankenhaus verlegt,
von dem er nicht mehr zur Rehabilitation zurückkehrt.
Die Präferenzen eines Patienten haben Vorrang vor jeder auch noch so gut begründeten
therapeutischen Entscheidung.
Sprachtherapeutische Expertise Die therapeutischen Optionen werden jedoch nicht nur durch den Willen der Patienten,
sondern auch durch ihr Leistungsniveau beeinflusst. So kann es sein, dass die Aufmerksamkeits-
und Gedächtniskapazitäten eines Patienten nicht ausreichen, um das Mendelsohn-Manöver
zu erlernen. Umgekehrt kann der Fall auftreten, dass ein Patient eine Behandlung als
kindisch empfindet, da das Therapieniveau weit unterhalb seiner Leistungsgrenze liegt.
Es gehört zur Expertise der Sprachtherapeuten, das Leistungsniveau eines Patienten
richtig einzuschätzen und ihn weder zu über- noch zu unterfordern. In die Entscheidungen
zur Therapieplanung gehen damit
-
Wirksamkeitsnachweise (sofern vorhanden),
-
der Wille der Patienten und
-
die Expertise der Sprachtherapeuten
ein. Diese Faktoren bilden die Grundlage der evidenzbasierten Praxis [9], auf die im Folgenden eingegangen wird.
Die Präferenzen der Patienten, die eigene Expertise und die wissenschaftlich ermittelten
Evidenzen bilden die Grundlage der evidenzbasierten Praxis.
Evidenzbasierte Praxis (EBP) in der Sprachtherapie
Evidenzbasierte Praxis (EBP) in der Sprachtherapie
Problemorientiertes Vorgehen Die EBP hat das Ziel, „in der Forschung entstandenes Wissen in die logopädische Praxis
zu transportieren. Die praktisch tätige Therapeutin soll mithilfe von EBP über den
aktuellen Stand der Forschung im Bilde sein, um auf dieser Basis ihre täglichen Entscheidungen
in Diagnostik und Therapie zu fällen.“ ([10], S. 7). Dafür ist es nicht notwendig, sich tagelang mit Forschungsergebnissen zu
beschäftigen. Die EBP zielt vielmehr auf ein problemorientiertes Vorgehen ab: Erst
dann, wenn Unsicherheiten oder Probleme auftreten, sollte die Suche nach Studienbelegen
beginnen. Dabei ist es ratsam, das Problem mit einer möglichst exakten Frage zu erfassen
(z. B. „Führen mundmotorische Übungen zu einer Reduktion sprechpraktisch bedingter
Fehler?“). Je exakter die Frage formuliert wird, desto wahrscheinlicher ist es, aus
der Literatur genau die Information zu erhalten, die benötigt wird.
Die evidenzbasierte Praxis favorisiert ein problemorientiertes Vorgehen.
Suche nach sprachtherapeutischer Evidenz Um die Suche nach sprachtherapeutisch relevanten Forschungsergebnissen zu vereinfachen,
ist es empfehlenswert, zunächst in Datenbanken zu recherchieren, von denen einige
in [Tab. 1] aufgelistet sind. Ein Teil der Datenbanken verfügt über Suchfunktionen, die eine
einfache Recherche ermöglichen. Dabei ist der Zugriff auf die Zusammenfassungen („Abtracts“)
von Forschungsergebnissen in der Regel kostenlos, eine Einsicht in die dazugehörigen
Volltexte kann jedoch mit Kosten verbunden sein.
Tab. 1
Auswahl von Datenbanken mit sprachtherapeutischen Effektivitätsnachweisen.
Datenbank
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Internetadresse
|
Stand
|
Cochrane Collaboration
|
www.cochrane.org
|
27.08.2017
|
American Speech-Language-Hearing Association
|
www.asha.org
|
27.08.2017
|
Evidence-Based Review of Stroke Rehabiliation
|
www.ebrsr.com
|
27.08.2017
|
Cochrane Bibliothek
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www.cochranelibrary.com
|
27.08.2017
|
Deutsches Cochrane Zentrum
|
www.cochrane.de
|
27.08.2017
|
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
|
www.iqwig.de
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27.08.2017
|
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (Leitlinienregister)
|
www.awmf.org
|
27.08.2017
|
Deutscher Bundesverband für Logopädie
|
www.evidnessst.org
|
27.08.2017
|
Die Suche nach wissenschaftlichen Evidenzen sollte zunächst mit einer Literaturrecherche
beginnen.
Wenn die Suche in den Datenbanken nicht ausreicht, dann bietet es sich an, medizinische
Suchmaschinen zu nutzen, die es als deutsche und englische Versionen gibt. Häufig
genutzte Suchmaschinen sind MEDLINE, PUBMED, CINAHL und EMBASE. In die Suchmaschinen
werden sinnvolle Kombinationen von Schlüsselwörtern eingegeben, um benötigte Informationen
in der nationalen und internationalen Literatur zu recherchieren. Ein Beispiel für
die Suche mit Schlüsselwörtern geben ([7], S. 52). Für die Nutzung der Suchmaschinen gilt ebenfalls, dass sie zum Teil kostenpflichtig
sind.
Für die Literaturrecherche können medizinische Suchmaschinen genutzt werden, die jedoch
nicht kostenlos zur Verfügung stehen.
Medizinische Leitlinien
Vorteile der Leitlinien Eine weitere Quelle, die Angaben zur Effektivität von Therapiemethoden enthält, besteht
aus den (medizinisch-therapeutischen) Leitlinien. Sie sind als „systematisch entwickelte
Informationen oder auch Instruktionen über das diagnostische und therapeutische Vorgehen
bei einem bestimmten Krankheitsbild“ definiert ([11], S. 785). Damit bieten Leitlinien Hilfen an, indem sie Empfehlungen für die Behandlung
einer bestimmten (logopädischen) Störung aussprechen. Alle deutschsprachigen Leitlinien
sind in dem Register der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften (AWMF) zu finden, auf das kostenlos zugegriffen werden kann ([Tab. 1]). Die Vorteile der Leitlinien sind, dass sie
-
für mehr Sicherheit bei der Wahl des (richtigen) diagnostischen und therapeutischen
Vorgehens sorgen,
-
Angaben zur Effektivität von Therapiemethoden und zur Therapiefrequenz enthalten,
-
als Referenz gegenüber Kostenträgern und verordnenden Ärzten genutzt werden können
[12]. Inzwischen gibt es eine Reihe von sprachtherapeutisch relevanten Leitlinien, die
in [Tab. 2] aufgelistet sind.
Tab. 2
Sprachtherapeutisch relevante Leitlinien. Quelle: www.awmf.org
Störung
|
Entwickelt von
|
Stand
|
AWMF-Register-Nr.
|
Neurogene Dysphagie
|
DGN
|
09/2011
|
030/111
|
Idiopathische Fazialisparese
|
DGN
|
09/2011
|
030/013
|
Aphasie
|
DGN
|
09/2012
|
030/090
|
Dysarthrie
|
DGN
|
09/2012
|
030/103
|
Morbus Parkinson
|
DGN
|
09/2012
|
030/010
|
Multiple Sklerose
|
DGN
|
08/2014
|
030/050
|
Neurogene Sprech- und Stimmstörungen
|
DGPP
|
08/2014
|
049/014
|
Pathogenese, Diagnostik und Behandlung von Redeflussstörungen
|
DGPP
|
09/2016
|
049/013
|
Sprachentwicklungsstörungen
|
DGPP und DGKJP
|
11/2011
|
049/006
|
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen
|
DGPP
|
09/2015
|
049/012
|
Periphere Hörstörungen im Kindesalter
|
DGPP
|
09/2013
|
049/013
|
DGN = Deutsche Gesellschaft für Neurologie; DGPP = Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie
und Pädaudiologie; DGKJP = Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie
Leitlinien enthalten in der Regel das aktuell beste Wissen über die Behandlung einer
bestimmten Störung.
Umsetzung der Leitlinien Die Vorteile der EBP für klinische Entscheidungen ist zwar offensichtlich, dennoch
„ist [es] (…) nicht immer einfach, Studienergebnisse (…) aus der klinischen Forschung
in die (sprach)-therapeutische Praxis zu übertragen“ ([12], S. 34). Ein Grund dafür liegt darin, dass die klinische Forschung in der Regel
unter idealtypischen Bedingungen stattfindet, die dem therapeutischen Alltag mit all
seinen nicht kontrollierbaren Einflüssen nur unvollständig entspricht. Daher kann
der Aufwand zur Umsetzung eines Forschungsergebnisses in der Praxis so hoch sein,
dass er sich nicht realisieren lässt (Ineffizienz). Ein weiterer Grund ist, dass es
das Ziel der Forschung ist, zu allgemeingültigen Aussagen zu kommen (hohe interne
Validität). Der Einzelfall interessiert dabei wenig (geringe externe Validität). In
der Praxis sind jedoch immer Überlegungen anzustellen, die sich auf die Situation
eines individuellen Patienten beziehen. Zwischen der individuellen Situation und einem
bestimmten Forschungsergebnis muss allerdings keine Übereinstimmung vorliegen. Damit
hat das (Forschungs)-Ideal der hohen internen Validität den Nachteil, dass es zu einer
geringen externen Validität führt. Ein letzter Grund besteht darin, dass es Widersprüche
zwischen aktuellen Forschungsergebnissen und den gesetzlichen Rahmenbedingungen geben
kann, unter denen Sprachtherapie stattfindet [13]. Dies illustriert das Fallbeispiel 3.
Fallbeispiel 3: Unstimmigkeit zwischen Forschungsergebnissen und Rahmenbedingungen
Um die Frequenz der Aphasietherapie zu erhöhen, können zusätzlich zur klassischen
Einzeltherapie computerbasierte Therapien eingesetzt werden, für die inzwischen einige
Effektivitätsnachweise existieren [14]. Die Computertherapie lässt sich jedoch in der stationären neurologischen Rehabilitation
nicht zulasten der Deutschen Rentenversicherung abrechnen, da sie in der derzeit gültigen
Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL-Katalog) nicht enthalten ist [15]. Ebenso wenig können Eigenübungsaufgaben oder die Supervision von Laientherapien
abgerechnet werden, obwohl eine supervidierte Laientherapie durchaus effektiv ist
[16].
Offensichtlich dauert es, bis Forschungsergebnisse in die gesetzlichen Rahmenbedingungen
eingehen. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um ein Problem in Deutschland, sondern
auch in den anglo-amerikanischen Ländern. Eine Übersicht darüber, welche Rahmenbedingungen
in der Sprachtherapie für eine effektive Therapie benötigt werden, gibt [17].
Es mag aus unterschiedlichen Gründen länger dauern, bis die Inhalte einer Leitlinie
in die praktische Versorgung eingehen.
Trotz der Hindernisse, die sich der Umsetzung der EBP in den Weg stellen, ist sie
ein unverzichtbarer Bestandteil klinischer Entscheidungen. Denn die EBP trägt dazu
bei, dass Entscheidungen nicht auf bloßen Vermutungen beruhen, sondern auf Fakten,
die wissenschaftlich abgesichert sind. Sie hat zusätzlich den Vorteil, das Wissen
der Therapeuten kontinuierlich zu erweitern und damit zu einer qualitativ hochwertigen
Sprachtherapie zu führen.
Qualitätssicherung
Verpflichtende Qualitätssicherung Mit den wissenschaftlich ermittelten Evidenzen werden den (Sprach)-Therapeuten starke
Argumente in die Hände gegeben, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Die
EBP stellt außerdem sicher, dass die Anforderungen der Qualitätssicherung umgesetzt
werden, die für alle verpflichtend sind, die medizinisch-therapeutische Leistungen
erbringen. So erwartet der Gesetzgeber, dass (therapeutische) Leistungen „dem jeweiligen
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen
Qualität erbracht werden“ (§ 135a Abs. 1 Sozialgesetzbuch V). Die Qualitätssicherung
ist jedoch nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern stellt auch eine freiwillige
Selbstverpflichtung der Logopäden dar. Im Leitbild Logopädie heißt es dazu, dass „Logopädinnen
und Logopäden […] den Stand ihres Fachwissens und die Ergebnisse ihrer beruflichen
Tätigkeit kontinuierlich reflektieren.“ [18]. Die Übernahme der EBP in die tägliche Praxis gilt damit für alle Sprachtherapeuten
unabhängig davon, ob sie in stationären, teilstationären oder ambulanten Einrichtungen
arbeiten.
Für stationäre und teilstationäre Einrichtungen ist eine Beteiligung an der Qualitätssicherung
gesetzlich vorgeschrieben.
Wirksamkeitsnachweise für die Aphasietherapie
Wirksamkeitsnachweise für die Aphasietherapie
Obwohl das Wissen über die Effektivität logopädischer Therapiemethoden (noch) begrenzt
ist [7], gibt es für die Rehabilitation der Aphasien einige therapeutische Prinzipien, für
die Wirksamkeitsnachweise vorliegen [12]
[19]. Zu ihnen gehören:
-
Ein früher Therapiebeginn: Die sprachlichen Fortschritte sind am größten, wenn die
Therapie unmittelbar nach Krankheitsbeginn einsetzt.
-
Eine hohe Therapiefrequenz: Aphasietherapie ist dann effektiv, wenn sie mit mindestens
300 Min. Therapie pro Woche für einen Zeitraum von 9 – 12 Wochen durchgeführt wird.
-
Repetition: Die wiederholte Darbietung identischer Therapieinhalte ist effektiver
als ein ständiger Wechsel.
-
„Shaping“: Im Therapieverlauf sind die Anforderungen an den Patienten kontinuierlich
zu erhöhen, indem therapeutische Hilfen schrittweise reduziert oder Aufgaben mit zunehmendem
Schwierigkeitsgrad durchgeführt werden.
-
„Design of learning situation“: Die Therapieinhalte sind konkret, nicht jedoch abstrakt
zu präsentieren. Denn abstrakte Aufgaben (z. B. die Suche nach Reimwörtern), die sich
nur mit einer (kognitiven) Distanz zur jeweiligen Situationen lösen lassen, stellen
für Patienten mit einer Aphasie eine sehr viel größere Herausforderung dar als konkrete
Aufgaben (z. B. die Vervollständigung automatisierter sprachlicher Reihen), die unmittelbar,
situativ und intuitiv bewältigt werden können.
Es wird derzeit geprüft, ob diese Prinzipien auch außerhalb der Aphasietherapie wirksam
sind. Die Ergebnisse einiger Untersuchungen deuten dabei darauf hin, dass v. a. die
hohe Therapiefrequenz ein Faktor zu sein scheint, der auch für die Therapie von Sprechapraxien,
Sprachentwicklungsstörungen und Stimmstörungen von entscheidender Bedeutung ist (Überblick
in [12]). Der Frequenz sollte daher bei der Planung sprachtherapeutischer Interventionen
eine hohe Priorität zukommen.
Die Therapiefrequenz spielt für den Behandlungserfolg eine außerordentlich wichtige
Rolle.
Bedeutung evidenzbasierter Entscheidungen
Bedeutung evidenzbasierter Entscheidungen
Mit der Zunahme an wissenschaftlichen Evidenzen werden die sprachtherapeutischen Denk-
und Entscheidungsprozesse zukünftig immer sicherer werden. Dies hilft zum einen, wenn
im Konfliktfall Entscheidungen zu legitimieren sind. Zum anderen bilden die Evidenzen
das sprachtherapeutische Leistungs- und Wirkungsspektrum ab. Sie tragen damit zum
Renommee der Sprachtherapie bei, indem der Glaube an die Wirksamkeit sprachtherapeutischer
Interventionen durch wissenschaftlich ermittelte Effektivitätsnachweise ersetzt wird.
Evidenzbasierte Entscheidungen erhöhen den Behandlungserfolg und verbessern dadurch
das Renommee der Sprachtherapie.
Was war bekannt?
-
Sprachtherapeuten haben das Ziel, effiziente und effektive Therapien durchzuführen.
Dazu greifen sie auf ihr Wissen zurück, das sie sich in der Berufsausbildung und in
Fort- und Weiterbildungen angeeignet haben.
-
Bei der Therapieplanung berücksichtigen sie die Interessen der Patienten.
-
Eine Therapie ist dann erfolgreich, wenn gezeigt werden kann, dass die Therapieziele
erreicht worden sind.
Was war neu?
-
Zur Planung wirksamer Therapien stehen v. a. wissenschaftlich ermittelte Evidenzen
und Leitlinien zur Verfügung.
-
Therapeutische Entscheidungen, die auf wissenschaftlichen Evidenzen beruhen, schaffen
Sicherheit und minimieren das Fehlerrisiko.
-
Die evidenzbasierte Praxis ist ein probates Mittel, um auf therapeutische Fragen eine
Antwort zu erhalten.