Key words
cell-free dna - detailed early ultrasound - diagnostic procedures - chromosomal anomalies
- first-trimester screening
Einleitung
Ein Jahr nach der Markteinführung in den USA wurde 2012 auch im deutschsprachigen
Raum der erste Screening-Test auf die Trisomien 21, 18, 13 und die Gonosomen an zellfreier
DNA aus der mütterlichen Zirkulation (cfDNA) eingeführt. Die Entwicklung einfacherer
und deutlich kostengünstigerer Testverfahren und intensives Marketing führten zu einer
zunehmenden Inanspruchnahme. Empfehlungen für den Einsatz der cfDNA-Tests wurden bereits
im Jahr 2015 in „Ultraschall in der Medizin“ [1]
[2] publiziert. Die cfDNA in der mütterlichen Zirkulation ist zum weit überwiegenden
Teil mütterlichen Ursprungs. Nur der deutlich kleinere Anteil entstammt der Plazenta.
Zwecks begrifflicher Abgrenzung der Verfahren wird daher anstelle der Begriffe zellfreie
fetale DNA (cffDNA) und zellfreie plazentare DNA (cfpDNA) ausschließlich der Terminus
cfDNA verwendet.
Die Untersuchung der cfDNA, oft auch NIPT (nicht invasiver pränataler Test) genannt,
ist eine Screening-Methode, die bei auffälligen Befunden immer der Abklärung durch
eine diagnostische Punktion bedarf. Schon lange etabliert und weit verbreitet als
Screening-Methode ist das kombinierte Ersttrimester-Screening, das mit einer frühen
Fehlbildungsdiagnostik und dem Präeklampsie-Screening kombiniert werden kann ([Tab. 1]) und damit weit über das Trisomie-21-Screening hinausgeht [3]
[4]
[5]. Im deutschsprachigen Raum erfolgen mittlerweile etwa zwei Drittel der cfDNA-Tests
zwischen 11 und 13 Wochen p.m., meist nach einem Ersttrimester-Screening, auch wenn
die Untersuchung der cfDNA ab 10 Wochen als First-line-Screening diskutiert wird.
Tab. 1
Nomenklatur der Screening-Untersuchungen im 1. Trimenon.
Untersuchung
|
Ultraschall-Parameter
|
Serum-Parameter
|
Zielsetzung
|
Ersttrimester-Screening
|
NT
|
|
orientierender
Fehlbildungsausschluss
Aneuploidie-Screening
|
kombiniertes Ersttrimester-Screening
|
NT
|
free ß-HCG
PAPP-A
|
kombiniertes Ersttrimester-Screening mit Markern
|
NT, NB
DV, TRI
|
free ß-HCG
PAPP-A
|
primäre oder sekundäre Präzisierung des ETS-Befundes
|
contingent Screening
|
erweitertes Screening in Abhängigkeit vom Befund des kombinierten ETS[1]
|
frühe Fehlbildungsdiagnostik
|
publizierte Qualitätsanforderungen: DEGUM [10], ISUOG [9], FMF [3]
|
NT: Nackentransparenz, NB: Nasenbein, DV: Ductus venosus, TRI: Trikuspidalklappenfluss,
ETS: Ersttrimester-Screening.
1 Der Begriff „contingent screening“ wird zunehmend auch für den Einsatz des cfDNA-Screenings
nach vorheriger Risikoklassifikation mittels kombinierten ETS verwendet.
Im Folgenden wird das Spektrum des bestehenden Ersttrimester-Screenings aufgezeigt
und der sinnhafte Einsatz von cfDNA-Tests diskutiert. Dabei werden besonders der Aspekt
des Screenings und die Abklärung bei auffälligen Befunden betrachtet.
Elemente des Screenings 11 + 0 bis 13 + 6 Wochen
Elemente des Screenings 11 + 0 bis 13 + 6 Wochen
Beratung vor pränatalem Screening
Das Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)
[6] und die später formulierten Richtlinien regeln den Umgang mit genetischen Analysen
und der vorgeburtlichen Risikoabklärung mittels Aneuploidie-Screening im ETS. Die
in der Folge eingerichtete Gendiagnostik-Kommission (GEKO) am Robert-Koch-Institut
erstellt Richtlinien in Bezug auf den allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft
und Technik.
Zentral sind auch angesichts des Patientenrechtegesetzes (PRG) 2013 [7] der Arztvorbehalt in § 7 und die Aufklärung in § 9 GenDG: Vor Einholung der Einwilligung
hat die verantwortliche ärztliche Person die betroffene Person über Wesen, Bedeutung
und Tragweite der genetischen Untersuchung aufzuklären. Der betroffenen Person ist
nach der Aufklärung eine angemessene Bedenkzeit bis zur Entscheidung über die Einwilligung
einzuräumen.
Die GEKO präzisierte die Einordnung der cfDNA und die entsprechende Beratungsqualifikation:
Untersuchungen an zirkulierender plazentarer DNA aus mütterlichem Blut sind – im Gegensatz
zur vorgeburtlichen Risikoabklärung – den vorgeburtlichen genetischen Analysen zur
Feststellung genetischer Eigenschaften zugeordnet. Damit gelten für die fachgebundene
genetische Beratung die entsprechenden Qualifikationsinhalte, deren essenzielle Grundlagen
sich in 72 Fortbildungseinheiten und der dazugehörigen Qualifizierungsmaßnahme vermitteln
lassen [8].
Der Umfang der Beratung über die verschiedenen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik
ist bislang nicht umfassend definiert. Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
(G-BA) über die ärztliche Betreuung in der Schwangerschaft und nach der Entbindung
(„Mutterschafts-Richtlinien“) definieren die frühzeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften
und -geburten als vorrangiges Ziel der ärztlichen Schwangerenvorsorge. Im Abschnitt
B der Richtlinien ist neben anderen anamnestischen Faktoren von Risikoschwangerschaften
das mütterliche Alter unter 18 Jahren oder über 35 Jahren aufgeführt. Ersttrimester-Screening
und cfDNA-Screening sind in den Richtlinien nicht erwähnt. Der G-BA hat 2016 ein Beratungsverfahren
zur Frage der Einführung des cfDNA-Screenings in Gang gesetzt und das IQWiG beauftragt,
eine Informationsbroschüre über die Möglichkeiten der pränatalen genetischen Diagnostik
zu erstellen (g-ba.de 16.02.2017).
Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) erklärte in einer Stellungnahme zur
Analyse fetaler DNA aus dem mütterlichen Blut vom 12.11.2012, dass aufgrund der nicht
erforderlichen Abwägung von Eingriffsrisiken diagnostischer Punktionen gegen die Wahrscheinlichkeit
für eine Krankheit/gesundheitliche Störung des Kindes in der Folge eine cfDNA-Analyse
keiner Schwangeren vorenthalten werden könne bzw. allen Schwangeren verfügbar gemacht
werden sollte.
Bei der Beratung über die Möglichkeit eines primären frühzeitigen Screenings unter
Verzicht auf die Feindiagnostik ist zu berücksichtigen, dass lediglich die Häufigkeiten
der Trisomien 13, 18 und 21 eine deutliche Abhängigkeit vom mütterlichen Alter zeigen,
während strukturelle Fehlbildungen und molekulargenetisch erfassbare Anomalien in
allen Altersgruppen gleich häufig auftreten.
Nach der Geburt eines Kindes mit einer grundsätzlich pränatal erkennbaren Störung
kann die Vollständigkeit der Risikoberatung und der Darstellung der diagnostischen
Alternativen infrage gestellt werden. Wenn sich ein Risiko verwirklicht, über das
hätte aufgeklärt werden müssen, haftet der Arzt für den Schaden, sofern er nicht beweisen
kann, dass er über dieses Risiko und alle Möglichkeiten seiner Erkennung umfassend
aufgeklärt hat (§ 630 BGB – Patientenrechtegesetz). Diese Verpflichtung besteht ungeachtet
der Tatsache, dass außerhalb der in den Mutterschafts-Richtlinien aufgeführten Indikationen
die Kosten des Ersttrimester-Screenings, der cfDNA-Tests und der Ultraschall-Fehlbildungsdiagnostik
im Regelfall von den Schwangeren selbst zu tragen sind.
Frühe Fehlbildungsdiagnostik
Die frühe differenzierte sonografische Diagnostik zum Zeitpunkt 11+ 0 – 13+ 6 Wochen mit den Elementen der eingehenden anatomischen Beurteilung des Ungeborenen,
der Messung der fetalen Nackentransparenz, der Analyse der fetalen und maternalen
Hämodynamik sowie der Untersuchung verschiedener biochemischer Parameter im maternalen
Serum stellt eine der Grundlagen für die weitere Betreuung der Schwangerschaft dar.
Während über lange Zeit differenzierte sonografische Untersuchungen auf das zweite
und dritte Trimenon der Schwangerschaft begrenzt waren, hat die Diagnostik seit den
90er Jahren ihren ersten entscheidenden Schwerpunkt zunehmend im ersten Trimenon.
Damit hat das Ersttrimester-Screening eine zentrale Rolle in der Entscheidungsfindung
über weitere diagnostische und therapeutische Konzepte erlangt.
Die Standardebenen der frühen Fehlbildungsdiagnostik, entsprechend einem qualifizierten
Ultraschall, wurden in Empfehlungen bzw. Leitlinien der Fetal Medicine Foundation
(FMF), der International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology (ISUOG)
und der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) festgelegt [3]
[9]
[10].
Die anatomische Beurteilung des Fetus erlaubt es, eine Reihe von Fehlbildungen auszuschließen
bzw. zu diagnostizieren: Syngelaki et al. [11] teilten Fehlbildungen zum Zeitpunkt 11+ 0 – 13+ 6 Wochen aus einer Population von 45 191 Schwangerschaften in 3 Kategorien entsprechend
ihrer Erkennbarkeit ein ([Tab. 2]).
Tab. 2
Kategorien der Erkennbarkeit wichtiger Fehlbildungen bei 11+ 0 – 13+ 6 Wochen.
(fast) immer erkennbar
|
potentiell erkennbar
|
selten oder nie erkennbar
|
An-/Exencephalie
Holoprosencephalie
Omphalocele
Gastroschisis
Body-Stalk-Anomalie
Megazystis
|
Hand- und Fußfehlbildungen
Zwerchfellhernie
letale Skelettdysplasie
schwere Herzfehler
Spina bifida aperta
Gesichtsspalten
|
Mikrocephalie
Balkenfehlanlage
Ventrikulomegalie
Tumoren
Ovarialzysten
Lungenläsionen
gastrointestinale Obstruktionen
|
Die Erkennungsrate der Sonografie mit 11 – 14 Wochen in Bezug auf schwere Fehlbildungen
liegt nach dieser Studie insgesamt bei 44 %. In einer deutschen Studie an 6879 Schwangerschaften
war die Erkennungsrate für die differenzierte Sonografie in einem Expertenzentrum
83,7 % [12]. Bei einer NT < 2,5 mm (2788/3094 – 90,1 %) war die Häufigkeit schwerer Fehlbildungen
1 % (27/2788), bei einer NT von > 2,5 mm 19,3 % (59/306). Eine Folgestudie derselben
Gruppe (n = 6879) zeigte eine Prävalenz von schweren Fehlbildungen einschließlich
der Chromosomenanomalien von 3,2 % (220/6858), 50,5 % (111/220) davon mit einer NT < 95.
Perzentile und 49,5 % (109/220) mit einer NT > 95. Perzentile [13]. In einer Metaanalyse von 19 Studien mit 78 000 Schwangerschaften (Prävalenz von
Fehlbildungen 1,2 %) lag die Erkennungsrate bei 51 % [14]. Die Autoren wiesen darauf hin, dass auch 40 % der schweren Herzfehler früh erkannt
wurden und dass die Kombination aus transabdominaler und transvaginaler Sonografie
eine wesentlich erhöhte Erkennungsrate ermöglichte (62 % versus 51 %).
Die Beurteilung des 4. Ventrikels, auch als intrakranielle Transparenz (IT) bezeichnet,
und die Untersuchung des Hirnstamms können zur frühen Erkennung einer offenen Spina
bifida bei der Ersttrimester-Untersuchung führen [15]
[16]. In einer Metaanalyse von über 21 000 Feten wurden eine Sensitivität von 53,5 %
und eine Spezifität von 99,7 % berechnet [17].
Die Messung der fetalen Nackentransparenz (NT) ist nicht nur für das Aneuploidie-Screening,
sondern auch im Rahmen der frühen Fehlbildungsdiagnostik von großer Bedeutung. Sie
kann in Kombination mit der anatomischen Beurteilung des Fetus auf eine Vielzahl möglicher
Erkrankungen hinweisen, wie chromosomal und nicht chromosomal bedingte Syndrome, sowie
strukturelle Fehlbildungen [18]
[19]
[20]
[21]
[22]. Wagner et al. konnten durch die Kombination der differenzierten Beurteilung des
Fetus mit der Messung der NT und der Sekundärkriterien für die Erkennung der Trisomien
18 und 13 mit 95 % ähnlich hohe Detektionsraten wie durch cfDNA erreichen [23].
Auch Feten mit Herzfehlern können eine verdickte NT aufweisen [11]
[24], gehäuft in Kombination mit einer Trikuspidalklappen-Regurgitation und einer erhöhten
Pulsatilität im Ductus venosus [25]
[26]. So wird für die Kombination der NT-Messung und des Ductus venosus (einer der beiden
Parameter > 95. Perzentile) eine Sensitivität von 57,6 % für schwere Herzfehler angegeben
[27]. Allerdings haben Messungen des Ductus venosus und der Trikuspidal-Regurgitation
bei normaler NT nur geringe Erkennungsraten. Die Kombination aus einer NT > 95. Perzentile
mit auffälligem Ductus venosus und/oder Trikuspidal-Regurgitation kann die Erkennungsrate
für schwere Herzfehler auf > 50 % erhöhen [28]. Dieses Marker-Screening auf schwere Herzfehler wird zunehmend durch die Integration
der Darstellung von Vier-Kammer-Blick und Drei-Gefäß-Blick in die detaillierte Ersttrimester-Untersuchung
verdrängt [29]
[30].
Bei monochorialen Mehrlingen ist bei sehr unterschiedlichen Messwerten für die Nackentransparenz
die Wahrscheinlichkeit einer Zwillingstransfusions-Sequenz (FFTS) erhöht. In einer
Metaanalyse von 13 Studien mit 1991 Schwangerschaften zeigten diskrepante NT-Messungen
und pathologische Messungen des Ductus venosus eine Sensitivität von 52,8 bzw. 50 %
für die spätere Entwicklung einer FFTS [31]. Auch bei unauffälligem Befund dieser Untersuchung sind bei monochorialen Zwillingen
ab 14 – 16 Wochen Kontrolluntersuchungen in 2-wöchigen Abständen indiziert, um rechtzeitig
Symptome der FFTS oder Zwillings-Anämie-Polycythämie-Sequenz (TAPS) zu diagnostizieren
[32].
Auch die Wahrscheinlichkeit für die Lebendgeburt eines gesunden Kindes kann durch
die Messung der NT abgeschätzt werden. So beträgt die Wahrscheinlichkeit 97 % bei
einer NT < 95. Perzentile; sie nimmt bei verdickter NT ab, bei einer NT ≥ 6,5 mm ist
sie nur noch 15 % [33].
Die Messungen der fetalen Nackentransparenz und der Sekundärkriterien Nasenbein, Ductus
venosus sowie Trikuspidal-Regurgitation unterliegen als einzige Ultraschalluntersuchungen
einer standardisierten Qualitätskontrolle im Rahmen jährlicher Audits durch die Fetal
Medicine Foundation London und die Fetal Medicine Foundation Deutschland. Für Deutschland
wurde diese Qualitätskontrolle in die Ausführungsbestimmungen des RKI übernommen [34]
[35].
Untersuchungen der cfDNA sollen nur nach bzw. in Verbindung mit einem qualifizierten
Ultraschall angeboten werden [1]
[10]
[36]. Die Bedeutung der frühen Organdiagnostik belegt eine prospektiv randomisierte Studie,
in der 1400 Schwangere nach einer Expertenuntersuchung zwischen 11 und 13 Wochen mit
unauffälligem Befund entweder einem cfDNA-Screening oder einem kombiniertem ETS nach
dem Algorithmus der FMF zugeführt wurden. Die Falsch-positiv-Raten für Trisomie 21
betrugen 0 % für das cfDNA-Screening bzw. 2,5 % für das kombinierte ETS [5]. Limitationen dieser Studie sind die Beschränkung auf die alleinige Risikoberechnung
für Trisomie 21 und strukturelle anatomische Anomalien sowie der Verzicht auf biochemische
Parameter, die im Screening auf andere Chromosomenanomalien und die Präeklampsie sinnvoll
sein können.
Der Verzicht auf die frühe Organdiagnostik und die Beschränkung auf primäres Screening
an cfDNA können zur Folge haben, dass strukturelle oder genetische Anomalien erst
später entdeckt werden.
Kombiniertes Ersttrimester-Screening (Combined test)
Die Algorithmen des Ersttrimester-Screenings als „combined test“ aus maternalem Alter,
Nackentransparenz und den Serum-Parametern fßHCG sowie PAPP-A erlauben eine Berechnung
der Wahrscheinlichkeiten der häufigsten Trisomien 21, 13 und 18 [37]. Die Risikoalgorithmen der Fetal Medicine Foundation (FMF) London und der FMF Deutschland
sind in zahlreichen Ländern verbreitet und erlauben bei entsprechender Zertifizierung
auch den Einschluss der genannten Parameter. Das kombinierte ETS hat sich als sehr
gute, kostengünstige und von den meisten Frauenärztinnen und -ärzten durchführbare
Untersuchung etabliert. Die Detektionsraten liegen in Zentren bei 90 % für eine Falsch-positiv-Rate
von 3 – 5 % [38]. Im Niedrigrisikobereich mit einem ETS-Risiko von 1:1000 oder niedriger findet man
2 – 4 % der Schwangerschaften mit Trisomie 21 [37]. Etwa 85 % der normalen Schwangerschaften haben ein ETS-Risiko in diesem Bereich.
Im Hochrisikobereich beschränkt sich das Spektrum möglicher Erkrankungen nicht auf
die durch die cfDNA-Untersuchung erkennbaren Chromosomenstörungen [4]
[18].
Die Schwellenwerte des intermediären Bereichs werden kontrovers diskutiert; sie sind
geprägt durch den Wunsch nach einer optimalen Kombination hoher Detektionsraten sowohl
für Trisomien als auch anderer genetischer Anomalien mit niedrigen Falsch-positiv-Raten.
Je höher der Schwellenwert zum Hochrisikobereich gesetzt wird, desto geringer ist
der Anteil der Schwangerschaften, bei denen eine diagnostische Punktion empfohlen
wird. Jeder Zugewinn an Erkennungsrate geht mit einer Erhöhung der Rate positiver
Befunde einher. Sie unterliegen damit einerseits gesundheitsökonomischen Überlegungen
und andererseits der individuellen Abwägung jeder Schwangeren. Die Entscheidung der
Schwangeren sollte nach einer umfassenden Beratung getroffen werden, die das Spektrum
der zu erkennenden Aberrationen und die Wahrscheinlichkeit ihrer Erkennung in Abhängigkeit
von den Schwellenwerten erläutert und eine Aufklärung über die Sicherheit von diagnostischen
Punktionen in Expertenhand beinhaltet.
Beim Ersttrimester-Screening sind die positiven prädiktiven Werte niedrig, die Methode
hat jedoch sehr hohe negative prädiktive Werte. So kann aus den neuesten Studiendaten
der FMF London für das kombinierte Ersttrimester-Screening bei einem Cut-Off von 1:100
und einer Sensitivität von 92 % sowie einer Spezifität von 95,4 % bezogen auf die
Trisomie 21 der positive prädiktive Wert mit 7,34 % berechnet werden, der negative
prädiktive Wert mit 99,97 %. Für die Trisomien 13 und 18 gelten ähnliche Werte [39].
Screening an zellfreier DNA
Screening an zellfreier DNA
Qualitätsparameter
In den ersten Jahren vor und kurz nach der Markteinführung wurde die überwiegende
Zahl von Studien zur Sensitivität und Spezifität des Screenings an cfDNA in Hochrisikokollektiven
durchgeführt [40]
[41]
[42]
[43]
[44]
[45]
[46]. Mittlerweile liegen auch Ergebnisse aus Routinepopulationen vor [47]
[48]
[49]
[50]
[51]
[52].
Die zum Teil kleine Gesamtzahl und hohe Prävalenz in den Studienkollektiven macht
die Auswertung in Metaanalysen sinnvoll. Die von Gil 2017 publizierte Metaanalyse
[53] von 35 Studien erbrachte Detektionsraten für Trisomie 21, 18 und 13 von 99,7 %,
97,9 % und 99,0 % sowie 95,8 % für die Monosomie X bei Falsch-positiv-Raten von jeweils
0,04 % für die Trisomien 21, 18 und 13 und 0,14 % für die Monosomie X ([Tab. 3]). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Iwarsson et al. [52].
Tab. 3
Parameter des Screenings an cfDNA (nach Gil [53] und Revello [62]).
Aneuploidie
|
DR %
|
FPR %
|
FF %
|
NR %
|
Trisomie 21
|
99,7
|
0,04
|
10,7
|
1,9
|
Trisomie 18
|
97,9
|
0,04
|
8,6
|
8,0
|
Trisomie 13
|
99,0
|
0,04
|
7,0
|
6,3
|
Monosomie X
|
95,8
|
0,14
|
10,0
|
4,1
|
SCA
|
100,0
|
0,04
|
–
|
–
|
DR: Detektionsrate, FÜR: Falsch-positiv-Rate, SCA: gonosomale Aneuploidien außer Monosomie
X, FF: Fetal fraction, NR: kein schlüssiges Ergebnis aus der 1. Blutprobe.
In der Metaanalyse von Gil 2017 wurde im Gegensatz zu früheren Arbeiten [54] der differente statistische Ansatz der bivariaten Analyse verfolgt, der bereits
in der Metanalyse von Taylor-Phillips [55] gewählt worden war und die Abhängigkeit der Sensitivität-Spezifität-Paare von unterschiedlichen
Cut-off-Werten in den einzelnen Studien berücksichtigt. Die aus 41 Studien gepoolten
Daten wurden in einer Risikopopulation und einem Normalkollektiv angewandt ([Tab. 4]). Bei einer Prävalenz der Trisomie 21 von 1:230 wurden in einer Normalpopulation
Detektionsraten für Trisomie 21 von 95,9 %, für Trisomie 18 und 13 von 86,5 % und
77,5 % (Prävalenz 1:1000 bzw. 1:2000) ermittelt. Zahlreiche Studien beinhalteten auch
überproportional viele Tests aus höheren Schwangerschaftswochen.
Tab. 4
Studienparameter des Screenings an zellfreier DNA im bivariaten metaanalytischen Verfahren
(nach Taylor-Phillips [55]).
Aneuploidie
|
gepoolte Daten
|
Hochrisikokollektiv
|
general population
|
DR %
|
FPR %
|
DR %
|
FPR %
|
PPV %
|
NPV %
|
DR %
|
FPR %
|
PPV %
|
NPV %
|
Trisomie 21
|
99,3
|
0,1
|
97,3
|
0,3
|
91,3
|
99,9
|
95,9
|
0,1
|
81,6
|
99,9
|
Trisomie 18
|
97,4
|
0,1
|
93,0
|
0,3
|
84,3
|
99,9
|
86,5
|
0,2
|
36,6
|
99,9
|
Trisomie 13
|
97,4
|
0,1
|
95,0
|
0,1
|
87,0
|
99,7
|
77,5
|
0,1
|
48,8
|
99,9
|
DR: Detektionsrate, FPR: Falsch positiv Rate, PPV: positiver prädiktiver Wert, NPV:
negativer prädiktiver Wert.
In der Beratung und Entscheidungsfindung vor einem eventuellen Screening spielen der
positive und der negative prädiktive Wert eines Screenings eine entscheidende Rolle.
Zu beachten ist, dass auch bei einer hohen Detektionsrate und einer hohen Spezifität
eines Tests die Prävalenz der gesuchten Abweichung einen starken Einfluss auf die
positive Prädiktion hat [56]. Selbst bei einer vollständigen Detektion aller Betroffenen und einer sehr niedrigen
Falsch-positiv-Rate wird, sobald die Prävalenz niedriger als die Häufigkeit falsch
positiver Befunde ist, die Mehrzahl der Gescreenten einen „falschen“ Befund erhalten
[57]. Dies ist in der Beratung jüngerer Schwangerer mit altersentsprechend geringerer
Prävalenz der Trisomien 21, 18 und 13 besonders zu berücksichtigen.
Diskrepante Befunde sind meist der Tatsache geschuldet, dass der weit überwiegende
Teil der zellfreien DNA-Fragmente mütterlichen und nur ein kleinerer Teil plazentaren
Ursprungs ist. Die cfDNA kann daher Hinweise auf plazentare Mosaike und auf maternale
Mosaike bzw. Chromosomenanomalien geben. Auch ein vanishing twin kann ursächlich für
einen falsch positiven Befund sein, wenn die cfDNA-Untersuchung zeitlich nah am Abortgeschehen
liegt. Die Überprüfung eines positiven Befundes durch eine diagnostische Punktion
ist daher obligatorisch [58].
Keines der derzeit angebotenen Testverfahren – sowohl die DNA-Fragmente aller Chromosomen
erfassenden Random-Methoden als auch die auf einzelne Chromosomen fokussierenden Targeted-Tests
– unterscheidet zwischen maternaler und plazentarer DNA. Der differente Ansatz der
SNP-basierten Verfahren, zwischen mütterlicher, plazentarer und – sofern verfügbar
– paternaler DNA zu differenzieren, hat in den bisher publizierten Studien noch keine
Vorteile in Bezug auf Detektions- und Falsch-positiv-Raten oder das Spektrum der zu
untersuchenden genetischen Anomalien nachweisen können.
Der Anteil der Testversager auch nach wiederholter Untersuchung wird in Studien mit
0,5 – 6,4 % angegeben [59]
[60]
[61] ([Tab. 3]). Ursächlich ist oft ein geringer Anteil plazentarer DNA (sog. „fetal fraction“),
der mit dem Schwangerschaftsalter und den biochemischen Parametern PAPP-A und PlGF
positiv, mit dem maternalen Körpergewicht und Alter sowie reproduktionsmedizinischen
Maßnahmen negativ korreliert ist [62]
[63]
[64]. Eine Behandlung der Schwangeren mit Heparinen hat ebenfalls häufiger einen reduzierten
Anteil plazentarer DNA zur Folge [65]. In der Gruppe der Testversager ist eine deutlich erhöhte Rate von Feten mit einer
Trisomie 13, Trisomie 18 oder einer Triploidie, nicht jedoch einer Trisomie 21 zu
beobachten [47]
[62], sodass eine frühe Feindiagnostik und gegebenenfalls eine diagnostische Punktion
in diesen Fällen indiziert sind. In den meisten Studien werden die Testversager nicht
einbezogen. Bei Berücksichtigung der Versagerquote aus der ersten Blutprobe liegen
die modellierten Detektionsraten für Trisomie 21 im Bereich von 93 – 97 % [66]. Testversager aufgrund einer fetal fraction unter 4 % haben auch bei einer erfolgreichen
zweiten Analyse eine schlechte Testperformance. Die Angaben der fetal fraction jeder
Analyse und der Gesamthäufigkeit von Analysen ohne Ergebnis sind als Qualitätskriterium
von jedem Labor zu fordern. Schwangere mit ausgeprägter Adipositas müssen über eine
Testversagerquote von bis zu 10 %, auch im 2. Trimenon, aufgeklärt werden [64]. Eine Verbesserung der diagnostischen Sicherheit ist durch eine größere Sequenzier-Tiefe
und durch neue Sequenzier-Techniken wie das „paired-end sequencing“ zu erwarten [67].
cfDNA-Screening bei Mehrlingen
Bei Zwillingsschwangerschaften ist cfDNA-Screening komplexer als bei Einlingsschwangerschaften,
da die beiden Feten entweder monozygot und damit genetisch identisch sein könnten,
oder dizygot, wobei dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Aneuploidie
nur einer der Feten betroffen wäre.
Die fetale Fraktion ist bei monozygoten Zwillingen aufgrund der identischen genetischen
Eigenschaften beider Feten meist ausreichend (median 10,1 %) und vergleichbar mit
Einlingsschwangerschaften, während bei Dizygoten die fetale Fraktion niedriger ist
(Median 7,7 %) [68]. In einer aktuellen Metaanalyse [53] wurden 5 Arbeiten über Zwillingsschwangerschaften untersucht [68]
[69]
[70]
[71]
[72] (Übersicht in [Tab. 5]). Bei 24 Schwangerschaften mit Trisomie 21 und 1100 Schwangerschaften mit euploiden
Feten wurden eine DR von 100 % (95 % CI 95,2 – 100 %) und eine FPR von 0 % (95 % CI
0 – 0,003 %) beschrieben. Darüber hinaus waren 14 Fälle mit Trisomie 18 im Kollektiv,
wovon 13 korrekt erkannt wurden und 1 Fall einer Trisomie 13, welcher fälschlicherweise
als euploid getestet wurde. Bei 4,87 % der Frauen in dieser Studie konnte nach der
ersten Blutabnahme kein Ergebnis gewonnen werden. Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine
weitere prospektive Studie, in der bei 5,6 % der Zwillingsschwangeren nach der ersten
und bei 50 % nach der zweiten Blutabnahme kein Ergebnis erreicht werden konnte, während
dies im hiermit verglichenen Einlingskollektiv 1,7 % und 32,1 % ausmachte [73]. Darüber hinaus konnte diese Studie zeigen, dass sich bei Zwillingsschwangerschaften
die Testversagerrate mit zunehmendem body-mass-index (BMI) erhöht und nach in-vitro-Fertilisation
(IVF) höher ist als nach natürlicher Konzeption.
Tab. 5
Studiendaten über die Anwendung von cfDNA-Analysen auf Trisomie 21 bei Zwillingsschwangerschaften
(aus: Gil 2017 [53]).
|
Fälle mit Trisomie 21
|
Fälle ohne Trisomie 21
|
Autor
|
gesamt
|
als auffällig getestet
|
%
|
95 % CI
|
gesamt
|
als auffällig getestet
|
%
|
95 % CI
|
Lau (2013)
|
1
|
1
|
100
|
2,5 – 100
|
11
|
0
|
0
|
0,0 – 28,5
|
Huang (2014)
|
9
|
9
|
100
|
66,4 – 100
|
180
|
0
|
0
|
0,00 – 2,03
|
Benachi (2015)
|
2
|
2
|
100
|
15,8 – 100
|
5
|
0
|
0
|
0,00 – 52,18
|
Sarno (2016)
|
8
|
8
|
100
|
63,1 – 100
|
409
|
0
|
0
|
0,00 – 0,90
|
Tan (2016)
|
4
|
4
|
100
|
39,8 – 100
|
506
|
0
|
0
|
0,00 – 0,73
|
gepoolte Analyse
|
|
|
100
|
95,2 – 100
|
|
|
0
|
0 – 0,003
|
Bei Vorkommen eines „vanishing twin“ soll keine cfDNA-Testung durchgeführt werden,
da zu vermuten ist, dass in vielen Fällen eine Aneuploidie für das frühe Absterben
der Frucht verantwortlich ist und es in solchen Fällen auch nach mehreren Wochen zu
falsch auffälligen Befunden kommen könnte [74]. Bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften wird eine cfDNA derzeit nicht kommerziell
angeboten. Eine primäre diagnostische Punktion sollte auch bei Frauen mit Zwillingsschwangerschaften
nach IVF und hohem BMI erwogen werden, da hier die Versagerraten besonders hoch erscheinen
[73].
Das Screening auf Trisomie 21 mittels cfDNA aus mütterlichem Blut weist bei Zwillingsschwangerschaften
eine vergleichbar hohe Entdeckungsrate bei ebenso niedriger FPR-Rate wie bei Einlingsschwangerschaften
auf. Verlässliche Zahlen zur Performance des Screenings auf Trisomie 18 und 13 liegen
derzeit noch nicht vor.
Vorgehen nach Befunden des Ultraschall- und Ersttrimester-Screenings
Vorgehen nach Befunden des Ultraschall- und Ersttrimester-Screenings
Fetale Fehlbildungen
Werden sonografisch isolierte oder komplexe fetale Fehlbildungen nachgewiesen, ist
aufgrund der großen Varianz der zugrunde liegenden genetischen Befunde die Analyse
von cfDNA unzureichend und kontraindiziert. Nur bei etwa 60 % der betroffenen Feten
ist eine Trisomie 21, 18 oder 13 ursächlich [75]
[76]. Neben den zytogenetisch erfassbaren Aneuploidien werden in 7 bis 8 % der Fälle
mit unauffälligem Karyogramm ebenfalls mit cfDNA nicht erkennbare strukturelle chromosomale
Aberrationen gefunden [77]
[78]. Es sollte daher eine diagnostische Punktion (CVS oder Amniozentese) zur mikroskopischen
Karyotypisierung und gegebenenfalls chromosomalen Microarray-Analyse zur Erfassung
submikroskopischer chromosomaler Aberrationen (Mikrodeletionen und -duplikationen)
erfolgen [77]
[79]. International wird bei Fehlbildungen aus Zeit- und Kostengründen – unter Verzicht
auf eine konventionelle zytogenetische Karyotypisierung – eine rasche Karyotypisierung
(z. B. MLPA oder QF-PCR bezüglich der häufigen autosomalen Trisomien 21, 18 und 13
und der gonosomalen Aneuploidien), gefolgt von einer chromosomalen Microarray-Analyse,
favorisiert [80]. In Deutschland ist dies bisher nicht Standard. Bei Kombinationsfehlbildungen können
im weiteren Schritt auch Next-Generation-Sequencing-Technologien (NGS) wie ein whole
exome sequencing (WES) oder whole genome sequencing (WGS) zum Einsatz kommen [81]
[82]. Diese Technologien sind derzeit noch auf Studien begrenzt [83].
Das oben beschriebene Vorgehen gilt auch dann, wenn eine zuvor erfolgte cfDNA-Testung
zu einem unauffälligen Ergebnis geführt hatte [84].
Hochrisikobereich des kombinierten Ersttrimester-Screenings
Im Hochrisikobereich, der oberhalb von Schwellenwerten von 1:10 bis 1:100 definiert
wird, beschränkt sich das Spektrum möglicher Erkrankungen nicht auf die durch die
cfDNA-Untersuchung erkennbaren Chromosomenstörungen [18]
[36]. Hier muss zur Diagnose der möglichen Erkrankungen eine diagnostische Punktion angeboten
werden. Im Durchschnitt aller Altersgruppen machen die Trisomien 13, 18 und 21 etwa
70 % aller durch zytogenetische Analysen erkennbaren chromosomalen Aberrationen aus
[85]
[86]. Bei auffälligem Ersttrimester-Screening wurden in bis zu 30 % der Fälle andere
chromosomale Aberrationen unterschiedlicher klinischer Relevanz gefunden. Alamillo
et al. [86] konnten bei über 23 000 Schwangerschaften zeigen, dass dies bei 29,9 % aller auffälligen
Karyogramme der Fall war, mit 42 % am häufigsten bei auffälligem Ersttrimester-Screening
für die Trisomien 13 und 18. Die „Danish Fetal Medicine Study Group“ und die „Danish
Clinical Genetics Study Group“ [87] konnten anhand eines zentralen landesweiten Registers auf der Basis von etwa 193 000
Schwangerschaften in Dänemark (89 % aller Schwangeren im Berichtszeitraum) nachweisen,
dass 23,4 % aller relevanten pathologischen Karyogramme keine Trisomien 13, 18, 21
waren. Die Häufigkeit pathologischer Befunde steigt mit der Dicke der Nackentransparenz:
Zwischen 95. und 99. Perzentile der NT-Dicke 10,4 %, bei NT > 99. Perzentile 34,8 %.
Eine Studie an 11 315 Schwangerschaften erbrachte bei einer NT zwischen der 95. Perzentile
und 3,4 mm 7,1 % Chromosomenanomalien (davon 17 % nicht Trisomie 21, 18 oder 13).
Über 3,5 mm bis 11,5 mm nahm der Anteil pathologischer Karyogramme von 20 auf 70 %
zu [88]. In 1063 Fällen mit erhöhter NT zwischen der 95. Perzentile und 3,4 mm [89] lagen in 10 % der Fälle (68 von 611 Feten) pathologische Karyogramme vor, oberhalb
von 3,4 mm 42 % ([Tab. 6]).
Tab. 6
Häufigkeit chromosomaler Anomalien in Abhängigkeit von ETS-Befund und NT-Breite. (Publikationen
ohne Einschluss chromosomaler Microarrays).
Autor
|
Kriterium
|
n
|
Karyotyppathologisch (%)
|
Anteil aller pathol. Karyotypen (%)
|
davon Trisomien und SCA (%)
|
andere Anomalien (%)
|
Anteil aller anderen Anomalien
|
Kagan 2006
[88]
|
NT > 95. Perz.
|
11 315
|
2168 (19,2)
|
100
|
2014 (92,9)
|
154 (7,1)
|
100
|
NT ≥ 3,5 mm
|
4206
|
1661 (39,4)
|
76,6
|
1557 (93,7)
|
104 (6,3)
|
67,5
|
Äyräs 2013
[89]
|
NT > 95. Perz.
|
1063
|
224 (21,5)
|
100
|
206 (91,9)
|
18 (8,0)
|
100
|
NT ≥ 3,5 mm
|
384
|
159 (41,4)
|
71,0
|
145 (91,2)
|
14 (8,8)
|
77,8
|
Petersen 2014
[87]
|
NT < 95. Perz.
|
209 257
|
682 (0,33)
|
53,4
|
429 (62,9)
|
253 (37,1)
|
84,9
|
NT ≥ 95. Perz.
|
5966
|
596 (10,0)
|
46,6
|
551 (92,4)
|
45 (7,6)
|
15,0
|
NT ≥ 99. Perz.
|
1362
|
422 (31,0)
|
33,0
|
391 (92,6)
|
31 (7,3)
|
10,4
|
Komb. ETS-Risik ≤ 1:300
|
185 620
|
352 (0,19)
|
31,4
|
174 (49,4)
|
178 (50,6)
|
67,9
|
> 1:300
|
8018
|
770 (9,6)
|
68,6
|
686 (89,1)
|
84 (10,9)
|
32,1
|
> 1:100
|
4002
|
667 (16,7)
|
59,4
|
603 (90,4)
|
64 (9,6)
|
24,4
|
> 1:10
|
734
|
378 (51,5)
|
33,7
|
365 (96,5)
|
13 (3,5)
|
5,0
|
NT: Nackentransparenz, ETS: Ersttrimester-Screening, SCA: Anomalien der Geschlechtschromosomen.
Besonderheiten der Studien: Kagan: Kollektiv nur NT > 95. Perzentile; nur Karyogramme,
keine Array-CGH; keine Angabe über Anzahl der Feten mit Fehlbildungen; Äyräs: Kollektiv
nur NT > 95. Perzentile; nur Karyogramme, keine Array-CGH; 74 mit Fehlbildungen; Petersen:
keine Angabe über Anzahl der Feten mit Fehlbildungen; keine Aufgliederung nach Karyogramm
und Array-CGH.
Jede Erhöhung des Schwellenwertes zwischen Hochrisiko- und Intermediärbereich zieht
eine Senkung der Detektionsrate nach sich.
Insbesondere bei Triploidie und unüblichen Trisomien liegen die NT-Werte näher an
der Normalverteilung, während sie bei unbalancierten Translokationen mäßiggradig erhöht
sind [90]. In einer Studie wird die Prävalenz submikroskopischer Chromosomenanomalien in der
Gruppe der Feten mit verbreiterter Nackentransparenz ≥ 3,5 mm nicht höher als bei
den Feten ohne sonografisch nachweisbare Anomalien beschrieben [91].
Die Prävalenz submikroskopischer, nur mittels Array-CGH erkennbarer chromosomaler
Strukturaberrationen (pathologische CNVs) in Kollektiven mit auffälliger NT ist Gegenstand
verschiedener weiterer Studien, in denen unterschiedliche Schwellenwerte für die NT
verwendet wurden: Lund et al. fanden bei 132 Feten mit NT-Werten > 3,5 mm in 12,8 %
pathologische CNVs [92]. Maya et al. [93] verwendeten Absolutwerte der NT und fanden bei NT-Werten < 3,0 mm in 0,9 % pathologische
CNV bei unauffälliger Zytogenetik, zwischen 3,0 und 3,4 mm 1,8 % und > 3,4 mm 3,6 %
([Tab. 7]).
Tab. 7
Häufigkeit chromosomaler Anomalien in Abhängigkeit von ETS-Befund und NT-Breite (Publikationen
mit partiellem Einschluss chromosomaler Microarrays).
Autor
|
Kriterium
|
n
|
Karyotyp und CMA pathol. (%)
|
Anteil aller pathol. Karyotypen und CMA (%)
|
davon Trisomien 13, 18, 21 und SCA (%)
|
andere Aneuploidie
|
auffällige CMA (%)
|
Anteil aller pathol. CMA
(%)
|
Maya 2017
[93]
|
NT ≤ 2,9 mm
|
462
|
8 (1,7)
|
21,1
|
2 (25)
|
2 (25)
|
4 (50)
|
40
|
NT ≥ 3 mm
|
308
|
30 (9,7)
|
78,9
|
20 (66,6)
|
4 (13,3)
|
6 (20)
|
60
|
NT ≥ 3,5 mm
|
138
|
19 (13,8)
|
50,0
|
13 (68,4)
|
3 (15,8)
|
3 (15,7)
|
30
|
Vogel 2017
[80]
|
Komb. ETS-Risiko > 1:300
|
575
|
51 (8,9)
|
100
|
28 (54,9)
|
8 (28,6)
|
13 (25,4)
|
100[1]
|
Komb. ETS-Risiko > 1:100
|
274
|
35 (12,8)
|
68,0
|
23 (65,7)
|
5 (14,3)
|
5 (14,2)
|
38,4
|
Komb. ETS-Risiko > 1:50
|
139
|
23 (16,5)
|
45,1
|
20 (86,9)
|
2 (8,7)
|
0 (0)
|
0
|
CMA: chromosomal microarray, SCA: Anomalien der Geschlechtschromosomen. Besonderheiten
der Studien: Maya: isolierte NT, keine Fehlbildungen, nur pathologische CNVs; Vogel:
isolierte NT ≥ 3,5 mm, keine Fehlbildungen, zusätzliche CMA-Befunde 6 „susceptibilty
mutations“, 2 „likely pathogenic“.
1 Keine Daten über das Kollektiv mit ETS-Risiko < 1:300.
Tørring et al. [94] zeigten, dass in der Gruppe der unüblichen Trisomien insbesondere PAPP-A auf 0,2 – 0,5 MoM
erniedrigt ist (Median 0,34MoM), während die NT-Werte nur geringfügig erhöht waren.
Bei Triploidien waren meist f-ßHCG und PAPP-A deutlich erniedrigt – 0,2 MoM bzw. 0,15 MoM
[95].
Die Danish-Fetal-Medicine-Study-Group zeigte, dass bei Indikationsstellung zur diagnostischen
Punktion bei Risiken für Trisomie 21 von ≥ 1:300 und ≥ 1:150 für Trisomien 13 und
18 etwa 5 % der Schwangeren die Punktion angeboten und eine Erkennungsrate von > 90 – 95 %
für chromosomale Aberrationen erreicht würde [95]. Eine weitere Studie in einem Kollektiv mit niedriger Prävalenz [39] zeigte, dass bei einem ETS-Risiko von > 1:10 in dieser Untergruppe (1,4 % der untersuchten
Schwangeren) 75,1 % der Chromosomenanomalien gefunden wurden. Insgesamt 5,3 % der
Schwangeren hatten einen Schwellenwert von > 1:100; in dieser Gruppe wurden 88,6 %
der durch konventionelle Zytogenetik erfassbaren Anomalien gefunden ([Tab. 8]).
Tab. 8
ETS-Risikogruppen und Prävalenz chromosomaler Pathologie (Daten nach Santorum 2017[39]).
ETS-Risiko 21,18,13
|
n
|
%
|
Patho
|
Häufigkeit von Chromosomenanomalien
(konventionelle Zytogenetik)
|
Anteil an Gesamtheit aller pathologischen Chromosomenbefunde
|
Tr 21,18,13
|
> 1:10
|
1486
|
1,4
|
653
|
43,9
|
75,1
|
526
|
> 1:50
|
3699
|
3,4
|
742
|
20,0
|
85,3
|
585
|
> 1:100
|
5760
|
5,3
|
771
|
13,4
|
88,6
|
610
|
Gesamt-n = 108 982; Chromosomenanomalien-n = 870 (0,8 %); „Zuwachs“ anerkannter Pathol.
von > 1:10 auf > 1:50 n = 89 (10,2 % der gesamten Pathologie), von > 1:10 auf > 1:100
n = 118 (13,6 % der gesamten Pathologie).
Den Zugang zu diagnostischen Punktionen und genetischer Diagnostik auf Hochrisikogruppen
mit NT-Werten ≥ 3,5 mm oder Risiken von ≥ 1:10 im ETS zu limitieren erscheint angesichts
der Abortrisiken von 0,2 % für die Chorionzottenbiopsie und 0,1 % für die Amniozentese
[96]
[97] unter der Zielsetzung maximaler Detektionsraten nicht gerechtfertigt. Die individuelle
Beratung der Schwangeren bei auffälligen Befunden im Ersttrimester-Screening ist von
zentraler Bedeutung.
Intermediärer und Niedrigrisikobereich des Ersttrimester-Screenings
Das etablierte Spektrum der erkennbaren Erkrankungen des cfDNA-Testverfahrens ist
derzeit noch auf die Trisomien 21, 18, 13 und gonosomale Aberrationen beschränkt.
Bei unauffälligen Feten und einem intermediären Risiko nach ETS, das zwischen den
Schwellenwerten für den Niedrigrisiko- und Hochrisikobereich liegt, kann aus heutiger
Sicht der Einsatz der NIPT-Analyse sinnvoll sein. In diesem Kollektiv wurden bisher
die zusätzlichen Ultraschallmarker wie das Nasenbein oder der Ductus venosus und der
Trikuspidalklappenfluss untersucht. Ein Kombinationsmodell aus dem Ersttrimester-Screening
mit einem breiteren Spektrum an erkennbaren Erkrankungen, gefolgt von der cfDNA-Analyse
für ein bestimmtes Kollektiv, kann die etablierten und die neuen Screening-Methoden
sinnvoll kombinieren [98].
Beschränkte man den Einsatz der NIPT-Analyse auf ein Kollektiv mit einem ETS-Risiko
zwischen 1:10 und 1:1000, so käme das sekundäre Testverfahren bei etwa 20 % zur Anwendung.
In dieser Risikogruppe findet man 28 % der Schwangerschaften mit Trisomie 21 [36]. Ein oberer Schwellenwert von 1:100 würde den intermediären Bereich auf 16 % verkleinern
und das Hochrisikokollektiv auf 5 % vergrößern. Die Rate falsch positiver Befunde
würde von 0,8 auf 4,6 %, die Raten erkannter Trisomien 21, 18 und 13 von 86 % auf
93 % und die der erkannten sonstigen Aneuploidien von 44 % auf 65 % steigen [39].
Diagnostische Punktionen
Bei auffälligen Ergebnissen der Untersuchung von cfDNA muss obligatorisch eine diagnostische
Punktion zur Verifizierung oder Falsifizierung des Screening-Befundes erfolgen [99]
[100]. Bei der Auswahl der Punktionsmethode muss berücksichtigt werden, dass cfDNA überwiegend
aus den Trophoblast-Zellen stammt und nicht fetalen Ursprungs ist. Ähnlich wie bei
der Chorionzottenbiopsie (CVS) können auffällige Befunde, insbesondere für Trisomie
18, auf Mosaiken beruhen, die zu etwa 20 % die Feten und zu 80 % die Zytotrophoblastzellen
repräsentieren [58]
[101]. In der Regel sollte zur genetischen Diagnostik ab 11 + 0 Wochen eine CVS erfolgen.
Bei einem in der differenzierten sonografischen Untersuchung unauffälligen Fetus ist
ab 15 + 0 Wochen eine Amniozentese die Methode der Wahl, weil hier die Untersuchung
rein an fetalen Zellen erfolgt und das Risiko eines Mosaiks minimiert ist. Vor der
Entscheidung zur pränatalen Diagnostik muss jede Schwangere die Möglichkeit der umfassenden
Information und Beratung über den Informationsgehalt der verschiedenen genetischen
Laboratoriums-Untersuchungen und die möglichen Risiken der Punktionsverfahren erhalten.
Die Indikationen, bei denen im Rahmen der Beratung eine diagnostische Punktion und
eine weitere Abklärung angeboten werden sollte, sind
-
fetale Fehlbildungen [76].
-
frühe Wachstumsrestriktion [23]
[102].
-
Nackentransparenz > 95. Perzentile.
Der Befund einer erhöhten Nackentransportbreite wird häufig im Rahmen eines orientierenden
Screenings zwischen 11. und 13. SSW erhoben und sollte Anlass zur Erweiterung des
Screenings um anatomische und biochemische Zusatzparameter bzw. der weiterführenden
Diagnostik durch Experten sein [23]
[80]
[87]
[88].
-
ein erhöhtes Risiko nach Ersttrimester-Screening.
In den vorliegenden Studien werden unterschiedliche Schwellenwerte (cut-offs) verwendet.
Mit jeder Erhöhung des Schwellenwerts sinken die Erkennungsraten sowohl für numerische
und strukturelle Chromosomenanomalien als auch für pathologische CNVs, die durch cfDNA
nicht erfasst werden. Die resultierenden Positivraten sind abhängig von der Qualität
und den eingesetzten Parametern des Ersttrimester-Screenings. Bei einem cut-off von
1:100 für alle Trisomien würden zwischen 2,1 % und 4,6 % [39]
[87]
[103] aller Schwangeren diagnostische Punktionen angeboten, bei einer Senkung des Schwellenwerts
auf 1:300 sind die angegebenen Positivraten 4,1 % [87] und 10,4 % [39]. Die Rate der erkannten „übrigen“ Anomalien außer Trisomien und Aneuploidien der
Gonosomen würde beim niedrigeren Schwellenwert von 24 % auf 32 % [87] wie auch die der pathologischen CNVs von 14 % auf 25 % [80] steigen. Syngelaki [103] weist darauf hin, dass die meisten retrospektiven Studien mehr als die Hälfte dieser
„übrigen“ Anomalien nicht erfassen, sodass deren Detektionsraten überschätzt sind.
-
auffällige biochemische Befunde.
PAPP-A < 0,2MoM bzw. fßHCG < 0,2 oder > 5MoM [80]
[87]
[94].
-
auffällige Befunde des cfDNA-Screenings [75]
[104].
-
Wunsch der Schwangeren.
Der Wunsch nach dem Ausschluss genetischer Anomalien beim Feten wird auch geäußert,
ohne dass ein Aneuploidie-Screening vorausgegangen ist. Unter forensischen Aspekten
ist zu beachten, dass die Vorsorge-Richtlinien nach wie vor das mütterliche Alter
ab 35 Jahren als Risikofaktor nennen.
Aus den gewonnenen Zellen kann folgende genetische Laboratoriumsdiagnostik erfolgen:
-
die klassische mikroskopische Karyotypisierung (G-Banden-Technik mit einer Auflösung
von 7 – 10 Mio. Basen),
-
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH),
-
quantitative Echtzeit-Polymerase-Kettenreaktion (qPCR),
-
die molekulargenetische Untersuchung der submikroskopischen Struktur der Chromosomen
mittels vergleichender genomischer Hybridisierung (Array-CGH mit einer deutlich höheren
Auflösung von 25 000 – 100 000 Basen) sowie
-
Einzelgenanalysen.
Bezogen auf alle Schwangerschaften ist die Inzidenz chromosomaler Aberrationen 0,44 %
[85]. Bei unauffälligem Ultraschallbefund beträgt die Häufigkeit auffälliger Karyogramme
aus Chorionzotten und Amnionzellen 2 %, davon sind 1,8 % klinisch relevant. 72,7 %
der pathologischen Karyogramme sind Trisomien 13, 18, 21 sowie Aberrationen der Geschlechtschromosomen.
In 27,3 % werden andere Aberrationen gefunden [105]. Die Mehrzahl der über 2100 strukturellen chromosomalen Anomalien (90 %) sind nur
durch chromosomale Micro-Arrays (Array-CGH) mit einer Auflösung bis 25 – 100Kb erkennbar
[106]. Die klinische Bedeutung pathologischer Strukturveränderungen kann bei weit über
99 % beschrieben werden [75]. Mikrodeletionen und (seltener) -duplikationen (pathologische „copy-number-variations“,
CNV) werden bei 2,5 % aller Schwangerschaften gefunden, bei sonografisch unauffälligen
Feten in etwa 1 %, etwas häufiger bei isoliert auffälliger Serumbiochemie [77]
[107].
Bei auffälligem Fetus (Fehlbildung und/oder IUGR) werden in 14 – 30 % der Fälle pathologische
Karyogramme gefunden [108]
[109]. Ähnlich hoch (22 – 38 %) ist die Häufigkeit bei NT-Werten > 95. Perzentile [89]
[91]
[110]. Bei normalem Karyogramm und sonografisch auffälligem Fetus muss eine Array-CGH
angeboten werden. In 6 bis 10 % der Fälle werden pathologische CNVs gefunden [77]
[78]
[111]. Bei Feten mit multiplen, insbesondere dysmorphologisch relevanten Symptomen muss,
gegebenenfalls anhand von einschlägigen Datenbanken, gezielt nach monogenen Krankheitsbildern
gesucht werden. Bei dorsonuchalem Ödem und Fehlbildungen sind über 100 genetische
Syndrome mit Einzelgen-Mutationen wie das Noonan-Syndrom bekannt [112]. Insgesamt sind mehr als 5000 Dysmorphiesyndrome beschrieben, von denen vor allem
besonders auffällige Entitäten wie Skelettdysplasien sonografisch gut erkennbar sind
[113]
[114]. Die molekulargenetische Diagnostik kann mit Sanger-Sequenzierung oder NGS-gestützten
Panels aus jedem fetalen Material vorgenommen werden.
Der Beratung der Schwangeren sollten hinsichtlich des punktionsbedingten Fehlgeburtsrisikos
aktuelle große Studien zugrunde gelegt werden, die gezeigt haben, dass die Abortrate
in Expertenzentren 1:1000 für die Amniozentese und 1:500 für die Chorionzottenbiopsie
beträgt [115]
[116]
[117] bzw. statistisch nicht von der natürlichen Abortrate in der jeweiligen Risikogruppe
zu unterscheiden ist [96]
[97]. Die Angabe einer Abortrate von 1 % aus einer 1986 publizierten prospektiv randomisierten
Studie [118] entspricht nicht mehr den aktuellen Erkenntnissen.
In Kenntnis der umfassenden Möglichkeiten genetischer Diagnostik, des sehr geringen
Risikos einer diagnostischen Punktion, der altersunabhängigen Prävalenz pathologischer
CNVs sowie der relevant eingeschränkten Aussagekraft des cfDNA-Screenings und der
Tatsache, dass nur etwa 80 % der chromosomalen Aberrationen mit auffälligen sonografischen
Befunden assoziiert sind, sollte – auch unter forensischen Aspekten – jede Schwangere
auf die Möglichkeit einer diagnostischen Punktion und einer Microarray-Analyse hingewiesen
werden [119]
[120].
Screening auf seltene Aneuploidien, gonosomale Aneuploidien, Mikrodeletionssyndrome
und monogene Erkrankungen
Screening auf seltene Aneuploidien, gonosomale Aneuploidien, Mikrodeletionssyndrome
und monogene Erkrankungen
Seltene Aneuploidien
Während für die Untersuchung von cfDNA aus mütterlichem Blut etliche Studien für die
Erkennung der häufigsten Trisomien vorliegen, gibt es für die Erkennung seltener Aneuploidien
sowie von Deletionen und Duplikationen nur wenige Daten.
Seltene Trisomien haben eine Prävalenz von 0,3 – 0,8 % [121]
[122]. Ursächlich kann es sich um eine uniparentale Disomie (UPD) handeln, bei der der
Fetus beide homologen Chromosomen von einem Elternteil geerbt hat (z. B. Trisomie
6, 7, 14, 15, 16), oder es kann ein plazentares Mosaik vorliegen. Letzteres kann für
eine Wachstumsrestriktion des Fetus verantwortlich sein. In 13 % der Fälle sind plazentare
Mosaike repräsentativ für ein tatsächliches fetales Mosaik [123]. Erkennungsraten für die Diagnostik seltener Aneuploidien durch cfDNA sind wegen
fehlender Daten zum Follow-Up nicht angegeben. Die Falsch-positiv-Raten liegen bei
0,7 % für das gesamte Kollektiv, der positive prädiktive Wert bei lediglich 8 % [122]. Aufgrund ihrer klinischen Bedeutung plädieren einige Autoren dafür, pathologische
Befunde seltener Trisomien mitzuteilen [124]. Das American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG) empfiehlt dagegen,
mit cfDNA nicht auf seltene Aneuploidien zu screenen [125].
Die Erkennung der Triploidie mittels cfDNA ist insbesondere durch die meist niedrige
plazentare DNA-Fraktion in maternalem Blut erheblich beeinträchtigt. In der Regel
werden deshalb Triploidien nicht erkannt [126]
[127]
[128], während sie im Ersttrimester-Screening in bis zu 90 % der Fälle sonografisch und
biochemisch auffällig sind [23]. Deshalb sind Triploidien ähnlich wie die Trisomie 18 und andere Aberrationen mit
3 % sehr häufig in der Gruppe der Untersuchungen ohne Ergebnis („no call results“)
aufgrund niedriger Konzentrationen der plazentaren DNA-Fraktion zu finden [129]. Nach cfDNA ohne Ergebnis wird zu einer differenzierten sonografischen Untersuchung
und gegebenenfalls einer diagnostischen Punktion geraten [127].
Aneuploidien der Geschlechtschromosomen, frühzeitige Bestimmung des fetalen Geschlechts
Die häufigsten Aneuploidien der Geschlechtschromosomen (sex chromosome aneuploidies,
SCA) sind die Monosomie 45, X (Ullrich-Turner-Syndrom), 47, XXX (Triple-X-Syndrom),
47, XXY (Klinefelter-Syndrom) und 47, XYY (Diplo-Y-Syndrom). Die Prävalenz für SCA
ist 0,8 – 1 %, wobei die Monosomie 45, X mit ca. 70 % den höchsten Anteil hat [122]
[130]. Die Richtigkeit der Untersuchung von cfDNA in der Ermittlung des normalen Geschlechts
liegt deutlich über 99 %. Die diagnostische Wertigkeit für SCA ist wesentlich geringer.
Für Monosomie 45, X wird in einer kombinierten Auswertung von 3 zwischen 2013 und
2015 publizierten Arbeiten eine Erkennungsrate von 89 % gefunden, für die anderen
3 SCA zwischen 82 und 90 % [131]. Eine Metaanalyse findet für Monosomie 45, X eine höhere Erkennungsrate (95,8 %)
sowie eine FPR von 0,14 %. Für die anderen SCA beträgt in dieser Publikation die Erkennungsrate
100 %, die FPR 0,004 % [53]. Eine nähere Analyse der zugrunde liegenden industriegesponserten Publikationen
ergibt allerdings bei einem Teil der Studien eine hohe Rate an „lost to follow-up“-Fällen
bis zu 70 % [130]. Die Angaben zur diagnostischen Validität sind daher nur sehr eingeschränkt gültig.
Insbesondere der positive prädiktive Wert (PPV) für SCA erscheint niedrig; für die
Monosomie 45, X liegt er bei etwa 30 % [131]. Eine neuere, ebenfalls industriegesponserte Studie berechnet einen PPV von 70 %
für die Monosomie 45, X [122]. Firmenunabhängige Studien zeigen, dass die PPV für SCA niedriger liegen: Zwischen
38 % und 50 % für Monosomie 45, X und 17 % – 50 % für 47, XXX, 47, XXY und 47, XYY
[128]
[132]
[133]. Diskordante Befunde können auf plazentaren Mosaiken, aber auch auf einem entsprechend
auffälligen maternalen Karyotyp beruhen. Grati et al. zeigten an 522 Fällen von SCA,
dass in 122 (23,4 %) ein auf die Plazenta beschränktes Mosaik (CPM) vorlag, in 43
(8,2 %) ein echtes fetales Mosaik (TFM). Dies betrifft vor allem die sonografisch
unauffälligen Feten mit Monosomie 45, X. Der positive prädiktive Wert einer auffälligen
cfDNA-Analyse ist in dieser Gruppe deshalb nur bei etwa 53 %, während bei sonografisch
auffälligem Befund wie Nackenödem oder Hygrom der PPV 98,8 % wäre [134]. Sowohl bei normalem Geschlechtsbefund nach cfDNA als auch bei pathologischem Befund
sollte eine sonografische Bestimmung des fetalen Genitals zum Ausschluss von Entwicklungsstörungen
in diesem Bereich erfolgen [135]. Aufgrund der ethischen Problematik bei der Mitteilung von SCA haben die europäische
und amerikanische Gesellschaft für Humangenetik empfohlen, derartige Befunde nach
cfDNA derzeit nicht mitzuteilen [136]. Das American College of Medical Genetics and Genomics empfiehlt eine ausführliche
Beratung über die Problematik vor cfDNA [125].
Das fetale Geschlecht darf entsprechend dem GenDG nicht vor 14+ 0 Wochen mitgeteilt werden. In Einzelfällen ist die Geschlechtsbestimmung aber bereits
vorab von Wichtigkeit. Insbesondere beim adrenogenitalen Syndrom (AGS) ist eine Geschlechtsbestimmung
bereits vor 7 Wochen von Bedeutung: Bei weiblichen Feten soll durch die Steroidgabe
eine Virilisierung verhindert werden, wobei Nebenwirkungen und Ausmaß der Wirksamkeit
kritisch diskutiert werden [137]. Dies kann durch die cfDNA-Analyse bereits zu diesem frühen Zeitpunkt gelingen.
Dabei fokussieren die Testsysteme auf die Detektion von SRY oder DYS14 [138]. Sollten diese nicht detektiert werden können, würde mit einer Therapie begonnen
werden. Ein weiterer Einsatz liegt in der Bestimmung des Geschlechts bei X-chromosomalen
Erkrankungen wie der Muskeldystrophie Duchenne. Auch bei unklarer sonografischer Geschlechtszuordnung
und den Differenzialdiagnosen Klitorishypertrophie versus Hypospadie könnte der Einsatz
der cfDNA-Analyse an Bedeutung gewinnen.
Mikrodeletionen/ -duplikationen
Bei Mikrodeletionen und -duplikationen (pathologische „copy number variations“, CNV)
handelt es sich um sehr kleine strukturelle Aberrationen, die in der konventionellen
mikroskopischen Chromosomendiagnostik nicht nachgewiesen werden können. Sie werden
bei 1 – 1,7 % der Schwangerschaften mit unauffälligen Feten diagnostiziert und sind
damit bei jüngeren Schwangeren deutlich häufiger zu finden als eine Trisomie 21 [139]. Eine sichere Diagnose pathologischer CNVs kann nur aus fetalen Proben mittels Array-CGH
erfolgen (siehe Abschnitt „Diagnostische Punktionen“). Die einzelnen der über 2100
bekannten Veränderungen sind jeweils extrem selten [106]. So beträgt die Prävalenz der häufigsten Mikrodeletion, der Mikrodeletion 22q11,2
(DiGeorge-Syndrom), 1:4000 bis 1:1000. Weitere Mikrodeletionen wie das Cri-du-Chat-Syndrom
(Mikrodeletion 5p15) haben Prävalenzen, die deutlich unter 1:10 000, zum Teil unter
1:100 000 liegen [140]. Im Gegensatz zu den Trisomien ist die Prävalenz der Mikrodeletionen unabhängig
vom maternalen Alter. Seit einigen Jahren versuchen die Anbieter von cfDNA mit unterschiedlichen
Techniken nicht nur auf die häufigsten Trisomien zu screenen, sondern auch auf pathologische
CNVs. Diese Veränderungen sind mittels cfDNA wegen ihrer Größe unter 5 – 7 Megabasen
(Mb) schwierig zu erkennen. Derzeit können nur CNVs > 3Mb, wahrscheinlich sogar nur
> 6Mb durch cfDNA detektiert werden [140]
[141]. Die Mehrzahl der Firmen beschränkt ihr Angebot auf die häufigsten größeren Mikrodeletionen
wie 22q11,2 (DiGeorge-Syndrom), 15q (Prader-Willi/Angelman-Syndrom) oder 5p15 (Cri-du-Chat-Syndrom).
Somit werden zurzeit bestenfalls 0,1 – 11 % der pathologischen CNVs durch cfDNA erfasst
[120]
[140]
[142]
[143].
Die Publikationen verschiedener Anbieter zum Screening auf Mikrodeletionen mit cfDNA
basieren zu einem großen Teil auf retrospektiven Auswertungen vorhandener Serumproben
postnatal detektierter Erkrankter und erlauben nur partiell eine Kalkulation der echten
diagnostischen Wertigkeit, da hohe „lost to follow-up“-Raten bis 70 % bestehen oder
gar keine Angaben über die zugrunde liegenden Kollektive gemacht werden [122]
[144]
[145]
[146]. Zuverlässige Erkennungsraten lassen sich daher aus den vorliegenden Daten nicht
berechnen. In einer retrospektiven „proof of concept“-Studie ergab sich für alle untersuchten
CNVs eine theoretische Erkennungsrate von 74 % [147]. Eine Zusammenstellung verfügbarer Daten zeigt bei einer Falsch-positiv-Rate für
das gesamte untersuchte Kollektiv von > 1 % und den geringen Prävalenzen der Anomalien
niedrige positive prädiktive Werte zwischen 4 und 5 % für die meisten pathologischen
CNVs [140]. Die Mehrzahl der auffälligen Befunde wäre danach falsch positiv.
Eine unabhängige Studie, die cfDNA-Tests verschiedener Anbieter untersucht, findet
für Mikrodeletionen einen positiven prädiktiven Wert von 0 % sowie eine hohe Zahl
von Testversagern („non-reportables“) von 65 % für diese Veränderungen [148].
Ein relevantes ethisches Problem ist die mögliche Entdeckung maternaler CNVs oder
maternaler Tumoren durch cfDNA-Screening auf pathologische CNVs [121]
[129]. Bei der direkten Diagnostik mittels Array-CGH aus Chorionzotten oder Fruchtwasser
entfällt dieses Problem, weil hier nur plazentare bzw. fetale DNA analysiert wird.
Die Leitlinien mehrerer Fachgesellschaften halten fest, dass ein cfDNA-Screening für
pathologische CNVs nicht empfohlen werden kann [125]
[136]
[149]
[150].
Bestimmung der fetalen Blutgruppe
Die fetale Blutgruppenbestimmung ist insbesondere bei positivem Antikörpersuchtest
und Rhesus D-negativen Schwangeren von Bedeutung. Sollte der Fetus Rhesus D-negativ
sein, kann eine immunologisch bedingte fetale Anämie nicht eintreten. Chitty et al.
zeigten, dass ab 12 Wochen die Detektionsrate für das Rhesus-Merkmal-D durch cfDNA
bei über 99,7 % liegt [151]. Auch die fetalen Blutgruppenantigene Kell, C, c, E und e lassen sich über die zellfreie
DNA bestimmen [152]. Aufgrund dieser Ergebnisse wird diskutiert, ob bei Rhesus-negativen Schwangeren
zunächst eine Bestimmung des fetalen Rhesus-D-Faktors erfolgen und die Anti-D-Gabe
auf die Schwangeren mit Rhesus D-positiven Feten beschränkt werden soll.
Detektion von monogenen Erkrankungen
Das Spektrum der Untersuchung von cfDNA wurde schon 2007 auf monogene Erkrankungen
wie Achondroplasie und thanatophore Dysplasie erweitert. In Großbritannien ist die
Detektion dieser beiden Erkrankungen sowie des Apert-Syndroms und paternaler Mutationen
der zystischen Fibrose mittels cfDNA bereits vom NHS als Diagnostik zugelassen. Da
die Untersuchung von cfDNA schon ab 9 Wochen möglich ist, könnte ein Vorteil der sehr
frühe Ausschluss von Wiederholungsfällen sein [138]. Die Anzahl der potentiell erkennbaren Erkrankungen geht weit über die oben erwähnten
hinaus und umfasst vor allem weitere autosomal-dominante Erkrankungen wie tuberöse
Sklerose, aber auch einige autosomal-rezessive Entitäten wie die autosomal-rezessive
polyzystische Nierenerkrankung [153].
Möglichkeiten des ETS zum Screening auf maternofetale Erkrankungen
Möglichkeiten des ETS zum Screening auf maternofetale Erkrankungen
Die Nutzung zellfreier DNA plazentaren Ursprungs wurde auch für die Prädiktion plazentar
bedingter Erkrankungen untersucht [154]
[155]. In Studien, die mit 11+ 0 – 13+ 6 Wochen durchgeführt wurden, konnte allerdings keine relevante Dosisänderung plazentarer
cfDNA bei Schwangerschaften gefunden werden, welche später plazentar bedingte Schwangerschaftskomplikationen
entwickelten [156]
[157]
[158]
[159]. Auch die Kombinationen mit biochemischen Markern [160] oder uterinen Dopplermessungen [161] erbrachten keine Verbesserungen der Prädiktionsraten.
Mit der Schlüsselpublikation und dem programmatischen Titel: „Turning the pyramid
of prenatal care“ [3] erweiterte Nicolaides das genetisch orientierte ETS zu einem frühen Screening auf
maternofetale Erkrankungen. Maternofetale Erkrankungen sind etwa um den Faktor 10
häufiger als fetale genetische Anomalien und grundsätzlich einer Prävention zugänglich.
Modelle zur frühen Risikoprädiktion wurden für die Schwangerschaftskomplikationen
Präeklampsie [162]
[163]
[164]
[165], fetale Wachstumsrestriktion [166], Fehlgeburt und Totgeburt [167], Gestationsdiabetes [168]
[169] und fetale Makrosomie sowie zur Frühgeburt entwickelt [170].
Die vorliegenden Modelle zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, bereits zwischen
11+ 0 und 13+ 6 Wochen auf die wesentlichen Probleme der Schwangerschaft zu screenen und auf der
Basis von individuellen Risikofaktoren Prädiktionsmodelle für multifaktorielle Erkrankungen
zu entwickeln [171]
[172]. Allerdings ist die Testperformance der frühen Prädiktion in der Schwangerschaft
bisher eher moderat und Validierungsstudien stehen meist aus [173]
[174].
Präeklampsie (PE)
Eine erfolgreiche Entwicklung zeigt exemplarisch die frühe Prädiktion der PE [175] mit guter Testperformance [162]
[164]
[176] und Bestätigung bei der externen Validierung an einer unselektierten Population
[177]. Der Durchbruch zur Prävention gelang jetzt mit dem Nachweis der Reduktion der PE-Inzidenz
mittels frühzeitiger Gabe von niedrig dosiertem Aspirin: In der ASPRE-Studie wurden
Schwangere zum Zeitpunkt 11+ 0 – 13+ 6 Wochen mit dem FMF-Algorithmus für PE gescreent. In der Hochrisikogruppe (Risiko
> 1:100) verringerte die Gabe von ASS (150 mg/Tag, ab 11 – 14 Wochen) die Inzidenz
der PE < 37 Wo. um 62 % (P = 0,004) und der PE < 34 Wo. um 82 % [178].
Neuere biophysikalische Verfahren ermöglichen eine Bestimmung der Pulswellengeschwindigkeit
und des sog. Augmentationsindexes zur differenzierten Beurteilung der maternalen Pulswelle.
Dabei steht auch hier die frühe Prädiktion des PE-Risikos im 1. Trimenon im Zentrum
des wissenschaftlichen Interesses [179]
[180].
Bei vorausgegangener Sectio ist das frühe Screening zwischen 11 und 14 Wochen auf
Hinweise für Narbendefekte [181]
[182] und v. a. auf Zeichen des erhöhten Risikos einer Placenta accreta [183] von großer Bedeutung für die frühzeitige Vorstellung im Perinatalzentrum. Aktuelle
Studien von Timor-Tritsch zeigen Vorteile der frühen Erkennung der Narbenimplantation
bereits zwischen 8 und 10 Wochen [184] und eröffnen die Option zur frühen minimal-invasiven Behandlung [185].
ETS ist nicht länger nur auf die Aneuploidie-Suche festgelegt. Die Erweiterung der
ET-Untersuchung zur maternofetalen Medizin wird an Bedeutung zunehmen, da die Effektivität
präventiver Maßnahmen von einem frühen Beginn und damit von einer frühen Risikoerkennung
wesentlich profitieren wird.
Ausblick
Screening-Tests an zellfreier DNA können nach eingehender Ultraschalluntersuchung
der Feten am Ende des ersten Trimenons und fachkundiger Beratung über das Spektrum
der diagnostischen Möglichkeiten für diejenigen Schwangeren hilfreich sein, die auf
den weitgehenden Ausschluss von Trisomien fokussieren.
Primäres cfDNA-Screening zu einem möglichst frühen Zeitpunkt impliziert die Gefahr,
dass nach einem unauffälligen Befund des cfDNA-Screenings eventuelle strukturelle
oder andere genetische Anomalien erst mit 20 Wochen oder gar nicht entdeckt werden.
Das aktualisierte Consensus-Statement der ISUOG äußert die Bedenken, dass ein primäres
cfDNA-Screening im Low-risk-Kollektiv einen negativen Einfluss sowohl auf die Qualität
der Beratung vor dem cfDNA-Test als auch die Ultraschalldiagnostik in den Folgewochen
haben könnte [186].
Die Akzeptanz der cfDNA-Screening-Tests wird zu einem nicht unerheblichen Teil von
Ängsten vor eingriffsbedingten Komplikationen diagnostischer Punktionen getragen [187].
Die Erweiterung des Screenings auf weitere Anomalien mit überwiegend niedrigen Prävalenzen
führt zu einer höheren Komplexität der Beratung.
Ein Kernproblem der aktuellen cfDNA-Tests ist die Dominanz der maternalen DNA-Fragmente.
Alle Zählmethoden können nicht zwischen maternaler und plazentarer DNA unterscheiden.
SNP-basierte Methoden basieren auf einem Vergleich maternaler, fetaler und paternaler
Nukleotidabfolgen, konnten diesen grundsätzlichen Vorteil jedoch bislang nicht verifizieren.
Methoden zur Isolierung einzelner fetaler Zellen [188]
[189] oder Untersuchung von MikroRNA [190]
[191] sind in kleinen Studienreihen ebenso wie die Isolierung von Trophoblastzellen aus
Zervixabstrichen [187]
[192] oder von embryonalen Zellen nach Coelocentese [193] dargestellt worden. Die schnelleren und günstigeren Sequenzierungstechniken könnten
neue diagnostische Möglichkeiten auch bei kleinen Zellzahlen oder Fragmenten eröffnen.
Der wissenschaftlich unabdingbare und überfällige Einzug der chromosomalen Microarrays
und die Möglichkeit des Whole-Exom-Sequencing (WES) [83] in die pränatale genetische Diagnostik und die neuen Erkenntnisse über die geringen
Komplikationsraten diagnostischer Punktionen sollten Anlass zu einer Neubewertung
der genetischen Analysen sein.