Allgemeine Aspekte des chronischen Pruritus
Klinische Einteilung
Chronischer Pruritus (CP) ist ein Symptom, dem viele verschiedene Ursachen zugrunde
liegen können. Ab einer Dauer von ≥ 6 Wochen spricht man von CP und hält dieses Symptom
für abklärungswürdig. Die Ursachensuche sowie die Einleitung einer individuellen Therapie
stellen den behandelnden Arzt vor diagnostische und therapeutische Herausforderungen.
Eine strukturierte Herangehensweise hat sich bei der Ursachensuche des CP bewährt.
Dazu wird das Symptom klinisch in 3 verschiedene Gruppen eingeordnet [1 ] ([Abb. 1 ]):
Abb. 1 Klinische Klassifikation [1 ]. CNI: chronische Niereninsuffizienz.
Die erste Gruppe „Pruritus auf entzündlicher Haut“ umfasst weitestgehend alle Dermatosen,
die mit CP einhergehen können. Die häufigste Erkrankung ist hier die atopische Dermatitis,
jedoch beklagen auch Patienten mit Urtikaria, Arzneimittelreaktionen, Mycosis fungoides
oder Psoriasis vulgaris häufig, stark unter dem Problem zu leiden.
Die zweite Kategorie „Pruritus auf unveränderter Haut“ umfasst alle Erkrankungen,
die zu Pruritus führen können, bei denen keine Hautveränderungen vorliegen. Pruritus
auf unveränderter Haut kann durch diverse internistische Erkrankungen wie chronische
Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, durch Medikamente, solide Tumoren, hämatoonkologische
oder lymphoproliferative Erkrankungen verursacht sein. Neurologische Ursachen wie
beim brachioradialen Pruritus oder die Kleinfaserneuropathie stellen eine weitere
Gruppe an Erkrankungen dar, die das Symptom auf unauffälliger Haut hervorrufen können.
Psychiatrische oder psychosomatische Erkrankungen, die mit Pruritus einhergehen, werden
ebenfalls in dieser Kategorie zusammengefasst.
Die dritte Kategorie „Pruritus bei chronischen Kratzläsionen“ umfasst alle Erkrankungen,
die sich unter dem Begriff der chronischen Prurigo oder des Lichen simplex chronicus
zusammenfassen lassen.
CP ist ein sehr belastendes Symptom. Es führt regelhaft bei den Patienten zu einer
massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität und kann letztendlich gar zur Entwicklung
von Angstzuständen oder einer Depression führen [2 ]. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, rechtzeitig mit der Diagnostik und
der Therapie zu beginnen, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern und so
einer Chronifizierung des Pruritus vorzubeugen.
Epidemiologie
Chronischer Pruritus ist ein häufiges Symptom in der Medizin, das in jeder Altersgruppe
auftreten kann. Die Lebenszeit Prävalenz in einer großen deutschen Studie lag bei
25,5 %. Hierbei handelte es sich um eine Querschnittstudie mit einer Kohorte von 1190
Teilnehmern über einen Zeitraum von 1 Jahr. Die Inzidenz innerhalb 1 Jahres lag bei
der Erkrankung hier bei etwa 7 %. Weiterhin war diese Inzidenz der Erkrankung stark
mit steigendem Lebensalter assoziiert [3 ]. Diese Erkenntnisse konnten in weiteren Studien verdeutlicht werden. Hier verdoppelte
sich fast die Punktprävalenz von 12,3 % bei Patienten im Alter von 16 – 30 Jahren
auf 20,3 % bei den 61- bis 70-Jährigen. Männer waren zu 53,2 % und Frauen zu 46,8 %
betroffen. 94 % der Patienten, die an dem Symptom litten, hatten bisher noch keinerlei
Therapie erhalten [4 ] und demnach keine diagnostische Abklärung des Symptoms. Diese Daten konnten veranschaulichen,
dass das Symptom CP sehr häufig und vor allem in der älteren Bevölkerung vorkommt
und noch nicht ausreichend über diagnostische sowie therapeutische Möglichkeiten und
Maßnahmen aufgeklärt wurde.
Die Inzidenz von Pruritus ist stark mit steigendem Lebensalter assoziiert.
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des CP gibt nach wie vor viele Rätsel auf. Dennoch gab es in
den letzten Jahren einige neue Erkenntnisse, die uns die möglichen Mechanismen besser
verständlich machen.
Pruritus ist eine Empfindung, die hauptsächlich von den unmyelinisierten C-Fasern
in der Epidermis ausgelöst und weitergeleitet wird. Dabei sorgt ein komplexes Wechselspiel
zwischen Nervenfasern, Keratinozyten, Mastzellen, inflammatorischen Zellen und ihrer
Zytokine für die Auslösung des Pruritus [5 ]. Die genauen pathophysiologischen Mechanismen scheinen sich bei den verschiedenen
Ursachen des Pruritus teilweise zu unterscheiden.
Das zuerst entdeckte Pruritogen stellt Histamin dar, welches an den H1 -Rezeptor auf den Nervenfasern bindet. Histamin wird von Mastzellen oder basophilen
Granulozyten freigesetzt. Er spielt als Mediator vor allem bei allergischen Reaktionen,
wie der Urtikaria eine primäre Rolle. In den letzten 15 Jahren wurden viele weitere
Pruritogene identifiziert, insbesondere bei den entzündlichen Dermatosen.
Ein weiteres wichtiges Pruritogen wird von den Nervenfasern selbst freigesetzt, wenn
diese stimuliert werden. Die Ausschüttung des Neuropeptids Substanz P aus den Nervenendigungen
der unmyelinisierten C-Fasern verstärkt die kutane Inflammation. Dies wiederum führt
zu einer erhöhten Empfindlichkeit der Neurone mit spontaner Aktivität, die die Empfindung
Pruritus auslösen kann [6 ].
Im Bereich der entzündlichen Dermatosen konnten gerade bei der atopischen Dermatitis
in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse zur Entstehung und Aufrechterhaltung
des Pruritus gewonnen werden.
Die überschießende Th2-Immunantwort sorgt unter anderem für die Freisetzung bestimmter
Zytokine, die Pruritus induzieren können. Als einige der Schlüsselzytokine für die
Pruritusentstehung bei der atopischen Dermatitis haben sich Interleukin (IL) IL-4,
IL-13 und IL-31 erwiesen.
Studien konnten zeigen, dass bei Kindern die IL-31-Serumspiegel signifikant mit der
Krankheits- und Entzündungsaktivität korrelierten. Es gab auch einen Zusammenhang
zwischen erhöhten IL-31- und zeitgleich erhöhten IL-4- und IL-13-Spiegeln [7 ]. Weitere Untersuchungen bewiesen in diesem Zusammenhang, dass hohe IL-31-Spiegel
sowohl signifikant mit der Krankheitsschwere als auch mit der Stärke des Pruritus
korrelieren [8 ].
IL-31 stellt interessanter Weise nicht nur bei der atopischen Dermatitis einen entscheidenden
Pruritusmediator dar. Es konnte in neuesten Studien gezeigt werden, dass das von den
eosinophilen Granulozyten ausgeschüttete IL-31 einen entscheidenden Pruritusmediator
beim bullösen Pemphigoid (BP) darstellt [9 ]. Damit liegt die Vermutung nahe, dass IL-31 eine entscheidende Rolle als Pruritogen
in diversen entzündlichen Hauterkrankungen spielen kann.
Bei Pruritus auf unveränderter Haut ist die Pathophysiologie weniger gut bekannt.
Neben einer Kleinfaserneuropathie, die als eine Schädigung der kleinsten Hautnerven
(C-Fasern) verstanden wird, kommen auch direkte Nervenkompressionen auf spinaler Ebene
wie beim brachioradialen Pruritus infrage. Eine Kleinfaserneuropathie kann durch metabolische
Faktoren wie Diabetes mellitus oder Vitamin-B12-Mangel verursacht sein, kann aber
auch Rahmen von Infektionskrankheiten wie z. B. HIV auftreten [10 ]. Wie genau die Nervenkompression zu dem Symptom Pruritus führen kann, ist momentan
noch unklar.
Über Pruritus in Verbindung mit chronischen Kratzläsionen gibt es die Erkenntnis,
dass chronisches Kratzen zu Veränderungen der Morphologie der Hautnerven führen kann.
Die neuronalen Veränderungen der Haut sind maßgeblich an dem Beginn sowie dem Bestehen
des Pruritus bei den Patienten beteiligt. So konnte bei Patienten mit chronischer
Prurigo (Typ nodularis) in den Prurigoknoten selbst sowie zwischen den Läsionen eine
starke Verminderung der intraepidermalen Nervenfaserdichte nachgewiesen werden. Diese
war jedoch nicht irreversibel, da sie sich nach Abheilung der dermalen Läsionen wieder
normalisierte [11 ].
Eine zusätzliche entzündliche Komponente konnte auch bei Patienten mit chronischer
Prurigo (CPG) gezeigt werden. In Hautproben bei Patienten mit CPG konnte ein bis zu
50-fach höherer Wert von IL-31 nachgewiesen werden als in den gesunden Probanden [12 ]. Diese vielfältigen möglichen Ursachen des Pruritus bei der CPG machen eine multimodale
Therapie zur Krankheitskontrolle essenziell.
Wichtige Mediatoren des Pruritus sind unter anderem IL-31 und Substanz P, sie stellen
mögliche therapeutische Ziele von modernen antipruritischen Therapien dar.
Im Folgenden möchten wir anhand der in [Abb. 1 ] gezeigten klinischen Einteilung auf wichtige anamnestische, diagnostische und therapeutische
Prinzipien eingehen.
Klinische Manifestation des chronischen Pruritus
Aufnahmebefund
Eine 84-jährige Patientin stellte sich in unserer Ambulanz mit seit 4 Monaten bestehendem
Pruritus vor. Dieser habe initial am Rücken begonnen und sei im Verlauf schnell generalisiert.
Sie habe „kleine rote Flecken“ auf der Haut bemerkt, bevor der Pruritus entstehe.
Abends werde der Pruritus stärker und das führe zu Schlafstörungen. Die Qualität wird
als ein Brennen, Stechen und Jucken beschrieben, die Stärke wird mit maximal 8/10
in der numerischen Ratingskala (NRS) beschrieben.
An Vorerkrankungen waren ein arterieller Hypertonus sowie eine Niereninsuffizienz
Grad 1 bekannt. Medikamentös wurde die Patientin mit Ramipril comp, Clopidrol, Amlodipin
sowie Bisoprolol behandelt. Bei Vorstellung zeigten sich am gesamten Integument kleine
papulöse, teils makulöse sowie erosive Hautveränderungen, vereinzelt exkorierte Läsionen,
die z. T. krustös belegt waren.
Pruritus auf entzündlicher Haut
Bei CP auf entzündlicher Haut hat neben einer ausführlichen Anamnese des Patienten
auch die körperliche Untersuchung einen wichtigen Stellenwert:
Anamnestisch gilt es abzuklären, ob vor oder mit dem Einsetzten des Pruritus bereits
Hautveränderungen sichtbar waren. Damit können sich erste Hinweise auf eine zugrunde
liegende Dermatose ergeben. Für einige Dermatosen ist Pruritus ein Diagnosekriterium
bzw. Leitsymptom, wie beispielsweise bei der atopischen Dermatitis. Bei anderen Hauterkrankungen
stellt Pruritus ein mögliches begleitendes Symptom dar. Wichtige Dermatosen und wie
sie in Zusammenhang mit Pruritus stehen, werden in [Tab. 1 ] zusammengefasst. Die Erhebung von Scores in der Anamnese (z. B. Erlanger Atopie-Score)
kann hilfreich sein und schnell Hinweise auf z. B. eine atopische Diathese des Patienten
geben und so zur weiteren Diagnoseeingrenzung beitragen.
Nach der Anamnese erfolgt die körperliche Untersuchung der Patienten. Bei älteren
Patienten und Pruritus verbunden mit Läsionen, wie Papeln und urtikariellen Hautveränderungen
oder juckenden aufgekratzten Läsionen, sollte immer auch an eine frühe Form oder einen
atypischen Verlauf des BP gedacht werden. Zum Teil gehen diese Formen erst Monate
später in den klassischen blasenbildenden Fall eines BP über [13 ].
Tab. 1
Auswahl häufiger Dermatosen, die mit chronischem Pruritus einhergehen können [14 ]
[15 ].
Diagnose
Häufigkeit von Pruritus
Kommentar
atopisches Ekzem
100 %
Leitsymptom, starker Pruritus, häufig am gesamten Integument besonders stark läsional,
aber auch auf nicht läsionaler Haut
chronische Urtikaria
100 %
Kardinalsymptom, starker Pruritus am gesamten Integument
kutanes T-Zell-Lymphom
66 % [16 ]
Sézary-Syndrom, Mycosis fungoides, Pruritusintensitäten variieren von sehr stark bis
moderat
Lichen planus
94,9 % [17 ]
in ca. 95 % der Patienten vorhanden
Psoriasis vulgaris
67 – 84 %
moderater Pruritus, der sich auf die läsionalen Stellen begrenzt
bullöses Pemphigoid
100 % [18 ]
starker Pruritus, kann prämonitorisch auftreten
Diagnostik
Bei unserer Patientin bestanden mit dem Auftreten des Pruritus kleine Maculae und
Papeln am gesamten Integument.
In der weiteren Diagnostik erfolgte ein Skabies-Ausschluss, da auch der Hautbereich
um den Bauchnabel und die Hände betroffen waren. Außerdem erfolgte eine indirekte
und direkte Immunfluoreszenz (IFF, DIF) sowie eine feingewebliche Untersuchung. Im
Labor fiel neben einer Eosinophilie von 23 % auch eine dezente Erhöhung des CRP von
0,8 (Norm < 0,5) auf, sonst ergaben sich keine weiteren Auffälligkeiten.
Die indirekte und direkte Immunfluoreszenz waren negativ. Der histologische Befund
war vereinbar mit einem Lichen simplex chronicus. Wir behandelten initial mit hochpotenten
Steroiden sowie einer Kombination aus Loratadin und Cetirizin, ferner erfolgte die
Einleitung einer Lichttherapie.
Pruritus auf unveränderter Haut
Die gründliche und häufig auch fachübergreifende Anamnese der Patienten ist bei Pruritus
auf unveränderter Haut entscheidend, um mögliche Ursachen ausfindig zu machen. Im
Folgenden möchten wir 2 wichtige und häufige Ursachen zu chronischem Pruritus auf
unveränderter Haut vorstellen.
Weiterer Verlauf
Nach 8 Monaten stellte sich die Patientin erneut in unserer Ambulanz vor. Nachdem
es in den ersten Monaten nur zu einer dezenten Besserung des Befunds kam, berichtete
die Patientin, dass sich nun manchmal auch kleine Bläschen auf der Haut entwickelt
hätten. Wir wiederholten die DIF und konnten lineare Ablagerungen von IgG sowie C3
entlang der Baselmembran erkennen. Dies war mit der Diagnose eines bullösen Pemphigoids
vereinbar.
Aktuell wird die Patientin, nach frustranen Therapieversuchen mit niedrigdosiertem
Prednisolon und Doxycyclin allein sowie Azathioprin als Steroid-sparende Therapie,
mit Urbason-Stößen 500 mg über 3 Tage im Monat sowie flankierend mit 5 mg Prednisolon
und Doxycyclin behandelt. Sowohl der Pruritus als auch der Hautbefund besserten sich
stark unter der o. g. Therapie.
Neuropathischer Pruritus
In der Anamnese sind Fragen nach der genauen Lokalisation bei Beginn des Pruritus
entscheidend. Wichtig ist die Klärung der Frage, dass sich der Beginn des Pruritus
auf initial unveränderter Haut manifestierte. Häufig beginnt neuropathischer Pruritus
an einer bestimmten Körperstelle, z. B.:
brachioradialer Pruritus (BRP) → streckseitig an den Armen,
Notalgia paraesthetica (NP) → ovales Areal am Rücken (wie bei unserer Patientin in
Fallbeispiel 2 ).
Diskussion
Bei unserer Patientin zeigten sich zwar erst nach 8 Monaten vesikulöse Hautläsionen,
aber bereits das initiale Hautbild ließ eine Assoziation mit der Diagnose eines bullösen
Pemphigoids herstellen. Gerade bei älteren Patienten sollte man diese Erkrankung differenzialdiagnostisch
berücksichtigen. Anfänglich negative Befunde der direkten Immunfluoreszenz, wie in
unserem Fall, sollten bei dringend bestehendem Verdacht wiederholt werden. Eine interessante
Arbeit konnte in diesem Zusammenhang zeigen, dass in 132 Fällen die diagnostische
Lücke zwischen dem Auftreten von ersten, prämonitorischen Symptomen wie urtikariellen
Papeln, Plaques oder Knoten und der Diagnosestellung eines bullösen Pemphigoids 22,6
Monate betrug. Bei allen Patienten, die in dieser Studie beobachtet wurden, traten
nur bei 9,8 % im weiteren Verlauf die klassischen Blasen auf [19 ].
Die typische Klinik, die die Patientin in unserem Fallbeispiel 2 beschrieb, ließen uns zu der Diagnose NP kommen. Die Patienten mit neuropathischem
Pruritus beklagen ein Brennen, Stechen oder Kribbeln, das charakteristischerweise
durch Kälte besser wird. Es können aber generalisierte Missempfindungen auftreten.
Dies wird häufig im Rahmen einer Kleinfaserneuropathie beobachtet.
Die NP ist eine Erkrankung, bei der es durch Kompression der dorsalen Wurzeläste der
Spinalnerven (meist auf Höhe Th2–Th6) zur Pruritusentstehung kommt. Der Pruritus tritt
lokalisiert am Rücken, häufig zwischen den Schulterblättern auf [20 ].
Die Befunde einer MRT-Untersuchung auf Nervenkompressionen in den betroffenen Bereichen
wurden vor kurzem an einem Kollektiv von 25 Patienten mit BRP sowie bei 21 Patienten
mit NP untersucht: Bei den Patienten mit BRP fand sich in 24 Fällen ein Korrelat der
Nervenkompression im MRT, bei der NP in 11 Fällen [21 ]. Aktuell wird diskutiert, dass im Bereich der Brustwirbelsäule die Befunde einer
Nervenkompression deutlich schwerer zu erkennen seien könnten als im Bereich der HWS.
Dies wäre eine mögliche Erklärung der deutlichen Differenz.
In zwei Fallberichten konnte eine deutliche Besserung der Missempfindungen durch eine
Physiotherapie mit Dehnung der Muskulatur des Schulterblatts sowie der Brustmuskulatur
erreicht werden [22 ]. Dieser therapeutische Erfolg könnte für Kompressionen der Nerven durch muskuläre
Verspannungen sprechen, zu denen man kein klinisches Korrelat in der Bildgebung findet.
Therapeutisch kommen bei neuropathischer Ursache des Pruritus Medikamente aus dem
Bereich der Gabapentinoide und Antidepressiva in Betracht. Häufig kombinieren wir
die systemische Therapie mit topischem Capsaicin. Bei einem lokalisierten Befund wie
der NP kann zunächst auch nur eine topische Therapie versucht werden. Bei dem Einsatz
von topischen Capsaicin gilt es zu beachten, dass die Pruritussymptomatik anfangs
verstärkt werden kann und eine Besserung erst nach 3 – 4 Tagen eintritt. In der Regel
beginnen wir mit 0,025 %iger Creme 3 × täglich für 3 – 4 Wochen, im weiteren Verlauf
kann die Konzentration dann weiter gesteigert werden. Eine Behandlungsempfehlung des
neuropathischen Pruritus zeigt [Tab. 2 ].
Tab. 2
Therapieempfehlung bei neuropathischem Pruritus [14 ].
Therapie
1. Wahl: topische Therapie
topisches Capsaicin:
1. in aufsteigender Dosierung von 0,025 – 0,1 %
Beispiel 0,05 %ige Creme (Rezepturempfehlung [23 ]):
2. Anwendung eines 8 %igen Capsaicinpflasters über 30 bzw. 60 min
1. Wahl : systemische Therapie
Gabapentin (max. 3600 mg/Tag, Anpassung der Dosierung an Nierenfunktion und Alter
des Patienten)
Beispiel Eindosieren von Gabapentin (bei Patienten < 65 Jahre alt und mit normaler
Nierenfunktion):
Pregabalin (max. 600 mg/Tag)
2. Wahl: Monotherapie oder additiv zu Gabapentinoide
Paroxetin bis zu 40 mg/Tag Amitriptylin bis zu 75 mg/Tag Mirtazapin bis zu 45 g/Tag
bei jeder Stufe
bei Kratzläsionen kurzzeitig topisches Steroid
Notalgia paraesthetica und brachioradioaler Pruritus entstehen initial auf unveränderter
Haut, eine Nervenkompression wird ursächlich vermutet.
Nephrogener Pruritus
Nephrogener Pruritus ist eine Form des CP, die bei chronischer oder dialysepflichtiger
Niereninsuffizienz auftritt. Oft steht er bei den Patienten mit dem Einsatz oder dem
Beginn einer Dialyse in Zusammenhang. Der Pruritus entsteht auf initial unveränderter
Haut. Eine große Studie mit 860 hämodialysierten Patienten konnte diese These stützen
und zeigen, dass 57,1 % aller Patienten das Gefühl hatten, der Pruritus stünde unmittelbar
mit der Dialyse selbst in Verbindung. 40,4 % der Patienten berichteten, dass der Pruritus
direkt nach der Dialyse am stärksten sei, und 33,9 % hatten das Gefühl, während der
Dialyse sei der Pruritus am stärksten [24 ].
Pruritus tritt interessanter Weise nicht bei akutem Nierenversagen auf, weshalb man
sich von der Überlegung, dass die Urämie allein Auslöser des Pruritus sei, gelöst
hat. Aktuell vermutet man ein multifaktorielles Geschehen, bei dem neben der Regulation
von Kalzium, Phosphat und Parathormon eine systemische Inflammation, eine Xerosis
cutis sowie die Akkumulation von urämischen Toxinen eine entscheidende Rolle spielen
[25 ].
Diagnostisch können Laboruntersuchungen entscheidende Hinweise zur nephrogenen Genese
liefern. Es empfiehlt sich, eine Kontrolle der Kreatininwerte, der errechneten glomerulären
Filtrationsrate (eGFR), von Kalzium, Harnstoff, Phosphat, Kalium, Hb-Wert, MCH, MCV.
Eine normozytäre, normochrome Anämie, bedingt durch Erythropoetin-Mangel, kann zusätzlich
einen Hinweis auf eine chronische Niereninsuffizienz geben. Entscheidend für die Diagnosestellung
ist jedoch der anamnestische Zusammenhang zwischen Beginn des Pruritus und der Verschlechterung
der Nierenfunktion bzw. dem Einsatz einer Dialyse.
Therapeutisch kommen Medikamente wie Gabapentin und Pregabalin zum Einsatz. Dosisanpassungen
sind bei eingeschränkter Nierenfunktion entscheidend. Empfohlen wird, die Medikation
grundsätzlich in Rücksprache mit den behandelnden Nephrologen einzuleiten. Gabapentin
stellt das Mittel der ersten Wahl dar. Hier wird bei dialysepflichtigen Patienten
mit 100 mg direkt nach der Dialyse gestartet. Gabapentin wird nicht an dialysefreien
Tagen gegeben. Im Verlauf kann die Dosierung bis auf 300 mg an den Dialysetagen angepasst
werden [14 ]. Die UV-Therapie ist eine weitere Möglichkeit, die allein oder in Kombination mit
den Gabapentinoiden angewendet werden kann. Gerade bei älteren Patienten stellt der
Einsatz einer UV-Therapie bei nephrogenem Pruritus eine Alternative zur medikamentösen
Therapie dar [14 ]. In Studien konnte bereits gezeigt werden, dass die UV-Therapie eine effektive und
kosteneffiziente Therapieoption darstellt [26 ].
Nephrogener Pruritus steht häufig in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Dialyse.
Gabapentinoide, UV-B-Therapie und topisches Capsaicin sind mögliche Therapien zur
Prurituslinderung.
Vorstellung einer 77-jährigen Patientin mit seit 15 Jahren bestehendem Pruritus im
unteren Bereich des linken Schulterblatts. Die Region, die vom Pruritus betroffen
sei, sei anfangs etwa so groß wie ein Hühnerei gewesen, die Fläche habe mit der Zeit
zugenommen. Hautveränderungen hätten mit Beginn des Pruritus an dieser Stelle nie
bestanden. Die Patientin hätte sich viele Jahre darüber gewundert, dass starker Pruritus
besteht, aber einfach nichts an der betroffenen Stelle zu erkennen sei. Dies habe
starke Frustration und Verzweiflung bei der Patientin hervorgerufen. Mittlerweile
sei ein Areal betroffen, das etwa 15 × 15 cm groß sei. In den letzten 3 – 4 Jahren
sei die Haut im betroffenen Areal lichenifiziert ([Abb. 2 ]). Der Pruritus wird in einer Stärke auf der NRS von 8/10 beschrieben. Die Missempfindungen
werden als juckend und brennend beschrieben. In der dermatologischen Anamnese besteht
nebenbefundlich eine Ichtyosis vulgaris sowie eine Vitiligo. Ferner sind degenerative
Veränderungen im Bereich der Lenden- und Brustwirbelsäule bekannt. Weitere Vorerkrankungen:
arterielle Hypertonie, bekannter Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule.
Abb. 2 77-jährige Patientin mit deutlicher Lichenifikation unter dem Angulus inferior der
Skapula, nebenbefundlich an den Armen schuppige trockene Haut im Rahmen einer Ichtyosis
vulgaris.
Die körperliche Untersuchung zeigte eine deutliche Xerosis cutis im Rahmen der Ichtyosis,
betont an den Extremitäten, teils schuppig und ekzematös verändert. Etwa auf Höhe
Th5 – 6 im Bereich des Angulus inferior der Skapula zeigte sich ein erythematöses,
plaqueartig lichenifiziertes Areal von etwa 5 × 5 cm Größe ([Abb. 2 ]).
Pruritus bei chronischen Kratzläsionen
Die CPG ist eine Erkrankung, die durch das Vorhandensein von CP, verlängertem Kratzverhalten
und dem Auftreten von pruriginösen Läsionen gekennzeichnet ist. Von diesen Hautveränderungen
geht charakteristischerweise ein starker Pruritus aus, der häufig als stechend, brennend
oder gar schmerzend empfunden wird. Unter Experten ist man sich einig, dass eine Veränderung
der dermalen und epidermalen neuronalen Strukturen sowie die Entwicklung eines sogenannten
Itch-Scratch- Cycle eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und dem Bestehen der Erkrankung spielen
[27 ].
Eine neue klinische Einteilung der Erkrankung wurde vor kurzem veröffentlicht. Sie
teilt die Erkrankung formal nach dem klinischen Erscheinungsbild ein [27 ]. Dabei werden 5 Typen der chronischen Prurigo unterschieden:
Typ papulosa,
Typ nodularis,
Typ plaqueartig,
Typ genabelt,
Typ linear.
Die lineare Prurigo wurde erst kürzlich beschrieben und zeichnet sich durch lange
streifenförmige Plaques aus, die sich großflächig an der Haut der Patienten manifestieren
können [28 ].
Interessanterweise ist die Pruritussymptomatik bei allen Prurigo-Subtypen gleich stark
vorhanden, auch können bei den Patienten mehrere klinische Typen zeitgleich vorliegen.
Die dominanten Läsionen entscheiden darüber, welchem Typ die Erkrankung letztlich
zugeordnet wird. Die Ursache des chronischen Pruritus lässt sich am Typ der Prurigo,
die sich im Verlauf der Zeit entwickelt hat, nicht mehr erkennen.
Wichtig, um die weitere Diagnostik und die therapeutischen Maßnahmen bei der Erkrankung
besser zu verstehen, ist es, die CPG vor dem folgenden Hintergrund zu sehen: Jede
Dermatose oder Erkrankung, die CP verursacht, kann sich über die Zeit zu einer chronischen
Prurigo entwickeln (s. [Abb. 1 ]).
Die chronische Prurigo wird, sobald sie sich manifestiert hat, als ein eigenes Krankheitsbild
verstanden und nicht als simple Folge diverser Erkrankungen, die mit CP verbunden
sind. Dazu gilt es, einen multimodalen Therapieansatz zu finden. Erfahrungsgemäß ist
dies am besten durch eine Kombination aus einer topischen, systemischen und ggf. psychosomatischen
Therapie möglich.
Jede Dermatose oder internistische Grunderkrankung, die mit Pruritus assoziiert ist,
kann sich zu einer CPG entwickeln. Die CPG stellt dann ein eigenständiges Krankheitsbild
dar, das einer multimodalen Therapie bedarf.
In unserer Ambulanz stellte sich eine 55-jährige Patientin mit seit 10 Jahren bestehendem
Pruritus am gesamten Integument vor. Hautveränderungen hätten mit Beginn des Pruritus
nicht bestanden. Als Kind habe die Patientin eine atopische Dermatitis gehabt. Diese
sei aber mit Beginn der Pubertät vollständig abgeklungen. In den letzten 2 Jahren
seien Papeln und teils Nodi an der Haut entstanden, die extrem starken Pruritus auslösen
würden (NRS 10/10). Die Qualität des Pruritus wird neben juckend auch als brennend,
stechend und kribbelnd beschrieben. In der dermatologischen Anamnese bestand eine
atopische Diathese. Im Erlanger Atopie-Score erreichte der Patient 12,5 Punkte. Weitere
Vorerkrankungen: arterielle Hypertonie, chronische Niereninsuffizienz (Grad II).
Die körperliche Untersuchung zeigte eine Xerosis cutis betont an den Unterschenkeln.
Am gesamten Integument mit Betonung an den Unterarmen sowie Unterschenkeln und dem
Gesäß bestanden erythematöse Papeln, teils hyperkeratotische Nodi sowie Kratzexkoriationen
([Abb. 3 ]). Die Papeln waren vereinzelt krustös belegt. Der Großteil der Läsionen war papulös,
weshalb wir die Diagnose einer chronischen Prurigo (Typ papulosa) stellen konnten.
Abb. 3 55-jährige Patientin mit kleinen Papeln und teils exkorierten Nodi am Gesäß.
Bei den Dermatosen kann ein atopisches Ekzem, Lichen planus, bullöses Pemphigoid oder
ein Lymphom wie Mycosis fungoides Ursachen des die Prurigo auslösenden Pruritus sein
und später dann durch das klinische Erscheinungsbild der chronischen Prurigo verschleiert
werden.
Internistisch können eine fortschreitende Niereninsuffizienz, ein schlecht eingestellter
Diabetes mellitus oder neuropathische Pruritusformen wie der brachioradialer Pruritus
zu der Erkrankung geführt haben [29 ]. In unserem Fallbeispiel 3 fand sich eine atopische Diathese des Patienten, die eine mögliche Ursache des chronischen
Pruritus darstellt und damit nach Jahren zur Manifestation der chronischen Prurigo
geführt hat. Wichtige diagnostische Untersuchungen werden in [Tab. 3 ] zusammengefasst.
Tab. 3
Mögliche Ursachen der chronischen Prurigo und deren Diagnostik.
Assoziierte Erkrankungen
Diagnostische Maßnahmen
internistische Erkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus, Nieren-, Lebererkrankungen
Labor: kl. Blutbild, HbA1c, Na, K, Kreatinin, GOT, GPT, Gamma-GT, alkalische Phosphatase,
gesamt IgE, Hepatitis-B- und -C-Serologie, TSH
dermatologische Grunderkrankungen
Hautbiopsie:
histologische Unterscheidung chronische Prurigo oder Dermatose (Lichen planus, bullöses
Pemphigoid, Mycosis fungoides)
direkte und indirekte Immunfluoreszenz (bullöses Pemphigoid, Morbus Duhring)
Mykologie (Skabies-Abstrich, Follikulitiden)
neuropathische Erkrankungen
MRT Halswirbelsäule: brachioradialer Pruritus Hautbiopsie: Bestimmung der intraepidermalen Nervenfaserdichte:
Therapeutisch liegt der CPG ein Stufenschema zugrunde. EHochdosierte Antihistaminika
wie beim CP üblich sind bei der CPG häufig nicht ausreichend wirksam.
Begonnen wird mit einer topischen Therapie. Hier empfiehlt es sich, auf Externa mit
Steroid, Capsaicin oder Calcineurininhibitoren zurückzugreifen. Auch eine UV-Therapie
kann ergänzend hinzugezogen werden [14 ]. Die topische Therapie sollte unserer Erfahrung nach mit einer systemischen Therapie
kombiniert werden.
In unserer Ambulanz verwenden wir dazu Gabapentin oder Pregabalin. Diese beiden Systemtherapeutika
haben aktuell keine Zulassung zur Behandlung der chronischen Prurigo und werden als
„Off-Label“-Therapie eingesetzt. Beide Medikamente werden unter Berücksichtigung des
Alters und der Nierenfunktion des Patienten eindosiert. Die Dosierungen können im
weiteren Verlauf je nach Verträglichkeit und Symptomatik gesteigert werden [14 ]. Für beide Medikamente konnte in nicht kontrollierten Studien bzw. Anwendungsbeobachtungen
gezeigt werden, dass sich die CPG darunter deutlich verbessern lässt [30 ]
[31 ].
Antidepressiva wie Paroxetin oder Mirtazapin können ergänzend hinzugezogen werden
[14 ]. Hier empfiehlt sich, vor Einleitung der Therapie ein EKG zwecks Ausschluss von
Herzrhythmusstörungen zu schreiben.
Dass eine entzündliche Komponente bei der chronischen Prurigo eine ursächliche Rolle
spielt, lässt sich unter anderem durch die sehr hohen IL-31-Spiegel erkennen, die
mittels PCR in Hautproben bei Patienten mit chronischer Prurigo gefunden werden konnten
[12 ]. Dies könnte unter anderem das gute Ansprechen einer immunmodulierenden Therapie
erklären. Eine immunsuppressive Therapie mit Ciclosporin kann bei Patienten mit chronischer
Prurigo erwogen werden. Ciclosporin konnte in einer Studie ein gutes Therapieansprechen
in 13 von 14 Fällen zeigen [32 ].
Neuere moderne Medikamente wie Nemolizumab (selektiver IL-31-Rezeptor-A-Antikörper)
konnten bereits ihr gutes Ansprechen auf CP bei der atopischen Dermatitis zeigen.
Aktuell laufen Studien, die ihre Wirkung bei der chronischen Prurigo zeigen sollen.
Substanz P stellt ein weiteres bekanntes Pruritogen dar, es bindet unter anderem an
den Neurokinin-1-Rezeptor. Neue Antagonisten wie Serlopitant werden derzeit in randomisierten
klinischen Studien überprüft.
Antihistaminika sind bei der chronischen Prurigo häufig nicht ausreichend wirksam,
es empfiehlt sich eine multimodale Therapie aus topischer und systemischer Therapie.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Thema CP nicht nur mit dermatologischen, sondern
auch mit verschiedenen internistischen und neurologischen Erkrankungen in engem Zusammenhang
steht. Dies macht nicht nur die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vielfältig.
Gerade als behandelnder Dermatologe ist es hierbei wichtig, über den dermatologischen
„Tellerrand“ hinaus zu blicken, fachübergreifend mitzudenken und gegebenenfalls eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit mit ärztlichen Kollegen anzustreben. Nur so kann
zukünftig eine optimale Patientenversorgung ermöglicht werden. Dies bleibt und wird
bei dem wichtigen Thema CP eine spannende Herausforderung.
Ab einem Zeitraum von über 6 Wochen spricht man von chronischem Pruritus und im Verlauf
der Erkrankung kann sich eine chronische Prurigo bei den Patienten manifestieren.
Der chronische Pruritus wird in drei Kategorien eingeteilt:
Pruritus auf entzündlicher Haut,
Pruritus auf unveränderter Haut und
Pruritus bei chronischen Kratzläsionen
Bei der Notalgia paraesthetica und dem brachioradialen Pruritus wird ursächlich eine
Nervenkompression vermutet.
Der nephrogene Pruritus steht häufig in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der
Dialyse.
Jede Dermatose oder Erkrankung, die CP verursacht, kann sich zu einer CPG entwickeln.