Schlüsselwörter
Therapieabbruch - IVF - ICSI - Deutsches IVF-Register
Einleitung
Der Ausgang eines reproduktionsmedizinischen Behandlungszyklus kann vieler Art sein:
-
Bereits während der hormonellen Stimulationsbehandlung kann es zum Therapieabbruch
kommen, weil die Patientin auf die Hormonbehandlung nicht adäquat reagiert.
-
Bei der Entnahme der Eizellen kann es vorkommen, dass entweder keine Eizelle gewonnen
werden kann oder dass alle gewonnenen Eizellen nicht den entsprechenden Reifegrad
(Metaphase II) für eine Weiterbehandlung aufweisen.
-
Nach der durchgeführten In-vitro-Fertilisation (IVF) oder intrazytoplasmatischen Spermieninjektion
(ICSI) kann es vorkommen, dass keine der behandelten Eizellen regelrecht befruchtet
(2-Pronukleus-Stadium) ist.
-
Während der In-vitro-Kultur kann es zum Entwicklungsarrest aller kultivierten Embryonen
kommen oder die Patientin entwickelt Anzeichen eines ovariellen Überstimulationssyndroms
(OHSS), sodass kein Embryotransfer stattfinden kann.
-
Nach dem Embryo(nen)transfer kommt es entweder zu einer Schwangerschaft oder nicht.
-
Nach Eintritt einer Schwangerschaft kommt es entweder zu einer Fehlgeburt oder zur
Geburt eines Kindes
Das Deutsche IVF-Register (D·I·R)® ist 1982, 9 Jahre nach Geburt des ersten nach In-vitro-Fertilisation geborenen Menschen
und 6 Jahre nach Geburt des ersten IVF-Kindes in Deutschland, von den damals bestehenden
reproduktionsmedizinischen Arbeitsgruppen, welche zu diesem Zeitpunkt alle noch universitäre
Einrichtungen waren, gegründet worden. Die Tatsache, dass diese Arbeitsgruppen in
einer Zeit, in der noch keinerlei rechtliche Regulatorien existierten, die Notwendigkeit
einer zentralen Datenerfassung und -auswertung eingesehen haben und aus freien Stücken
diese Arbeit unternommen haben, kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Seit dieser
Zeit ist das D·I·R nicht nur ein freiwilliges, ureigen intrinsisch motiviertes Instrument
der ärztlichen Qualitätssicherung und -verbesserung, sondern mit mehr als 1,9 Millionen
dokumentierten Behandlungszyklen (Stand Mitte 2018) auch die größte Datensammlung
der in Deutschland durchgeführten Behandlungen im Bereich der assistierten Reproduktion.
Allein in 2016 wurden in Deutschland 103 981 Behandlungszyklen im D·I·R dokumentiert.
Nahezu alle der 135 D·I·R-Mitgliedszentren, die damit wiederum nahezu alle Kinderwunschzentren
in Deutschland repräsentieren, tragen mit der Meldung ihrer Behandlungszyklen zur
Datensammlung bei [1].
Auch der Erfolg einer reproduktionsmedizinischen Behandlung kann unterschiedlich definiert
werden: ist es für die behandelnden Reproduktionsmedizinerinnen/-mediziner und -biologinnen/-biologen
oft schon ein Erfolg, wenn morphologisch ideale Embryonen für den Embryotransfer bereitstehen,
so ist es für die Kinderwunschpaare doch erst die Geburt eines Kindes.
Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, nach einer reproduktionsmedizinischen Behandlung
die Klinik mit einem Kind im Arm zu verlassen (Baby-take-home-Rate) lag in 2015 in
Deutschland bei 24% nach dem Transfer eines frischen Embryos und 17% nach dem Transfer
eines Embryos, der nach zwischenzeitlicher Kryokonservierung im Vorkernstadium oder
Teilungsstadium aufgetaut und transferiert wurde [1]. Diese Wahrscheinlichkeiten sind in den letzten Jahren sowohl national als auch
international erfreulicherweise angestiegen [1], [2]. In Großbritannien lag beispielsweise die Lebendgeburtenrate 1991 bei 14%, in 2000
bereits bei 22% [3]. Nach insgesamt 3 vollständig durchgeführten IVF- (und ICSI-)Zyklen zeigte sich
in einer Analyse des Human Fertilisation and Embryology Authority-Registers (HFEA)
eine kumulative Lebendgeburtenrate von 30,8% (für die Jahre 1992 – 1998) bis 42,3%
(für die Jahre 1999 – 2007) [4].
In den westlichen Industrienationen liegt die Prävalenz des unerfüllten Kinderwunsches
bei 17 – 26%, wobei nur etwa die Hälfte der betroffenen Paare eine reproduktionsmedizinische
Behandlung in Anspruch nimmt [5]. Die Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer Behandlung ist von vielen Faktoren
abhängig. Die Änderung des § 27a Sozialgesetzbuch V (SGB V) in 2004 im Rahmen des
Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetzes (GMG) hat beispielsweise zu einem Rückgang
der Behandlungszyklen um mehr als 50% geführt, da gesetzlich versicherte Paare nur
noch 50% der Behandlungskosten von den Krankenkassen bezahlt bekommen. Dadurch wurden
im darauffolgenden Jahr ca. 10 000 Kinder weniger nach reproduktionsmedizinischer
Behandlung in Deutschland geboren als vor dem GMG. Dennoch sind die Behandlungszahlen,
auch aufgrund des weiterhin bestehenden hohen Leidensdrucks der Paare, seitdem stetig
angestiegen.
Es scheint so zu sein, dass die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit – unabhängig vom
Alter der Frau – im 1. Behandlungszyklus mit IVF oder ICSI am höchsten ist [6]. Weitere Behandlungen erhöhen naturgemäß die Chance auf eine Schwangerschaft [6], [7]. Die kumulative Schwangerschaftswahrscheinlichkeit nach 4 Behandlungszyklen wird
zwischen 54 und 75% angegeben [3], [4], [8], [9]. Aus diesem Grund sollten Paare zur Ausschöpfung ihres reproduktiven Potenzials
darin unterstützt werden, mindestens 4 Behandlungszyklen durchzuführen. Gestützt wird
diese These durch die Vorhersagemodelle von McLernon und Leijdekkers, die anhand anamnestischer
Parameter auf Grundlage der Registerdaten des HFEA individuelle Wahrscheinlichkeiten
für die Lebendgeburtenrate bei IVF-/ICSI-Behandlungen voraussagen [4], [10]. Die internationale Datenlage zeigt aber, dass dies oft nicht so ist: In England
beendeten 30% der Paare die Behandlung nach nur 1 Therapiezyklus [7]. In Schweden beendeten 65% der Paare die reproduktionsmedizinische Behandlung ohne
ein Kind, noch bevor die 3 dort zum Zeitpunkt der Untersuchung vom Gesundheitssystem
getragenen Behandlungszyklen in Anspruch genommen wurden [11]. Gründe für diesen (zu) frühen Therapieabbruch wurden ausführlich diskutiert, in
erster Linie scheinen finanzielle Aspekte dafür verantwortlich zu sein [12]. Andere Autoren führten die Enttäuschung über eine erfolglose Behandlung und den
psychischen Druck nach erfolglosem Therapiezyklus für den Behandlungsabbruch als Gründe
an [13]. Unterstützt wird diese Annahme durch Daten aus Australien, wo im Durchschnitt 3 Behandlungszyklen
in Anspruch genommen werden, obwohl bis zu 6 Zyklen vom Staat unterstützt werden [14].
Es ist klar, dass sowohl unerfüllter Kinderwunsch als auch die reproduktionsmedizinische
Behandlung Einfluss auf die psychosozialen Umstände des Paares haben. Die Paare beschreiben
einen Kontrollverlust, Anspannung bis hin zu Depression und fühlen sich oft stigmatisiert,
weiterhin kann die Paarbeziehung leiden. All dies betrifft sowohl Frauen als auch
Männer [5], [15], [16], [17], [18], [19], [20], [21]. Die beschriebenen Symptome aggravieren mit der Häufigkeit der erfolglosen Behandlungszyklen.
In dieser Studie analysierten wir 122 560 im Deutschen IVF-Register dokumentierte
letzte Therapiezyklen aus 4 Behandlungsjahren auf mögliche Ereignisse, die eine Erklärung
für den Therapieabbruch geben könnten, um gegebenenfalls diese zu identifizieren und
mögliche Handlungsstrategien zu entwickeln, um einem aus medizinischer Sicht zu frühen
Therapieabbruch entgegenwirken zu können. Die Grundgesamtheit von 122 560 Patientinnen
setzt sich hierbei zusammen aus denjenigen, die ab 2010 in Behandlung waren und zum
einen in 2012 – 2015 behandelt wurden sowie die letzte Behandlung in den Jahren 2012 – 2015
hatten, also in 2016 nicht mehr therapiert wurden.
Material und Methoden
In dieser Studie führten wir eine retrospektive Datenanalyse an einer Patientenkohorte
aus dem deutschen IVF-Register durch.
Datenerfassung durch das D·I·R
Im Deutschen IVF-Register werden alle Behandlungsverläufe und -ergebnisse der in Deutschland
durchgeführten reproduktionsmedizinischen Behandlungen zusammengetragen. Es dient
der Information und Transparenz zu Umfang und Erfolg der reproduktionsmedizinischen
Maßnahmen. Übergeordnetes Ziel ist die Sicherung der Behandlungsqualität von IVF-Patientinnen
und Patienten in Deutschland. 96% (128 von 134) der Fertilitätskliniken in Deutschland,
unabhängig davon, ob privat betrieben oder in öffentlicher Hand, melden ihre Daten
freiwillig an das Register. Die Patientendaten sind pseudonymisiert und die Informationen
werden mittels Software nach jedem Zyklus übermittelt. Durch die Wahl des Pseudonyms
wird selbst bei einem Klinikwechsel der Patienten die Doppeldokumentation ausgeschlossen.
Eine Nachverfolgung der Patienten wird auf diese Weise bis zum errechneten Geburtstermin
der Kinder sichergestellt.
Definition der Patientenkohorte
Die hier analysierte Kohorte enthält 122 560 Patienten mit einem „letzten Therapiezyklus“.
Diese wurden wie folgt herausgearbeitet: Es sind alle Zyklen im Zeitraum 2010 – 2016
betrachtet worden, unabhängig, ob erster oder x-ter Zyklus. Definiert wurde eine Drop-out-Patientin
wie folgt:
Patientinnen, die zwischen 2010 und 2016 in Behandlung waren (also alle analysierten
Patientinnen): 215 720
-
abzüglich Patientinnen, die in 2010 und 2011 ihre letzte Behandlung hatten/ab 2012
nicht mehr erschienen: 85 856
-
abzüglich Patientinnen, die in 2016 wieder erschienen, somit in 2012 – 2015 nicht
die letzte Behandlung hatten: 45 304
Dies ergibt die Anzahl an Patientinnen in Behandlung ab 2010, die in 2012 – 2015 die
letzte Behandlung hatten: 122 560.
Dabei haben wir sowohl frische IVF-und ICSI-Zyklen als auch Kryozyklen berücksichtigt.
Der Beobachtungszeitraum umfasst die Jahre 2010 – 2016. Erste Drop-outs wurden in
2012 gesehen, sodass die Evaluierungsperiode 2012 gestartet wurde und bis zum Ende
2015 ging. Patienten, die die Behandlung in 2016 begonnen haben, wurden aus der weiteren
Analyse ausgeschlossen, da sie die Voraussetzungen für eine Definition als Drop-out
nicht erfüllen konnten. In einem Zeitraum von 6 Jahren (zwischen 2010 und 2016) wurde
eine Gesamtzahl von 571 071 Zyklen von 215 720 Patienten im deutschen IVF-Register
dokumentiert. Die Anzahl von Patientinnen mit „letzten Therapiezyklen“ zwischen 2012
und dem Ende von 2015 war 122 560.
Die Alterspanne der Patientinnen reichte von 18 bis 49 Jahren. Das Durchschnittsalter
lag bei 35,57 Jahren. Der Median der Altersangaben liegt bei 36 Jahren.
Die Datenerhebung und die statistische Analyse wurden unter Verwendung von R durchgeführt.
Die Ergebnisse wurden als Rohdaten sowie als Prozentzahlen erfasst. 95%-Konfidenzintervalle
(CGI) wurden verwendet.
Ethische Aspekte
Die erhobenen Daten wurden unter Beachtung der geltenden Vorschriften zur Datenverarbeitung
gespeichert. Die retrospektive Analyse wurde von Merck Pharmaceuticals mit einem Unrestricted
educational Grant unterstützt.
Ergebnisse
Von den 122 560 eingeschlossenen Patientinnen hatten 45 699 Patientinnen eine erfolgreiche
Behandlung: Sie erzielten nicht nur eine Schwangerschaft, sondern gebaren ein lebendes
Kind nach der 24. SSW. Diese Kohorte fließt nicht in die Datenanalyse der Studie ein.
Die verbleibenden 76 861 Patientinnen brachen die IVF-Behandlung ab, ohne ihr initiales
Ziel – Geburt eines lebenden Kindes – zu erreichen ([Tab. 1]). Wir haben die Gründe für das vorzeitige Ende herausgearbeitet, indem wir den jeweils
letzten Behandlungszyklus dieser Drop-out-Patientinnen analysiert haben.
Tab. 1 Behandlungsergebnis nach dem „letzten Therapiezyklus“. Darunter zur Information die
Anzahl der Patientinnen, die im Analysezeitraum die Drop-out-Kriterien nicht erfüllen
(weiterhin schwanger oder weiterhin in Behandlung zum Analysezeitpunkt).
Behandlungsergebnis
|
Behandlungsphase
|
Anzahl an Patientinnen
|
prozentualer Anteil
|
Geburt
|
Drop-out
|
45 699
|
37,3%
|
keine Geburt
|
Drop-out
|
76 861
|
62,7%
|
Summe der Drop-outs
|
122 560
|
100%
|
|
|
|
fortlaufende Schwangerschaft
|
weiterhin in Behandlung
|
583
|
|
keine Geburt
|
weiterhin in Behandlung
|
44 721
|
|
Die Fertilitätsbehandlung wurde in 46,27% der Fälle aufgrund einer männlichen Indikation
durchgeführt, und in 17,96% fand sich eine Ursache bei der Frau. In 21,23% hatten
beide Partner eine Indikation zur Fertilitätsbehandlung und in 8,6% konnte die Ursache
der Unfruchtbarkeit nicht geklärt werden. Der männliche Hauptgrund für den Beginn
einer Fertilitätsbehandlung war die reduzierte männliche Fertilität im Sinne eines
auffälligen Spermiogramms nach WHO-Kriterien (77,13%). Die Ursachen aufseiten der
Frauen waren entweder nicht bekannt (47,56%), tubare Pathologie (21,76%), unregelmäßige
Zyklen (15,98%; ohne PCOS und/oder Hyperandrogenämie), Endometriose (15,97%), PCO-Syndrom
und Hyperandrogenämie (10,32%), uterine und zervikale Pathologie (5,17%) und psychologische
Störungen (0,36%).
Es wurde eine statistische Analyse des Stimulationsergebnisses in der Gruppe der nicht
erfolgreichen Drop-outs mit Rücksicht auf ein mögliches Schwangerschaftsergebnis durchgeführt
([Tab. 2]):
Tab. 2 Therapieergebnisse der Drop-out-Patientinnen.
|
Anzahl der Patientinnen
|
prozentualer Anteil
|
Abbruch der Stimulation
|
2400
|
3,12%
|
kein Embryotransfer
|
7989
|
10,39%
|
negativer Schwangerschaftstest (nach erfolgtem Transfer)
|
56 541
|
73,56%
|
Fehlgeburt
|
3484
|
4,53%
|
extrauterine Gravidität (EUG)
|
211
|
0,27%
|
Lost to Follow-up
|
6236
|
8,11%
|
Gesamtzahl der Drop-outs ohne Lebendgeburt eines Kindes
|
76 861
|
100%
|
Die Mehrheit der Drop-out-Patientinnen beendete die Therapie im Verlauf der IVF-Behandlung
nach dem Ausbleiben einer Schwangerschaft (73,56%). Bei weiteren 10,39% der Drop-out-Patientinnen
konnte kein Embryotransfer stattfinden und 4,53% erlitten eine Fehlgeburt. In der
altersadaptierten Gruppe von Frauen älter als 40 Jahre steigt der Anteil der Patientinnen
auf 15%, die die Behandlung nach einer Fehlgeburt beendeten ([Abb. 1]).
Abb. 1 Altersadaptierte Drop-out-Rate (Prozentsatz) nach Erleiden einer Fehlgeburt. Es werden
die Mittelwerte (schwarze Linie) mit Konfidenzintervall (blauer Kasten) dargestellt.
Dauer der Behandlung bis zum Therapieabbruch
Die Mehrheit der Drop-out-Patientinnen (68,5%) brach die Therapie innerhalb des 1. Jahres
nach Behandlungsbeginn ab. 13,5% aller Drop-outs beendeten die Therapie nach 1 – 2 Jahren
erfolgloser Behandlungsdauer und 18% aller Drop-outs wurden 2 – 6 Jahre behandelt.
Anzahl absolvierter Behandlungszyklen bis zum Therapieabbruch
Der prozentuale Anteil der Patientinnen, die unabhängig vom Ergebnis (also mit und
ohne Lebendgeburt) nach jedem Zyklus die Behandlung beenden, variiert zwischen den
Behandlungszyklen. Sie unduliert zwischen 30% nach dem 1. Zyklus, 36% nach dem 4. Zyklus
und 31% im 10. Zyklus ([Abb. 2]).
Abb. 2 Patientinnen (mit und ohne Lebendgeburt), die die Therapie beenden, als Prozentsatz
von allen in diesem Zyklus therapierten Patientinnen.
Die Analyse eines jeden Zyklus zeigte, dass 26% der Patientinnen, die ihre Behandlung
zwischen 2012 – 2015 beendeten und die nicht im 1. Zyklus schwanger wurden, ihre Behandlung
nach diesem 1. Therapiezyklus beendeten. Hingegen führten die verbliebenen 72% aller
Drop-out-Patientinnen einen weiteren Behandlungszyklus durch. Nach dem 2. erfolglosen
Zyklus beendeten weitere 23% der Drop-out-Kohorte die Behandlung. Nach 3 nicht erfolgreichen
Zyklen liegt die kumulative Drop-out-Zahl bei 67% ([Tab. 3]). Dementsprechend zeigte sich die Geburtenrate pro Zyklus bei 14% für den 1. Zyklus,
12% für den 2. Zyklus, und erneut 12% für den 3. Zyklus. Die anschließenden Zyklen
zeigen eine konstante Geburtenrate von 9 bis 11% bis zum 10. Zyklus ([Tab. 3]).
Tab. 3 Abbruch- und Erfolgsraten aufgelistet nach Zyklusanzahl.
Zyklusanzahl
|
gesamt
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
7
|
Anzahl Patientinnen
|
122 560
|
122 560
|
85 708
|
57 660
|
36 978
|
23 675
|
15 399
|
9972
|
Anzahl Drop-outs gesamt
|
122 560
|
36 852
|
28 048
|
20 682
|
13 303
|
8276
|
5427
|
3319
|
Lebendgeburtenrate (LBR)
|
|
14%
|
12%
|
12%
|
11%
|
11%
|
11%
|
10%
|
Drop-out (als Prozentsatz aller Patienten dieses Zyklus)
|
|
30%
|
33%
|
36%
|
36%
|
35%
|
35%
|
33%
|
Drop-out mit Geburt
|
45 699
|
17 242
|
10 438
|
6731
|
4229
|
2575
|
1643
|
968
|
|
|
47%
|
37%
|
33%
|
32%
|
31%
|
30%
|
29%
|
Drop-out ohne Geburt
|
76 861
|
19 610
|
17 610
|
13 951
|
9074
|
5701
|
3784
|
2351
|
|
|
16%
|
21%
|
24%
|
25%
|
24%
|
24%
|
23%
|
|
|
53%
|
63%
|
67%
|
68%
|
69%
|
70%
|
71%
|
|
100%
|
26%
|
23%
|
18%
|
12%
|
7%
|
5%
|
3%
|
Ausgehend von der gesamten Kohorte der erfolglosen Patientinnen in den Jahren 2010 – 2016
brachen 25% ihre Behandlung nach dem 1. erfolglosen Behandlungszyklus ab. Weitere
29% der gesamten Kohorte beendeten die Behandlung nach dem 2. Therapiezyklus. Das
heißt, dass mehr als die Hälfte aller Therapieabbrüche vor der 3. Behandlung erfolgte.
Weiterhin ist es interessant zu beobachten, dass die Drop-out-Rate bis zum 10. Zyklus
zwischen 30 – 36% fluktuiert ([Tab. 3]).
Klinikwechsel in der Gruppe der Therapieabbrecher
Als Folge des ausbleibenden Therapieerfolgs könnten Paare den Wunsch hegen, das reproduktionsmedizinische
Zentrum zu wechseln. In der analysierten Kohorte fand dies in 8,6% der Fälle statt.
Weitere 0,7% der Drop-out-Patientinnen wechselte zur weiteren Therapie in eine 3. Klinik.
90,7% der Patientinnen verblieben während der gesamten Therapiedauer in der gleichen
Klinik.
Alter der Drop-out-Patientinnen
Der Erfolg einer Fertilitätsbehandlung wird maßgeblich durch das Alter der Frau beeinflusst
[1]. Die höchste Lebendgeburtenrate erzielen Frauen im Alter zwischen 25 – 29 Jahren.
Diese liegt bei 31,3% (IVF) bzw. 30,4% (ICSI) (D·I·R-Jahrbuch). Mit steigendem Alter
fallen die Schwangerschafts- und Lebendgeburtenraten unabhängig vom Konzeptionsweg
(spontan oder assistiert) und der angewendeten Methode (IVF oder ICSI) ab. In der
Gruppe der 30 – 34-jährigen Patientinnen liegt die Rate an Lebendgeburten bei 29,9%
(IVF) bzw. 28,9% (ICSI). Bei den 35 – 39-jährigen Patientinnen sinkt die Lebendgeburtenrate
schließlich auf 23,3% (IVF) bzw. 22% (ICSI). Nach dem 40. Lebensjahr der Frau sinkt
die Schwangerschaftsrate auf 27,5% nach IVF und unter 26,3% bei ICSI, und die Lebendgeburtenrate
fällt aufgrund der steigenden Anzahl an Fehlgeburten unter 15,1% (IVF) und 14% (ICSI).
In unserer analysierten Kohorte zeigte sich der überwiegende Anteil (69%) an Drop-outs
bei Patientinnen vor dem 40. Lebensjahr.
Therapieverlauf als Grund für den Abbruch
Die steigende Frustration während des erfolglosen Therapieverlaufs trägt wahrscheinlich
zum vorzeitigen Therapieabbruch bei. Als mögliche Auslöser zeigten sich in der analysierten
Kohorte folgende Verläufe: fehlende oder zu geringe Stimulationsantwort (Non- oder
Low-responder), Überstimulationssyndrom, oder andere medizinische Gründe (z. B. vorzeitige
Ovulation, falsche Anwendung der Hormoninjektionen). Verglichen mit der Drop-out-Rate
nach unauffälligem Therapieverlauf ist die Drop-out-Rate nach vorzeitiger Beendigung
des Stimulationszyklus aus einem der o. g. Gründe 3-fach erhöht.
Fehlender Embryotransfer als Grund für den Therapieabbruch
Ein weiterer entmutigender Grund im Therapieverlauf könnte der überraschend ausbleibende
Embryotransfer sein. Die möglichen Gründe hierfür sind vielfältig: vorzeitiger Progesteronanstieg
während der Stimulationsphase, fehlende Eizellgewinnung, unreife Eizellen, ausbleibende
Fertilisierung, Embryonenarrest während der Entwicklung im Labor oder aus medizinischen
Gründen der Patientin (Infektion, Serometra oder drohendes OHSS). In unserer analysierten
Kohorte zeigte sich bei 10% aller Drop-out-Patientinnen im letzten Zyklus ein ausgebliebener
Embryonentransfer.
Negativer Schwangerschaftstest als Grund für den Therapieabbruch
55 000 Patientinnen der hier analysierten Drop-out-Kohorte erzielten keine Schwangerschaft
in ihrem letzten Zyklus. Die Frustration dieser Patientinnen nach umfangreicher Therapie
und hoffnungsvoller Wartezeit ist sicher groß, sodass dies ein möglicher Auslöser
zum Entschluss des Therapieabbruchs sein könnte.
Diskussion
Die psychische Belastung des unerfüllten Kinderwunsches und auch die Belastung durch
die reproduktionsmedizinische Behandlung selber gehören zu den häufigen Gründen, wegen
derer eine IVF-Therapie nicht weiter fortgeführt wird [3], [22], [23]. Wird eine Schwangerschaft erreicht und letztlich das innig erwünschte Kind geboren,
lassen sich vorangegangene Frustrationen und Enttäuschungen kompensieren. Eine (zu)
frühe Beendigung der Kinderwunschbehandlung dagegen kann zu Unmut und Verbitterung
führen. Die möglichen Gründe für eine Beendigung der Kinderwunschbehandlung wurden
in verschiedenen Publikationen untersucht. Es sind dies: finanzielle, körperliche
und psychische Belastungen, Frustration, soziale Probleme und Partnerprobleme [3], [22], [23], [24]. Diese Untersuchungen bezogen sich aber auf vergleichsweise kleine Kollektive außerhalb
Deutschlands.
In unserer Untersuchung konnten wir in 8,4% der Drop-outs keine möglichen Gründe für
die Beendigung der Therapie identifizieren. Hier im Besonderen, aber auch bei allen
anderen Drop-out-Patientinnen kann angenommen werden, dass psychosoziale Faktoren
einen möglichen Grund für die Beendigung der Therapie darstellen. Die emotionale Belastung
des unerfüllten Kinderwunsches und der konsekutiv durchgeführten reproduktionsmedizinischen
Behandlung, die auf den Paaren lastet, ist den in der Reproduktionsmedizin tätigen
Personen gut bekannt. Kinderwunschpaare leiden häufiger als nicht davon Betroffene
an Ängstlichkeit, Depressionen, Isolation, Ärger und Frustration [15]. Diese Symptome nehmen im Vergleich zur Situation vor der Behandlung nach einer
erfolglosen Behandlung deutlich an Häufigkeit und Intensität zu [25]. Die Resilienz der Paare kann durch die Unfähigkeit, schwanger zu werden oder schwanger
zu bleiben, deutlich abnehmen.
In Deutschland werden – bei gesetzlich krankenversicherten Personen unter bestimmten
Voraussetzungen – die Behandlungskosten für 3 IVF- oder ICSI-Behandlungen zu 50% von
den Krankenkassen übernommen. In der Annahme, dass die finanzielle Belastung der Paare
einen Hauptgrund für die Beendigung der Therapie darstellt, hätten wir nach 3 Behandlungen
einen deutlichen Effekt vermutet. Tatsächlich haben 67% der Paare ihre Behandlung
nach dem 3. Therapiezyklus beendet, ohne dass es zur Geburt eines Kindes kam, allerdings
haben 36 978 Paare auch noch einen 4. und noch weitere Behandlungszyklen in Anspruch
genommen. Auf der anderen Seite haben 26% der Paare die Behandlung bereits nach dem
1. erfolglosen Therapiezyklus nicht mehr fortgeführt. Dieser hohe Anteil kann unserer
Ansicht nach nicht allein durch die finanzielle Belastung erklärt werden.
Diese unterschiedlichen Beobachtungen zum Einfluss der Finanzierung werden auch durch
weitere Untersuchungen belegt, in einer Studie gaben die Paare als Hauptgrund für
die Therapiebeendigung finanzielle Gründe an [12], in anderen Studien konnte die höchste Rate an Therapiebeendigungen bereits vor
Ausschöpfen der in den jeweiligen Ländern angebotenen finanziellen Unterstützung beobachtet
werden [13], [14], [26].
Um diese Frage in unserer Kohorte besser untersuchen zu können, wäre eine Korrelation
der Drop-out-Rate mit dem Versicherungsstatus hilfreich, leider werden diese Daten
im D·I·R aber nicht erfasst. Es kann jedoch spekuliert werden, dass es durchaus einen
Einfluss haben könnte, ob das Paar unter die Leistungsvoraussetzungen der gesetzlichen
Krankenkasse (maximal 3 IVF- oder ICSI-Zyklen), oder einer privaten Krankenversicherung
(Finanzierung bei „hinreichender Erfolgsaussicht“ auf für mehr als 3 IVF- oder ICSI-Zyklen)
fällt.
Ein Grund für die Beendigung der Kinderwunschbehandlung können auch unerwünschte Vorkommnisse
während des Therapiezyklus sein: Abbruch der hormonellen Stimulation z. B. wegen unzureichendem
Ansprechen der Eizellreifung, wenig oder keine gewonnenen Eizellen, kein möglicher
Embryotransfer wegen ausbleibender Befruchtung oder Entwicklungsarrest aller Embryonen,
negativer Schwangerschaftstest nach Transfer, Fehlgeburt oder Extrauteringravidität.
Alle diese Faktoren tragen auch zur Erhöhung der psychischen Belastung der Paare bei.
In unserer Kohorte fand sich bei fast allen Drop-outs keine signifikante Häufung der
beschriebenen Vorkommnisse im Vergleich zu den Paaren, die ihre Behandlung fortsetzten.
Lediglich eine Fehlgeburt war bei Frauen im Alter über 40 Jahren signifikant häufiger
im letzten durchgeführten Therapiezyklus zu beobachten: Die durchschnittliche Anzahl
von letzten Therapiezyklen, in denen eine Fehlgeburt stattfand, lag im Gesamtkollektiv
bei 5 – 7%, in der Altersgruppe von Frauen über 40 lag diese bei 15%.
Diese Fälle scheinen besonders belastend für das Paar zu sein. Da in dieser Patientengruppe
bereits das Erzielen einer Schwangerschaft ein seltenes Erfolgserlebnis ist, könnte
der frühe Verlust dieser Schwangerschaft die Motivation zur Weiterbehandlung einschränken
und zum Therapieende führen. Harris et al. zeigten 2010, dass Frauen, die im Rahmen
einer IVF-Behandlung schwanger wurden und anschließend eine Fehlgeburt erlitten, die
Behandlung nicht fortsetzten aufgrund von Kontrollverlust, Trauer und Angst vor erneuten
Rückschlägen [27].
Weitere Gründe, die Behandlung zu beenden, könnten die Anzahl der Zyklen und wiederholte
negative Ereignisse im Therapiezyklus und somit erfolglose Behandlungen sein. In unserer
Patientengruppe zeigt sich dies anhand der leicht steigenden Anzahl der Drop-outs
ohne Geburt mit Voranschreiten der Behandlungszyklen: 30% der Patienten beenden die
Behandlung nach dem 1. erfolglosen Zyklus. Im 4. Zyklus steigt diese Zahl auf 36%
und zeigt sich bei 31% nach dem 10. Therapiezyklus. Zusammengefasst lässt sich hier
keine Anzahl kritischer Zyklen benennen, nach welcher die meisten Patienten ihre Behandlung
beendeten. Die kumulative Analyse der Therapiebeendigungen zeigte, dass 79% der vorzeitigen
Drop-outs innerhalb der ersten 4 Zyklen erfolgt sind.
In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig noch einmal hervorzuheben, dass die Geburtenrate
mit der Anzahl der Behandlungszyklen nur mäßig sinkt. Die Geburtenrate nach dem 1. Zyklus
liegt bei 14% und fällt ab bis auf 11% nach dem 6. Zyklus und auf 9% nach dem 10. Therapiezyklus.
Hier zeigt sich eine mäßig sinkende Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft.
Die Verlässlichkeit dieser Ergebnisse beruht auf der großen Patientenkohorte, auf
deren Grundlage die Analyse erfolgt ist. Die Auswertung erfolgte unabhängig von einem
bestimmten Standort in Deutschland und auch unabhängig von verschiedenen rechtlichen
Voraussetzungen oder Therapiemöglichkeiten, sodass ein realistisches Abbild der Situation
an deutschen IVF-Zentren dargestellt werden konnte. Zeitgleich ist die Aufarbeitung
retrospektiver Daten aus einem Register anfällig für Fehler: Selektion oder Manipulation
von Daten während der Eingabe durch die Teilnehmer des Registers und unzureichende
Dokumentation bei Lost-to-Follow-up sind die häufigsten Kritikpunkte. Beide Fehlerquellen
lassen sich in retrospektiven Datenkohorten nicht beziffern, sollten aber kritisch
in die Interpretation der Daten miteinfließen.
Fazit für die Praxis
Diese Zahlen und Zusammenhänge können in die weiterhin individuelle Beratung der Paare
einfließen, um die realistischen Chancen des Therapieverlaufs zu benennen und die
Paare auf emotionale und körperliche Hürden vorzubereiten. Als Motivation sollte dabei
die nur wenig sinkende Erfolgschance innerhalb der ersten 10 Therapiezyklen angesprochen
werden. Eine realistische Einschätzung ihres Erfolgs könnte Paaren helfen, die psychologisch
und körperlich fordernde IVF-Therapie besser durchzustehen.