Epidemiologie
Die idiopathische Skoliose tritt in der Regel bei ansonsten gesunden Jugendlichen
vor allem im präpubertären Wachstumsschub auf, wobei Mädchen bei Krümmungen zwischen
10 und 20° 1,4 × häufiger und bei Krümmungen über 40° sogar 7 × häufiger betroffen
sind als Jungen. Die Prävalenz wird mit zwischen 0,5 und 5% beziffert [2].
Am häufigsten wird die Skoliose in der Adoleszenz (Alter > 10 Jahre) diagnostiziert,
seltener sind die juvenile (Diagnose zwischen dem 4. und dem 10. Lebensjahr) und die
infantile Skoliose (Diagnose vor dem 4. Lebensjahr). Sämtliche Skoliosen (unabhängig
von ihrer Genese), die vor dem 10. Lebensjahr auftreten, werden auch als Early-Onset-Skoliosen
(EOS) klassifiziert.
Natürlicher Verlauf der Skoliose
Die heutigen Behandlungsrichtlinien ergeben sich insbesondere aus den Erfahrungen
älterer Studien zum natürlichen Verlauf unbehandelter idiopathischer Skoliosen. Nachemson
et al. publizierten 1982 eine Wahrscheinlichkeit der Krümmungszunahme idiopathischer
Skoliosen in Abhängigkeit vom Krümmungsausmaß [3]. Sie fanden bei den 10- bis 12-jährigen Patienten folgende Progredienzwahrscheinlichkeiten:
-
bei Krümmungen unter 20° eine Progredienzwahrscheinlichkeit von 25%,
-
bei Krümmungen zwischen 20 und 29° eine Progredienzwahrscheinlichkeit von 60%,
-
bei Krümmungen von 30°–60° eine Progredienzwahrscheinlichkeit von 90%.
-
Skoliosen mit einem Winkel von mehr als 60° waren zu 100% progredient.
Bei Patienten mit abgeschlossenem Skelettwachstum erwiesen sich progredient:
-
10% der Krümmungen zwischen 20 und 29° nach Cobb,
-
30% der Krümmungen zwischen 30 und 60° nach Cobb,
-
70% der Krümmungen von > 60° nach Cobb.
Weinstein und Ponseti (1983) definierten Grenzwerte für eine Krümmungsprogredienz
auch nach Wachstumsabschluss. Für Thorakalskoliosen waren dies Winkel von mehr als
50° und für Lumbalskoliosen Winkel von mehr als 30° [4].
Die Folgen unbehandelter Skoliosen im Erwachsenenalter umfassen überwiegend Rückenschmerzen
bedingt durch die zunehmende Degeneration bei deformierter Wirbelsäule sowie psychosoziale
Probleme durch die kosmetische Deformität. Einschränkungen der Herz- und Lungenfunktion
sind vorwiegend bei hochgradigen Thorakalskoliosen zu beobachten.
Skoliosen, die vor dem 5. Lebensjahr auftreten, können zu einer gravierenden Störung
der Lungenentwicklung führen bedingt durch das mangelnde Wachstum des Thoraxes. Dies
hat eine erheblich reduzierte Lungenfunktion und eine vermehrte Rechtsherzbelastung
bis hin zum Auftreten eines Cor pulmonale im Erwachsenenalter zur Folge. Aber auch
adoleszente Thorakalskoliosen von mehr als 80° gehen mit einer reduzierten Lungenfunktion
und einem gehäuften Auftreten von subjektiver Atemnot einher [5].
Klassifikation
Man unterscheidet je nach Lokalisation der Hauptkrümmung:
-
Thorakalskoliosen (Scheitelwirbel 11. Brustwirbel oder höher) von
-
Thorakolumbalskoliosen (Scheitelwirbel 12. Brust- oder 1. Lendenwirbel) und
-
Lumbalskoliosen (Scheitelwirbel 2. oder 3. Lendenwirbel).
Während Thorakalskoliosen häufig mit einer Abflachung der thorakalen Kyphose einhergehen,
findet sich bei den Thorakolumbalskoliosen häufig eine Rotationskyphose im thorakolumbalen
Übergang.
Lenke-Klassifikation
Die aktuell gültige Lenke-Klassifikation wird für die Planung einer operativen Therapie
verwendet. Hierfür benötigt man Ganzwirbelröntgenaufnahmen in 2 Ebenen und Bending-Aufnahmen.
Die Lenke-Klassifikation beruht auf einer zweidimensionalen Beurteilung der Röntgenbilder
und hat somit die eindimensionale Klassifikation nach King abgelöst. Die Lenke-Klassifikation
umfasst zunächst 6 Krümmungstypen ([Abb. 1]).
Abb. 1 Lenke-Klassifikation der Krümmungstypen einer Skoliose.
Als strukturell gilt dabei eine Krümmung, die auf der reversen (d. h. in die Richtung
der jeweiligen Konvexität geneigten) Bending-Aufnahme noch eine Restkrümmung von 25°
oder mehr aufweist. Hochthorakale und thorakolumbale Krümmungen sind auch dann strukturell,
wenn sie eine Kyphosierung von mehr als 20° aufweisen.
Bei mehrbogigen Skoliosen ist die primäre Krümmung definiert mit dem größten Cobb-Winkel
aller Krümmungen.
Darüber hinaus werden die Lenke-Typen 1 – 4 in Abhängigkeit von der lumbalen Krümmungsform
weiter in 3 Typen subklassifiziert (sogenannte lumbale Modifier Typ A, B und C). Dabei
spielt die Lage des Scheitelwirbels der lumbalen Krümmung im Verhältnis zur zentralen
sakralen vertikalen Linie (das auf den Dorn S1 gefällte Lot) die entscheidende Rolle.
Verläuft diese Linie zwischen den Pedikeln des lumbalen Scheitelwirbels, handelt es
sich um einen lumbalen Modifier Typ A, schneidet die Linie den konkaven Pedikel des
lumbalen Scheitelwirbels, so liegt ein lumbaler Modifier Typ B vor, und verläuft die
Linie medial des lumbalen Scheitelwirbels, ohne diesen zu schneiden, wird diese Form
lumbaler Modifier Typ C genannt ([Abb. 1]).
Schließlich werden alle 6 Skoliosetypen in Abhängigkeit vom sagittalen Profil der
Brustwirbelsäule (gemessen zwischen dem 5. und 12. Brustwirbel) in einen sogenannten
sagittalen Alignment-Modifier normal (N, Kyphose zwischen 10 und 40°), minus (–, Kyphose
unter 10°) oder plus (+, Kyphose mehr als 40°) unterteilt [6].
Konservative Therapie
Indikation
Merke
Die konservative Therapie im Wachstumsalter hat ihren Stellenwert bei Krümmungen < 40°
Cobb-Winkel.
Cobb-Winkel < 10°
Bei einer Krümmung mit einem Cobb-Winkel < 10° spricht man von einer skoliotischen
Fehlhaltung. Hierbei sind lediglich Verlaufskontrollen erforderlich.
Cobb-Winkel > 10° bis 20°
Bei einer Krümmung mit einem Cobb-Winkel > 10° bis 20° wird die skoliosespezifische
Krankengymnastik empfohlen.
Merke
Eine Evidenz für die Effektivität der Krankengymnastik liegt jedoch leider immer noch
nicht vor.
Cobb-Winkel > 20° bis 40°
Bei einer Krümmung mit einem Cobb-Winkel zwischen > 20° und 40° wird eine Korsetttherapie
in Kombination mit Krankengymnastik empfohlen.
Korsetttherapie
Der Erfolg einer Korsetttherapie ist abhängig von der Korsett-Compliance und wird
für eine Tragezeit von 22 – 23 h/tgl. empfohlen. Die Zeit der sportlichen Betätigung
wird auf die Korsetttragezeit angerechnet.
Cave
Beim Sport sollte das Korsett nicht getragen werden wegen mangelnder Bewegungsfähigkeit
und Verletzungsgefahr bei Kontaktsportarten.
Neben der Korsett-Compliance sind auch andere Faktoren für den Erfolg der Koresetttherapie
mitverantwortlich wie
Tipp
Eine lumbale Krümmung hat aufgrund der besseren Flexibilität der LWS eine bessere
konservative Therapiechance als eine thorakale Krümmung mit höherer Rigidität [7].
Es existieren jedoch auch Krümmungen, bei denen eine Korsetttherapie kontraproduktiv
ist. So ist z. B. eine Korsetttherapie bei einer doppelbogigen Thorakalskoliose (Lenke-Typ
2) kontraindiziert, da das Korsett nur die tiefthorakale Krümmung und nicht die hochthorakale
Krümmung beeinflussen kann. Des Weiteren sind thorakale Lordoskoliosen nicht für eine
Korsetttherapie geeignet, da jedes Korsett aufgrund des dorsolateralen Druckaufbaus
die Lordose verstärken würde.
Abschulung
Der Zeitpunkt der Korsetttabschulung richtet sich nach dem biologischen Alter, welches
anhand des Skelettalters (Risser-Zeichen oder Greulich-Pyle) bestimmt werden kann.
Ein grober Anhaltspunkt zum Erreichen des voraussichtlichen Wachstumsabschlusses ist
bei Mädchen 2 Jahre nach Eintreten der Menarche.
Fallbeispiel 1
11-jähriges Mädchen mit einer idiopathischen rechtskonvexen Thorakalskoliose vor Korsetttherapie
mit einem Cobb-Winkel im Ganzwirbelsäulenröntgenbild a.–p. von 34° ([Abb. 2 a]) und der korrespondierenden Oberflächenvermessung mit der Rasterstereografie ([Abb. 2 b]).
Erfolgreiche Korrektur der rechts konvexen Krümmung von 34° auf 9° im Ganzwirbelsäulenröntgenbild
a.–p. im Korsett ([Abb. 3 a]). [Abb. 3 b] zeigt die korrespondierende Korrektur der Oberflächenrotation in der Rasterstereografie.
Die Korsetttherapie wird jetzt seit 3 Jahren durchgeführt.
Abb. 2 Fall 1 vor Therapie.
a Ganzwirbelsäulenröntgenbild a.–p.
b Korrespondierende Oberflächenvermessung mit der Rasterstereografie.
Abb. 3 Fall 1 unter Korsetttherapie.
a Erfolgreiche Korrektur (Ganzwirbelsäulenröntgenbild a.–p. im Korsett).
b Korrespondierende Oberflächenvermessung mit der Rasterstereografie.
Operative Therapie
Indikation
Merke
Indikationen zur operativen Therapie idiopathischer Skoliosen sind progrediente Krümmungen
ab 40° bis 50°.
Für die Indikationsstellung einer Skolioseoperation spielt es keine Rolle, ob die
Patienten bereits bei Erstdiagnose oder erst bei Versagen einer konservativen Therapie
diese Cobb-Winkel erreicht haben. Dabei spielen jedoch Faktoren wie Patientenalter,
Skoliosetyp und auch der Grad der kosmetischen Beeinträchtigung eine wichtige Rolle
in der Indikationsstellung.
Bei Patienten unter 10 – 12 Jahren sollte man aufgrund des noch ausstehenden Wachstums
mit einer definitiven Spondylodese zurückhaltend sein und eher wachstumslenkende Verfahren
wählen.
Therapieziel
Ziel der operativen Behandlung ist
Operationstechnik
Seit der Entwicklung primär stabiler ventraler Instrumentationssysteme zur Skoliosekorrektur
konkurrieren grundsätzlich ventrale und dorsale Verfahren miteinander, wobei die dorsalen
pedikelschraubengestützten Korrekturtechniken ständig weiterentwickelt wurden und
sich mittlerweile weitestgehend durchgesetzt haben.
Unbestrittene Vorteile der ventralen Korrektur sind die kurze Instrumentationsstrecke,
die segmentale Derotationsmöglichkeit und die gegenüber dorsalen Verfahren bessere
Korrektur des sagittalen Profils, insbesondere bei den häufigen thorakalen Lordoskoliosen.
Die Nachteile des ventralen Zugangs umfassen zum einen die erhöhte operationstechnische
Schwierigkeitsstufe und zum anderen die zugangsbedingte höhere Morbidität mit einer
postoperativen Einschränkung der Lungenfunktion, die sich auch nach 2 Jahren noch
nicht ganz auf präoperative Werte erholt [8].
Durch die Weiterentwicklung der dorsalen Korrektursysteme und die höhere Implantatdichte
von Pedikelschrauben haben sich die Korrekturmöglichkeiten deutlich verbessert. Diese
umfassen nicht nur eine bessere Korrektur des Cobb-Winkels sowie der Rotation und
Translation, sondern auch eine durch den Einsatz unterschiedlicher Stabmaterialien
und Stabdurchmesser optimierte Kontrolle des sagittalen Profils.
Prinzipien
Grundsätzlich gilt, dass einbogige Krümmungen (Lenke-Typ 1 und 5) sowohl von dorsal
als auch von ventral gut zu korrigieren sind, während doppelbogige Krümmungen (Lenke-Typ
2, 3, 4, und 6) von dorsal versorgt werden.
Es gibt Vorteile für die Korrektur bestimmter einbogiger Krümmungen durch ein ventrales
Verfahren. Hierzu gehören die oben bereits erwähnten thorakalen Lordoskoliosen und
die thorakolumbalen Krümmungen mit Rotationskyphose [9], [10].
Zur Planung der Fusionslänge benötigt man neben einer Ganzwirbelsäulenaufnahme (GWS)
im Stehen in 2 Ebenen auch Bending-Aufnahmen in beide Richtungen und ggf. eine Traktionsaufnahme.
Sämtliche strukturellen Anteile der Skoliose sollten in die Instrumentationsstrecke
einbezogen werden. Bei mehrbogigen Skoliosen müssen die strukturellen von den nicht
strukturellen (und somit flexiblen) Krümmungsabschnitten abgegrenzt werden (s. dazu
die folgende Infobox).
Übersicht
Merkmal einer strukturellen Krümmung
-
thorakaler Krümmungswinkel von mehr als 50°
-
thorakaler Cobb-Winkel auf den reversen Bending-Aufnahmen von mehr als 25°
-
ausgeprägter Rippenbuckel
-
lumbaler Cobb-Winkel von mehr als 60°
-
lumbaler Cobb-Winkel auf den reversen Bending-Aufnahmen von mehr als 25°
-
ausgeprägter Lendenwulst
-
hyperkyphotische Wirbelsäulenabschnitte
Die Regeln zur Bestimmung der Fusionslänge unterscheiden sich je nach ventraler oder
dorsaler Operationstechnik (s. [Infobox „OP-Schritte und Tricks: Bestimmung der Fusionslänge“]).
OP-Schritte und Tricks
Bestimmung der Fusionslänge
Instrumentationsstrecke ventral
-
In der Regel von End-zu-End-Wirbel.
-
Lumbal sollte die Bandscheibe distal der Instrumentation auf den Bending-Aufnahmen
zu beiden Seiten flexibel sein.
-
Der unterste instrumentierte Wirbel sollte sich bei der lumbalen Krümmung auf der
Bending-Aufnahme auf < 15° Tilt horizontalisieren.
Instrumentationstrecke dorsal
-
Der distale letzt-zu-instrumentierende Wirbel sollte auf der präoperativen GWS-Aufnahme
von der zentralen sakralen vertikalen Linie (CSVL) noch geschnitten werden.
-
Der distale letzt-zu-instrumentierende Wirbel sollte auf der a.–p. GWS-Aufnahme neutral
rotiert sein.
-
Bei rechtsgerichtetem Tilt des 1. Brustwirbels auf der GWS-Aufnahme und insbesondere
bei klinischem Schultertiefstand rechts sollte die hochthorakale Krümmung mit korrigiert
und fusioniert werden.
OP-Technik ventral
OP-Schritte und Tricks
OP-Technik von ventral
-
Präoperative Platzierung eines thorakalen Periduralkatheters (PDK) zur intraoperativen
und postoperativen Schmerztherapie [11].
-
Bei thorakalen Eingriffen Doppellumentubus.
-
Zugang von der konvexen Seite der Primärkrümmung.
-
Bei lumbalen Krümmungen ggf. intersomatische Cage-Platzierung zur Profilkontrolle.
-
Interkorporelle Fusion mit zerkleinerten autologen Spänen der teilresezierten Rippe.
In Seitenlage erfolgt der Zugang über die Konvexität der Primärkrümmung. Thorakal
wird dazu eine Doppelthorakotomie durchgeführt (in der Regel Teilresektion der 5. Rippe
und interkostale Thorakotomie zwischen der 8. und 9. Rippe über einen Hautschnitt).
Nach Einsetzen der Einlungenbeatmung werden die Bandscheiben bis zum hinteren Längsband
ausgeräumt und die Wirbelkörperabschlussplatten angefrischt.
Der Zugang bei Thorakolumbalskoliosen erfolgt über die Thorakophrenolumbotomie. Nach
vollständiger Bandscheibenausräumung erfolgt das Setzen der Bügelplatten und der Schrauben,
wobei die Schraubenspitze die Gegenkortikalis nur minimal perforieren sollte.
Cave
Eine übermäßige gegenseitige Perforation, insbesondere bei Thorakalskoliosen, ist
zu unterlassen, um nicht die Aorta zu gefährden.
Thorakalskoliosen werden zunächst mit dem flexibleren, weiter dorsal gelegenen Stab
durch segmentale Kompression korrigiert. Vorher werden die zerkleinerten Späne der
entnommenen Rippe in die Intervertebralräume eingelegt. Der zweite, weiter ventral
gelegene, rigide Stab dient der Kontrolle des sagittalen Profils und der Primärstabilität.
Flexible thorakolumbale Krümmungen können zunächst mit dem rigiden Stab über Stabrotation
korrigiert werden, mit dem weiter dorsal gelegenen, flexiblen Stab kann durch segmentale
Kompression die Lordose weiter verstärkt werden.
Durch das niedrige Profil des Implantates ist ein kompletter Pleuraverschluss möglich.
Tipps
Die Länge der Instrumentationsstrecke erstreckt sich grundsätzlich von End-zu-End-Wirbel.
Die typische Instrumentation von Thorakalskoliosen ist Th5 bzw. Th6 bis Th11 bzw.
Th12, die der Thorakolumbalskoliosen Th11 bis L3.
Fallbeispiel 2
[Abb. 4] zeigt die Röntgenaufnahmen der Ganzwirbelsäule einer 17-jährigen Patientin mit einer
links konvexen Thorakolumbalskoliose Typ Lenke 5CN mit einem Cobb-Winkel von 54°.
Es erfolgte eine ventrale Derotationsspondylodese von Th9 bis L3 mit einem primär
stabilen Doppelstabsystem. Hiermit konnte eine Korrektur auf einen Cobb-Winkel von
18° mit einer physiologischen Einstellung des sagittalen Profils erreicht werden ([Abb. 5]).
Im Vergleich zu einer ebenfalls möglichen Korrekturspondylodese von dorsal hätte eine
Instrumentationsstrecke von Th7 bis L4 gewählt werden müssen. Somit konnten über das
ventrale Vorgehen zwei kraniale und ein kaudales Bewegungssegment eingespart werden.
Abb. 4 Fall 2 präoperativ.
a Röntgenaufnahme der Ganzwirbelsäule a.–p.
b Seitlicher Strahlengang.
Abb. 5 Fall 2 postoperativ.
a Röntgenaufnahme der Ganzwirbelsäule a.–p.
b Seitlicher Strahlengang.
OP-Technik dorsal
OP-Schritte und Tricks
OP-Technik von dorsal
-
Intraoperatives Neuromonitoring.
-
Pedikelschraubenverankerung in Freihandtechnik.
-
Bei hochgradigen und rigiden Thorakalskoliosen ggf. konkavseitige Thorakoplastik.
-
Verwendung von Chrom-Kobalt-Stäben zur optimierten Profilkontrolle auf der konkaven
Seite.
-
Die Korrektur erfolgt über Stabrotation, Translation, segmentale Derotation sowie
konkavseitige Distraktion und konvexseitige Kompression.
-
Spondylodese mit lokalem Knochen und Knochenersatzmaterial (z. B. Kalziumphosphat),
augmentiert mit stammzellhaltigem Blut aus den Pfriemkanälen.
-
Intraoperative Platzierung eines thorakalen Periduralkatheters zur postoperativen
Schmerztherapie.
Nach Präparation der Dornfortsätze, Wirbelbögen und der Facettengelenke im zu instrumentierenden
Bereich erfolgt die fluoroskopische Höhensicherung des kaudalen Endwirbels. Dann sukzessives
Eröffnen der Facettengelenke mit dem Meißel. Hierbei muss beachtet werden, dass das
dem kranialen Ende der Instrumentation benachbarte Facettengelenk nicht mit eröffnet
wird. Ebenfalls sollte hier das supra- und interspinöse Band geschont werden, um eine
Anschlussproblematik zu vermeiden.
Präoperativ sollte der Plan für die Pedikulierung bereits feststehen. Hierbei wird
meist die konkave Seite insbesondere im Scheitelbereich durchpedikuliert und konvexseitig
alternierend besetzt. In der aktuellen Literatur wird eine optimale Schraubendichte
von 50 – 80% angegeben [12].
Bei regelrechtem Tastbefund aller Pfriemkanäle kann jetzt, je nach Erfahrung des Operateurs,
die Schraubenplatzierung oder erst eine fluoroskopische Kontrolle mit Markierungspins
erfolgen. Zusätzlich kann auch jeder Schraubenkanal wahlweise mit dem Neuromonitoring
stimuliert werden.
Cave
Bei der Pfriemrichtung ist auf die dreidimensionale Deformierung jedes einzelnen Wirbels
zu achten, die zum Teil klinisch anhand der Dornfortsatz- und Laminaausrichtung sowie
an der Rotation des Wirbels im Röntgenbild zu eruieren sind.
Bei regelrechten Tastbefund und Längenbestimmung kann die Pedikelschraube wahlweise
monoaxial, polyaxial oder als Langkopfschraube eingebracht werden.
Im Bereich der thorakalen Konkavität sind die Pedikel bei der idiopathischen Skoliose
sehr klein. Hier liegt aufgrund der Skoliose das Rückenmark dem Pedikel direkt an
[13]. Die Pedikulierung konkavseitig im Krümmungsscheitel ist wegen der kleinen Pedikel
sehr anspruchsvoll. Sollte die Pedikulierung in einem Pedikel nicht gelingen, so wird
empfohlen, diesen auszulassen.
Nach Implantation der Pedikelschrauben wird empfohlen, die motorischen evozierten
Potenziale mittels Neuromonitoring zu überprüfen. Zusätzlich sollte eine fluoroskopische
Kontrolle aller Pedikelschrauben in zwei Ebenen erfolgen.
Die Stäbe werden in die gewünschte Lordose und Kyphose vorgebogen unabhängig von der
jetzt noch bestehenden Skoliose. Mittels Cantilevertechnik wird der Stab auf der Konkavität
eingebracht und die Madenschrauben zunächst nur locker aufgedreht. Sodann erfolgt
die Korrektur mittels Translation, Stabrotation, ggf. Distraktion und segmentaler
Derotation.
Hierbei sei angemerkt, dass die segmentale Derotation auch mit modernen Implantaten
aufgrund der Rigidität des Thoraxes eingeschränkt ist. Im Falle einer ausgeprägten
Lordoskoliose mit ausgeprägtem Rippental kann ein zuvor durchgeführtes konkavseitiges
Rippenrelease mit Anhebung der Rippen dann auf den konkavseitigen Stab hilfreich sein
[14].
Neben der Cobb-Winkel-Korrektur und Derotation ist die Einstellung eines physiologischen
sagittalen Profils entscheidend. Da der Titanstab auf der Konkavität beim Stabderotationsmanöver
oder bei der Translation abflacht, wird zur Korrektur der Lordoskoliose ein Chrom-Kobalt-Stab
empfohlen [15]. Nach Einbringen des konvexseitigen Titanstabes kann hier mittels segmentaler Kompression
noch eine finale Korrektur erreicht werden.
Im Falle einer eher selteneren Kyphoskoliose werden periapikale Ponte-Osteotomien
zur Korrektur der Kyphose empfohlen.
Eine erneute Neurostimulation mittels MEP zum Ausschluss einer Überdistraktion sollte
im Anschluss erfolgen.
Abschließend muss neben dem klinischen Ergebnis auch das fluoroskopische Ergebnis
insbesondere mit harmonischer Einstellung des letzt-instrumentierten kranialen und
kaudalen Wirbels kontrolliert werden. Zuletzt erfolgt die Resektion der Dornfortsätze
unter Erhalt des Dornfortsatzes des kranial letzt-instrumentierten Wirbels und Anfrischen
der Wirbelbögen mit dem Meißel. Einbringen eines thorakalen PDK etwa in der Mitte
der Instrumentationsstrecke, der epidural ca. 5 cm nach kranial vorgeschoben wird.
Lumbal sollte eine PDK-Anlage vermieden werden, da sonst die postoperative Neurologiekontrolle
verfälscht sein kann.
Nun Auflagerung des autolog gewonnenen zerkleinerten Knochens vermischt mit Knochenersatzstoff
augmentiert in stammzellhaltigem Blut aus den Pfriemkanälen [16]. Der Faszienverschluss erfolgt wasserdicht in fortlaufender Doppelnahttechnik, sodass
eine Redon-Drainagen-Anlage in Regel nicht erforderlich wird.
Fallbeispiel 3
15-jähriges Mädchen mit täglichen Rückenschmerzen und Krümmungsprogredienz unter Korsetttherapie.
Die Ganzwirbelsäulenröntgenaufnahmen ([Abb. 6 a], [Abb. 6 b]) und Bending-Aufnahmen ([Abb. 6 c], [Abb. 6 d]) zeigen eine doppelbogige Skoliose mit einem links konvexen lumbalen Cobb-Winkel
von 68° und einem rechts konvexen thorakalen Cobb-Winkel von 55° sowie einer Rotationskyphose
im thorakolumbalen Übergang Typ Lenke 6CNTL.
Anzumerken ist, dass die konkavseitigen Pedikel so klein waren, dass diese überwiegend
uninstrumentiert bleiben mussten [12].
[Abb. 7 a] u. [Abb. 7 b] zeigen das Korrekturergebnis nach dorsaler Korrekturspondylodese Th5 bis L4 im 1-Jahres-Verlauf
mit einem lumbalen Cobb-Winkel von 26° und thorakal von 25° mit einer vollständigen
Kyphosekorrektur im thorakolumbalen Übergang.
Abb. 6 Fall 3 präoperativ.
a Röntgenaufnahme der Ganzwirbelsäule a.–p.
b Röntgenaufnahme der Ganzwirbelsäule, seitlicher Strahlengang.
c Bending-Aufnahme nach rechts.
d Bending-Aufnahme nach links.
Abb. 7 Fall 2 postoperativ.
a Röntgenaufnahme der Ganzwirbelsäule a.–p.
b Seitlicher Strahlengang.
Anästhesiologische Besonderheiten beim intraoperativen Neuromonitoring
Beim intraoperativen Neuromonitoring sind folgende anästhesiologische Besonderheiten
zu beachten:
-
Einsatz ausschließlich kurzwirksamer Muskelrelaxanzien zur Einleitung der Patienten.
-
Kompletter Verzicht auf Inhalationsanästhetika.
-
Vor Ableitung der motorisch evozierten Potenziale (MEP) Abflachen der Narkose, z. B.
-
Intraoperatives arterielles RR-Monitoring.
-
Schutz vor Auskühlen des Patienten.
Operationsrisiken
Die OP-Risiken bei der Korrekturspondylodese fasst [Tab. 1] zusammen.
Tab. 1 Operationsrisiken der Korrekturspondylodese (nach Coe et al. 2006 [17]).
|
Komplikationsrate
|
ventraler Zugang
|
dorsaler Zugang
|
|
neurologisch
|
0,26%
|
0,32%
|
|
pulmonal
|
1,55%
|
0,96%
|
|
Wundinfektion
|
0,17%
|
1,35%
|
|
durch das Implantat bedingt
|
1,37%
|
0,64%
|
Nachbehandlung
Praxis
Operative Prinzipien
Bei Beachtung der o. g. Operationsregeln ist die Gefahr der langfristigen Dekompensation
oder die Entwicklung einer Anschlussdegeneration bei der idiopathischen Skoliose als
gering einzustufen [18], [19].
-
Instrumentationsstrecke so kurz wie möglich und so lang wie nötig.
-
Korrektur des frontalen Profils (Schultergeradstand, lotgerechte Wirbelsäule).
-
Korrektur des sagittalen Profils (Rekonstruktion einer physiologischen BWS-Kyphose
mit lordotischer Einstellung der HWS und LWS).
-
Intraoperatives Neuromonitoring zur Früherkennung von neurologischen Problemen.
Postoperative Schmerztherapie
Der prä- oder intraoperativ thorakal angelegte PDK wird die ersten 3 – 5 Tage für
die postoperative Schmerztherapie verwendet. Eine zusätzliche orale bzw. i. v. Schmerzmedikation
nach WHO-Schema ist erforderlich.
Neurologische Diagnostik
In den ersten postoperativen Tagen ist eine tägliche neurologische Untersuchung zwingend
erforderlich, da neurologische Defizite auch mit einer zeitlichen Latenz auftreten
können.
Mobilisation, Bewegung, sportliche Betätigung
Die postoperative Mobilisation beginnt mit dem 1. postoperativen Tag. Bei Patienten
nach ventraler Skoliosekorrektur ist eine ergänzende Atemtherapie, ggf. auch CPAP,
in den ersten postoperativen Tagen sinnvoll.
Die Patienten sind in der Regel nach 8 – 10 Tagen postoperativ entlassungsfähig. Die
Schule kann nach etwa 4 Wochen postoperativ wieder besucht werden. Rehabilitationsmaßnahmen
sind in der Regel nicht indiziert.
Sportverbot für Schulsport, Kontaktsportarten sowie Leichtathletik und Gerätturnen
besteht für 12 Monate bis zum Abschluss der knöchernen Fusion. Freizeitaktivitäten
wie Radfahren und Schwimmen können nach 3 Monaten wieder aufgenommen werden.
Merke
Adoleszente Patienten sind nach Skolioseoperationen meist nach 6 – 12 Wochen komplett
schmerzfrei und in ihrem Alltag nicht mehr relevant eingeschränkt.
Keine Metallentfernung
Die eingebrachten Implantate sollten möglichst lebenslänglich in situ verbleiben,
da eine Metallentfernung, trotz eingetretener knöcherner Fusion, einen gewissen Korrekturverlust
mit sich bringt.
Kindliche Skoliosen
Bei Patienten mit noch relevantem Restwachstum (unter 10 – 12 Jahren) kommen mitwachsende
Systeme zur Anwendung. Hier stehen unterschiedlichste Techniken wie z. B. Magnetstäbe
oder pädiatrische Implantatsysteme mit der Möglichkeit der regelmäßigen Nachdistraktion
zur Verfügung.
Ausblick
Die etablierte operative Therapie der idiopathischen adoleszenten Skoliose geht wie
oben beschrieben bisher immer mit einer Versteifung einher. Seit einigen Jahren gibt
es Implantatentwicklungen, die ein weiteres Wachstum und eine Restbeweglichkeit zulassen.
Ergebnisse dieser neuen Operationstechniken (Tethering), z. B. mit einem ventralen
Schrauben-Seil-System, bei dem die Bandscheiben in situ verbleiben, beschränken sich
auf 1- bis 2-Jahres-Ergebnisse und wurden bisher nur auf Kongressen vorgestellt. Zitierbare
Publikationen sowie Langzeitergebnisse stehen hierzu noch aus.