Ergebnisse
1. Tierexperimentelle Studien
Für eine Reihe arbeitsrelevanter inhalativer Schadstoffe (u. a. mineralische Stäube,
Vanadium, Endotoxine, Schwefeldioxid) konnte in verschiedenen Tiermodellen die dosisabhängige
Auslösung einer chronisch obstruktiven Bronchitis und eines Emphysems gezeigt werden
[1]
[3].
2. Aktuelle Berufskrankheitenstatistik
Wie aus [Tab. 1] ersichtlich, werden aktuell jährlich nahezu 4000 Fälle wegen des Verdachts einer
obstruktiven Atemwegserkrankung angezeigt. Überwiegend handelt es sich bei den Fällen
der Nummern 1315, 4301 und 4302 um Asthmaerkrankungen. Da jedoch vom Verordnungsgeber
keine Abgrenzung von der COPD vorgenommen wurde, ist deren Zahl nicht bekannt. Sie
dürfte im Bereich von 20 % der registrierten Fälle liegen, wobei der Anteil unter
den chemisch-irritativen Formen wahrscheinlich höher ist und über die offensichtlich
erhebliche Dunkelziffer (siehe folgende Abschnitte) keine Informationen vorliegen.
Tab. 1
Berufskrankheitenstatistik: Im Jahre 2016 in Deutschland angezeigte, anerkannte bzw.
neu berentete Fälle der Berufskrankheiten der Nummern 1315, 4301 und 4302 der BKV-Anlage
(https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Suga-2016.html).
BK-Nummer
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Anzeigen
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Anerkennungen
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Renten (neu)
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1315 Isocyanat-bedingte Erkrankungen
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130
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42
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24
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4111 COPD der Steinkohlenbergleute
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456
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239
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183
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4301 allergische obstruktive Atemwegserkrankungen inkl. Rhinitis
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1842
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384
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105
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4302 chemisch-irritative obstruktive Atemwegserkrankungen
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1503
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235
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150
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3. Auslösung einer COPD durch Schadstoffexpositionen am Arbeitsplatz
Die in der ATS-Übersicht von 2003 [1] auf Basis von Lungenfunktionsmessungen ermittelten populationsattributablen Fraktionen
(PAF, der direkt der Exposition zuzuordnende Anteil) der COPD lagen im Bereich von
12 – 34 %. In der Schlussfolgerung heißt es, dass der Kliniker sich der potenziellen
beruflichen Verursachung stets bewusst sein muss, da die Ursachenidentifizierung große
Bedeutung für die Prävention hat, bevor ein fortgeschrittenes Stadium und Arbeitsunfähigkeit
eingetreten sind.
Trupin et al. [4] fanden auf Basis von Telefoninterviews (Exposition am Arbeitsplatz, Verwendung einer
Job-Exposure-Matrix, Arztdiagnose COPD) heraus, dass berufliche Expositionen unabhängig
vom Rauchen zu einer signifikanten Erhöhung des Krankheitsrisikos führen; das Odds
Ratio betrug bei höherer Belastung 1,6 (95 % CI 1,1 – 2,5), bei mittelgradiger Belastung
1,4 (95 % CI 1,1 – 1,9). Die Zugrundelegung einer engeren COPD-Definition (Ausschluss
von Patienten mit chronischer Bronchitis) ergab ein Odds Ratio von 2,6 (95 % CI 1,8 – 3,5)
und eine PAF von 31 % (95 % CI 19 – 41 %).
Auch Blanc et al. [5] sowie Eduard und Mitarbeiter [6] konnten derartige Zusammenhänge nachweisen, wobei sich die Expositionen auf organische
und anorganische Stäube, organische Lösungsmittel und Rauche, Kohlengrubenstaub, landwirtschaftliche
Stäube, Kohleofenemissionen, Tunnelstaub und -rauche bezogen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Weinmann und Mitarbeiter [7] in einer Fall-Kontroll-Studie, die 388 spirometrisch bestätigte COPD-Fälle mit Telefoninterviews
inkludierte; hierbei konnten die personenbezogenen Daten und Befunde früherer Überwachungsuntersuchungen
berücksichtigt werden. Berufliche Belastungen mit Dieselabgasen, irritativen Gasen
und Dämpfen gingen mit signifikant erhöhtem COPD-Risiko einher; im Gesamtkollektiv
lagen die Odds Ratios (OR) bei 1,5 (95 % CI 1,1 – 2,1) und die PAF bei 24 % (95 %
CI 5 – 39), für Nieraucher betrugen die entsprechenden Parameter 2,4 (95 % CI 0,99 – 5,6)
bzw. 43 % (95 % CI 0 – 68), bei Rauchern 1,4 (95 % CI 0,95 – 2,0) bzw. 19 % (95 %
CI 0 – 37).
Blanc und Mitarbeiter [8] fanden eine adjustierte OR von 1,98 (95 % CI 1,26 – 3,09, PAF 31 %; 95 % CI 22 – 39 %)
für beruflich schadstoffexponierte Nieraucher und eine OR von 14,1 (95 % CI 9,33 – 21,2)
für exponierte Raucher. Die Ergebnisse wichen nicht nennenswert ab, wenn anstelle
eines strukturierten Telefoninterviews eine Job-Exposure-Matrix oder eine lungenfunktionsanalytisch
objektivierte COPD GOLD-Stadium II zugrunde gelegt wurde.
Im ATS Public Policy Statement 2010 [9] wurde unter Berücksichtigung neuerer Arbeiten die Evidenz einer ursächlichen Beziehung
zwischen beruflicher Schadstoffexposition und der Entwicklung einer COPD als ausreichend
eingestuft; die Ergebnisse werden als konsistent und kohärent eingestuft, auch bei
Zugrundelegung verschiedener COPD-Definitionen (symptombezogen; gemessene fixierte
Atemwegsobstruktion, Arztdiagnose, Mortalität). In einigen der angeführten Studien
wurden Dosis-Wirkungs-Beziehungen festgestellt.
Die Schweizer SAPALDIA-Studie [10], in der die COPD spirometrisch objektiviert wurde, zeigte nach Adjustierung für
Geschlecht, Alter und Rauchen eine Assoziation von COPD GOLD II (2 – 5-fach erhöht)
mit hohen Expositionen gegenüber beruflichen Dämpfen, Gasen, Stäuben und Rauchen;
das Risiko erhöhte sich um 10 – 15 % pro 10 Jahre Exposition. Das expositionsbezogene
Risiko war auch unter Nierauchern festzustellen. Die PAF betrug 51 % unter den Nierauchern
und 24 % in der gesamten Kohorte. Die Berücksichtigung des Rauchverhaltens ergibt,
dass die berufliche Schadstoffexposition das COPD-Risiko sowohl des Nierauchers als
auch des Rauchers erhöht. Die Odds Ratios lagen für die letztere Gruppe etwa doppelt
so hoch wie für die Gruppe der Nichtraucher mit Schadstoffbelastung (4,0 – 5,6 bzw.
1,6 – 3,2) [4]
[11]
[12].
Das Collegium Ramazzini veröffentlichte 2016 eine aktuelle Übersicht der Literatur
[13]. Unter Berücksichtigung zahlreicher Arbeiten (Literaturstellen [18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]
[27]
[28]
[29]
[30]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]) wird resümiert, dass, neben quarzhaltigen Stäuben, verschieden zusammengesetzte
Dämpfe, Gase, anorganische Stäube, Getreidestaub, Pestizide/Herbizide und Rauche das
Krankheitsbild verursachen können. Angeführt werden Belastungen durch Kohlengrubenstaub,
Asbest, Gase und Rauche beim Schweißen und Trennschneiden, Zementstaub, Dieselabgase,
Lacknebel, organische Lösungsmittel; als wahrscheinliche Ursache werden in dieser
Übersicht außerdem künstliche Mineralfasern genannt.
Lytras et al. [14] veröffentlichten kürzlich die Ergebnisse der 2010 – 2012 durchgeführten Nachuntersuchung
einer 1991 – 1993 erfassten, initial 22- bis 44-jährigen repräsentativen Bevölkerungsgruppe.
Von den 3143 Teilnehmern hatten zwischenzeitlich 89 eine COPD entwickelt (1,4 pro
1000 Personenjahre). Das relative Risiko einer Exposition gegenüber Pestiziden betrug
2,2 (95 % CI 1,1 – 3,8). Ebenfalls signifikant erhöht waren die relativen Risiken
für biologische Stäube mit 1,6 (95 % CI 1,1 – 2,3) und Gase/Rauche mit 1,5 (95 % CI
1,0 – 2,2). Die kombinierte populationsattributable Fraktion betrug für diese Expositionen
21 %.
Svanes et al. [15] stellten im Rahmen der European Community Respiratory Health Survey (ECRHS) bei
3 Untersuchungen im Zeitraum von 20 Jahren fest, dass Reinigungspersonal und Frauen,
die zu Hause Reinigungsmittel anwendeten, einen signifikant erhöhten Abfall der FEV1 aufweisen (−3,6 bzw. −3,9 mL/Jahr mehr als das nicht exponierte Vergleichskollektiv).
Dabei zeigten sowohl Reinigungssprays als auch andere Reinigungsmittel einen signifikanten
Einfluss. Allerdings war die Ratio FEV1/FVC infolge gleichsinniger Veränderungen der beiden Parameter nicht wesentlich verändert.
Dies wird von den Autoren mit chronisch entzündlichen Veränderungen der Atemwege und
einem möglichen Remodeling sowie fibrotischen oder interstitiellen Veränderungen durch
Ammoniak und Bleichmittel erklärt. Entsprechend zeigen sich zwar erhöhte Odds Ratios
hinsichtlich einer chronischen Atemwegsobstruktion bei Anwendung der Reinigungsmittel,
jedoch waren diese Erhöhungen nicht signifikant. Hierbei dürfte eine Rolle spielen,
dass das Kollektiv relativ jung war (initial 20 – 44 Jahre).
Hinzuweisen ist auf die in einer Schweizer populationsbezogenen Querschnittstudie
mit Lungenfunktionsmessungen belegte COPD-Risikoerhöhung durch NO2-, SO2- und Feinstaubbelastungen, wie sie auch an vielen Arbeitsplätzen eine Rolle spielen
[16]
[17]; das Odds Ratio bezogen auf PM10 lag bei 1,33 pro 7 µg/m ³ (95 % CI 1,03 – 1,72).
4. Beruflich bedingte COPD bei konkurrierenden Ursachen wie Rauchen, rezidivierende
Atemwegsinfekte, Alpha-1-Antitrypsinmangel
Die im vorausgegangenen Abschnitt dargestellten Daten sprechen dafür, dass der adverse
Effekt der beruflichen Schadstoffbelastung auf die Lungenfunktion in etwa vergleichbar
mit den Auswirkungen des Rauchens und als sich zusätzlich auswirkender Faktor einzustufen
ist (siehe auch die entsprechende Einschätzung der ATS [18]). Bei hoher beruflicher Schadstoffbelastung wie bei Tunnelarbeiten kann ersterer
sogar stärker ausgeprägt als jener des Rauchens sein [19]. In praktisch allen diesbezüglichen Studien zeigten sich bei vergleichbaren Rahmenbedingungen
wesentlich höhere COPD-Prävalenzen und -Inzidenzen der rauchenden, beruflich gegenüber
Schadstoffen Exponierten. Auch letztere Ergebnisse weisen auf eine additive oder überadditive
Wirkung des Zigarettenrauchens hin [20]. Die PAF der COPD war bei belasteten Nierauchern meist etwa doppelt so hoch wie
bei belasteten Rauchern, die ja bereits eine hohe Grundprävalenz aufweisen. Siehe
bspw. Weinmann und Mitarbeiter (PAF 43 bzw. 19 %) [7].
Die langjährige Passivrauchexposition, wie sie unter anderem früher in Bars und Gaststätten
auftrat, geht mit einem erhöhten Risiko für die chronische Bronchitis einher. Piitulainen
und Mitarbeiter fanden signifikant erhöhte Risiken nach mindestens 10-jähriger Exposition
[21]. Jordan et al. [22] fanden in einem Querschnittssurvey Dosis-Wirkungs-Relationen zwischen Passivrauchexposition
einerseits und respiratorischen Symptomen sowie der Entwicklung einer COPD (Obstruktion
plus Symptome) andererseits, wenn die Passivrauchexposition mehr als 20 h/Woche betrug
(OR 1,18 [95 % CI 1,01 – 1,39]); dabei war das Risiko der Nieraucher nahezu verdoppelt
(OR 1,98 [95 % CI 1,03 – 3,79]).
Insgesamt war laut einem Review [9] auf Basis der 2010 vorgelegenen Studien die Evidenz für die COPD durch Passivrauchen
als limitiert bis hinweisend einzustufen.
Bezüglich des Einflusses beruflicher Belastungen beim homozygoten Alpha-1-Antitrypsinmangel
liegen mehrere Studien vor. Piitulainen et al. [21] fassten ihre Ergebnisse wie folgt zusammen: „In those aged 50 or older lung function
was lower in individuals exposed to airway irritants than those who were not exposed
(mean (SD) FEV1 63 (29) versus 76 (31) predicted (…).Asthmatic symptoms and occupational irritants
appear to constitute additional risk factors“. Die Autoren berichteten, dass die anamnestisch
erfasste berufliche Exposition gegenüber gasförmigen Arbeitsstoffen, Rauch und Staub
über mindestens 3 Monate bei 225 nierauchenden Alpha-1-Antitrypsinmangelträgern mit
einem signifikanten Abfall der FEV1 verbunden war. Gleichartige Befunde werden für solche Mangelträger von Mayer et al.
2000 [23] in einer Spirometrie- und Fragebogen-basierten Studie für mineralische Stäube und
auch in dem Review von Senn et al. [24] mitgeteilt. Letztere Autoren verweisen auf die auch beim Alpha-1-Antitrypsinmangel
offensichtlich vom Rauchen unabhängigen zusätzlichen adversen Wirkungen von beruflichen
und häuslichen inhalativen Belastungen, so durch irritative Gase, Rauch, endotoxinhaltige
Stäube, Asbest, Pollution, Petroleumofen-Rauch.
Das ATS/ERS-Statement [1] formuliert entsprechend: „Occupational inhalational exposures are independently
associated with respiratory symptoms and airflow limitation in severely alpha(1) AT
deficient individuals“.
Hinsichtlich des COPD-Risikos von Alpha-1-Antitrypsinmangelträgern mit beruflicher
Schadstoffexposition fassten Needham und Stockley [25] in einem Review die bis dahin vorliegende Literatur zusammen; sie verweisen auf
die adversen Einflüsse unter anderem von Petroleum-Verbrennungsrückständen, mineralischen
Stäuben (die sie als Surrogat für die vorgelegenen einatembaren Schadstoffe an den
Arbeitsplätzen betrachten) und Expositionen in der Landwirtschaft. Zitat: “Domiciliary
use of kerosene heaters and working in agriculture for at least 10 years were shown
to be associated with increased symptoms and decreased lung function in non-smoking
Pi Z patients in the Swedish registry. (...) Mineral dust exposure, as detected by
self-reported questionnaires, was also shown to be independently associated with chronic
cough and with airflow limitation after adjusting for age and smoking in a group of
American patients with more severe disease.” Eine Studie mit 128 jungen Alpha-1-Antitrypsinmangelträgern
(17,7 – 19,9 Jahre) ergab, dass die häusliche Passivrauchbelastung in dieser Personengruppe
mit einer verminderten FEV1/FVC verbunden ist [26].
Nach klinischer Erfahrung gehen rezidivierende Atemwegsinfekte oft mit einer erhöhten
Empfindlichkeit gegenüber irritativ wirkenden Arbeitsstoffen einher. Dadurch kann
die Entstehung einer entschädigungspflichtigen COPD begünstigt werden. Siehe hierzu
folgende Kasuistik und Fall 1.
Patient O. T., männlich, *1939, +2012
Beschwerdebild/Diagnosen: ab 2006 chronische bronchitische Beschwerden, langsam progrediente
Belastungsdyspnoe
Seit 2005 Nachweis von Pleuraplaques, seit 2006 subpleurale Lungenfibrose, im Verlauf
etwas zunehmend
2006 Anerkennung einer BK Nummer 4103, keine MdE
2008 Larynxkarzinom, Anerkennung einer BK Nummer 4104 (asbestbedingte Pleuraveränderungen),
MdE 30 %, später 20 %
2009 Lungenfunktion: leichte kombinierte Ventilationsstörung, schwere Diffusionsstörung
(TLCO 31 % Soll)
Ab 2010 respiratorische Globalinsuffizienz, Sauerstofftherapie
Berufliche Belastungen 1957 – 1982 als Bauhelfer viel ungeschützter Umgang mit Asbestplatten, -zement, auch
in der Altbausanierung Kontakt zu Asbest; auch anschließend bis 1958 bei verschiedenen
Tätigkeiten im Metallbereich als Schlosser und Schweißer intermittierender ungeschützter
Kontakt mit asbesthaltigen Materialien. In der Ermittlung des Präventionsdienstes
der zuständigen Berufsgenossenschaft wurde für den Zeitraum 1957 – 1982 eine Belastung
von 3 Asbestfaserjahren angegeben; Ermittlungen für die später ausgeübten Tätigkeiten
liegen nicht vor.
Rauchverhalten ca. 20 Packyears (bis 2009 mäßiggradig geraucht)
Beurteilung Die COPD mit Lungenemphysem und die dadurch teilweise bedingte Diffusionsstörung/
Gasaustauschstörung sind sowohl durch das Zigarettenrauchen als auch durch die berufliche
Belastung gegenüber asbesthaltigen Feinstäuben mit weiteren anorganischen Anteilen
bedingt. Eine Abgrenzung des Anteils des jeweiligen Faktors ist nicht möglich, zumal
laut vorliegenden Angaben der jeweiligen Belastungsdosis jede der beiden wesentlich
ist und die stattgehabten beruflichen Einwirkungen ein so hohes Gefährdungspotenzial
in sich bergen, dass sich daraus eine hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit
hinsichtlich des Schweregrades der Erkrankung stützen lässt. Es gibt nach dem aktuellen
medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand gute Belege dafür, dass unter ungünstigen
arbeitshygienischen Bedingungen asbesthaltige Stäube eine obstruktive Atemwegserkrankung
im Sinne einer COPD verursachen können. Die neuere Literatur zeigt, dass die intensive
langjährige Exposition gegenüber anorganischen Stäuben jeder Art, auch gegenüber jenen,
in denen Asbestfasern dominieren, zu diesem Krankheitsbild führen können. Es wird
auf das Review mit Metaanalyse zu den funktionellen Auswirkungen der Asbestbelastung
verwiesen [27]. Dabei zeigt sich, dass bereits ohne nachweisbare radiologische Veränderungen leichte
Verminderungen der Lungenfunktion im Sinne einer restriktiven und obstruktiven Einschränkung
und Gasaustauschstörung bestehen; bei Vorliegen von asbestbedingten Pleuraveränderungen
und v. a. bei Asbestose sind die Normabweichungen stärker ausgeprägt.
Insgesamt leitet sich aus dem Rauchverhalten ein erhöhtes Risiko für eine COPD mit
Lungenemphysem ab. Eine mögliche wesentliche ursächliche Bedeutung, auch der Asbestbelastung,
ist hiervon unberührt. Das Zigarettenrauchen ist nach Sicht des Gutachters und Radiologen
nicht als wesentliche Ursache für die vorgelegenen fibrotischen Lungenveränderungen
anzusehen.
Insgesamt ist im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der stattgefundenen Belastungen
und der Literatur davon auszugehen, dass sowohl das Zigarettenrauchen als auch die
berufliche Exposition gegenüber asbesthaltigen Feinstäuben mit weiteren Anteilen anorganischer
Stäube im Rechtssinn wesentlich zur Krankheitsentstehung beigetragen haben und voneinander
nicht eindeutig abgrenzbare Teilkomponenten der vorliegenden COPD mit Lungenemphysem
und dadurch bedingter Lungenfunktionseinschränkung darstellen. Die schwere Diffusionsstörung/Gasaustauschstörung
geht aus Sicht des Gutachters teilweise auf die Lungenfibrose, der mit Wahrscheinlichkeit
eine Asbestose zugrunde liegt, zurück.
Nachtrag: Bei abweichender Beurteilung des Vorgutachters und des die Unfallversicherung
beratenden Arztes (in der beruflichen Exposition wurde hier keine krankheitsursächliche
Rolle gesehen) steht das Urteil des Sozialgerichts noch aus.
5. Aktuelle sozialgerichtliche Entscheidungen mit Falldarstellungen
Eine Reihe von sozialgerichtlichen Entscheidungen betrifft die Frage, wann einer bestimmten
beruflichen Belastung bei gleichzeitiger konkurrierender nicht beruflicher Belastung
(z. B. Rauchen) die Rolle einer wesentlichen Teilursache nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung zukommt; s. BSG vom 17.6.2006 – B 2 U 13 /05 R BSG, 30.03.2017 – B 2 U 6 /15 R
sowie vom 30.1.2007 – B 2 U 15 /05 R-SozR4 – 5671 Anl. 1 Nr 4104 Nr. 2 RdNr2, BSGE
vom 29.11.2011, B 2 U 2610 R, Hess. LSG https://sozialgerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/berufsgenossenschaft-erkennt-berufskrankheit-vor-gericht.
Nach neueren gerichtlichen Entscheidungen müssen die beruflichen Einwirkungen nicht
überwiegend, gleichwertig oder annähernd gleichwertig sein; es reicht aus, dass die
beruflichen Einwirkungen ein so hohes Gefährdungspotenzial in sich bergen, dass sich
darauf eine hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit stützen lässt. Wenn also
mehrere Ursachen zu einem Gesundheitsschaden beigetragen haben (= konkurrierende Kausalität),
kann es mehrere rechtlich wesentliche Ursachen geben. Die Bestimmung der Wesentlichkeit
kann nicht auf mathematische Berechnungen gestützt werden; auch eine rechnerisch verhältnismäßig
niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange
den anderen Ursachen keine überragende Bedeutung für das Entstehen der Erkrankung
zukommt. S. diesbezügliche sozialgerichtliche Entscheidungen in den Fällen 1 und
2.
Berufskrankheit infolge Kühlschmierstoffexposition bei chronischer Nasennebenhöhlenentzündung
Das Landessozialgericht München befasste sich in einem Verfahren mit der Verursachung
einer obstruktiven Lungenkrankheit bei beruflicher Kühlschmierstoffexposition und
Vorliegen einer rezidivierenden chronischen Nasennebenhöhlenentzündung (L 2 U 338 /13;
Urteil vom 06.07.2016). In dem Urteil wurde davon ausgegangen, dass letztere eine
erhöhte Suszeptibilität bez. der Wirkung chemisch-irritativ und toxisch wirkender
Berufsstoffe zur Folge hatte. Bei einer solchen Konstellation liegt demnach eine wesentliche
berufliche Teilursache der Erkrankung sogar dann vor, wenn das Ausmaß der üblicherweise
eine solche Erkrankung auslösenden beruflichen Schadstoffbelastungen nicht erreicht
wird, sondern erst im Kontext mit der berufsunabhängigen erhöhten Empfindlichkeit
zum Tragen kommt. Vorausgesetzt ist, dass der konkurrierenden, nicht beruflichen Teilursache
nicht überragende Bedeutung zukommt.
Krankheitsverlauf und BK-Verfahren im Einzelnen Der 1955 geborene Patient war als Metallschleifer über 5 Jahre von 1981–1986 in hohem
und bis 1990 in erheblichem Maße, dann über mehrere weitere Jahre noch in geringerem
Umfang gegenüber Kühlschmierstoff-Aerosolen exponiert. Die Höhe dieser Belastung ist
strittig, laut Angaben des Patienten waren am Arbeitsplatz immer leichter Nebel vorhanden
(dies wurde von ehemaligen Arbeitskollegen bestätigt) und keine Absauganlagen installiert.
Die Unfallversicherung ging in 3 Stellungnahmen von üblichen, d. h. nicht über dem
damaligen Grenzwert für Kohlenwasserstoffe[1] von 10 mg/m³ gelegenen Belastungen aus. Messungen am Arbeitsplatz lagen allerdings
nicht vor. Ab 1985 kam es zu rezidivierenden, dann chronifizierenden Kieferhöhlenentzündungen.
1989 erfolgte eine Kieferhöhlenoperation, die aber keine Besserung brachte. Gleichzeitig
traten Atembeschwerden auf, verbunden mit Heiserkeit und Brennen im Mund. Damals wurde
erstmals eine leichte, im Folgenden persistierende obstruktive Atemwegserkrankung
objektiviert. Im Bronchospasmolysetest zeigte sich eine Reversibilität, im Acetylcholin-Provokationstest
eine bronchiale Hyperreagibilität. Allergietestungen verliefen negativ. 1990 und 2006
erfolgten von den behandelnden Ärzten Anzeigen des Verdachts eines berufsbedingten
Asthmas. Dabei wurde ein zeitlicher und kausaler Zusammenhang zwischen der beruflichen
Exposition einerseits und den Atemwegsinfekten und asthmatischen Beschwerden andererseits
gesehen. Der erste Gutachter ging unter Bezug auf die BG-lichen Ermittlungen (die
entgegengesetzten Angaben des Patienten und der Arbeitskollegen wurden ignoriert)
nicht von der gegebenen Einwirkungskausalität aus und sah die Ursache der obstruktiven
Atemwegserkrankung ausschließlich in den Nasennebenhöhleninfekten. In weiteren, gerichtsseitig
eingeholten Gutachten wurde die obstruktive Atemwegserkrankung bestätigt und eine
wesentliche Teilursache der obstruktiven Atemwegserkrankungen in der beruflichen Belastung
gegenüber irritativen Komponenten in den Kühlschmierstoffen gesehen, außerdem wurde
eine MdE von 20 % ab 2008 angenommen. Berücksichtigt wurden ungünstige arbeitshygienische
Bedingungen, eine anzunehmende, zumindest zeitweilige Überschreitung von Grenzwerten
und die deutliche Besserung des Gesundheitszustands nach Einstellung der Tätigkeit
als Metallschleifer 2005. Auch wurde vermutet, dass die chronisch eitrige Sinusitis
auf bakterielle Kontaminationen der verunreinigten Kühlschmierstoffe zurückzuführen
war. Des Weiteren wies ein Gutachter auf Literaturmitteilungen hin, die belegen, dass
auch unterhalb der Grenzwerte Kühlschmierstoffe obstruktive Atemwegserkrankungen auslösen
können. Park et al. [28]
[29] hätten in ihrer Studie gezeigt, dass rund 62 % entsprechend Exponierte Rhinitis-Beschwerden
entwickelten. Kühlschmierstoffe würden zu den chemisch-irritativen Arbeitsstoffen
gehören, die eine Berufskrankheit Nummer 4302 auslösen können (siehe hierzu auch entsprechende
Literatur in der Liste ursächlicher Stoffe [30]). Der involvierte HNO-Gutachter ging davon aus, dass die Kühlschmierstoffe die Sinusitis
und Rhinitis mit Wahrscheinlichkeit auslösten. Außerberufliche Noxen als Verursacher
der obstruktiven Atemwegserkrankungen waren nicht festzustellen.
Angeführte Entscheidungsgründe des Landessozialgerichts Da der Patient zum Zeitpunkt der Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen bereits
unter einer chronischen Entzündung der oberen Atemwege infolge rezidivierender Infektionen
gelitten habe, sei die berufliche Belastung ausreichend gewesen, die obstruktive Atemwegserkrankung
im Sinne einer Conditio sine qua non auszulösen. Es habe eine erhöhte Empfindlichkeit
des Klägers vorgelegen, sodass die berufliche Belastung, auch wenn diese bei einem
Atemwegsgesunden keine irritativen Wirkungen ausgelöst hätte, bei dem Patienten zur
Entwicklung einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung geführt habe. Die Tatsache,
dass der Kläger mit der chronischen Sinusitis – gleich welche Ursache diese hatte
– unter einer Vorbelastung litt, die sein Risiko für obstruktive Atemwegserkrankungen
deutlich erhöhte, schloss ihn vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht
aus. In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt – bis zur Grenze der unwesentlichen
Teilursache – der Grundsatz, dass jeder in dem körperlichen Zustand versichert ist,
indem er sich befindet. Die Kühlschmierstoffexposition stellte also neben der Nasennebenhöhleninfektion
eine Teilursache für die Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankungen dar. Die
Kühlschmierstoffexposition wäre als wesentliche Teilursache nur dann ausgeschlossen,
wenn der Nasennebenhöhleninfektion ein ganz überragendes Gewicht bei der Entstehung
der obstruktiven Atemwegserkrankungen zukäme. Ohne Bedeutung war dabei die Frage,
ob die Nasennebenhöhleninfektion ihrerseits selbst durch die Kühlschmierstoffexposition
entstanden ist. Die Nasennebenhöhleninfektion war aus Sicht des Gerichts lediglich
eine Konkurrenzursache, die ebenfalls wesentlich war, jedoch nicht von so überragender
Bedeutung, dass die Kühlschmierstoffexposition als Ursache unwesentlich wurde. Sowohl
die Schmierstoffexposition als auch die Nasennebenhöhlenentzündungen waren nach dem
Urteil also jeweils für sich genommen wesentliche Teilursache.
http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2016-N-71508?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1
http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2016-N-71508?hl=true
Sonderfall: Berufskrankheit eines Karosseriebauers mit Alpha-1-Antitrypsinmangel
Der 1967 geborene Patient war seit seinem 16. Lebensjahr als Karosserie- und Fahrzeugmeister
im Karosseriebau tätig. Dabei war er Lacknebeln, Lösungsmitteldämpfen, Motorabgasen
(Stickoxiden), Stäuben und Rauchen (Schweißrauche, Schleifstäube) ausgesetzt. Er hatte
bis zum 34. Lebensjahr geraucht (insgesamt 16 – 20 Packungsjahre). Bereits im Alter
von 37 Jahren wurde bei ihm eine schwere obstruktive Atemwegserkrankung mit Lungenemphysem
festgestellt. Laboruntersuchungen ergaben dann das Vorliegen eines homozygoten Alpha-1-Antitrypsinmangels
(ZZ-Genotyp). Die 2 initialen Gutachter und der die Berufsgenossenschaft beratende
Arzt gingen davon aus, dass die Erkrankung schicksalhaft sei und ausschließlich auf
das Rauchen und den angeborenen Gendefekt zurückzuführen sei. Es würden keine Erkenntnisse
darüber vorliegen, dass nicht in ungewöhnlicher Weise vorgelegene Schadstoffe zur
Krankheitsverursachung bei einer solchen angeborenen Störung führen würden. Nach konsekutiver
Ablehnung einer BK-Anerkennung durch die Berufsgenossenschaft und gleichlautendem
Urteil im ersten Sozialgerichtsverfahren war vor dem Landessozialgericht strittig,
ob die berufliche Belastung die vorliegende Erkrankung wesentlich mitverursacht hat.
Gerichtsseitig wurden nun weitere Gutachten eingeholt. Nach deren übereinstimmender
Zusammenhangsbeurteilung haben im vorliegenden Fall bei vorbestehender genetisch bedingter
erhöhter Suszeptibilität (homozygoter Alpha-1-Antitrypsinmangel) sowohl das Zigarettenrauchen
(16 – 20 Packyears) als auch die knapp 2 Jahrzehnte anhaltende erhebliche berufliche
Belastung gegenüber inhalativen Schadstoffen (Schweißrauch und Schweißgase, Isocyanate,
Lösemittel, Stäube) mit Wahrscheinlichkeit wesentlich im Rechtssinn zu der Entstehung
und zeitlichen Vorverlagerung der schweren obstruktiven Atemwegserkrankung beigetragen
(übliches Manifestationsalter ist das 4. und 5. Dezenium). Silverman et al. [31] diagnostizierten in der Nachuntersuchung von 54 initial gesunden ZZ-AT-Mangelträgern
nur in einem Drittel (zumeist Raucher) im Alter von 30 – 60 J. eine COPD.
Bei der Prüfung der Kausalität zwischen Schadstoffexposition und Atemwegserkrankung
war auch zu berücksichtigen, dass die Versicherten in dem gesundheitlichen Zustand
geschützt sind, in dem sie mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert werden. Eine vorliegende
Krankheitsanlage des Versicherten steht daher der Ursächlichkeit der Gefahrstoffexposition
nicht entgegen.
Der 3. Senat des Hessischen Landessozialgerichts folgte im Wesentlichen der vorgenannten
letzteren gutachterlichen Zusammenhangsbeurteilungen. In der Begründung heißt es,
dass die Kausalität zwischen der berufsbedingten Gefahrstoffexposition und der Atemwegserkrankung
nicht unter Verweis auf die bei dem Kläger festgestellte Krankheitsanlage – dem genetischen
Defekt – verneint werden könne. Die Gefahrstoffexposition sowie der Zigarettenrauch
seien zudem für die Atemwegserkrankung gleichermaßen (mit)ursächlich gewesen, sodass
der Tabakkonsum der Anerkennung der Berufskrankheit nicht entgegenstehe.
Zudem machte das Landessozialgericht deutlich, dass hinsichtlich der Berufskrankheit
Nr. 4302 keine Mindestdosis festgeschrieben sei, welche für die Anerkennung überschritten
sein müsse. Ferner hätten nach den Feststellungen der Sachverständigen aufgrund des
genetisch bedingten Enzymmangels des Klägers die beruflichen Gefahrstoffeinwirkungen
auch ohne den Tabakkonsum zu dessen Atemwegserkrankung geführt.
Nach diesen gerichtlichen Ausführungen hat die Berufsgenossenschaft die Atemwegserkrankung
des mittlerweile erwerbsunfähigen Klägers als Berufskrankheit Nr. 4302 anerkannt.
Das Verfahren wurde daraufhin ohne gerichtliche Entscheidung beendet. (AZ.: L 3 U
59 /13). https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht = LSG%20Hessen&Datum = 31.12.1111&Aktenzeichen = L%203 %20U%2059 %2F13
Diskussion und Schlussfolgerungen
Nach dem deutschen Berufskrankheitenrecht ist die Anerkennung und Entschädigung einer
COPD in Abhängigkeit von der ursächlichen Noxe und dem zugrunde liegenden Pathomechanismus
unter folgenden Berufskrankheitsnummern möglich (siehe Anlage der Berufskrankheitenverordnung):
4301 (allergisch bedingt), 4302 (chemisch-irritativ oder toxisch bedingt), 4111 (COPD
und Emphysem des Steinkohlenbergmanns), 1315 (Isocyanat-bedingte Erkrankungen), 4201
(Byssinose, Rohbaumwoll-, Flachs-, Hanfstaub; aktuell werden diesbezüglich keine Fälle
registriert), 4106 und 1308 (verschiedene Erkrankungen durch Aluminium bzw. Fluor).
Kurz vor der Verabschiedung steht eine neue Berufskrankheit, die sich aber nur auf
die durch quarzhaltige Stäube verursachte COPD bezieht. Eine COPD kann sich auch im
Rahmen interstitieller pulmonaler Berufskrankheiten manifestieren. Häufig ist dies
bei der BK-Nummer 4201 (Silikose) [32]
[33] und BK Nummer 4202 (Siliko-Tuberkulose) festzustellen; außerdem wird sie bei der
fortgeschrittenen Asbestose (BK Nummer 4103) [27]
[34]
[35]
[36]
[37], der exogen-allergischen Alveolitis (BK Nummer 4202), Schweißerlungenfibrose (BK
Nummer 4115) und anderen fibrosierenden berufsbedingten Lungenkrankheiten beobachtet.
Da vonseiten des Verordnungsgebers im Berufskrankheitenrecht nicht zwischen Asthma
und COPD unterschieden wird, ist der COPD-Anteil an den registrierten Berufskrankheiten
nicht bekannt. Es kann davon ausgegangen werden, dass innerhalb der Berufskrankheiten
der Nummern 4302, 1315 und v. a. 4301 nur ein kleinerer Teil die Definition der COPD
erfüllt. Die relativ geringen Anerkennungszahlen (siehe [Tab. 1]) stehen im Widerspruch zu den im obigen Kapitel 3 dargelegten Studien. D. h., es
ist von einer hohen Dunkelziffer infolge Nichtmeldungen, zum Teil auch infolge nicht
dem medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechenden Regularien auszugehen.
So ist nicht nachvollziehbar, warum die neue, kurz vor der Inkraftsetzung befindliche
Berufskrankheit COPD auf quarzhaltige Stäube beschränkt wird, obwohl eingehende Kenntnisse
und Erfahrungen für eine viel breitere Noxenberücksichtigung vorliegen. Die wissenschaftliche
Datenlage, an deren Veröffentlichungen Mitglieder des Ärztlichen Sachverständigenbeirats
beim BMAS, eines wichtigen politikberatenden Gremiums, beteiligt sind, belegt, dass
jede Art von in den thorakalen Atemwegen deponierten Aerosolen und irritativen Gasen
in Abhängigkeit von der Intensität und Dauer der Belastung eine COPD hervorrufen kann
(Einzelheiten s. obigen Abschnitt 3). Die von manchen Gutachtern und Juristen vorgebrachte
Sicht, das deutsche Berufskrankheitenrecht würde einer breiteren Berücksichtigung
der COPD entgegenstehen, überzeugt nicht. Vielmehr bedarf es der Anpassung desselben
an den medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand.
In Übereinstimmung mit dem Collegium Ramazzini, dem der Autor angehört, ist zu fordern,
dass zur Eindämmung der Volkskrankheit COPD in Ergänzung zu den teils erfolgreichen
aktuellen Antiraucherkampagnen auch arbeitsbedingte Ursachen in den Fokus weltweiter
Maßnahmen zur Vorbeugung und rechtzeitigen Erkennung rücken müssen. Dies inkludiert,
neben der breiten Vermittlung des Wissens über die ursächlichen Belastungen der COPD,
Schulungen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Unfallversicherungen v. a. Interventionen
mit Absenkung der Konzentrationen ursächlicher Noxen in der Arbeitswelt sowie stringentere
gesundheitsbasierte Arbeitsschutzregularien inklusive Grenzwertsetzungen. Auch eine
regelmäßige eingehende arbeitsmedizinische Betreuung (Surveillance) von Risikogruppen
(zum Beispiel von Mehlstaub- und Getreidestaubexponierten), d. h., eine über die bisherigen
Regularien deutlich hinausgehende Vorsorge ist dringend zu empfehlen und in Deutschland
für Teilbereiche und bestimmte gefährdende Tätigkeiten gesetzlich vorgeschrieben [38].
Im suszeptiblen Fall muss das erhöhte Erkrankungsrisiko durch über das übliche Maß
hinausgehende Präventionsmaßnahmen minimiert werden.
Bezüglich des homozygoten Alpha-1-Antitrypsinmangels ist nachzutragen, dass hier –
entgegen der Argumentation der Beklagtenseite im Fall 2 – nicht von einem belastungsunabhängigen
Automatismus des Krankheitsverlaufs auszugehen ist. Vielmehr bleibt ein Teil der betroffenen
Personen asymptomatisch, entwickelt nur leichte Beschwerden oder erst im höheren Lebensalter
eine klinische Manifestation. Dies gilt für inhalativ nicht belastete, zum Teil auch
für rauchende Mangelträger [18]
[31]
[39]
[40]. Da ein großer Teil der Bevölkerung immer noch raucht, ist erwartungsgemäß mit einem
hohen Evidenzgrad der Einfluss des Rauchens auf eine solch relativ seltene Erkrankung
statistisch fassbar. Dies gilt aber nicht für eine in der Allgemeinbevölkerung relativ
seltene berufliche Exposition (hier bestimmte einzelne chemisch-irritative Arbeitsstoffe)
bei einer seltenen Erkrankung. Solche epidemiologischen Daten bei Alpha-1-Antitrypsinmangelträgern
sind also für solche Belastungen gar nicht zu erwarten, sondern werden üblicherweise
in Schadstoffgruppen wie „gas/ses, fumes, smoke, irritants“ erfasst (s. die im Abschnitt
3 dargestellte diesbezügliche Literatur). Es ist nicht zulässig, von Beweislosigkeit
infolge solcher nicht existierender Daten mit vermeintlich nicht gegebener zeitlicher
Koinzidenz von Exposition und Krankheitssymptomen auszugehen, sondern es sind hinsichtlich
der Beurteilung von ursächlichen Zusammenhängen neben BK-rechtlichen Aspekten Plausibilität,
Analogien und der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand über die Wirkungen der
vorgenannten beruflichen Schadstoffgruppen bei diesem genetischen Mangeltyp heranzuzuziehen.