PD Dr. Matthias Röthke
Herr Dr. Röthke, das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebsart bei Männern. Welche
Methoden und Hilfsmittel stehen zur Diagnose eines Prostatakarzinoms eigentlich grundsätzlich
zur Verfügung?
Die Vorsorge des Prostatakarzinoms gliedert sich in die Bestimmung des Laborparameters
PSA (prostataspezifisches Antigen) sowie eine digitale Tastuntersuchung der Prostata,
die transrektal durchgeführt wird, und in der Regel eine anschließende transrektale
Ultraschalluntersuchung (TRUS), bei der die Morphologie der Prostata beurteilt wird.
Neben diesem etablierten Verfahren stehen neuere Verfahren zur Verfügung wie funktionelle
Ultraschalluntersuchungen mit Elastografie und Ultraschall-Kontrastmittel (CEUS) sowie
natürlich die multiparametrische MRT– auch als MR-Prostatografie bezeichnet, die im
vergangenen Jahrzehnt bezüglich ihrer diagnostischen Güte umfassend wissenschaftlich
evaluiert wurde.
Welche Bedeutung kommt dabei der Prostatabiopsie zu?
Wie bei vielen anderen Krebserkrankungen auch muss ein auffälliger Befund histologisch
abgeklärt werden, um adäquate Therapiemaßnahmen einleiten zu können. Bei der Prostata
wird bislang eine sogenannte systematische Biopsie durchgeführt, bei der unter transrektaler
Ultraschallkontrolle aus Sextanten der Prostata jeweils in der Regel zwei histologische
Zylinder entnommen werden.
Was genau kann eine multiparametrische MRT-Untersuchung leisten?
Die multiparametrische MRT bietet zwei entscheidende Vorteile:
Zum einen kann sie abklärungswürdige malignomsuspekte Herdbefunde in der Prostata
genau lokalisieren, sodass sie im Anschluss gezielt biopsiert und gemäß dem Prostate
Imaging Reporting and Data System, den sogenannten PI-RADS-Graden, zugeordnet werden
können. Das funktioniert ähnlich wie die BI-RADS-Klassifikation für die Mamma-MR.
Auch hier gilt: Je höher der PI-RADS-Score einer Läsion ist, desto größer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass ein signifikantes Prostatakarzinom vorliegt. Die Frage, ob
eine gezielte Biopsie von suspekten Läsionen allein ausreicht, muss dabei noch abschließend
geklärt werden. In der Regel wird heutzutage neben der gezielten Biopsie des auffälligen
Befundes zusätzlich eine systematische Biopsie durchgeführt.
Der zweite große Vorteil der multiparametrischen MR-Prostatografie ist darin begründet,
dass sie einen sehr hohen negativen prädiktiven Wert von rund 95 Prozent aufweist.
Sie kann deshalb helfen, unnötige Biopsien zu vermeiden, beispielsweise bei Männern,
die eine PSA-Erhöhung aufgrund eines Reizzustands der Prostata, die sogenannte Prostatitis,
aufweisen.
Bei welchen Indikationen kommt die mpMR Prostatografie zum Einsatz?
Die multiparametrische MRT kommt derzeit vor allen Dingen bei Männern zum Einsatz,
bei denen eine systematische transrektale ultraschallgesteuerte Biopsie zwar unauffällig
war, die jedoch weiterhin einen suspekten klinischen Verlauf zeigen, zum Beispiel
einen weiteren PSA-Anstieg. Aktuelle Studien, unter anderem aus dem New England Journal
of Medicine, legen allerdings nahe, dass die mpMRT bei einem entsprechenden klinischen
Verdacht auch bereits vor einer möglichen Biopsie durchgeführt werden sollte, um entweder
ein geeignetes Ziel für die Biopsie zu identifizieren oder aber diese direkt auszuschließen.
Wir können so einer möglichen Übertherapie vorbeugen, da wir regelhaft niedriggradige
Karzinome, also Karzinome mit einem Gleason-Score 6, beziehungsweise in der neueren
pathologischen Klassifikation Grad I, nicht mit der MR-Prostatografie detektieren
können. In der derzeitigen diagnostischen Praxis kommt es vor, dass ein eigentlich
nicht hochsuspektes Areal mit einem PI-RADS Score von 4 oder 5 beschrieben, dennoch
biopsiert und im pathologischen Bericht dann ein Prostatakarzinom mit einem Gleason-Score
6 detektiert wird. Das ist weder für Radiologen noch für Urologen ein gutes Ergebnis,
da wir aus großen Studien wissen, dass die Lebenserwartung durch diese niedriggradigen
Karzinome nicht signifikant gemindert wird. Stattdessen entscheiden sich jedoch viele
Patienten, bei denen eine aktive Überwachung eigentlich ausreicht, nach ein paar Jahren
für radikalere Therapien, die dann nicht nur zu organischen Funktionsverlusten, sondern
auch zu erheblichen Kosten im Gesundheitssystem führen. Wir wissen außerdem auch,
dass Patienten mit einer onkologischen Diagnose, also auch Patienten mit einem diagnostizierten
niedriggradigen Prostatakarzinom, das nur überwacht, aber nicht behandelt wird, eine
erhöhte Suizidrate aufweisen.
Welche Rolle spielt die MR-Prostatografie bei der Entscheidung für oder gegen eine
Prostatabiopsie?
Das hängt davon ab, wie progressiv das Vorgehen ist. In den, naturgemäß dem aktuellen
Forschungsstand immer nachlaufenden Leitlinien wird auf jeden Fall eine Biopsie empfohlen,
falls ein suspektes beziehungsweise hochsuspektes Areal mit einem PI-RADS Score von
4 oder 5 detektiert wurde. Ob man im Fall einer negativen multiparametrischen MRT
auf eine Biopsie, insbesondere auf eine erstmalige Biopsie, verzichtet, hängt von
den jeweiligen behandelnden beziehungsweise betreuenden Ärzten ab. Ich gehe davon
aus, dass in naher Zukunft bei einem unauffälligen Befund durch eine qualitätsgesicherte
und standardisierte mpMRT-Untersuchung nachfolgend keine Biopsie mehr durchgeführt
wird. Wann dieses Vorgehen letztlich in den Leitlinien seinen Niederschlag findet,
kann derzeit aber niemand genau sagen. Wünschenswert wäre zunächst eine positive Beurteilung
durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sowie die Klärung der Erstattungsfrage seitens
der gesetzlichen Krankenkassen.
Welche Anforderungen an Radiologinnen und Radiologen stellt eine mpMRT-Untersuchung
der Prostata und welche Kompetenzen sind hierfür notwendig?
Hier ist es wichtig, zwischen dem technischen Teil der Durchführung der Untersuchung
und der Befundung zu unterscheiden. Die technische Durchführung ist aufgrund der aufwändigen
funktionellen Anteile nicht trivial. Dazu gehören die diffusionsgewichtete Bildgebung
und auch eine Perfusionsuntersuchung mittels Kontrastmitteldynamik. Gerade für die
diffusionsgewichtete Bildgebung ist ein moderner MR-Scanner mit den entsprechenden
Gradientenstärken notwendig, um vernünftige Resultate erzielen zu können. Wichtig
ist außerdem die Feldstärke: 3 Tesla-Tomografen ermöglichen aufgrund des besseren
Signal-Rausch-Verhältnisses (SNR) schnellere Untersuchungen beziehungsweise auch bei
adipösen Patienten eine erfolgreiche Durchführung. Bezüglich der technischen Parameter
hat die Arbeitsgemeinschaft Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik der DRG eine Richttabelle
erstellt und veröffentlicht, die als technischer Leitfaden für die Durchführung einer
MR-Prostatografie dienen kann. Für die Befundung einer multiparametrischen MRT-Untersuchung
der Prostata gilt das, was auch für andere radiologische Spezialuntersuchungen wie
beispielsweise die Kardio-MRT wichtig ist: Es bedarf einer guten Schulung und regelmäßiger
Übung. Aufgrund der ständig wachsenden Nachfrage gibt es hierzu mittlerweile deutschlandweit
diverse Fortbildungskurse und Symposien. Die AG Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik
wird übrigens auch auf dem 100. Deutschen Röntgenkongress 2019 einen Basis- und einen
Spezialkurs zur mpMRT anbieten.
Was hat Sie in der AG Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik dazu bewogen, nun ein
Zertifizierungsprogramm für die mpMR Prostatografie aufzusetzen?
Die Ergebnisse der mitunter sehr hochrangigen Studien zur mpMRT haben für eine gewachsene
Nachfrage seitens der Urologen gesorgt. In der Anwendung hat sich jedoch gezeigt,
dass nicht adäquat fortgebildete und trainierte Radiologen, die gegebenenfalls auch
nicht über die hierfür notwendige technische Ausstattung verfügen, Karzinome übersehen
beziehungsweise falsch-positive Befunde detektieren und zudem nicht das standardisierte
PI-RADS System zur Befundübermittlung verwenden. Wir sehen es deshalb als unsere Aufgabe
an, über ein spezielles Zertifizierungsangebot Qualitätsstandards für die fachliche
und technische Umsetzung dieser spezifischen Untersuchungsmethode zu gewährleisten.
Welche Zertifikate bieten Sie an und wie ist die Einführung des Zertifizierungsangebots
angelegt?
Wir bieten zwei Zertifikate an: ein Q1-Zertifikat und ein Q2-Zertifikat. Beide können
nach Erlangung des Facharztes für Radiologie beantragt werden. Erste Erfahrungen mit
der multiparametrischen MRT dürfen natürlich auch schon im Rahmen der Facharztweiterbildung
gesammelt werden. Das Q1-Zertifikat richtet sich an Kolleginnen und Kollegen, die
vorwiegend diagnostische MRT-Untersuchungen der Prostata durchführen wollen. Das Q2-Zertifikat
ist vom Prinzip her für diejenigen gedacht, die an großen Zentren arbeiten, also mit
Biopsieplanung, Staging, posttherapeutischen Kontrollen sowie Rezidivdiagnostik beschäftigt
sind. Die Einführung der Spezialzertifizierung mpMRT Prostata wurde auf dem 99. RöKo
im Mai 2018 beschlossen. Mittlerweile sind auch die Voraussetzungen für eine Zertifizierung
sowie der genaue Ablauf des Zertifizierungsprozesses definiert. Die entsprechenden
Antragsdokumente können auf der Homepage der AG Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik
eingesehen und heruntergeladen werden.
Wie schätzen Sie die Nachfrage an dem neuen Zertifizierungsangebot ein?
Aufgrund der zunehmenden Nachfrage der MR-Prostatografie durch die betreffenden Nachbardisziplinen
bin ich optimistisch und gehe davon aus, dass wir Ende 2019 die ersten 100 Kolleginnen
und Kollegen zertifiziert haben werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die mpMR Prostatografie betrifft ein einzelnes Organ und keine ganze Körperregion
wie normalerweise üblich. Die methodisch komplexe multiparametrische Untersuchung
hat Ihre Indikation im Karzinom-Ausschluss nur der Prostata. Hier besteht ein wichtiger
Unterschied zur MRT des ganzen Beckens, was auch von erheblicher abrechnungstechnischer
Relevanz ist, da die MR-Prostatografie noch keine Kassenleistung ist.
Die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) und der Berufsverband der Deutschen Radiologen
(BDR) haben Verfahren abgestimmt, um Qualitätsstandards für die fachliche und technische
Umsetzung der mpMR Prostatografie zu gewährleisten und die Einführung einer eigenständigen
Gebührenordnungsposition im EBM-Katalog zu fördern. Die DRG empfiehlt daher als Ergänzung
zum fachlichen Qualifizierungsnachweis über die Spezialzertifizierung der AG Uroradiologie
und Urogenitaldiagnostik die Teilnahme an dem technischen Qualitätssicherungsverfahren
des BDR zu Messparametern und Bildqualität für die mpMR Prostatografie.