Einleitung
Wenn auch mit einer Inzidenz von 10,3/100 000 relativ selten, sind Tibiakopffrakturen
häufig komplex und können auch für den erfahrenen Operateur eine große chirurgische
Herausforderung darstellen [1]. Um posttraumatische Deformitäten und fehlverheilte Frakturen zu vermeiden, ist
die Wahl des geeigneten chirurgischen Zugangs zum Tibiakopf entscheidend und Voraussetzung
für ein gutes postoperatives Ergebnis. Ziel der operativen Versorgung am Tibiakopf
muss die bestmögliche anatomische Rekonstruktion der Gelenkfläche sein, um klinisch
relevante Pseudoinstabilitäten sowie Achsdeformitäten der Beinachse zu vermeiden und
die Rate posttraumatischer Kniegelenksarthrosen zu minimieren [2], [3], [4]. Insbesondere bei den mit 34,5% besonders häufigen bikondylären Frakturen ist die
in der Literatur beschriebene Rate für posttraumatische Arthrosen mit 44% sehr hoch
[5], [6]. Sofern aufgrund potenziell bestehender Begleitverletzungen möglich, sollte postoperativ
eine langfristige Immobilisation vermieden und dem Patienten eine frühfunktionelle
Nachbehandlung ermöglicht werden [7].
Merke
Bei Tibiakopffrakturen handelt es sich mehrheitlich um komplexe und chirurgisch anspruchsvolle
Gelenkfrakturen, die bei inadäquater Versorgung zu klinisch relevanten Achsdeformitäten,
Pseudoinstabilitäten und zu posttraumatischen Kniegelenksarthrosen führen können.
Klassifikation und Indikation
Klassifikation
Da die Morphologie der Fraktur den geeigneten chirurgischen Zugang vorgibt, ist es
wichtig, Tibiakopffrakturen exakt und behandlungsorientiert zu klassifizieren. Hierfür
ist die präoperative computertomografische Bildgebung obligat. Die bekanntesten Klassifikationen
zur Einteilung von Tibiakopffrakturen stellen die AO-Klassifikation und die Klassifikation
nach Schatzker sowie nach Moore dar. Diese Klassifikationen betrachten 2-dimensional
die anteroposteriore Frakturmorphologie (AO und Schatzker) und gleichzeitige Weichteilverletzungen
bei Luxationsfrakturen (Moore). Sie sind zwar gebräuchlich, besitzen allerdings nur
eine mäßige Interobserver-Reliabilität [8], [9], [10]. Aufgrund ihres vorrangig deskriptiven Charakters und nur mangelnder Erfassung der
Frakturlokalisation, reichen die genannten Klassifikationen in vielen Fällen nicht
aus, um den chirurgischen Zugang angemessen zu planen. Daher haben sich zuletzt neuere,
computertomografiebasierte Klassifikationen etabliert, welche die Fraktur in ihrer
Dreidimensionalität erfassen und somit behandlungsorientierter sind. Das biomechanische
Dreisäulenmodell nach Luo et al. teilt den Tibiakopf in eine anterolaterale, anteromediale
und posteriore Säule und bietet eine Fraktureinteilung, anhand derer sich der chirurgische
Zugang zum Tibiakopf alternativ planen lässt [11], [12]. Exakt kann die Frakturlokalisation durch die „Zehensegmentklassifikation“ erfasst
werden [13]. Durch die Aufteilung des Tibiakopfes in 4 Quadranten und 10 Segmente ermöglicht
diese Klassifikation eine differenzierte präoperative Planung, sodass Stufen oder
Spalten auf Quadranten- und Segmentebene durch den passenden chirurgischen Zugang
oder deren Kombination gezielt adressiert werden können [13] ([Abb. 1]).
Abb. 1 Schematische Darstellung der Zehnsegmentklassifikation nach Frosch sowie der zugangsbezogenen
Erreichbarkeit. Grün Anteromedialer Zugang [14]; blau posteriorer posteromedialer Zugang [11], [15], [16]; bordeaux anterolateraler Zugang [14]; orange modifizierter posterolateraler Zugang [16]; rot erweiterter lateraler Zugang [17]; gelb erweiterter medialer Zugang [18] (ALL: anterolaterolateral, ALZ: anterolaterozentral, AZ: anterozentral, AMZ: anteromediozentral,
AMM: anteromediomedial, PLL: posterolaterolateral, PLZ: posterolaterozentral, PZ:
posterozentral, PMZ: posteromediozentral, PMM: posteromediomedial).
Merke
Die Morphologie der Fraktur gibt den idealen chirurgischen Zugang vor. Die dreidimensionale
Analyse der Tibiakopffraktur mithilfe neuer, CT-basierter Klassifikationssysteme kann
präoperativ bei der Wahl des geeigneten Zugangs behilflich sein!
Indikationen zur operativen Versorgung
Zur Indikationsprüfung der operativen Versorgung einer Tibiakopffraktur sollten folgende
Fragen gestellt werden [14], [15]:
Merke
-
1. Wie groß ist die intraartikuläre Stufen- bzw. Spaltbildung in den lasttragenden
Gelenkabschnitten?
-
2. In welchem Ausmaß ist die Gelenkfläche abgesunken oder abgekippt?
-
3. Wie groß ist die konsekutive Verbreiterung des Tibiakopfes?
-
4. Liegt eine koronare oder sagittale Achsabweichung vor?
-
5. Ist das mediale Tibiaplateau mitbetroffen?
-
6. Welche Begleitverletzungen liegen vor:
-
assoziierte Diaphysenfraktur oder ipsilaterale Fibulafraktur?
-
instabile ligamentäre Verletzungen?
-
Meniskusläsionen und Knorpelschäden
-
7. Droht ein Kompartmentsyndrom?
-
8. Handelt es sich um eine offene Fraktur?
Eine Operationsindikation ist gegeben, wenn … [14], [15]:
Merke
-
1. … die intraartikuläre Stufe > 2 mm beträgt.
-
2. … die Gelenkfläche > 5° abgesunken ist.
-
3. … die Verbreiterung des Tibiakopfes > 5 mm beträgt.
-
4. … die Achsabweichung > 5° misst.
-
5. … ja (es besteht keine zwingende Indikation bei fissuralen oder nicht dislozierten
Frakturen).
-
6. – 8. … ja.
Bei der Planung der Operation sollte neben dem Allgemeinzustand des Patienten und
weiteren Begleitverletzungen auch der Weichteilschaden am frakturierten Tibiakopf
berücksichtigt werden. Bei stark geschwollenen Weichteilen sollte die definitive Versorgung
verzögert und erst nach adäquatem Abschwellen idealerweise nach 5 – 8 Tagen stattfinden.
Bei offenen oder instabilen Verletzungen sollte zunächst die unmittelbare, notfallmäßige
Ruhigstellung in einem kniegelenkübergreifenden Fixateur externe erfolgen [16]. Für den Fall eines manifesten oder drohenden Kompartmentsyndroms muss der Zeitpunkt
der definitiven osteosynthetischen Versorgung abgewogen werden. Eine leitlinienbasierte
Empfehlung findet sich diesbezüglich nicht. Analysen größerer Kollektive deuten daraufhin,
dass zur Minimierung des Infektionsrisikos der sekundäre Wundverschluss nach stattgehabter
Kompartmentspaltung vor der definitiven Versorgung stattfinden sollte [17], [18], [19].
Chirurgische Zugänge
Es existiert eine Vielzahl chirurgischer Zugänge zum Tibiakopf. Diese Darstellung
soll sich auf die Operationszugänge fokussieren, welche aus Sicht der Autoren von
Bedeutung sind und im klinischen Alltag relevante Anwendung finden. [Abb. 1] stellt die segmentabhängige Adressierbarkeit durch den jeweiligen chirurgischen
Zugang zum Tibiakopf dar. Hier sollte berücksichtigt werden, dass insbesondere posterolaterale
Frakturfragmente nicht ausreichend durch anterolateral eingebrachtes Osteosynthesematerial
gefasst werden können [20], [21]. Daher sollten Fragmente im posterolaterozentralen Segment und posteromedialen Quadranten
auch bevorzugt direkt über dorsale Zugänge versorgt werden [22], [23], [24]. [Abb. 2] zeigt die mögliche Positionierung der Plattenlage in Abhängigkeit von der Lage des
Patienten.
Abb. 2 Mögliche Positionierung einer Platte zur osteosynthetischen Versorgung in Rückenlage
(a) und Seit-/Bauchlage (b). Grün: Eine operative Adressierung über eine in diesem Bereich positionierte Platte
zur Abstützung ist möglich; rot: eine Abstützung über eine in diesem Bereich positionierte
Platte ist nicht möglich.
Anterolateraler Zugang
Da bei 88,8% der Tibiakopffrakturen das laterale Tibiaplateau isoliert oder in Kombination
mitbetroffen ist [5], findet der anterolaterale Standardzugang zum Tibiakopf häufig Anwendung. Der Patient
wird in Rückenlage gelagert. Empfehlenswert ist eine gerade Schnittführung – vom Epicondylus
femoris lateralis und ein wenig hinter dem Tuberculum Gerdy nach distal ziehend. Zudem
sollte abhängig von der Frakturmorphologie berücksichtigt werden, ob der Hautschnitt
bevorzugt anterolateral, lateral oder posterolateral durchgeführt wird. Ersterer ermöglicht
eher die Adressierung eines Tuberositas-Fragmentes. Im Rahmen der weiteren Präparation
in die Tiefe sollte vermieden werden, dass ein iatrogenes subkutanes Weichteil-Décollement
entsteht. Zunächst erfolgt die Darstellung der Faszie des M. tibialis anterior, des
Tractus iliotibialis sowie der Tibiavorderkante. Nach anschließender längsverlaufender
Inzision des Tractus iliotibialis bis über das Tuberculum Gerdy an der Tibiavorderkante
entlang kann der Tractus nach ventral vom Tuberculum Gerdii gelöst werden. Das Areal
von der Tuberositas tibiae bis nach dorsal zum Vorderrand des Fibulaköpfchens kann
exponiert werden. Es erfolgt ein submeniskaler Zugang zum Gelenk, das Lig. meniscotibiale
wird hierzu durchtrennt, 2 mm sollten tibial für eine Refixation stehen bleiben. So
gelingt Einsicht auf das anterolaterale Drittel des lateralen Tibiaplateaus sowie
über den gesamten lateralen Rand des Plateaus. Empfehlenswert ist im Rahmen der Eröffnung
der Faszie des M. tibialis anterior eine Faszienbrücke von ca. 5 mm zu belassen, sodass
eine gute Weichteildeckung des Osteosynthesematerials gelingt. Posterolateral lokalisierte
Frakturen lassen sich über den anterolateralen Zugang weder adäquat einsehen noch
erfolgreich reponieren und osteosynthetisch adressieren. Insbesondere Frakturen mit
Lokalisation im posterolateralzentralen Segment lassen sich nicht suffizient über
den anterolateralen Zugang darstellen ([Abb. 1])
Merke
Der anterolaterale Standardzugang ermöglicht lediglich das Einsehen des anterioren
Quadranten sowie in das posterolaterallaterale Segment der Gelenkfläche! Das posterolateralzentrale
Segment kann damit nicht visualisiert werden!
Posterolateraler Zugang
In der Literatur finden sich zahlreiche Beschreibungen von posterolateralen Zugangswegen
zum Tibiakopf. Hierbei werden direkt posteriore, posterolaterale mit und ohne Osteotomie
des Fibulakopfes, posteromediale oder modifiziert anterolaterale Zugänge beschrieben
[25]. Die Autoren halten den posterolateralen Zugang ohne Fibulaosteotomie [22] für den geeignetsten Zugang, da weichteilschonend eine sehr gute Übersicht über
die dorsalen und lateralen Segmente des Tibiakopfes erlangt werden kann. Die Lagerung
des Patienten erfolgt bevorzugt in Seitenlage, aber auch in Bauchlage ist dieser Zugang
durchführbar. Bei Positionierung des Patienten auf der Seite sollte das Kniegelenk
auf einer gewickelten Rolle aufliegen, sodass das Gewicht des Beines selbst einen
Varusstress verursacht, welcher den lateralen Gelenkspalt aufdehnt und zu einer besseren
Einsicht verhilft. Des Weiteren kann hierbei durch die Ligamentotaxis in vielen Fällen
bereits eine partielle Reposition der lateralen und posterolateralen Frakturfragmente
erreicht werden. Der Hautschnitt erfolgt über eine Länge von ca. 10 – 12 cm entlang
des M. biceps femoris direkt über dem Fibulakopf beginnend etwa 4 cm oberhalb des
Gelenkspaltes, knapp proximal des lateralen Epicondylus. Der Fibulakopf dient dabei
als anatomischer Orientierungspunkt. Über den posterolateralen Zugang können ventral
und dorsal des Fibulakopfes 2 Fenster angelegt werden ([Abb. 3]).
Abb. 3 Posterolateraler Zugang nach Frosch in Seitenlage mit „Zwei-Fenster-Präparation“
dorsal und ventral des Fibulakopfes. a Hautschnitt beginnend etwa 4 cm oberhalb des Gelenkspaltes direkt über den Fibulakopf
(•) verlaufend und nach distal ziehend. b Präparation des N. peronaeus (↓). In diesem Fall früher Abgang des N. cutaneus surae
lateralis (↓↓). Die Darstellung des N. peronaeus erfolgt entlang der Hinterkante des
M. biceps femoris (◆) über dem lateralen Gastroknemiuskopf (▪). c Durch Retraktion des lateralen Gastroknemiuskopfes (▪) nach medial kann das Gefäß-Nerven-Bündel
potenziell dargestellt werden. Für gewöhnlich wird das Gefäß-Nerven-Bündel wie in
diesem Fall unter dem retrahierten Muskelbauch geschont. d Anschließend vorsichtige Durchtrennung des proximalen Ansatzes des M. soleus (⊙)
am Fibulaköpfchen, um nach entsprechender Arthrotomie über das posteriore Fenster
(medial des Fibulakopfes) Einsicht auf die posterolaterale Gelenkfläche (↓) zu erlangen.
e Ventral des Fibulakopfes (•) erfolgt die Präparation klassisch gemäß des anterolateralen
Standardzugangs. Die Pinzette markiert hier das Intervall der tendinösen Anteile des
M. popliteus (★) und des Außenbandes (#). Die Arthrotomie (↑) erfolgt über das anteriore
Fenster. Durch diese „Zwei-Fenster-Präparation“ kann visuelle Kontrolle über einen
Großteil des lateralen Tibiaplateaus erlangt werden.
Dorsal des Fibulakopfes erfolgt die Präparation nach Durchtrennung der Haut und des
subkutanen Fettgewebes an der dorsalseitigen Begrenzung des M. biceps femoris. Direkt
nach Eröffnen der Faszie kann der N. peronaeus an der Hinterkante des M. biceps femoris
identifiziert werden. Der Nerv sollte sorgfältig präpariert werden und nur so weit
mobilisiert werden, dass er während der Operation stets identifiziert werden kann.
Anschließend erfolgt die stumpfe digitoklastische Präparation zwischen dem lateralen
Kopf des M. gastrocnemius und des M. soleus unter stetiger Schonung der Muskelabgänge
um den Fibulakopf. Zur übersichtlichen Darstellung der Frakturfragmente sowie zwecks
Präparation des Plattenlagers kann eine proximale partielle Inzision des M. soleus
am Fibulaköpfchen erfolgen. Eine Präparation der A. und V. poplitea kann stumpf erfolgen,
ist aber nicht zwingend notwendig, da meist eine Schonung des Gefäß-Nerven-Bündels
unter dem retrahierten Muskelbauch des lateralen Kopfes des M. gastrocnemius möglich
ist. Die Präparation der Kniekehle bringt den M. popliteus zum Vorschein. Dieser ist
durch seinen festen tendinösen Anteil ein entscheidender Stabilisator der posterolateralen
Ecke und sollte daher unbedingt geschont werden. Der M. popliteus sowie der laterale
Kopf des M. gastrocnemius werden mit einem Langenbeck Haken nach medial und kranial
retrahiert, sodass Einsicht auf circa 20 – 30% des posterolateralen Tibiaplateaus
geschaffen werden kann.
Ventral des Fibulakopfes wird die Präparation klassisch gemäß des anterolateralen
Standardzugangs durchgeführt, sodass lateral das 2. Fenster entsteht. Die dargestellte
„Zwei-Fenster-Präparation“ von dorsal und ventral des Fibulakopfes ermöglicht es,
die visuelle Kontrolle über einen Großteil des lateralen Tibiaplateaus zu erlangen,
um eine anatomische Reposition sowie die ideale osteosynthetische Stabilisierung mithilfe
einer Abstützplatte oder Schrauben durchführen zu können [22] ([Abb. 3]). Die zentralen Segmente des Tibiakopfes sind so jedoch nur schwer einsehbar.
Merke
Bei posterolateralen Frakturbeteiligungen sind ergänzende posterolaterale oder posteromediale
Zugänge notwendig. Die Autoren halten den posterolateralen Zugang ohne Fibulaosteotomie
mit Anlage eines posterioren und eines lateralen Fensters zur Visualisierung der Gelenkfläche
für den geeignetsten Zugang.
Erweiterter lateraler Zugang
Bei umfassender Destruktion des lateralen Tibiaplateaus mit Beteiligung der zentralen
Segmente kann ein erweiterter lateraler Zugang indiziert sein, um eine umfassende
visuelle Gelenkeinsicht zu erlangen. Die Einsicht in die zentralen Segmente des Tibiakopfes
über die Präparation des anterolateralen Zugangs (Darstellung des vorderen anterolateralen
Drittels) und des posterolateralen Zugangs (Darstellung des nach dorsal abfallenden
Gelenkabschnittes) ist erschwert und die ausschließliche intraoperative fluoroskopische
Kontrolle mit dem Bildwandler gilt als Risikofaktor für das Persistieren von Gelenkstufen
[26], [27].
Eine annähernd komplette Gelenkeinsicht kann mithilfe einer Osteotomie des Fibulakopfes
oder der lateralen femoralen Epikondyle gelingen [28], [29]. Die Autoren bevorzugen die Durchführung einer Osteotomie der lateralen Femurepikondyle,
da für den transfibulären Zugang mit Fibulakopfosteotomie sekundäre Repositionsverluste
und Materialversagen nicht selten sind. Zudem besteht bei der Osteotomie der lateralen
Femurepikondyle entgegen der Fibulakopfosteotomie keine erhöhte Verletzungsgefahr
des N. peronaeus [30]. In den meisten Fällen ist eine Osteotomie des femoralen Ansatzes des lateralen
Kollateralbands ausreichend, sodass die Sehne des M. popliteus von der Osteotomie
unberührt bleibt und in ihrer stabilitätsgebenden Funktion nicht beeinflusst wird.
Durch diese Form der Osteotomie kann einer Eröffnung des lateralen Gelenkspaltes um
bis zu 7 mm erreicht werden, was einen guten Überblick auf die nahezu gesamte laterale
Gelenkfläche ermöglicht ([Abb. 4]). Die Popliteussehne sollte nur im Falle sehr komplexer Frakturgeschehen in die
Osteotomie mit einbezogen werden, falls auf anderem Wege keine ausreichende Visualisierung
der beiden zentralen Tibiakopfsegmente erzielt werden kann. Für die Refixation der
lateralen Femurepikondyle wird eine Zugschraubenosteosynthese mit 2 kanülierten (3,5 – 4 mm)
Schrauben empfohlen.
Abb. 4 Osteotomie der lateralen Femurepikondyle im Rahmen des posterolateralen Zugangs in
Seitenlage zur erweiterten Visualisierung der lateralen Gelenkfläche über das anteriore
Fenster. Bereits erfolgte Osteotomie eines etwa 1,5 × 1,5 × 0,5 cm messenden Knochenblocks
(grob-gestrichelter roter Kreis) mit lateralem Kollateralband (LCL, gestrichelte weiße
Linie), welches sich zuvor ventral des M. biceps femoris aufspannte (◆). Dorsal davon
angeschlungen der N. peronaeus (↓). Ventral des M. biceps femoris ist der M. popliteus
(★) dargestellt. Ersichtliche Osteotomiestelle an der lateralen Femurepikondyle (fein-gestrichelter
roter Kreis). Deutlich verbesserte Gelenkeinsicht (↑) submeniskal durch kraniale Retraktion
des angeschlungenen Außenmeniskus (gestrichelte gelbe Linie).
Cave
Wichtig bei der Versorgung von Tibiakopffrakturen ist es, eine möglichst komplette
visuelle Einsicht über die frakturierte Gelenkfläche zu erlangen, da die alleinige
fluoroskopische Repositionskontrolle ein Risikofaktor für das Persistieren von intraartikulären
Stufen ist!
Anteromedialer Zugang
Assoziiert mit bikondylären Verletzungen des Tibiakopfes finden sich mediale Frakturen
des Tibiaplateaus häufig als posteromediale Abscherfrakturen [5]. Kommt es zum sehr seltenen Auftreten einer isolierten anteromedialen Impressions-
oder Spaltfraktur, können diese über einen anteromedialen Zugang adressiert werden.
Die Hautinzision sollte dabei so durchgeführt werden, dass selbiger Schnitt für den
Fall einer eventuell später notwendigen Endoprothesenimplantation genutzt werden könnte.
Über den anteromedialen Zugang gelingt die Visualisierung des vorderen Drittels der
medialen Gelenkfläche. Hierfür wird die Gelenkkapsel in Längsrichtung inzidiert und
die Arthrotomie nach horizontalem Absetzen meniskotibialer Fasern im Bereich ihres
tibialen Ansatzes durchgeführt. Die weitere Einsicht nach dorsal auf die mediale Gelenkfläche
bleibt dem Operateur durch die oberflächlichen Anteile des medialen Kollateralbandes,
welches nicht durchtrennt werden sollte, verwehrt. Für den Fall, dass auch die zentral
gelegenen Areale der medialen Gelenkfläche dargestellt werden müssen, kann eine Erweiterung
des Zugangs durch eine Osteotomie des medialen Femurepikondylus erfolgen. Der anteromediale
Zugang eignet sich vor allem in Kombination mit dem anterolateralen oder dem lateralen
Zugang, wobei die Breite der Weichteilbrücke mindestens 7 cm betragen sollte, um die
Entstehung von Nekrosen oder Wundheilungsstörungen zu vermeiden [31].
Merke
Falls die Visualisierung zentral gelegener Areale der medialen Gelenkfläche notwendig
ist, kann eine Erweiterung des anteromedialen Zugangs mittels Osteotomie des medialen
Femurepikondylus erfolgen.
Posteromediale Zugänge in Rücken- oder Bauchlage
Durch den posteromedialen Zugang nach Lobenhoffer gelingt eine gute Visualisierung
im Bereich der dorsomedialen Tibiakante ([Abb. 1]). Der posteromediale Zugang kann hilfreich bei der Versorgung der besonders häufigen
bikondylären Frakturen mit mehrheitlich medialer, koronarer Splitfraktur sein. Die
Rekonstruktion der medialen Säule genießt dabei Priorität und sollte in der Regel
vor Adressierung des lateralen Tibiaplateaus erfolgen, da das mediale Tibiaplateau
als Referenz für die korrekte Achse, Länge und Breite des Tibiakopfes dienen kann.
Auch die distalen Frakturausläufer der häufig mit bikondylären Verletzungen einhergehenden
posteromedialen Abscherungen des Tibiaplateaus können über den posteromedialen Zugang
gut dargestellt und adressiert werden [29].
Der Hautschnitt wird bei dem auf dem Rücken mit leicht gebeugtem Knie oder in Vierer-Position
gelagerten Patienten über der dorsomedialen Tibiakante frakturabhängig über eine ungefähre
Länge von 10 cm durchgeführt. Es folgt die Präparation der Sehnen der „Hamstrings“,
der Zugang zum posteromedialen Tibiakopf erfolgt dann entweder zwischen den Sehnen
hindurch oder unter Retraktion an diesen vorbei. Mithilfe einer posteromedialen Abstützplatte
gelingt in den meisten Fällen durch die Reposition extraartikulärer distaler Frakturausläufer
eine anatomisch, stufenlose Wiederherstellung der Gelenkfläche. Im Falle einer dorsalen
Trümmerzone mit mehrfragmentärer Gelenkbeteiligung oder einem größeren Gelenkblock
mit posterolateralzentralen Anteilen (häufig bei Moore-II-Frakturen) gelingt in Rückenlage
oft keine ausreichende Darstellung, sodass ein direkter posteromedialer Zugang in
Bauchlage durchgeführt werden sollte. Der längsverlaufende Hautschnitt erfolgt in
Bauchlage über dem medialen Kopf des M. gastrocnemius ([Abb. 5]). Zu beachten ist dabei, dass die Inzision die Beugefalte der Kniekehle nicht kreuzen
sollte, um Bewegungseinschränkungen durch Narbenkontrakturen zu vermeiden. Anschließend
erfolgt die Präparation bis auf die Faszie des M. gastrocnemius, durch stumpfe digitoklastische
Mobilisation zwischen dem medialen Kopf des M. gastrocnemius und dem M. semimembranosus.
Die Darstellung der dorsomedialen Anteile der Gelenkkapsel gelingt durch Retraktion
des Gastroknemiuskopfes nach lateral unter Schonung des Gefäß-Nerven-Bündels ([Abb. 5]). Aufgrund einer Adipositas oder bei Patienten mit kräftiger Muskulatur muss eine
Erweiterung des Hautschnittes entlang der Beugefalte nach lateral in Erwägung gezogen
werden, wodurch die Visualisierung in das posterolateralzentrale Tibiaplateau verbessert
werden kann. Zudem kann eine partielle Inzision des tendinösen Ansatzes des M. gastrocnemius
femoral erfolgen, um die Darstellung der Fraktur zu verbessern. Bei der Durchführung
der posteromedialen Arthrotomie sollte in jedem Fall der sich lateral befindende Ansatz
des hinteren Kreuzbands und die medial gelegenen Ansätze des M. semimembranosus geschont
und nicht verletzt werden. Eine partielle proximale Lösung des M. soleus und des M.
popliteus zur Präparation des posteromedialen Plattenlagers ist möglich.
Abb. 5 Posteromedialer Zugang in Bauchlage. a, b Der Hautschnitt erfolgt in Bauchlage über dem medialen Kopf des M. gastrocnemius.
Nach Eröffnung der Haut und der Subkutis fällt der Blick auf die Fascia cruris. c Die Fascia cruris wird mit der Pinzette nach medial mobilisiert. d Unter stumpfem digitalen Austasten und Retraktion des medialen Kopfes des M. gastrocnemius
(▪) nach lateral erfolgt die Freilegung des M. semimembranosus (◆). e Dieser wird nach medial retrahiert (Pinzette), sodass ein Blick auf die dorsomedialen
Anteile der Gelenkkapsel möglich ist und eine posteromediale Arthrotomie durchgeführt
werden kann (↓).
Cave
Im Rahmen der Arthrotomie über den posteromedialen Zugang ist Vorsicht geboten, um
den Ansatz des hinteren Kreuzbandes und des M. semimembranosus nicht akzidentell zu
verletzen!
Erweiterter medialer Zugang
Mehrfragmentäre mediale Trümmerzonen sind durch die breite Auflage des medialen Kollateralbandes,
den Verlauf des medialen hinteren Schrägbandes (POL) sowie der Konkavität des medialen
Tibiaplateaus nicht suffizient über einen antero- oder posteromedialen Zugang darstellbar.
Daher kann die Durchführung einer weichteilschonenden Osteotomie des medialen femoralen
Epikondylus zu einer verbesserten Einsichtnahme notwendig werden. Analog zum erweiterten
lateralen Zugang erfolgt dabei medial die Osteotomie eines circa 2 × 2 × 1 cm großen
Knochenblocks, der anschließend mit 2 Spongiosaschrauben refixiert werden kann. Durch
die Osteotomie gelingt eine erweiterte Einsicht auf ca. 70% des medialen Tibiaplateaus
– das dorsale Drittel kann über den erweiterten medialen Zugang alleine nicht eingesehen
werden.
Minimalinvasive Zugänge
In dieser Übersicht der chirurgischen Zugänge zum Tibiakopf werden die minimalinvasiven
Zugänge zwar zuletzt aufgeführt, im klinischen Alltag sind sie aber von Wichtigkeit,
um eine umfassende, weichteilschonende und erfolgsorientierte Versorgung von Tibiakopffrakturen
gewährleisten zu können.
Wenig dislozierte Frakturen, für die eine operative Versorgungsindikation besteht,
können in minimalinvasiver Technik versorgt werden. Mithilfe einer kortikalen Fensterung
kann eine Impressionsfraktur unter Zuhilfenahme eines Stößels unter arthroskopischer
Kontrolle aufgerichtet werden und anschließend über einen anterolateralen Zugang mittels
Plattenosteosynthese oder über senkrecht zueinander eingebrachte kanülierte 3,5-mm-Schrauben
stabilisiert werden. In biomechanischen Studien zeigte sich eine verbesserte Verteilung
der Last mit einem geringeren Risiko des sekundären Schrauben-Auswanderns, wenn bei
dieser sogenannten „Jail-Technik“ die Jail-Schrauben genau unterhalb der fixierenden
Schrauben eingebracht wurden [32].
Die konventionelle Arthroskopie, die normalerweise mit einem erhöhten intraartikulären
Wasserdruck einhergeht, eignet sich bei AO-Typ-B-Frakturen ohne einhergehende Verletzung
der Kapsel, da andernfalls (bei Typ-C-Frakturen) ein iatrogenes Kompartmentsyndrom
entstehen kann. Bei dem Einsatz einer arthroskopischen Optik ohne erhöhten Spüldruck,
eingebracht über den chirurgischen Zugang, spricht man von der sogenannten „Frakturoskopie“.
Die Frakturoskopie ist inzwischen auch bei komplexen Tibiakopffrakturen zur verbesserten
intraoperativen Visualisierung der Gelenkfläche ein etabliertes Verfahren [26], [33].
Die Versorgung knöcherner Ausrisse des hinteren Kreuzbandes gelingt über einen minimalinvasiven
dorsalen Zugang [23] ([Abb. 6] und [7]). Die Lagerung des Patienten erfolgt hierfür in Bauchlage, die etwa 3 – 4 cm lange
Hautinzision erfolgt direkt über dem Muskelbauch des medialen Kopfes des M. gastrocnemius.
Nach anschließender Durchtrennung der Subkutis erfolgt die Eröffnung der Faszie und
der Muskelbauch des medialen Gastroknemiuskopfes wird nach lateral retrahiert ([Abb. 6]). Das Gefäß-Nerven-Bündel liegt geschützt unter dem medialen Gastroknemiuskopf und
wird dementsprechend mit nach lateral weggehalten; es sollte nicht dargestellt werden.
Eine Inzision am tendinösen proximalen Ansatz des medialen Gastroknemiuskopfes zum
„Release“ zwecks Verbesserung der Übersicht ist möglich. Nach Austasten der interkondylären
Grube am dorsalen Tibiakopf kann die dorsale Kapsel scharf vom Tibiakopf von distal
nach proximal unter Schonung des hinteren Kreuzbandes abgelöst werden. Nach entsprechender
Frakturreposition erfolgt die Fixation mit 2 Bohrdrähten und deren Überbohrung, um
mit 2 kanülierten Titanschrauben das reponierte Frakturfragment zu fixieren ([Abb. 7]).
Abb. 6 Minimalinvasive Versorgung eines knöchernen hinteren Kreuzbandausrisses [23]. Intraoperative Fotodokumentation. a Bauchlagerung des Patienten. b Circa 3 – 4 cm lange Hautinzision direkt über dem Muskelbauch des medialen Kopfes
des M. gastrocnemius. Nach Durchtrennung des subkutanen Fettgewebes kommt zunächst
die Fascia cruris zum Vorschein. c Nach Durchtrennung der Fascia cruris wird der mediale Gastroknemiuskopf nach lateral
retrahiert. Das Gefäß-Nerven-Bündel kommt geschützt unterhalb des medialen Gastroknemiuskopfes
zu liegen und muss nicht dargestellt werden. d Nach erfolgter Frakturreposition erfolgt die Fixation mit 2 Bohrdrähten. Diese kann,
wie hier in einem anderen Fall dargestellt, wahlweise über ein 2. minimalinvasives
Fenster von medial durchgeführt werden (Cave: Gefäße und Nerven liegen mittig oder
posterolateral!). Nach Überbohrung folgt das Einbringen von 2 kanülierten Titanschrauben
mit Unterlegscheibe zur „wasserdichten“ Fixierung des reponierten Ausrissfragmentes.
Abb. 7 Prä- und intraoperative Bildgebung. a In der präoperativen Röntgendiagnostik lässt sich die Verletzung bereits erkennen
und b im MRT bestätigen. c – e Durch die intraoperative Fluoroskopie kann eine kontinuierliche Lage- und Repositionskontrolle
erfolgen. f – h Das knöcherne Ausrissfragment zeigt sich anatomisch reponiert und stabil mit 2 kanülierten
Titanschrauben fixiert.
Merke
-
Wenig dislozierte Frakturen des Tibiakopfes können unter arthroskopisch gestützter
Kontrolle mittels Schraubenosteosynthese in „Jail“-Technik versorgt werden.
-
Die sogenannte „Frakturoskopie“ kann bei komplexen Frakturmustern zur intraoperativen
Darstellung der Gelenkfläche hilfreich sein.
-
Die Versorgung von knöchernen Ausrissen des hinteren Kreuzbandes kann über einen minimalinvasiven
dorsomedialen Zugang erfolgen, der technisch einfach und komplikationsarm ist.