Einleitung
Die Vitiligo ist eine autoimmunologisch vermittelte depigmentierende Erkrankung, die etwa 0,5 % der Weltbevölkerung betrifft [1]. Das Auftreten einer Vitiligo als paradoxe Reaktion unter einer immunsuppressiven Biologika-Therapie ist mit ca. 0,02 % ein seltenes Ereignis [2]. Das Neuauftreten einer Vitiligo unter der Therapie einer Psoriasis mit dem Interleukin (IL)-12/23-Inhibitor Ustekinumab wurde bislang nur in 3 Fällen beschrieben. Wir berichten hier über einen weiteren solchen Fall.
Kasuistik
Anamnese
Wir berichten über einen adipösen 54-jährigen Patienten, bei dem nach Beginn an der Stirnhaargrenze vor über 13 Jahren eine Psoriasis vulgaris vor 10 Jahren histologisch gesichert wurde. Vor 7 Jahren erfolgte die Vorstellung hier, es fanden sich erythrosquamöse Plaques an der Stirn, retroaurikulär und periumbilikal. Wir begannen eine topische Therapie mit Calcipotriol (Psorcutan®/Xamiol®)-Lösung 2 × tgl. über 12 Wochen mit initialem gutem Ansprechen. Da eine bereits vorbestehende Betablocker-Therapie wegen arterieller Hypertonie nicht abgesetzt werden konnte und die Calcipotriol-Therapie hierunter nicht nachhaltig wirksam war sowie weitere Psoriasis-Plaques auch am Stamm auftraten (PASI > 10) und der Patient als Selbstständiger aus zeitlichen Gründen keine UV-Therapie wahrnehmen konnte, entschieden wir uns zur Einleitung einer Therapie mit dem IL-12/23-Inhibitor Ustekinumab (Stelara®) 90 mg alle 12 Wochen nach einmaliger zusätzlicher Gabe 4 Wochen nach Therapiebeginn. Hierunter wurde der Patient bezogen auf seine Psoriasis rasch weitgehend erscheinungsfrei. Jeweils am Ende der 12-wöchigen Abstände zwischen den Injektionen kam es meist zu einer beginnenden Wiederverschlechterung (PASI 2 – 3). Fünf Jahre nach Beginn der Biologika-Therapie wurde bei dem Patienten vom Hausarzt ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 2 festgestellt und eine s. c. Insulintherapie eingeleitet. Etwa 3 Monate danach, also 6 Wochen vor der jetzigen Vorstellung zur planmäßigen Ustekinumab-Injektion, sei es zum erstmaligen Auftreten rasch progredienter hypopigmentierter Areale ausschließlich im Gesicht gekommen.
Dermatologischer Befund
In den lateralen Partien des Gesichtes und Halses zeigten sich beidseits mehrere Zentimeter durchmessende, z. T. konfluierende, scharf begrenzte, hypopigmentierte Hautareale ohne epidermale Beteiligung im Sinne einer klinisch typischen Vitiligo ([Abb. 1] und [Abb. 2]). Die zentrofazialen Partien fanden sich bez. der Pigmentierung ebenso unauffällig wie andere akrale Lokalisationen (Hände, Füße, Genitale). Retroaurikulär fanden sich beidseits gering schuppende und gerötete Areale im Sinne psoriatischer Restherde.
Abb. 1 Gesicht beidseits: mehrere Zentimeter durchmessende, z. T. konfluierende, scharf begrenzte, hypopigmentierte Hautareale ohne epidermale Beteiligung. Neu aufgetretene Vitiligo bei 54-jährigem Patienten mit Plaque-Psoriasis nach über 5-jähriger Therapie mit Ustekinumab.
Abb. 2 An der Brust ein weiterer hypopigmentierter, scharf begrenzter Vitiligo-Herd.
Therapie und Verlauf
Wir empfahlen zunächst regelmäßigen topischen UVA- und -B-Schutz (Lichtschutzfaktor 50 +) zur Verringerung der Pigmentierung der gesunden Haut und damit des visuellen Kontrastes und/oder Camouflage. Da das Neuauftreten eine Vitiligo unter längerer Gabe auch von IL-12/23-Inhibitoren bereits in mehreren Fällen [3] beschrieben wurde, haben wir dem Patienten die Umstellung auf ein anderes Biologikum (einen IL-17-Inhibitor) vorgeschlagen.
Diskussion
Die Arbeitsgruppe von Méry-Bossard et al. [3] beschreibt jeweils 18 Patienten, die unter einer immunsuppressiven Biologika-Therapie de novo eine Vitiligo entwickelten bzw. die Progression einer vorbekannten Vitiligo. Acht von den De-novo-Erkrankten wurden wegen einer Psoriasis mit dem Biologikum behandelt, 3 mit dem IL-12/23-Inhibitor Ustekinumab wie in unserem Fall. Die Vitiligo trat zwischen 1 und 72 (Mittelwert: 13,9 +/– 16,5) Monaten nach Beginn der Biologika-Therapie auf, in unserem Falle nach 64 Monaten. Das Gesicht war in 3/15 Fällen betroffen. Bei 12/18 Patienten verschlechterte sich die Vitiligo trotz Fortsetzung der Biologika-Therapie nicht weiter, bei 3 besserte sich die Vitiligo nach Absetzen des Biologikums oder blieb stabil. In 3 Fällen wurde das Biologikum gewechselt, ohne dass eine weitere Progression auftrat. Die entsprechenden Daten für die 18 Patienten mit dem Progress einer vorbestehenden Vitiligo unter Biologika-Therapie unterscheiden sich von jenen nur unwesentlich, mit Ausnahme einer deutlich höheren Rate eines weiteren Progresses der Vitiligo (43,7 % vs. 11,8 %) und einer deutlich geringeren Rate (6,2 % vs. 35,3 %) von Repigmentierungen unter Fortsetzung der Biologika-Therapie.
Unter paradoxer Arzneimittelreaktion versteht man ein Ereignis, das dem Ergebnis entgegensteht, welches vom angewendeten Medikament erwartet wird [4]. Grundsätzlich werden 3 Typen paradoxer Reaktionen unterschieden: paradoxe Reaktionen während der Krankheit, für die das Medikament ausdrücklich indiziert ist, paradoxe Reaktionen bezogen auf eine Erkrankung, für die das Medikament auch indiziert ist, wenngleich das Medikament eigentlich aufgrund einer anderen Indikation gegeben wird, und paradoxe Reaktionen, die in Bezug auf die Pharmakologie des Medikaments paradox sind, es aber nicht wegen einer der üblichen Indikationen gegeben wurde.
In unserem Fall beschreiben wir eine paradoxe Reaktion unter der Therapie einer Erkrankung, für die Ustekinumab indiziert ist. Eine paradoxe Reaktion wurde unter Ustekinumab bei weiteren Patienten beschrieben, zumeist trat eine Psoriasis neu auf oder exazerbierte [5]
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[12]. Die Interpretation der Daten über paradoxe Reaktionen ist schwierig, da es sich bei den betroffenen Patienten um eine deutlich geringere Anzahl im Vergleich zu der Anzahl von Patienten handelt, die keine paradoxe Reaktion entwickeln.
Bemerkenswert ist in unserem Fall, dass die Vitiligo nach langer Gabe des Biologikums erst wenige Monate nach zusätzlicher Einleitung einer Insulin-Therapie eines diagnostizierten Diabetes mellitus Typ 2 neu auftrat. Assoziationen zwischen einer Vitiligo sind v. a. mit einem ebenfalls autoimmunologisch bedingten Diabetes mellitus Typ 1 bekannt [2], aber auch zeitliche Zusammenhänge mit einer Insulin-Therapie, metabolischem Syndrom und/oder einer Insulinresistenz [13]
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[15]. Man kann auch spekulieren, ob die zusätzliche Gabe eines weiteren rekombinanten Proteins eine immunogene bzw. paradoxe immunstimulierende Wirkung gehabt haben könnte. Auch über das Auftreten einer Vitiligo bei Psoriasis-Patienten ohne Biologika-Therapie, Diabetes oder Insulin-Therapie wurde in Einzelfällen berichtet [16].
Weitere Beobachtungen sind erforderlich, um mögliche Zusammenhänge zwischen Wirkung und paradoxer Wirkung der Therapie mit Ustekinumab zu bestätigen. Die spezifischen zugrunde liegenden Mechanismen dieser Nebenwirkung sind unklar. Aufgrund der geringen Inzidenz dieser paradoxen Reaktionen ist es nicht möglich, generell gültige Handlungsempfehlungen zu geben. Eine Fortsetzung der Therapie bleibt im Einzelfall möglich, sollte jedoch nach der Schwere der paradoxen Reaktion und den zu Verfügung stehenden Behandlungsalternativen [17]
[18], im vorliegenden Fall z. B. einem IL-17-Inhibitor, beurteilt werden. Unter diesem Biologikum wurde das Neuauftreten einer Vitiligo bislang nur einmal beschrieben, während es unter TNF-alpha-Antagonisten 13-mal auftrat [3].