Nervenheilkunde 2019; 38(01): 64-65
DOI: 10.1055/a-0815-8296
Gesellschaften stellen sich vor
Georg Thieme Verlag KG

Dazugehören e. V.

Interdisziplinäres Engagement gegen Ausgrenzung und für Teilhabe & Inklusion
Jörg M. Fegert
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CPO Hanser
Paulsborner Str. 44, 14193 Berlin

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Publication Date:
22 February 2019 (online)

 

Irgendwo „Dazugehören“ – das ist es, was sich Menschen wünschen und brauchen. Das gilt gerade für Kinder und Jugendliche und insbesondere dann, wenn sie aufgrund von frühen Kindheitsbelastungen (wie Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellem Missbrauch) oder aufgrund einer psychischen Erkrankung von Ausgrenzung bedroht sind bzw. diese erfahren haben [[12]]. Es betrifft auch traumatisierte minderjährige Flüchtlinge [[1], [3]], die in unserer Gesellschaft zunehmend kritisch gesehen werden und trotz aller Restriktionen effektive Hilfs- und Unterstützungsangebote benötigen [[9]]. Daher widmete die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) ihren XXXV. Kongress 2017 diesem zentralen Thema [[9], [10], [11], [12], [13], [14], 15]. Das Kongressmotto „Dazugehören“ entstand im Rahmen eines Projektes an der Hans-Lebrecht-Schule, Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum für Schüler in längerer Krankenhausbehandlung am Universitätsklinikum Ulm. Sie wird primär von Schülern der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie in Ulm besucht, ermöglicht aber auch bettlägerigen chronisch kranken Kindern in der Abteilung für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Unterricht am Krankenbett. Bei der Diskussion über Konzepte wie Teilhabe und Inklusion und über Alltagsphänomene des Ausschlusses, der Isolation und Einsamkeit wählten die Kinder und Jugendlichen das Schlagwort „Dazugehören“ als Motto für ihre gemeinsame Auseinandersetzung, weil der Begriff verständlich sei und er einen Urwunsch aller darstelle.

Schnell lässt sich reflektieren, wo man sich zugehörig fühlt, wo man ausgegrenzt wird, ob man einsam ist und isoliert. Für die weitere Entwicklung vieler Kinder und Jugendlichen ist es wichtig zu wissen, wo sie einmal dazugehören wollen, welche Orte und Gruppen ihnen Kraft geben. So wird die individuelle Seite von Teilhaberechten und Teilhabechancen gerade für belastete junge Menschen deutlich. Der Kongress in Ulm machte deutlich, wie zentral die interprofessionelle Zusammenarbeit und der interdisziplinäre Austausch sind, auch unter Einbezug von Elternvertretern sowie Betroffenen. Deshalb wurde beschlossen, die Bewegung, die in Ulm entstand, in Form einer interprofessionellen Fachgesellschaft gegen Exklusion und für Teilhabe, Inklusion und gewaltfreies Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu verstetigen. Im November 2017 wurde die interdisziplinäre Fachgesellschaft „Dazugehören e. V.“ gegründet. Vorsitzender des Vereins ist Prof. Jörg M. Fegert. Er ist Leiter der Ulmer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen des BMFSFJ sowie Gründer und Herausgeber der Online-Zeitschrift „Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health (www.capmh.com), der offiziellen Zeitschrift der Weltgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und zusammenarbeitende Professionen (IACAPAP). Ehren- und Gründungsmitglied des Vereins ist die ehemalige Bundesfamilienministerin und erste Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Dr. Christine Bergmann. Ihr ist es ein Herzensanliegen, nicht nur für die Häufigkeit und Wahrnehmung von frühen Kindheitsbelastungen, wie z. B. sexuellem Missbrauch, zu sensibilisieren, sondern auch dafür zu sorgen, dass betroffene Kinder und Jugendliche durch entsprechende Unterstützung in allen Bereichen gute Chancen auf eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben.

Ein zentrales Ziel des Vereins ist es, die Möglichkeiten zur Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit (drohender) seelischer Behinderung und anderen Behinderungsformen sowie von Kindern und Jugendlichen, welche belastete oder traumatisierende Kindheitserfahrungen haben oder aus belasteten, benachteiligten Familien kommen, zu verbessern. Bei der Verwirklichung dieses Ziels stützt sich der Verein auf vier Säulen: Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Beratung von Fachkräften, Dissemination von Forschungsergebnissen und Unterstützung von praxisbezogener Forschung.

Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit betrifft vor allem die Folgen früher Kindheitsbelastungen wie Mobbing oder Bullying, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung, sexueller Missbrauch und die Folgen psychischer und/oder somatischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Wichtig ist es, durch die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit die Stigmatisierung Betroffener zu reduzieren und für die Dimension der Problematik zu sensibilisieren. Derzeit berichtet in repräsentativen Umfragen knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung über erlebte schwere Kindheitsbelastungen wie Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch und Misshandlung [[12]]. Mobbing und Bullying in der Schule, aber auch als Form der emotionalen Misshandlung innerhalb der Familie, sind leider sehr häufig, wie die Beiträge Brown et al. und Witt et al. in diesem Heft zeigen.

Vernetzungs- und Beratungsangebote richten sich an Fachkräfte im Bereich Gesundheit, Familie, Jugend und Schule. Unterstützt werden Kooperationen auf Bundesund Länderebene sowie im kommunalen Bereich. Ein besonderes Anliegen ist der Einbezug von Eltern und anderen interessierten Laien sowie betroffenen Kinder und Jugendlichen oder Erwachsenen, die in Kindheit oder Jugend solche Erfahrungen machen mussten und sich nun für kommende Generationen einsetzen möchten. Das Ziel der Beratungs- und Vernetzungstätigkeit ist die Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit und das Entwickeln eins gemeinsamen Verständnisses und einer gemeinsamen Sprache jenseits disziplinärer Definitionen und Zuständigkeiten.

Die Dissemination von Forschungsergebnissen bezieht sich auf die Gebiete der Antistigmaarbeit, der Prävention von Mobbing und Bullying, gegen Exklusion und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ein zentrales Ziel ist die Bildung einer „Community“ von an Kinderschutz und an der Förderung von Kindern interessierten Personen über neue Wege der Verbreitung von Informationen zu diesen Themenfeldern. Wichtig ist dabei die Sensibilisierung für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die psychische Belastunten haben. Forschung zu diesen Themen soll unterstützt werden; vor allem sollen Forschungsergebnisse fachlich korrekt und allgemein verständlich einer größeren Community zur Verfügung gestellt werden. Zentral für die Dissemination ist die Unterstützung von Informationskampagnen, Weiterbildungsveranstaltungen (z. B. XXXVI. Kongress der DGKJP vom 10.-13. April 2019 in Mannheim) und die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten, insbesondere die Nutzung neuer Medien, z. B. E-Learning.

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Abb. 1 Broschüre aus dem Projekt der Hans-Lebrecht-Schule anlässlich des XXXV. Kongress der DGKJP

Nächstes Ziel ist die Etablierung eines Open-Access-Journals „Dazugehören“, um über Disziplingrenzen hinweg Fachkräfte, aber auch ehrenamtlich engagierte Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, und Betroffene über die Themenfelder Adverse Childhood Experiences, Kinderschutz, Kinderrechte, Teilhabe und Inklusion von Kindern mit drohender Behinderung zu informieren. Das zentrale Anliegen dieses in Vorbereitung befindlichen Magazins ist, eine vernetzte Praxis zu unterstützen, indem Materialen bereitgestellt, Einblicke in ihren Arbeitsalltag gegeben und relevante Forschungsergebnisse verständlich aufbereitet werden. Darüber hinaus soll das Magazin Betroffenen eine Stimme geben. Aktuelle Informationen zu den Aktivitäten des Vereins finden Sie über die Projektwebseite und den Newsletter.

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Auch im Rahmen des kommenden Kongresses der DGKJP wird das Vereins-Motto eine Rolle spielen, unterstützt durch die Baden-Württemberg-Stiftung. Unter dem Titel „Dazugehören“ sind wissenschaftlichen Symposien, Praxisseminare und Keynote-Vorträge zu den Themenbereichen Teilhabe und psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geplant


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Abb. 1 Broschüre aus dem Projekt der Hans-Lebrecht-Schule anlässlich des XXXV. Kongress der DGKJP
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