Der Klinikarzt 2019; 48(01/02): 10-11
DOI: 10.1055/a-0820-3309
Zum Thema
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Komplementäre und alternative Therapieverfahren in der Klinik

Jutta Hübner
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 February 2019 (online)

Ärzte, die ihre Patienten zu der Fragestellung „Was kann ich selber tun?“ beraten, haben ebenso wie Wissenschaftler im Umgang mit der komplementären und alternativen Medizin eine schwierige Aufgabe. Schon allein die Zusammenziehung von komplementär und alternativ in einer gemeinsamen (?) Therapierichtung ist hochgradig fragwürdig. Alternative Medizin bezeichnet nicht nur Methoden, die dem Patienten suggerieren, dass sie ohne die Methoden der akademischen, wissenschaftlich geprüften Medizin genauso gut oder sogar noch besser zu einem Heilungserfolg kommen können, der dann auch noch ohne Nebenwirkungen mit 100 %iger Sicherheit gelingen wird, sondern auch parallel zur akademischen Medizin angewendete Methoden, die mit den Grunderkenntnissen der wissenschaftlichen Medizin nicht in Einklang zu bringen sind oder die die Grundregeln der evidenzbasierten Medizin ablehnen, sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen.

Dagegen anerkennt die komplementäre Medizin die Regeln der evidenzbasierten Medizin. Sie akzeptiert, dass wir für die Anwendung nach den Prinzipien der Medizinethik, den Nutzen ebenso wie den Schaden kennen und auf die jeweilige individuelle Patientensituation anwenden und den Patienten darin unterstützen müssen, eine Entscheidung nach seinen Präferenzen zu treffen.

Patienten mit einer Krebserkrankung haben oft hohe Erwartungen an die komplementäre oder alternative Medizin. Ziel eines Patienten mit einer Krebserkrankung ist das Überleben, die Heilung. Die Frage der Patienten nach einer einfacheren, wirksameren und sanfteren Therapie ist einerseits verständlich, andererseits eine Aufforderung an den aufklärenden Arzt, die Notwendigkeit der schulmedizinischen Therapie gut zu erklären, Nebenwirkungsmanagement aktiv anzubieten und redlich zu sagen, dass wir mit naturheilkundlichen und anderen komplementären Methoden keine direkte Therapie der Krebserkrankung anbieten können. Redlichkeit gebietet, dass wir keine falschen Versprechungen machen. Ehrlichkeit gebietet auch, dass wir dem Patienten sagen, dass komplementäre Maßnahmen unterstützend – insbesondere mit der Zielsetzung der besseren Verträglichkeit der Therapie – einen Sinn machen.

Hier kommen wir zu einem weiteren Problem der sogenannten komplementären Medizin. Die vorliegende Evidenz ist häufig relativ gering. Dies liegt nicht nur daran, wie häufig postuliert wird, dass Studienkonzepte, Finanzierungen etc. fehlen, sondern ganz im Wesentlichen handelt es sich um grundsätzliche Probleme der zu untersuchenden Behandlungskonzepte. Verblindung ist meist nicht möglich. Placebos sind häufig schwer zu konstruieren und Patienten haben eine eigene Präferenz, die sie auch leicht neben der Studie umsetzen können.

Eine wichtige Maßgabe ist deshalb die Überprüfung, ob es für die gewählte Methode eine Hypothese zur Wirkung und Wirksamkeit gibt, die im Einklang mit wissenschaftlichen Konzepten zur Erkrankung Krebs und zu den biochemischen und physiologischen Vorgängen im menschlichen Körper steht. Fehlt eine solche überprüfbare Hypothese, so ist die Methode mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei positiven Studienergebnissen um einen Placebo-Effekt. Als zweites ist zu überprüfen, ob die Methode schaden kann. Auch hier sehen wir leider oft wenigen Daten gegenüber und sind auf kritisches Denken angewiesen. Nebenwirkungen und Wechselwirkungen bleiben vermutlich sehr oft verborgen, weil der behandelnde Onkologe nicht weiß, was Patienten nebenher machen oder weil auch er von der Harmlosigkeit der Methoden überzeugt ist.

Auch der indirekte Schaden ist nicht zu vergessen: Patienten, die im Rahmen banaler, selbst ausheilender Erkrankungen, positive Erfahrungen mit alternativmedizinischen Methoden wie Homöopathie oder Akupunktur gemacht haben, neigen dazu, diese Methoden einzusetzen, wenn sie an einer ernsthaften Krankheit wie Krebs erkrankt sind.

Die Artikel des vorliegenden Heftes sollen den Lesern Einblicke in verschiedene Gebiete der Komplementären Medizin im Kontext der Onkologie geben. Sie weisen auf Evidenz und fehlende Evidenz hin und zeigen die Möglichkeiten auf, mit einfachen Methoden und Mitteln, Patienten in ihrem Wunsch, selber aktiv werden zu können zu unterstützen. Einfache Methoden können beim Nebenwirkungsmanagement unterstützen (es nicht ersetzen) und haben so durchaus das Potenzial, zum Therapieerfolg beizutragen.

Komplementäre Medizin ist aus der Sicht der Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft nicht nur der Einsatz von naturheilkundlichen und anderen natürlichen Methoden in supportiver Intention und Ergänzung zur Schulmedizin sowie zur schulmedizinischen supportiven Therapie, sondern vor allen Dingen eine ausgezeichnete Methode, Patient-Empowerment zu fördern. Die Frage der Patienten ist gut zu beachten: „Was kann ich selber tun?“. Damit ist schon klar, dass es sich weder um Infusionstherapie noch um technische Geräte u. ä. handeln kann. Vielmehr besteht seriöse komplementäre Medizin aus einfachen natürlichen Methoden und beginnt bei Ernährung und Bewegung, gesundem Lebensstil und einfachen Tipps, wie zum Beispiel gekochten Möhren oder geriebenem Apfel bei Durchfällen. Dies setzt bei uns Ärzten eine gewisse Bescheidenheit und Respekt vor der Selbstverantwortung und dem Selbstmanagement des Patienten voraus. Komplementäre Medizin könnte man symbolisch als die Haltung beschreiben, in der wir den weißen Kittel manchmal ausziehen, dem Patienten übergeben und ihn selber entscheiden lassen. Was wir fördern, ist das Gefühl von Selbstwirksamkeit, das häufig mit der Diagnose Krebs verloren geht.