Key words
health technology assessment - radiology - efficacy analysis - efficiency analysis
- health economics
Einführung
Die Ressourcenverknappung im Gesundheitswesen zwingt Entscheidungsträger neben der
medizinischen Sinnhaftigkeit verstärkt der Wirtschaftlichkeit von Leistungen Beachtung
zu schenken. In der Vergangenheit lag der Fokus der gesundheitspolitischen Diskussion
auf der Regulierung des Arzneimittelsektors. Vor Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes
(AMNOG) 2011 konnten die pharmazeutischen Unternehmer die Preise für ihre Arzneimittel
nach erfolgter klinischer Zulassung durch die European Medical Agency oder das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte frei festlegen. Erst im Nachhinein griffen regulatorische
Instrumente wie Festbeträge und Therapiehinweise. Gemäß AMNOG müssen Pharmahersteller
nun mit erfolgter Zulassung ein Value-Dossier beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
vorlegen. In diesem legen sie den Zusatznutzen ihres Präparates gegenüber der zweckmäßigen
Vergleichstherapie dar. Wird ein positiver Zusatznutzen bescheinigt, erfolgen Rabattverhandlungen
mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Auch international werden Arzneimittel
nach klinischer Zulassung hinsichtlich ihrer Erstattungsfähigkeit geprüft. Das britische
National Institute for Health and Clinical Excellence bewertet die Kosteneffektivität
neuer Arzneimittel anhand von Health-Technology-Assessments (HTA) – systematische
Übersichtsarbeiten zur Ermittlung der Effektivität und Effizienz – sowie gesundheitsökonomischen
Modellierungen und gibt Empfehlungen zur Erstattung dieser Produkte [1].
Medizintechnische Produkte, wie sie in der Radiologie eingesetzt werden, standen bisher
weniger im Fokus der gesundheitspolitischen Diskussion. Zwar wirbt z. B. das Institut
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – dieses ist an der Bewertung
der Value-Dossiers beteiligt – für die Ausdehnung des AMNOG auf Medizinprodukte. Allerdings
wird diese Diskussion bislang primär im Hinblick auf im Körper verbleibende Medizinprodukte
geführt. Mit Inkrafttreten der EU-Medizinprodukteverordnung erfährt dieser Markt eine
grundlegende Veränderung.
Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass Effektivität und Effizienz medizintechnischer
Geräte in der gesundheitspolitischen Diskussion praktisch keine Rolle spielen. Obwohl
Großgeräte (wie CT und MRT) im vertragsärztlichen Bereich durch Zulassungsbeschränkungen
und Mindestmengen reguliert sind, werden die Geräte häufig in der Patientenversorgung
eingesetzt. Laut Statistischem Bundesamt erhöhte sich die Anzahl der CT in deutschen
Krankenhäusern im Zeitraum 2012 bis 2016 von 1463 auf 1537 und die der MRT von 891
auf 987 [2]. Zeitgleich reduzierte sich die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland von 2017 auf
1951 [3]. Gemäß Barmer-GEK-Arztreport 2011 erhielten 6 Prozent der deutschen Bevölkerung
(4,88 Mio.) im Jahr 2009 mindestens eine CT-Untersuchung, weitere 7,2 Prozent (5,89
Mio.) wurden mindestens einer MRT-Untersuchung unterzogen [4]. Die Gesamtkosten wurden auf 1,76 Mrd. Euro geschätzt. Davon entfielen 1,25 Mrd.
Euro auf den ambulanten Bereich, was 3,2 Prozent der Behandlungskosten im vertragsärztlichen
Bereich ausmacht [4]. Trotz des hohen Bedarfs an radiologischer Bildgebung scheint es sowohl eine geringe
Nachfrage nach als auch ein geringes Angebot an validen Effektivitäts- und Effizienzdaten
zu geben. Dies hat mehrere Gründe: Zwar ist die grundsätzliche technische Eignung
eines bildgebenden Gerätes (anhand technischer Parameter) sowie die technische Qualität
der Bilder zu prüfen, allerdings wird aus den Bildern erst durch radiologische Expertise
ein Befund mit klinischer Relevanz. Selbst wenn der oft vernachlässigte Faktor der
radiologischen Expertise ignoriert wird, ist die Durchführung von Primärstudien zur
Therapierelevanz in der Radiologie aufwendig. Auch sind die potenziellen Auswirkungen
von Ergebnissen aus systematischen Recherchen fragwürdig. Nicht zuletzt aufgrund dieser
Rahmenbedingungen mangelt es an Anreizen, die Durchführung medizinischer und ökonomischer
Studien sowie von Reviews dieser Studien (z. B. durch ein HTA) in der Radiologie zu
finanzieren. Details werden im Folgenden diskutiert; dabei liegt der Fokus auf der
Anwendung bei der diagnostischen Radiologie.
HTA in der Radiologie
Ein HTA ist per Definition eine interdisziplinär anzuwendende Methodik zur systematischen
und transparenten Bewertung medizinischer Verfahren und Technologien unter medizinischen,
ökonomischen, juristischen, sozialen und ethischen Aspekten mit dem Ziel, (medizinische)
Entscheidungsprozesse zu unterstützen. Der Begriff Technologie bezieht sich hierbei
nicht nur auf technische Geräte – auch Medikamente, Instrumente, Prozeduren und Verfahren
können Gegenstand einer Bewertung sein. Kern des HTA-Berichts ist eine systematische
Überprüfung (Review) der Effektivität und Effizienz der zu untersuchenden Technologie
[5]. [Abb. 1] stellt den Bewertungsprozess eines HTA dar, an dessen Beginn die Festlegung der
Fragestellung steht (hier kann eine Orientierung am PICO-Schema helfen [6]).
Abb. 1 Bewertungsprozess HTA [35]. [rerif]
Diverse Methoden und Hilfestellungen wurden entwickelt, um die Bewertung der Literatur
in einem HTA zu unterstützen. Im Folgenden werden Bewertungsverfahren der medizinischen
und anschließend der ökonomischen Literatur thematisiert. Die Verfahren unterscheiden
sich abhängig von der Technologie und dem Zweck. So wurden z. B. zur Überprüfung der
Effektivität von Arzneimitteln Evidenzstufen gemäß evidenzbasierter Medizin (EbM)
definiert – Ergebnisse aus Metaanalysen und systematische Reviews von randomisierten,
kontrollierten Studien (RCT) haben die höchste Evidenz, Expertenmeinungen die niedrigste
[7]. Diese Evidenzstufen sind jedoch nicht auf die Bewertung radiologischer Verfahren
übertragbar, da RCT hier nicht der Goldstandard sind ([Tab. 1]).
Tab. 1
Evidenzstufen von radiodiagnostischen Studien, Quelle: [26], S. 674.
|
Empfehlungsgrad
|
Evidenzstärke
|
Studientyp
|
|
A
|
1a
|
systematische Übersicht von radiodiagnostischen Studien mit Evidenzstärke 1, oder:
ein klinischer Entscheidungsalgorithmus, der auf Basis mehrerer Verfahren validiert
wurde
|
|
A
|
1b
|
unabhängiger, verblindeter Vergleich von Verfahren und Referenzverfahren, der in einem
repräsentativen Spektrum von konsekutiven Patienten, die sich alle beiden Verfahren
unterzogen hatten, durchgeführt wurde
|
|
A
|
1c
|
radiodiagnostisches Ergebnis, dessen Spezifität so hoch ist, dass ein positiver Befund
die Diagnose definitiv liefert, und dessen Sensitivität so hoch ist, dass ein negativer
Befund die Diagnose definitiv ausschließt
|
|
B
|
2a
|
systematische Übersicht von radiodiagnostischen Studien mit Evidenzstärke ≥ 2
|
|
B
|
2b
|
unabhängiger, verblindeter Vergleich von Verfahren und Referenzverfahren, der in nicht
konsekutiv rekrutierten Patienten oder in einer eng definierten Patientengruppe durchgeführt
wurde, die sich beiden Verfahren unterzogen hatten, oder: ein klinischer Entscheidungsalgorithmus
ohne Validierung
|
|
B
|
3a
|
systematische Übersicht von Studien mit Evidenzstärke ≥ 3
|
|
B
|
3b
|
unabhängiger, verblindeter Vergleich von Verfahren und Referenzverfahren, der in einem
repräsentativen Spektrum von Patienten durchgeführt wurde, obwohl sich nicht alle
Patienten beiden Verfahren unterzogen haben
|
|
C
|
4
|
das Referenzverfahren wurde nicht unabhängig oder verblindet eingesetzt
|
|
D
|
5
|
Expertenmeinung ohne explizite kritische Bewertung oder auf Basis physiologischer
Überlegungen
|
|
E
|
6
|
Case-Report oder Studie über die technische Effizienz eines neuen Verfahrens
|
Diese Unterschiede wurden erstmals von der kanadischen Evidence-Based Radiology-Working-Group
fokussiert [8], welche den Begriff der evidenzbasierten Radiologie (EbR) prägte. Die Ziele von
EbM und EbR sind dieselben: Valide Aussagen zur Wirksamkeit medizinischer Maßnahmen
abzuleiten, diese in der Praxis anzuwenden und individuelle klinische Expertise mit
der besten verfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung zu integrieren
[7]. Allerdings werden bei der EbR die Besonderheiten der Radiologie beachtet und andere
Zielgrößen und Bewertungskriterien genutzt. [Tab. 2] zeigt die Zielgrößen radiodiagnostischer Studien, wobei diese aufeinander aufbauen
(z. B. ist eine diagnostische Genauigkeit nicht ohne eine technische Qualität erzielbar).
Um Studien entsprechend dieser Zielgrößen in HTA zu erfassen und zu bewerten, kommen
verschiedene Bewertungsbögen zum Einsatz. [Tab. 3] wurde vom Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) entwickelt und zeigt,
welche Anforderungen an die Qualität solcher Studien gestellt werden. [Tab. 4] gibt einen Überblick über HTA-Berichte in der Radiologie im Zeitraum 2012 – 2017.
Tab. 2
Zielgrößen radiodiagnostischer Studien, Quelle: [26], S. 673.
|
technische Parameter
|
-
Bildauflösung, Bildrauschen, Grauwerte-Range, Schärfe, Bildgebungsparameter
|
|
diagnostische Genauigkeit
|
|
|
diagnostische Wertigkeit
|
|
|
therapeutische Wertigkeit
|
-
Anzahl der Fälle, in denen ein radiologischer Befund für die Therapie hilfreich war
-
Anzahl der Fälle, in denen eine klinische Intervention aufgrund des radiologischen
Befunds vermieden werden konnte
|
|
patientenrelevanter Nutzen
|
-
Vorteile für Patienten durch Anwendung einer radiologischen Diagnostik vs. einer Nicht-Anwendung
-
Morbidität, die aufgrund der radiologischen Untersuchung vermieden werden konnte
|
|
volkswirtschaftlicher Nutzen
|
|
Tab. 3
QUADAS-Checkliste zur Evaluierung der methodischen Qualität von Diagnosestudien, Quelle:
[22], S.363.
|
Item-Nr.
|
Frage
|
|
1
|
Entspricht das Patientenkollektiv in der Studie dem potenziellen Patientenspektrum,
auf den der Test angewendet werden soll?
|
|
2
|
Sind die Auswahlkriterien für die PatientInnen klar beschrieben?
|
|
3
|
Wurde das richtige Referenzverfahren gewählt?
|
|
4
|
War das Zeitintervall zwischen Durchführung des Tests und des Referenzverfahrens kurz
genug, um sicher zu sein, dass sich der Zustand der PatientInnen dazwischen nicht
verändert hat?
|
|
5
|
Wurde das Referenzverfahren bei allen PatientInnen oder zumindest einer Zufallsstichprobe
dieser PatientInnen eingesetzt?
|
|
6
|
Wurden alle PatientInnen denselben Referenzverfahren unterzogen, unabhängig vom Ergebnis
des interessierenden Tests?
|
|
7
|
Wurde das Referenzverfahren unabhängig vom Test durchgeführt (d. h. der Test war nicht
Bestandteil des Referenzverfahrens)?
|
|
8
|
Wurde die Durchführung des Tests so detailgenau beschrieben, dass eine Replikation
desselben Problems möglich wäre?
|
|
9
|
Wurde die Durchführung des Referenzverfahrens so detailgenau beschrieben, dass eine
Replikation desselben problemlos möglich wäre?
|
|
10
|
Wurden die Testergebnisse ohne Kenntnis der Ergebnisse des Referenzverfahrens interpretiert?
|
|
11
|
Wurden die Ergebnisse des Referenzverfahrens ohne Kenntnis der Testergebnisse interpretiert?
|
|
12
|
Waren für die Interpretation des Testergebnisses dieselben klinischen Daten verfügbar,
die auch vorliegen würden, wenn der Test in der klinischen Praxis durchgeführt wird?
|
|
13
|
Sind nicht interpretierbare oder nicht endgültige Testergebnisse in der Studie angeführt?
|
|
14
|
Ist für eventuelle Patienten-Drop-Outs in der Studie eine Erklärung angeführt?
|
Test = das interessierende diagnostische Verfahren, Referenzverfahren = der gewählte
Goldstandard.
Tab. 4
Überblick über die Anzahl der HTA-Berichte in der Radiologie im Zeitraum 2012 – 2017,
Quelle [23], S. 594.
|
Publikationsjahr
|
Organsystem
|
Bildgebungsmodalität
|
Quelle
|
|
2017
|
Mamma
|
Mammo, MRT
|
[24]
|
|
Kopf/Hals
|
PET-CT
|
[10]
|
|
2016
|
Lunge
|
CT
|
[25]
|
|
Lunge
|
CT, DCE-CT, FDG-PET-CT
|
[26]
|
|
alle
|
PET-CT, PET-MR
|
[27]
|
|
2015
|
Mamma
|
CT
|
[28]
|
|
Abdomen
|
CTC
|
[29]
|
|
2014
|
Neuro
|
MR-DWI, CT
|
[30]
|
|
alle
|
MRT
|
[31]
|
|
2013
|
Abdomen
|
TE
|
[32]
|
|
Abdomen
|
Sono, CT, MRT
|
[33]
|
|
2012
|
Kardio
|
CT-Angio, Angio
|
[34]
|
CTC – CT-Colonography; TE – Transient Elastography; DCE-CT – Dynamic Contrasted-Enhanced
CT; FDG-PET-CT – 18-Flurodeoxyglucose-Positron Emission Tomography; MR DWI – Magnetic
Resonance Diffusion-Weighted Brain Imaging; PET – Positron Emission Tomography.
Eine Herausforderung bei der Evaluation neuer diagnostischer Großgeräte liegt in der
Anwendung solcher Geräte für verschiedene Krankheitsbilder, vom Bandscheibenvorfall
bis zur Krebserkrankung. Selbst wenn der Einsatz eines bildgebenden Verfahrens z. B.
im Rahmen nur einer Tumorentität betrachtet wird, existieren im Follow-Up der verschiedenen
Tumorstadien und der unterschiedlichen Behandlungspfade erhebliche Unterschiede, die
den Wert eines diagnostischen Verfahrens beeinflussen. So wurden in einer Studie zur
PET-CT-Kontrolle im Vergleich zur Neck-Dissektion zwar klare Vorteile der PET-CT herausgearbeitet.
Allerdings gelten diese Ergebnisse nur für N2-Stadien und die Autoren betonen, dass
eine Extrapolation der Ergebnisse auf N3-Stadien nicht zulässig erscheint [9]
[10]. Wird der zunehmend differenzierte Umgang mit unterschiedlichen rezeptor- und genassoziierten
Tumorausprägungen betrachtet, erscheint z. B. eine Studie zur Detektion von Metastasen
bei Brustkrebs nicht mehr zeitgerecht. Ferner spielen bei diagnostischen Abläufen
sekundäre Faktoren wie die Expertise der Befunder und die Prozessqualität eine Rolle.
Für die Betrachtung des Nutzens sind Faktoren wie die Wahl der jeweils geeigneten
Bildgebung und Einbindung des Radiologen in klinische Entscheidungsprozesse ebenso
wichtig wie technische Qualitäten.
Neben einer medizinischen Evaluation werden in einem HTA ökonomische Studien identifiziert
und bewertet. Hierzu zählen Kosteneffektivitätsstudien oder Kosten-Nutzwert-Studien
[11]. Erstere bewerten alternative Technologien (z. B. den Einsatz einer MRT im Vergleich
zum Röntgenbild), indem Kosten- und Effektivitätsparameter miteinander verknüpft werden.
Dass die Erhebung vergleichender Daten in diesem Kontext sehr aufwendig ist und selbst
bei intensiver Planung und großen Patientenzahlen die Ergebnisse nicht eindeutig sind,
zeigt eine Vergleichsstudie von Kontrollregimen nach Rektum-Karzinom-OP mit und ohne
Computertomografie mit fast 9-jährigem Verlauf. Mit der Studie konnte die Fragestellung
nicht beantwortet werden [12].
In der diagnostischen Radiologie kann theoretisch jede der in [Tab. 2] dargestellten Zielgrößen ein Effektivitätsparameter sein [13]. Ergänzend gewinnt bei HTA die Sichtweise der Patienten (PRO – Patient-Reported-Outcomes)
zunehmende Bedeutung. Dies wird bisher allenfalls in der interventionellen Radiologie
berücksichtigt [14]
[15]
[16]. Der Aufruf zu einer patientenzentrierten diagnostischen Radiologie kann als Initiative
in diese Richtung verstanden werden [17]. In der Gesundheitsökonomie sind von vornherein vor allem patientenrelevante Outcomes,
wie gestiegene Lebensqualität, gewonnene Lebensjahre oder reduzierte Morbidität, von
Interesse. In Kosten-Nutzwert-Analysen werden komplexe Nutzwerte wie qualitätsadjustierte
Lebensjahre (QALY) oder gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQOL) verwendet. Zum
Vergleich zweier Alternativen wird hier ein inkrementeller Ansatz genutzt, in dem
die zusätzlichen Kosten einer Innovation im Vergleich zum Standardvorgehen ermittelt
und durch den zusätzlichen Nutzen durch die Innovation dividiert werden, und so das
inkrementelle Kosteneffektivitätsverhältnis gebildet. Dies spiegelt die Kosten pro
zusätzlicher Nutzeneinheit (z. B. QALYs, gewonnene Lebensjahre, HRQOL) wider [11]. In der Regel ist es nicht möglich, bei einem Vergleich diagnostischer Maßnahmen
in einer Studie unmittelbar patientenrelevante Effekte zu beobachten. Hier können
gesundheitsökonomische Modellierungen zum Einsatz kommen, die die langfristigen Effekte
und Kosten des Einsatzes einer Diagnostik, inkl. des nachgelagerten therapeutischen
Effekts, evaluieren [18].
HTA: Fehlende Nachfrage, fehlendes Angebot
HTA: Fehlende Nachfrage, fehlendes Angebot
Interessant ist die Betrachtung von HTA-Ergebnissen, bei denen keine Aussage zur Evidenz
gemacht werden kann, da z. B. nur qualitativ schlechte Studien verfügbar sind, das
Verfahren sich jedoch in der Versorgung etabliert hat – ohne Evidenznachweis. Grundsätzlich
sind 2 Ursachen für das Nichtvorhandensein von Evidenz denkbar: (1) der sog. Publikations-Bias
[5] (besagt, dass nur Studien mit positiven Ergebnissen veröffentlicht werden) und (2)
fehlende Anreize zur Durchführung entsprechender Studien.
Im Folgenden stehen die Anreizstrukturen für die Erstellung von Primärstudien und
HTA in der diagnostischen Radiologie sowie organisatorische Herausforderungen im Fokus.
Zum Vergleich wird der Arzneimittelsektor herangezogen. Auch wenn Arzneimittel pharmakologische
Güter sind und radiologische Geräte zu den Medizinprodukten zählen, so haben sie doch
gemeinsam, dass sie in der Patientenversorgung eingesetzt werden und der Einsatz durch
GKV und PKV erstattet wird.
Radiologische Großgeräte kennzeichnet ein hoher Diversifizierungsgrad, sowohl hinsichtlich
der Produkte als auch der Anbieter. Zahlreiche Hersteller bieten verschiedene MRT
und CT mit unterschiedlichen Modifikationen an. Der Produktlebenszyklus ist, zumindest
in der Theorie, kurz (gem. AfA-Tabelle des Bundesministeriums der Finanzen beträgt
die Nutzungsdauer 8 Jahre [19]). Der Apparateausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft argumentiert, dass
Ersatzbeschaffungen von Großgeräten in einem Zeitraum von 10 Jahren erfolgen sollten
und verweist darauf, dass eine zeitgemäße Diagnostik nicht länger als 5 Jahre aufrechterhalten
werden könne [20].
Der Produktlebenszyklus von Medizinprodukten ist u. a. durch eine intensive Rückkopplung
zwischen Praxis sowie Forschung und Entwicklung gekennzeichnet, daher kommt es häufiger
zu Produktmodifikationen [18]. Bei Arzneimitteln sind Modifikationen nach erfolgter Zulassung nicht möglich bzw.
münden direkt in neuen Forschungs- und Entwicklungsphasen und klinischen Studien.
Die Patentlaufzeit von Arzneimitteln beträgt, abzüglich der Forschungs- und Entwicklungszeit,
ca. 8 bis 12 Jahre. Danach steht das Medikament i. d. R. mit Generika in Konkurrenz.
Bei radiologischen Großgeräten ist die Patentsituation in der Regel komplex. Viele
Patente der größten Hersteller werden frühzeitig für die gegenseitige Nutzung freigegeben.
Zudem gibt es keine „Generika“. Die zugrunde liegende Technologie ist komplex und
die aktuell geltenden Standards werden häufig nur von wenigen international tätigen
Firmen erfüllt. Innovationen werden i. d. R. auf den etablierten Technologieplattformen
dieser Firmen implementiert, oft in Kooperation mit Universitätskliniken.
Auch der Zulassungsprozess von Arzneimitteln und radiologischen Großgeräten unterscheidet
sich deutlich. Während die Zulassung von Arzneimitteln im Wesentlichen europaweit
über die European Medical Agency (EMA) erfolgt, unterschieden sich bisher die Anforderungen
an die Zulassung medizintechnischer Produkte auf nationaler Ebene. Diese Anforderungen
wurden mit Inkrafttreten der EU-Medizinprodukteverordnung harmonisiert. Auch die Ziele
der Zulassung sind unterschiedlich. Für die klinische Zulassung müssen Arzneimittel
den Nachweis der Wirksamkeit, Sicherheit/Unbedenklichkeit und pharmakologischen Qualität
in doppelt blinden RCT erbringen. Für medizintechnische Produkte ist in Europa die
CE-Zertifizierung entscheidend. „Zweck der CE-Kennzeichnung ist die Bescheinigung
der Konformität eines Erzeugnisses mit dem in den Richtlinien zur vollständigen Harmonisierung
festgelegten allgemein relevanten Schutzniveau sowie die Bestätigung des jeweiligen
Wirtschaftsbeteiligten, dass sein Erzeugnis allen gemäß Gemeinschaftsrecht relevanten
Bewertungsverfahren unterzogen worden ist“ (Abl. EG Nr. L 220/23v. 30.8.1993). Damit
werden Ziele der Sicherheit und der technischen Leistungsfähigkeit verfolgt. Inwiefern
das Gerät besser ist als ein Vergleichsprodukt oder es den Patientennutzen erhöht,
spielt für die CE-Zertifizierung keine Rolle. Daher sind RCT für die Zulassung nicht
relevant und es besteht kein Anreiz für die Hersteller, entsprechende Studien durchzuführen
und zu finanzieren. Hersteller führen eher Studien durch, um im Wettbewerb mit anderen
Anbietern einzelne Aspekte der Leistungsfähigkeit nachzuweisen. Diese Studien sind
jedoch häufig nicht randomisiert, Umfang und Aufwand sind überschaubar und sie beleuchten
eher technische Besonderheiten als den grundsätzlichen Nutzen einer Technologie.
Bei der Betrachtung des Erstattungsprozesses diagnostischer radiologischer Leistungen
ist eine Differenzierung zwischen stationärem und ambulantem Sektor notwendig. Er
unterscheidet sich nachhaltig vom Erstattungsprozess von Arzneimitteln, welcher in
der Einleitung bereits skizziert wurde. In Deutschland werden stationäre Leistungen
im Wesentlichen mittels Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups (DRG)) abgerechnet.
Der sog. Fallpauschalen-Katalog (vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus
herausgegeben) umfasst alle abrechnungsfähigen DRG. Mittels der dort definierten Pauschalen
werden alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen
(definiert nach § 2 KHEntgG) vergütet. Durch den Verbotsvorbehalt des G-BA – im stationären
Sektor ist zunächst alles erlaubt, es sei denn, der G-BA verbietet den Einsatz gemäß
§ 137c SGB V – kann zunächst jede neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Krankenhaus
angewendet werden, was die Entwicklung innovativer Methoden im Krankenhaus fördert
[21]. Die Anwendung innovativer Methoden im stationären Sektor löst allerdings nicht
automatisch eine entsprechende Vergütung aus. Um hierfür gesonderte Entgelte zu erhalten,
ist die Beantragung von sog. NUB (neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) möglich
(§ 6 Abs. 2 KHEntgG). Werden diese bewilligt, werden die Entgelte befristet (für 1
Jahr) und fallbezogen vereinbart. Vereinzelt werden NUB in den Folgejahren in Form
von DRG oder Zusatzentgelten in den Fallpauschalen-Katalog integriert.
Es wird deutlich, dass es im Wesentlichen im betriebswirtschaftlichen Ermessen des
einzelnen Krankenhauses liegt, mit welchen (neuen) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
die Versorgung der Patienten durchgeführt wird. Demnach hätte das einzelne Krankenhaus
theoretisch ein Interesse an Daten zur Effektivität und Kosteneffizienz bildgebender
Maßnahmen. Aufgrund dieser individuellen Betrachtung ist schwer einzuschätzen, welchen
Einfluss gesundheitsökonomische Studien zu bildgebenden Technologien auf Investitionsentscheidungen
im jeweiligen Krankenhaus hätten. So könnten sich Krankenhäuser trotz geringem nachgewiesenem
Vorteil für die Einführung einer Technologie entscheiden, u. a. um die eigene Position
am Markt auszubauen, Mitarbeiter zu halten, Vorgaben in Leitlinien einzuhalten oder
zusätzliche Umsätze durch Fremdaufträge zu sichern. Interne und externe Marketingziele
des Krankenhauses dürfen hier nicht vernachlässigt werden [5]. Es zeigt sich, dass die Ergebnisse eines HTA, welches solche Systemeffekte nicht
berücksichtigt, nur einen Teil (wenn überhaupt) im Entscheidungsprozess eines Krankenhauses
darstellen können.
Im ambulanten Sektor ist eine Bewertung durch den G-BA für eine Aufnahme in den Einheitlichen
Bewertungsmaßstab (EBM) verpflichtend (Erlaubnisvorbehalt). Der G-BA hat Empfehlungen
hinsichtlich der „Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen
Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich
zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach dem jeweiligen Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung“ (§ 135 Abs. 1
SGB V) abzugeben. Falls die Aufnahme in den EBM erfolgt, kann diese Leistung im Rahmen
der Budgets der Ärzte abgerechnet werden. Bei der radiologischen Diagnostik, z. B.
MRT-Einsatz, ist die Erstattung jedoch grundsätzlich nicht auf eine bestimmte MRT-Technologie
bezogen. Abrechnungsrelevant ist, welcher Teil des Körpers untersucht wird (Schädel,
Thorax etc.) und ob mit Kontrastmitteln oder dynamischen Seiten gearbeitet wird. Unter
Beachtung gewisser Mindeststandards ist es nicht relevant, mit welchem MRT die Untersuchung
erfolgt. Dies zeugt wiederum davon, dass einzelne Hersteller keinen Anreiz haben,
entsprechende G-BA-relevante Studien anzufertigen.
Fazit und Ausblick
Es zeigt sich, dass weder auf Seiten der Kunden noch der Anbieter radiologischer Großgeräte
der kommerzielle Zwang bzw. das Interesse groß genug ist, um als einzelner Akteur
in die Evaluation einer Technologie zu investieren. Gleiches gilt für die Erstellung
systematischer Übersichtsarbeiten (wie HTA). Selbst wenn genügend medizinische und
ökonomische Evidenz vorhanden wäre, bliebe es fraglich, ob z. B. ein Krankenhausmanagement
die Erkenntnisse eines HTA in betriebswirtschaftlichen Entscheidungen berücksichtigen
würde. Summa summarum: Keine Nachfrage – kein Angebot.
Dennoch ist die systematische Zusammenstellung und Bewertung der medizinischen und
ökonomischen Literatur ein elementarer Baustein in der EbR, der nicht vernachlässigt
werden sollte. Von Ärzten kann nicht verlangt werden, sich EbR-konform zu verhalten,
wenn die Evidenz so gering ist, dass kaum Handlungsanweisungen auf Basis der Literatur
möglich sind. Aus diesem Grund sollte ein gesellschaftlicher Wunsch nach mehr Evidenz
in der Literatur entstehen. Aufgrund der beschriebenen Anreizprobleme kommt der Universitätsmedizin,
aber auch den öffentlichen Fördermittelgebern, eine wichtige Aufgabe bei der Förderung
und Durchführung medizinischer und medizinisch-ökonomischer Studien zu. Wünschenswert
wäre es, wenn für die Innovations- und Nutzenbewertung bildgebender Verfahren weitere
Fördertöpfe, z. B. der Kostenträger, bereitgestellt würden, um in diesem Bereich mehr
unabhängige Forschung zu ermöglichen. Damit könnte eine wissenschaftlich fundierte
Grundlage geschaffen werden, um in Zukunft auch diagnostische Methoden evidenzbasiert
einsetzen und weiterentwickeln zu können.