„Derjenige, der sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, ist der Vollkommenheit am
nächsten.“ Johann Wolfgang von Goethe
Der Übergang von normalen Zellen/normalem Gewebe oder Organen/Organsystemen zu pathologischen
Erkrankungen ist ein mehrjähriger, vielschichtiger Prozess. Durch stetige, bahnbrechende
Forschung in den letzten 100 Jahren hat die Medizinwissenschaft endlich den Denkfehler
der eindimensionalen Herangehensweise an Krankheiten erkannt. Jedem ist jetzt klar
geworden, dass nur durch einen interdisziplinären Ansatz, welcher die Biologie sowie
andere Bereiche der Wissenschaft wie Physik, Chemie und Mathematik miteinander verbindet,
die Abkehr von palliativen hin zu heilenden und präventiven Behandlungen möglich ist.
Parallel dazu hat die Entschlüsselung des menschlichen Genoms enorm dazu beigetragen,
die Wissenschaft zu vertiefen. Gleichzeitig ist die Verwendung radioaktiv markierter
Tracer in Neurologie und Onkologie integraler Bestandteil der klinischen Behandlung
geworden. Neue Bildgebungsverfahren z. B. Ganzkörper-PET/CT wie Explorer ergänzen
das bereits umfangreiche diagnostische Instrumentarium aus Technologien wie PET/CT,
PET/MRT, optischer Bildgebung etc. [1]. Darüber hinaus sind die neuen serumbasierten Surrogatmarker wie NETest auf dem
Vormarsch, um hochmoderne Bildgebungs-Tools zu ergänzen und Krankheiten mindestens
ein Jahr vor der Diagnose per PET/CT oder PET/MRT zu erkennen und zu prognostizieren
[2]
[3].
Dieser Überfluss an Informationen hat den Bereich der Medizin allerdings auch mit
der Herausforderung einer erfolgreichen Interpretation der Daten und einer rechtzeitigen
Interjektion in den Behandlungsalgorithmus konfrontiert – und zwar ohne jegliche subjektive
und wirtschaftliche Vorbehalte. Dieses Problem wird durch einen Mangel an Experten
verschärft, die zu einer derartigen Interpretation in einem interdisziplinären Umfeld
ausgebildet sind. Durch die drei bereits erwähnten Herausforderungen (Interpretation,
Interjektion und Arbeitskräfte) besteht ein dringlicher, nicht erfüllter Bedarf, maschinelles
Lernen in die Medizin einzubinden. Es ist kein Wunder, dass es in den vergangenen
fünf Jahren in der Präzisionsmedizin, angetrieben durch Software zum maschinellen
Lernen, zu einem enormen Wachstum gekommen ist. Zusätzlich gefördert wird dies durch
den exponentiellen Trend der Anzahl von Veröffentlichungen zum maschinellen Lernen
und maschineller Bildgebung auf pubmed.com ([Abb. 1]). Erweitert man diese Suche auf maschinelles Lernen in Verbindung mit Radiomics
sowie maschinelles Lernen mit PET, wird deutlich, dass dieser Trend, auch wenn er
in den letzten Jahren positiv war, nicht so stark ist, wie angenommen.
Für diesen „Wachstumsrückstand“ in der Integration von PET und Radiomics im maschinellen
Lernen kann es verschiedene Gründe geben. Zu den Hauptgründen zählen: a) Wir wissen
nicht wirklich, wie aus Bildern gewonnene physikalische Parameter biologisch zu interpretieren
sind. b) Die automatische Segmentierung von Bildern, die bei der Texturanalysen entscheidend
ist, muss immer noch verfeinert werden, und in der Mehrzahl der Fälle werden relevante
Bereiche in PET-Bildern manuell angepasst. c) Es mangelt immer noch an standardisierten
PET-Bildgebungsprotokollen, wobei gleichzeitig Unterschiede der PET-Scanner einen
Vergleich zwischen Parametern verschiedener Einrichtungen fast unmöglich machen. d)
Es mangelt an Daten zur Korrelation von Strukturanalysen mit molekularer Pathologie.
e) Die Heterogenität (‚spatial‘ und ‚temporal‘) verändert sich während der normalen
und mit dem Therapiedruck zusammenhängenden Tumorentwicklung, was eine Ableitung physikalischer
Parameter zu verschiedenen Zeitpunkten der Bildgebung erschwert. f) Der richtige Algorithmus
zur Integration von Bildgebungsdaten im maschinellen Lernen muss auch entwickelt werden;
und g) Der Mangel an ausreichender Zusammenarbeit zwischen Kompetenzzentren und verschiedenen
Fachbereichen (Molekularpathologie, Genetik, Radiologie, Nuklearmedizin, Informatik,
Hardware- und Softwareentwicklung, Mathematiker, Biomarker-Experten).
In dieser Sonderausgabe zu Big Data und maschinellem Lernen wird versucht, die Leser
mit dem Basiskonzept und der Terminologie vertraut zu machen, und eine Übersicht über
die aktuellen Entwicklungen in Künstlicher Intelligenz im klinischen Bereich Onkologie
und Neurologie mit PET, CT und MRT bereitzustellen. Anhand der Übersichtsartikel in
dieser Sonderausgabe ist absehbar, dass gut geschulte Maschinen zur medizinischen
Bildgebung in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu einem Segen für Patienten werden, die
an neurologischen Erkrankungen oder Krebs leiden.
„Das Außerordentliche geschieht nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege“. Johann Wolfgang
von Goethe
Abb. 1 Zeigt die Anzahl der Veröffentlichungen zu maschinellem Lernen + maschineller Bildgebung,
maschinellem Lernen + Radiomics und maschinellem Lernen + PET.