Aktuelle Dermatologie 2019; 45(07): 320-324
DOI: 10.1055/a-0872-6586
Histologisches Quiz
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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C. S. L. Müller
Universität des Saarlandes, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Homburg/Saar
,
T. Vogt
Universität des Saarlandes, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Homburg/Saar
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Cornelia S. L. Müller
Universität des Saarlandes
Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Homburg/Saar
Kirrberger Straße 100
66421 Homburg/Saar

Publication History

Publication Date:
16 July 2019 (online)

 

Anamnese

58-jähriger männlicher Patient. Seit wenigen Tagen rasch progrediente palpable Purpura an beiden Beinen und am Unterleib, vereinzelt mit läsionaler Blasenbildung bzw. Nekrose. Keine weiteren Allgemeinsymptome. Präklinisch war eine antiinfektive Therapie mit Sulfamethoxazol über 7 Tage aufgrund einer Weichteilinfektion eines Zehs bei Arthrose verabreicht worden. Der Patient litt weiters unter einem schlecht eingestellten Diabetes mellitus sowie arteriellem Hypertonus.


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Klinischer Befund

An beiden Unterschenkeln mit Ausdehnung auf die Oberschenkel sowie das Abdomen fanden sich zahllose hämorrhagische Makulae und Papeln ([Abb. 1 a]), mit Übergang in hämorrhagische Blasen sowie Ulzera ([Abb. 1 b]).

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Abb. 1 a Hämorrhagische Maculae und Papeln mit Übergang in hämorrhagische Blasen an den Unterschenkeln. b Detailaufnahme vom Unterschenkel mit Blasenbildung im Bereich der Hämorrhagien sowie beginnender Ulzeration. Typisch ist die graue Farbe der Blasendecke als Ausdruck der epidermalen Nekrose.

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Histologie

Histologisch zeigt sich an einer Stanzbiopsie vom Unterschenkel eine voll ausgebildete Läsion mit reichlich intramuralen, luminalen und perivaskulären neutrophilen Granulozyten, massenhaft perivaskulärem Kernstaub (sog. Leukozytoklasie), reichlich Erythrozytenextravasaten und deutlichen Fibrinablagerungen in den Gefäßwänden. Weiters findet sich ein kräftiges Papillarkörperödem mit Nekrose und Ulzeration der bedeckenden Epidermis ([Abb. 2 a]). Ein betroffenes Gefäß im Detail zeigt ([Abb. 2 b]). Die transmurale Durchsetzung durch neutrophile Granulozyten mit fast vollständigem Verschluss des Gefäßlumens ist deutlich sichtbar. In der direkten Immunfluoreszenz konnten keine Immunglobulinablagerungen nachgewiesen werden.

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Abb. 2 a HE-Färbung. Originalvergrößerung × 100. Ausgedehntes Papillarkörperödem mit Nekrose und Ulzeration der bedeckenden Epidermis. Subepidermal reichlich intramurale, luminale und perivaskuläre neutrophile Granulozyten, massenhaft perivaskulärer Kernstaub (= Leukozytoklasie), reichlich Erythrozytenextravasaten und deutlichen Fibrinablagerungen in den Gefäßwänden. b HE-Färbung. Originalvergrößerung ×200. Ein betroffenes Gefäß im Detail. Die transmurale Durchsetzung durch neutrophile Granulozyten mit fast vollständigem Verschluss des Gefäßlumens ist deutlich sichtbar.
FRAGEN
  • Wie lautet Ihre Diagnose?


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Diagnose

Nicht-IgA-assoziierte leukozytoklastische Vaskulitis.


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Klinischer Verlauf

Es wurde eine parenterale Therapie mit Methylprednisolon and Dapson begonnen. Eine systemische Beteiligung (bspw. renal oder gastrointestinal) trat im Verlauf der Erkrankung nicht auf. Aufgrund des ausgedehnten initialen Befalls mit Blasen und Ulzerationen kam es im Verlauf zwar zu einem Sistieren der Vaskulitis, jedoch insbesondere vor dem Hintergrund eines schlecht eingestellten Diabetes mellitus mit deutlich eingeschränkter Compliance zu ausgedehnten Wundheilungsstörungen und Ausbildung chronischer Ulzera cruris.


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Diskussion

Synonyme Begriffe der leukozytoklastischen Vaskulitis (LCV) umfassen die kutane leukozytoklastische Angiitis, Hypersensitivitätsvaskulitis/-angiitis, allergische Vaskulitis, nekrotisierende Vaskulitis und Immunkomplexvaskulitis. Die LCV ist die häufigste Vaskulitis der Haut und betrifft überwiegend die kleinkalibrigen Gefäße. In der 2012 revidierten und aktualisierten Chapel Hill-Konsensuskonferenz zur Nomenklatur der Vaskulitiden wird die kutane LCV den sog. Single-Organ-Vaskulitiden zugeordnet. Diese sind definiert als Vaskulitiden eines einzelnen Organs. Diese Klassifikation geht allerdings nicht auf die Tatsache ein, dass insbesondere die LCV neben der Haut immer auch Gefäße anderer Organe betreffen kann und morphologisches Substrat auch anderer Vaskulitiden darstellt [1] [2] [3].

Merke

Die reine kutane LCV ohne Systembeteiligung ist daher eine Ausschlussdiagnose nach mehrfachem Ausschluss einer Organbeteiligung, z. B. einer renalen Beteiligung.

Der Ausschluss eines diskreten Befalls kleiner Organgefäße ist jedoch subtil und daher schwierig, sodass die entsprechende Diagnostik penibel und wiederholt durchgeführt werden muss. Meist handelt es sich also um eine kutane LCV ohne erkennbare systemische Beteiligung [3] [4].

Abhängig vom betroffenen Gefäß (klein- versus mittelgroßkalibrig) treten unterschiedliche klinische Leitsymptome auf: Sind kleinkalibrige Gefäße, z. B. postkapilläre Venolen im subpapillären Gefäßplexus betroffen, kommt es zu papulösen, scharf begrenzten Effloreszenzen, welche durch Erythrozytenaustritte purpuriform erscheinen. Dies bezeichnet man als sog. palpable Purpura. Sobald mittelgroße Gefäße des subkutanen Gefäßplexus (Arteriolen, kleinkalibrige Venen und Arterien) von der Vaskulitis betroffen sind, bildet sich klinisch aufgrund des intramuralen und perivaskulär tiefer liegenden Infiltrates ein Knoten aus, der nach thrombotischer Gefäßverlegung auch nekrotisieren und ulzerieren kann.

Merke

Klinisches Leitsymptom sind in der Mehrzahl der Fälle eine palpable Purpura, teils auch Blasen, Ulzerationen und Nekrosen an den Unterschenkel-Streckseiten.

Die Hautläsionen steigen typischerweise von distal nach proximal auf. Gelegentlich werden auch sterile Pusteln beobachtet. Prädilektionsstellen sind aufgrund von Stasephänomenen die Unterschenkel und Areale, die durch Kleidungsstücke oder Verbände gestaut oder druckbelastet werden. Abhängig von der Schwere der Erkrankung sind auch andere, proximal gelegene Körperteile betroffen, wobei eine palpable Purpura oberhalb der Gürtellinie einen schwereren Verlauf bei höherer Wahrscheinlichkeit einer Systembeteiligung anzeigt.

Die purpuriformen Hautveränderungen sind typischerweise mit dem Glasspatel nicht wegdrückbar und Ausdruck der Erythrozytenextravasation infolge der Gefäßwandentzündung. Abhängig vom Ausmaß der Organbeteiligung stehen weiterhin ein reduzierter Allgemeinzustand und Fieber im Vordergrund. Sofern Nieren, Augen und Magen-Darm-Trakt betroffen sind, treten Hämaturie und/oder Proteinurie, Sehstörungen und gastrointestinale Symptome hinzu [1] [2] [3] [4] [5] [7].

Abhängig von der exakten zugrundeliegenden Entität tritt die Erkrankung in unterschiedlichen Altersgruppen auf und weist einen differenten klinischen Verlauf auf. Eine immunfluoreszenzoptische Untersuchung periläsionaler Haut ist zwingend erforderlich, um etwaig vorhandene Immunkomplexablagerungen nachweisen zu können, auf Basis derer diverse klinische Varianten der LCV unterschieden werden können, welche in charakteristischen Lebensaltern, bei diversen Begleiterkrankungen sowie an typischen Lokalisationen beobachtet werden:

  • Purpura Schönlein-Henoch von Kindern und Erwachsenen

  • IgA-assoziierte leukozytoklastische Vaskulitis

  • nicht-IgA-assoziierte leukozytoklastische Vaskulitis

  • Urtikariavaskulitis/urtikarielle Vaskulitis

  • normo- und eine hypokomplementämische urtikarielle Vaskulitis

  • Vaskulitis im Rahmen einer Kryoglobulinämie Typ II/III

Zu den eigentlichen Immunkomplexvaskulitiden, welche unter dem feingeweblichen Bild einer leukozytoklastischen Vaskulitis einhergehen, gehören die Vaskulitiden mit überwiegend IgA-Ablagerungen, welche als Purpura Schönlein-Henoch bei Kindern und jungen Erwachsenen beobachtet wird. Klinisch handelt es sich um eine palpable Purpura an den unteren Extremitäten und am Gesäß von kleinen Kindern, einhergehend mit Arthritiden, Angina abdominalis und Hämaturie/Proteinurie. Die Erkrankung ist meist selbst-limitierend und von harmloser Natur. Der Gefäßentzündung geht in den meisten Fällen eine bakterielle oder virale Infektion voraus (meist Streptokokken-Infekte).

Die Purpura Schönlein-Henoch des Erwachsenen bezeichnet eine leukozytoklastische Vaskulitis mit schwererem klinischem Verlauf, welche fast generell zusätzlich eine systemische Beteiligung aufweist. Sowohl das Risiko einer Nierenbeteiligung mit Entwicklung einer konsekutiven chronischen Niereninsuffizienz als auch das Tumor-„risiko“ (Lunge und Magen-Darm-Trakt) ist bei Erwachsenen mit Purpura Schönlein-Henoch erhöht [1] [2] [3] [4] [5] [7].

Während bei Kindern am häufigsten eine IgA-assoziierte leukozytoklastische Vaskulitis vorliegt, weisen Erwachsene deutlich häufiger perivaskuläre IgG- oder IgM-Ablagerungen auf. Diese Immunglobuline sind durch eine signifikant geringere Halbwertzeit als IgA gekennzeichnet und sind somit oft an Biopsien nicht mehr nachweisbar. Daher wird auch der Begriff der nicht-IgA-assoziierten leukozytoklastischen Vaskulitis verwendet, welche eine deutlich bessere Prognose bei den erwachsenen Betroffenen aufweist. Sie tritt gehäuft wie in dem hier dargestellten Fall nach Medikamenteneinnahme aber auch postinfektiös, im Gefolge von Kollagenosen und paraneoplastisch auf. Insgesamt ist diese Form der Vaskulitis deutlich weniger mit Komplikationen und einem niedrigeren Tumor-„risiko“ behaftet als die Purpura Schönlein-Henoch des Erwachsenen [1] [2] [3] [4] [5] [7].

Merke

Eine rein auf der klinischen Präsentation an der Haut beruhende Differenzierung in isoliert kutane oder systemische Vaskulitiden sowie welches Immunglobulin typischerweise abgelagert wurde ist nicht möglich.

Es existiert eine ganze Reihe von Erkrankungen, die durch verschiedene Mechanismen die klinischen Symptome einer Vaskulitis imitieren können. Hämorrhagien, Infektionen, Embolien (Embolien atrialer Myxome, Cholesterinembolien), Thrombosen, Vasospasmen, vaskuläre Traumata und distinkte Gefäßwandpathologien wie bei Kalziphylaxie und Amyloidose können zu klinisch ähnlichen Erscheinungsbildern führen, wie sie von der leukozytoklastischen Vaskulitis bekannt sind [6].

Non-vaskulitische Ursachen einer Purpura bzw. von Ekchymosen umfassen die senile/aktinische Purpura, traumatische Purpura, Skorbut, die idiopathische thrombozytopenische Purpura und die hämorrhagisch-pigmentären Erkrankungen der Haut, z. B. den Morbus Schamberg [6].

Bei den hämorrhagisch-pigmentären Erkrankungen der Haut handelt es sich um überaus chronische, nicht-vaskulitische Dermatosen, die sich klinisch durch Cayennepfefferartige Petechien mit Übergang in gelb-orange-bräunliche Herde ausweisen. Bevorzugt sind die distalen Unterschenkel junger Erwachsener betroffen. Auch Insektenstichreaktionen und Arzneireaktionen können mit einer purpuriformen/hämorrhagischen Komponente einhergehen [6]. Insbesondere Infektionen sind in der Lage, die Gefäßwand entweder durch direkte oder indirekte Faktoren zu schädigen und vaskulitische Symptome an der Haut zu imitieren. Hier sind explizit die infektiöse/septische Vaskulitis, die infektiöse Endokarditis und das Lucio Phänomen (Variante des Erythema nodosum leprosum) zu nennen.


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Interessenkonflikt

Die Autorin/der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Müller CSL, Kim YJ. Vaskulitis und Vaskulopathie. In: Cerroni L, Garbe C, Metze D. et al., eds. Histopathologie der Haut. 2.. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer; 2016: 201
  • 2 Carlson JA. The histological assessment of cutaneous vasculitis. Histopathology 2010; 56: 3-23
  • 3 Carlson JA, Chen KR. Cutaneous vasculitis update: small vessel neutrophilic vasculitis syndromes. Am J Dermatopathol 2006; 28: 486-506
  • 4 Sunderkötter C, Roth J, Bonsmann G. Leukocytoclastic vasculitis. Hautarzt 2004; 55: 759-783
  • 5 Crowson AN, Mihm Jr MC, Magro CM. Cutaneous vasculitis: a review. J Cutan Pathol 2003; 30: 161-173
  • 6 Carlson JA, Chen KR. Cutaneous pseudovasculitis. Am J Dermatopathol 2007; 29: 44-55
  • 7 Müller CSL, Vogt T, Pföhler C. Diagnostik und histologische Besonderheiten der kutanen Vaskulitiden/Vaskulopathien – Teil 1. Akt Dermatol 2016; 42: 286-301

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Cornelia S. L. Müller
Universität des Saarlandes
Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Homburg/Saar
Kirrberger Straße 100
66421 Homburg/Saar

  • Literatur

  • 1 Müller CSL, Kim YJ. Vaskulitis und Vaskulopathie. In: Cerroni L, Garbe C, Metze D. et al., eds. Histopathologie der Haut. 2.. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer; 2016: 201
  • 2 Carlson JA. The histological assessment of cutaneous vasculitis. Histopathology 2010; 56: 3-23
  • 3 Carlson JA, Chen KR. Cutaneous vasculitis update: small vessel neutrophilic vasculitis syndromes. Am J Dermatopathol 2006; 28: 486-506
  • 4 Sunderkötter C, Roth J, Bonsmann G. Leukocytoclastic vasculitis. Hautarzt 2004; 55: 759-783
  • 5 Crowson AN, Mihm Jr MC, Magro CM. Cutaneous vasculitis: a review. J Cutan Pathol 2003; 30: 161-173
  • 6 Carlson JA, Chen KR. Cutaneous pseudovasculitis. Am J Dermatopathol 2007; 29: 44-55
  • 7 Müller CSL, Vogt T, Pföhler C. Diagnostik und histologische Besonderheiten der kutanen Vaskulitiden/Vaskulopathien – Teil 1. Akt Dermatol 2016; 42: 286-301

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Abb. 1 a Hämorrhagische Maculae und Papeln mit Übergang in hämorrhagische Blasen an den Unterschenkeln. b Detailaufnahme vom Unterschenkel mit Blasenbildung im Bereich der Hämorrhagien sowie beginnender Ulzeration. Typisch ist die graue Farbe der Blasendecke als Ausdruck der epidermalen Nekrose.
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Abb. 2 a HE-Färbung. Originalvergrößerung × 100. Ausgedehntes Papillarkörperödem mit Nekrose und Ulzeration der bedeckenden Epidermis. Subepidermal reichlich intramurale, luminale und perivaskuläre neutrophile Granulozyten, massenhaft perivaskulärer Kernstaub (= Leukozytoklasie), reichlich Erythrozytenextravasaten und deutlichen Fibrinablagerungen in den Gefäßwänden. b HE-Färbung. Originalvergrößerung ×200. Ein betroffenes Gefäß im Detail. Die transmurale Durchsetzung durch neutrophile Granulozyten mit fast vollständigem Verschluss des Gefäßlumens ist deutlich sichtbar.