Sascha Lobo
Herr Lobo, Sie sind ein gerngesehener Redner bei einer Vielzahl von Veranstaltungen,
von der Digitalkonferenz re:publica bis hin zu Wirtschaftsforen und Kongressen. Waren
Sie dennoch überrascht, als die Deutsche Röntgengesellschaft Sie eingeladen hat?
Gerade die Radiologie ist für mich sehr interessant, wenn es um digitale Verarbeitungen
geht. Schließlich sind bildgebende Verfahren ja nichts anderes als Daten. Es ist deshalb
sicherlich auch kein Zufall, dass dieses medizinische Fach die größten Fortschritte
im gesamten Gesundheitsbereich durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu verzeichnen
hat. In meinen Vorträgen nutze ich deshalb auch gerne eine Vielzahl von Beispielen
rund um die bildgebenden Verfahren. Außerdem ist ein Röntgenbild so schön anschaulich
und die meisten Menschen haben einen konkreten Bezug dazu. Auf diesen Bildern können
KI-Systeme Dinge erkennen, die den Menschen beziehungsweise den Radiologen bislang
verborgen geblieben sind. Deshalb habe ich mich sehr über die Anfrage gefreut!
Eines der Kongress-Schwerpunktthemen lautet „Radiologie 4.0“. Was halten Sie von dem
Zusatz „4.0“ im Kontext Radiologie?
Solche Begriffe wie 4.0 gibt es ja quer durch alle möglichen Bereiche, da stellt die
Radiologie überhaupt keine Ausnahme dar. Ganz trennscharf definiert sind diese Bezeichnungen
aber in der Regel nicht, und das ist auch Absicht. Sie bündeln nämlich eine Debatte
um bestimmte Zukunftsentwicklungen, und dafür sind sie gut geeignet. Wenn man jetzt
anfangen wollte, nur auf diesen Begriff aufbauend wissenschaftliche Studien anzulegen,
würde das sicherlich in eine Sackgasse führen. Aber ich glaube, ein solcher Zusatz
ist sehr sinnvoll, wenn man eben nicht nur trennscharf eine Technologie diskutieren
will. Radiologie 4.0 lässt sich ja eigentlich übersetzen mit: Die Radiologie der Zukunft.
Sie kritisieren regelmäßig, dass die Digitalisierung in Deutschland im Vergleich zu
anderen Ländern hinterherhinkt und dass in der Politik das Bewusstsein für diesen
tiefgreifenden Wandel fehlt. Trifft diese Einschätzung auch auf den Gesundheitsbereich
bzw. die deutsche Gesundheitswirtschaft zu?
Unbedingt – ja! Ich habe mich inzwischen ja ein wenig auf die Gesundheitswirtschaft
spezialisiert. 2017 hatte ich die große Freude, in Freiburg auf dem Deutschen Ärztetag
sprechen zu dürfen. Herr Montgomery bat mich im Vorfeld einer wichtigen Abstimmung,
die Dringlichkeit des digitalen Wandels deutlich zu machen, und zwar gerade auch aus
ärztlicher Sicht. Ich sage es mal so: Das größte deutsche Vermögen ist zweifellos
das Beharrungsvermögen, und das macht sich im Gesundheitssystem besonders bemerkbar.
Das klassische Problem ist, dass das Gesundheitssystem in Deutschland seit vielen
Jahrzehnten auf einem extrem hohen Niveau unterwegs ist, was mit einer bestimmten
Form von Fortschritt konfligiert. Das macht es nämlich viel einfacher, zu sagen: „Es
geht doch auch so! Wir sind doch schon ziemlich super.“ Und das ist auch und gerade
bei den Radiologinnen und Radiologen ein nicht seltenes Problem – übrigens auch weltweit.
Ich habe dazu interessante Daten aus Australien gefunden. Die Universität von Adelaide
ist ja recht umtriebig, was Radiologie 4.0 im weiteren Sinne angeht. Und da findet
man Aussagen wie: „Wir sind an der Spitze der Technologie, weshalb müssen wir uns
denn jetzt noch mit künstlicher Intelligenz befassen?“
Würden Sie denn den Radiologinnen und Radiologen empfehlen, sich als Treiber des digitalen
Wandels im Gesundheitssystem zu positionieren?
Ja, auf jeden Fall und das aus einem einfachen Grund: Die Disruption des Gesundheitssystems
kommt auf uns zu und Radiologinnen und Radiologen stehen an der Spitze derjenigen,
die davon zuerst betroffen sein werden. Das gilt nicht nur für Deutschland und Europa,
sondern weltweit. Die Radiologie muss sich als digitale Avantgarde begreifen. Das
scheint mir alternativlos und ich mache mir auch nicht die geringsten Sorgen darüber,
dass die Radiologie als medizinisches Fach irgendwann überflüssig sein könnte. Das,
was bei der Auswertung von Bilddaten stattfindet und das, was am Ende bei den Menschen
in den Köpfen ankommt, ist auf absehbare Zeit fast zwingend mit menschlicher Kommunikation
und Erklärung verbunden. Es gibt ein neues Fach, das in fantastischer Weise für die
Radiologie geeignet ist: Explainable AI, also erklärbare künstliche Intelligenz. Dadurch
ändert sich die Rolle der Radiologinnen und Radiologen eindeutig. Sie werden zu denjenigen,
die bestimmte Formen von Daten und Datenverknüpfungen erklären, vermitteln und dort
wo es nötig ist, ein Verständnis herstellen – beispielsweise gegenüber Patienten oder
auch ganz allgemein gegenüber der Öffentlichkeit. Meiner Überzeugung nach wird sich
hier auf absehbare Zeit ein wichtiges Tätigkeitfeld für Radiologen ergeben. (…)
Lesen Sie das vollständige Interview auf https://www.drg.de/de-DE/5380/digitaler-wandel/