Einleitung
Die Sojabohne zählt zu den Hülsenfrüchten und stammt aus dem asiatischen Raum, wo
sie bis heute zu den Grundnahrungsmitteln zählt. Mittlerweile wird sie auch in Europa
angebaut und erfreut sich zunehmender Beliebtheit [1]
[2]. Aufgrund steigender Nachfrage nach Milch- und Fleischersatzprodukten halten Sojaprodukte
Einzug in die deutschen Supermarktregale, sodass Sojaprodukte wie Tofu, Sojamilch,
Sojajoghurt, Sojasoße und Sojapaste nicht nur in der veganen/vegetarischen Küche ihren
Siegeszug fortsetzen ([Abb. 1]).
Abb. 1 Sojamilch, Sojajoghurt und Sojatofu als Lifestyleprodukte.
Die Sojabohne enthält jedoch bedeutende Allergene, die bei 0 – 0,5 % der Bevölkerung
zu schweren Soforttypreaktionen führen können [3]
[4]. Zu unterscheiden sind hierbei v. a. die thermo- und säurestabilen Proteine Gly
m 5 (Beta Conglycinin) und Gly m 6 (Glycinin), die auch bei prozessierten Sojaprodukten
zu schweren Systemreaktionen führen können und bei denen Kreuzreaktionen zu Erdnuss
und weiteren Hülsenfrüchten möglich sind, und das Birkenpollenhomolog Gly m 4. Das
Eiweiß Gly m 4 zeigt dabei eine Strukturhomologie zu dem Birkenpollen-Majorallergen
Bet v 1, einem Protein der PR-10-Familie. IgE-vermittelte Reaktionen gegen dieses
Protein sind vorwiegend im Jugend- und Erwachsenenalter für leichte Reaktionen eines
oralen Allergiesyndroms (OAS) verantwortlich, können jedoch bei Verzehr größerer Mengen
geringgradig verarbeiteter Sojaprodukte (z. B. Sojadrink) bei Birkenpollenallergikern
ebenfalls zu schweren allergischen Reaktionen mit Atemwegsverlegung und Anaphylaxie
führen ([Abb. 2]). Immunzellen, die gegen Bet v 1 gerichtet sind, können dementsprechend auch an
das Sojaprotein Gly m 4 binden und allergische Reaktionen auslösen. Wir möchten aus
diesem Grund 4 Fallberichte von Birkenpollenallergikern aus unserer Allergieambulanz
vorstellen, die durch Sojadrink schwere Soforttypreaktionen entwickelt haben.
Abb. 2 Unterscheidung der Sojaallergie in 2 Hauptformen anhand der IgE-vermittelten Sensibilisierung
in eine primäre Nahrungsmittelallergie mit hohem Risiko für schwere Reaktionen und
eine sekundäre birkenpollenassoziierte Kreuzallergie mit vorwiegend leichten Reaktionen
und Verträglichkeit von denaturierten Produkten. Durch Verzehr großer Mengen von unprozessierten
Produkten wie Sojamilch/Sojadrink sind jedoch auch hier systemische Reaktionen möglich!
Kasuistik 1
Anamnese
Eine 50-jährige Patientin stellte sich mit Rhinoconjunctivitis allergica (RCA) saisonalis
auf Birken- und Baumpollen (nasale Sekretion, Niesen, Juckreiz, Obstruktion sowie
konjunktivale Rötung, Juckreiz, Augentränenfluss von Januar bis Ende April) sowie
einer Nahrungsmittelallergie gegen Haselnuss, Paranuss, Makadamianuss und rohem Tofu
vor. Beim Verzehr käme es zu Juckreiz im Mund und Atembeschwerden. Äpfel und andere
Nüsse (Walnuss, Mandel, Pistazie, Cashewkern, Erdnuss) würden vertragen. Die Vorstellung
erfolgte aufgrund einer schweren Systemreaktion (Augen-, massive Lippenschwellung
und Atemnot) unmittelbar nach dem Verzehr eines ganzen Glases eines Eiweißgetränkes
mit Sojaprotein („DM“ – veganer Eiweißshake). Es erfolgte eine antiallergische Behandlung in der Notaufnahme.
Prozessierte Sojaprodukte wie Sojasoße und gebratener Tofu werden von der Patientin
vertragen.
Allergiediagnostik
In der Pricktestung der nativen Nahrungsmittel-Reihen zeigten sich nach 15 Minuten
positive Reaktionen auf die Sojabohne (Quaddeldurchmesser: 5 mm/Erythemdurchmesser:
20 mm), die Haselnuss nativ (3/10 mm), einen Sojadrink (Happy Soya, Sojadrink von
Mona Naturprodukte GmbH) (5/25 mm) und den angeschuldigten Eiweißshake von „DM“ (5/20 mm).
IgE-Sensibilisierungen im Phadia CAP (Thermo Fisher, Freiburg) waren nachweisbar gegen
die molekularen Allergene Birkenpollen Bet v 1 (58,5 KU/l), Haselnuss Cor a 1 (9,73 KU/I) und Erdnuss Ara h 8 (3,04 KU/l) sowie Sojabohnen Gly
m 4 (2,91 KU/I) bei fehlendem sIgE auf Sojabohne-Gesamtextrakt, Sojabohnen Gly m 5
und Gly m 6 ([Tab. 1]). Eine orale Provokationstestung steht noch aus.
Tab. 1
Klinisch-allergologische Daten von 4 Patienten mit Birkenpollenallergie und schweren
allergischen Reaktionen auf Sojadrink.
Patient
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Birkenpollenallergie
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Gesamt-IgE, IgE Bet v 1
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Spezifisches IgE Sojabohne
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Pricktest positiv (Quaddel/Erythem in mm)
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Auslöser
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Kofaktoren
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Reaktion
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1, 50-jährige Patientin
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ja
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Gesamt IgE (60,2 IU/ml) rBet v 1 (58,5 KU/l)
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Gly m 4 (2,91 KU/I) Gly m 5 (< 0,1 KU/l) Gly m 6 (< 0,1 KU/l) Sojabohne (< 0,1 KU/l)
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Sojabohne (5/20), Sojadrink nativ (5/25), Eiweißshake nativ (5/20)
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Sojadrink
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nein
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Lippenschwellung, Atemnot
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2, 72-jährige Patientin
|
ja
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Gesamt IgE (386 IU/ml) Bet v 1 (> 100 KU/l)
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Gly m 4 (35,5 KU/I) Gly m 5 (0,37 KU/l) Gly m 6 (0,82 KU/I) Sojabohne (8,46 KU/l)
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Sojamilch (10/25), Sojasprossen (4/5)
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Sojadrink während stationärer Provokationstestung
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nein
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Massive Zungenschwellung, Globusgefühl
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3, 64-jähriger Patient
|
ja
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Gesamt IgE (81,8 IU/ml) Bet v 1 (85,1 KU/l)
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Gly m 4 (24,2 KU/l) Gly m 5 (< 0,1 KU/l) Gly m 6 (< 0,1 KU/l) Sojabohne (0,07 KU/l)
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Soja (8/20), Sojamilch Alpro (10/20), Sojabrei (10/20)
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Sojamilch
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ja (Sport)
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Engegefühl im Hals, generalisierte Urtikaria
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4, 66-jährige Patientin
|
ja
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Gesamt IgE (91,8 IU/ml) Bet v 1 (12,1 KU/l)
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Gly m 4 (5,36 KU/I) Gly m 5 (< 0,1 KU/l) Gly m 6 (< 0,1 KU/l) Sojabohne (< 0,1 KU/l)
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Sojadrink (5/6), Yokebe-Eiweißdrink (4/6)
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Yokebe-Sojadrink
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nein
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Angioödem im Gesicht, Dyspnoe, Bewusstseinsverlust
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Kasuistik 2
Anamnese
Die 72-jährige Patientin mit Birkenpollenallergie (RCA von Februar bis April) stellte
sich aufgrund einer Hülsenfruchtallergie zur oralen Provokationstestung in unserer
Klinik vor. Sie habe nach dem Verzehr von gekochten Brechbohnen sofort palmaren Pruritus,
Übelkeit, Diarrhoe, Atemnot und Schwindel entwickelt. Ähnliche Episoden ereigneten
sich nach Verzehr von Bohnensuppe und Sprossen. Haselnüsse vertrage die Patientin
anamnestisch auch in rohem Zustand. Bei Verzehr von gerösteten Erdnüssen bekäme sie
ein Kribbeln im Mund im Sinne eines OAS. Die Patientin gab an, Sojasoße zu vertragen
und andere Sojaprodukte nicht zu verzehren.
Allergiediagnostik
In der Pricktestung zeigte sich u. a. Sojadrink nativ (10/25 mm), Birke (7/20 mm),
Sojasprossen nativ (4/5 mm), Erdnuss nativ (3/4 mm), Haselnuss nativ (5/10 mm) positiv.
Spezifisches IgE wurde nachgewiesen auf Bet v 1 (> 100 KU/l), Sojabohne (8,46 KU/l),
Gly m 4 (35,5 KU/I) sowie geringgradig auf Gly m 5 (0,37 KU/I) und Gly m 6 (0,82 KU/I).
Zudem fand sich sIgE auf Haselnuss Cor a 1 (83,9 KU/I), Cor a 9 (1,11 KU/I), Erdnuss
Ara h 8 (39,5 KU/l) ([Tab. 1]). Bei geringgradiger Sensibilisierung auf Gly m 5 und Gly m 6 erfolgte eine orale
offene Provokation zunächst mit fermentierter Sojasoße bis 6 ml, um eine primäre Sojaallergie
auszuschließen. Diese wurde gut vertragen. Bei der titrierten oralen Provokation mit
0,1 ml, 0,3 ml, 1,0 ml, 3 ml, 30 ml und 100 ml Sojadrink reagierte die Patientin etwa
30 Minuten nach der letzten Gabe von 100 ml Sojadrink mit massiver Zungenschwellung,
Globusgefühl und einer periorbitalen Rötung. Wir behandelten mit 250 mg Solu Decortin
H i. v. und 2 Ampullen Fenistil i. v. Zudem gaben wir 4 Liter Sauerstoff/min und Adrenalin
vernebelt. Hierunter besserten sich die Symptome rasch.
Kasuistik 3
Anamnese
Ein 64-jähriger Patient mit Birkenpollenallergie und einem oralen Allergiesyndrom
beim Verzehr von Kernobst berichtete wenige Minuten nach Verzehr von Sojamilch (mehrere
Schlucke) (Sojadrink Firma Alpro) ein Engegefühl im Hals und eine generalisierte Urtikaria
bekommen zu haben. Davor habe er sich sportlich betätigt.
Allergiediagnostik
In unserer allergologischen Diagnostik zeigte sich in der Pricktestung u. a. Sojamilch
(10/20 mm), Soja-Pricklösung (8/10 mm), Sojabrei (10/20 mm) und Apfel-Pricklösung
(5/6 mm) positiv. Auf Birke war der Hauttest negativ. Spezifisches IgE zeigte sich
auf Bet v 1 (85,1 KU/l), Sojabohne (0,07 KU/l), Gly m 4 (24,2 KU/l), Apfel (2,58 KU/l),
bei fehlendem Nachweis von Gly m 5 und Gly m 6 ([Tab. 1]). Wir provozierten mit Sojabrei bis 200 ml und Sojamilch Alpro bis 150 ml. Dies
wurde gut vertragen. Die Episode werteten wir aufgrund der Anamnese und der Sensibilisierung
als birkenpollenassoziierte Sojaallergie (Gly m 4), ausgelöst durch den Kofaktor sportliche
Aktivität. Eine Provokationstestung mit Sojamilch und Sport steht noch aus.
Kasuistik 4
Anamnese
Eine 66-jährige Patientin mit Birkenpollenallergie berichtete bei Vorstellung in unserer
Ambulanz, etwa 20 Minuten nach dem Verzehr eines Yokebe-Sojadrinks mit Angioödem im
Gesicht, Dyspnoe und Bewusstseinsverlust reagiert zu haben.
Allergiediagnostik
In unserer allergologischen Diagnostik zeigte sich im Pricktest Sellerieknolle (4/6 mm),
Sojadrink (5/6 mm), Yokebe-Eiweißdrink (4/6 mm) und Lupinenmehl (5/7 mm) positiv.
Spezifisches IgE ließ sich auf Bet v 1 (12,1 KU/l), Haselnuss Cor a 1 (9,32 KU/I)
und Gly m 4 (5,36 KU/I) nachweisen. SIgE auf Sojabohne sowie Gly m 5 und Gly m 6 waren
negativ. Eine Provokationstestung wurde aufgrund mangelnder Testfähigkeit bei Asthma
bronchiale sowie klarer Anamnese und Befundlage nicht durchgeführt.
Diskussion
Bei den 4 beschriebenen Patienten entwickelten sich schwere allergische Reaktionen
bis zur Sojaanaphylaxie nach Einnahme großer Mengen an geringgradig verarbeiteten
Sojaprodukten (Sojadrink) aufgrund entsprechender IgE-vermittelter Allergien auf das
Birkenpollenallergen Bet v 1 und einer Kreuzreaktion auf das PR-10-Homolog in der
Sojabohne Gly m 4 [5]. Diese Fallberichte zeigen auf, dass bei Birkenpollenallergikern mit primärer Sensibilisierung
auf Bet v 1 durch Kreuzreaktion mit dem PR-10-Sojahomolog Gly m 4 ein mengen- und
kofaktorabhängiges Risiko für schwere Systemreaktionen besteht ([Abb. 2] und [Abb. 3]) und allen Patienten diese Gefahr nicht bewusst war. Es wurden bisher mehr als 15
mögliche Allergene in der Sojabohne beschrieben [6]. Bekannte Allergene für schwere Systemreaktionen bei primärer Sojaallergie sind
insbesondere Gly m 5 und Gly m 6, neuerdings auch Gly m 2 S-Albumin [7]
[8]. Alle vorgestellten Patienten hatten jedoch eine sekundäre birkenpollenassoziierte
Sojaallergie mit vorrangiger Sensibilisierung auf das Allergen Gly m 4, die normalerweise
zu milden Symptomen eines oralen Allergiesyndroms führt [1]
[2]. Bei 3 von 4 Patienten mit Sojaallergie konnte die Allergie nicht durch spezifisches
IgE auf Sojabohne (< 0,35 KU/l) nachgewiesen werden, wobei ein IgE-Nachweis auf das
birkenpollenhomologe Gly m 4 bei allen die Diagnose ermöglichte. Die Diskrepanz wird
auf den geringen Anteil von Gly m 4 in Sojaproteinextrakten zurückgeführt. Gly m 5
und Gly m 6 war nur bei Patientin 2 positiv, weshalb wir die Patientin zunächst mit
fermentierter Soja-Sauce provozierten. Dieses entspricht auch den Ergebnissen aus
anderen Studien, bei denen in allen Patienten mit Sojaallergie entweder spezifisches
IgE auf Sojaextrakt oder Gly m 4 nachweisbar war, während die Sensitivität von Gly
m 5 und Gly m 6 deutlich geringer war [8]
[9].
Abb. 3 Kofaktoren senken die Schwelle zur allergischen Reaktion.
Bei allen Patienten lässt sich die schwere Reaktion durch die Höhe der verzehrten
Menge und die geringgradig verarbeitete Form des Sojas, bspw. im Sojadrink, erklären
[2]. Patienten, die nur auf Sojadrink reagierten, zeigten typischerweise auch in der
Literatur spezifisches IgE auf Gly m 4 in höheren Konzentrationen als Patienten, die
auch auf andere Sojaprodukte reagieren [8]
[9]
[10]. Gly m 4 ist ein thermo- und säurelabiles Allergen, welches durch Verarbeitung wie
starkes Erhitzen und Fermentation als Allergen zerstört und auch durch den Verdauungsvorgang
abgebaut wird. Daher reagierte die hauptsächlich auf Gly m 4 sensibilisierte Patientin
2 auch nicht auf Sojasoße, sondern auf einen geringgradig verarbeiteten Sojadrink.
Beim Patienten von Fallbericht 3 wurde die schwere Systemreaktion wahrscheinlich durch
den Kofaktor Sport begünstigt, da Kofaktoren die Schwelle zur allergischen Reaktion
deutlich senken können ([Abb. 3]) [11]
[12]. Neben Sport bzw. körperlicher Anstrengung sind weitere Kofaktoren wie Infekte oder
andere allergische Beschwerden wie Heuschnupfen während der Pollensaison, Stress,
Menstruation oder auch Analgetika von Bedeutung.
Zusammenfassend besteht bei Birkenpollenallergikern mit Sojaallergie aufgrund des
Siegeszuges alternativer Sojaprodukte in den Supermärkten und aufgrund der Verträglichkeit
von verarbeiteten Sojaprodukten mit denaturierten Sojaproteinen die Gefahr unerwarteter
schwerer allergischer Reaktionen nach Verzehr von größeren Mengen Sojadrink. In der
Diagnostik solcher Patienten ist die Bestimmung von spezifischem IgE auf den Sojabohnengesamtextrakt
nicht ausreichend und muss durch molekulare Sojaallergendiagnostik ergänzt werden.