Einleitung
Die Alopecia syphilitica kann klinisch und histopathologisch das Bild einer Alopecia
areata oder auch einer diffusen Alopezie imitieren und wird daher in der Häufigkeit
ihres Auftretens unterschätzt.
Kasuistik
Ein 27-jähriger, HIV-positiver Mann (CDC-Stadium A2, WHO-Stadium I) unter stabiler
antiretroviraler Therapie (= cART) mit FTC/TDF/RPV (Eviplera®), einer Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze und einer CD4-Zellzahl von 679 pro
Mikroliter EDTA-Blut stellte sich mit fortschreitendem diffusen Haarausfall am Kapillitium
innerhalb nur weniger Wochen vor. Auf Nachfrage berichtete er von einem seit 6 Wochen
bestehenden schmerzlosen Ulkus am oberen harten Gaumen. Weitere Hautveränderungen
im Verlauf wie bspw. ein generalisiertes Exanthem am Stamm, den Extremitäten oder
den Hand- und Fußflächen wurde verneint. In den Wochen vor Erscheinen der Schleimhautläsion
am Gaumen war mehrfacher ungeschützter Oralverkehr mit einem männlichen Sexualpartner
vorausgegangen.
Bei der körperlichen Untersuchung fand sich neben einem diffusen Effluvium am Kapillitium
([Abb. 1]) bei dermatoskopisch unauffälligem Haarfollikelbefund ein ca. 1 cm großes Ulkus
am harten Gaumen sowie eine zervikale Lymphadenopathie, das restliche Integument war
frei von Hautveränderungen. Laboruntersuchungen zeigten einen reaktiven Treponema pallidum-Hämagglutinationstest (TPPA) und einen Venereal Disease Research Laboratory (VDRL)-Test
von 1:256. Ein negativer TPPA-Test 5 Monate vor der aktuellen Vorstellung lag ebenso
vor, da der Patient sich im Rahmen eines jährlichen STI (sexual transmitted infections)-Screenings
auch hinsichtlich Syphilis untersuchen hatte lassen. Folglich konnte die Diagnose
einer Frühsyphilis im Sekundärstadium mit Alopecia syphilitica diffusa gestellt werden.
Eine Behandlung mit einer einzelnen glutealen, intramuskulären Injektion von 2,4 Millionen
Einheiten Benzylpenicillin [1] mit vorangegangener Verabreichung von 60 mg Prednisolon per os zur Prophylaxe einer
Jarisch-Herxheimer-Reaktion, welche durch die Wirkung von Penicillin bei massivem
Zerfall von Treponema pallidum in Form grippeähnlicher Symptome auftreten kann, führte rasch zur Symptomfreiheit.
Auch der Haarausfall sistierte nach erfolgter Therapie, und innerhalb von 6 Monaten
zeigte sich eine vollständige Normalisierung des Haarwuchses mit klinisch deutlicher
Verdichtung der Kopfbehaarung im Vergleich zum Ausgangsbefund.
Abb. 1 Klinischer Befund mit diffuser Alopezie bei Erstvorstellung von rechts lateral (a) und okzipital (b) betrachtet. Quelle: Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags.
Zink A, Kaliebe K, Spinner CD. Alopecia syphilitica diffusa. Infection 2015; 43: 783.
[rerif]
Diskussion
Die Syphilis gilt als der große Imitator einer Vielzahl anderer (Haut-)Erkrankungen.
Neben den bekannteren klinischen Zeichen der sekundären Syphilis (z. B. generalisiertes
Exanthem oder palmoplantare erythematöse Makulae) kann sie auch einen syphilitischen
Haarausfall (Alopecia syphilitica) verursachen [2]. Dieser findet sich meistens am Kapillitium, kann aber ebenso im Bartbereich, axillär,
an den Augenbrauen, den Wimpern, den Armen und Beinen sowie im Genitalbereich auftreten
[3]. Die syphilitische Form der Alopezie ist eine seltene und weniger bekannte Manifestationsform
der Syphilis, die typischerweise 8 – 12 Wochen nach Beginn des Sekundärstadiums auftritt.
Die Prävalenz variiert stark, und ihr Auftreten wird je nach Literatur bei 2,9 % – 22,2 %
aller Syphiliserkrankten angegeben [4]
[5]
[6]. Klinisch werden typischerweise 3 Formen unterschieden: eine diffuse Alopezie mit
flächiger Ausdünnung des Haarkleids (Alopecia syphilitica diffusa), eine Alopezie
mit einem kleinfleckig imponierenden Muster (Alopecia syphilitica areolaris) oder
eine Kombination von beiden Präsentationsformen [7]. Das kleinfleckige Muster wird aufgrund seiner typischen Klinik auch als mottenfraßartig
beschrieben und ist die häufigste Manifestationsform der syphilitischen Alopezie.
Die diffuse Form ist deutlich seltener [8]. Beide Formen treten akut auf, sind nach erfolgreicher Syphilisbehandlung vollständig
reversibel und beginnen oft am Hinterkopf. Atypische und seltenere Verlaufsformen
der Syphilisinfektion sind in der Literatur insbesondere im Zusammenhang mit einer
HIV-Infektion, wie im vorliegenden Fall, beschrieben.
Die Alopecia syphilitica diffusa ist nicht vernarbend und bis auf den sichtbaren Haarverlust
klinisch meist völlig unauffällig. Histologisch lässt sich jedoch immer eine Entzündungsreaktion
mit lymphozytärem Infiltrat nachweisen. Weitere histologische Kriterien können der
Nachweis von Plasmazellen und Eosinophilen in der peribulbären Region sowie eine sog.
Klumpenbildung von Melanozyten in der follikulären Matrix sein, die sich jedoch nicht
in allen Fällen zeigen und somit nicht immer als diagnostisches Kriterium herangezogen
werden können [7]
[8]. Vielmehr kann die syphilitische Alopezie ebenso wie klinisch auch histologisch
eine Alopecia areata imitieren [10]. Eine weitere diagnostische Methode der syphilitischen Alopezie kann die dermatoskopische
Untersuchung der betroffenen Haarfollikel sein, für die Tognetti et al. [5] verschiedene Kriterien herausarbeiteten. Dabei beschrieben die Autoren neben unspezifischen
gelben und schwarzen Flecken sowie Vellusbehaarung insbesondere konisch geformte,
in sich gekrümmt wachsende Haare als Charakteristikum bei gemischter, diffus- und
kleinfleckiger, syphilitischer Alopezie. Die Kombination aus Krümmung und konischer
Form in jeweils ein und demselben Haar sahen sie sogar als beweisend an und machten
die durch Treponema pallidum hervorgerufene lymphozytäre Entzündungsreaktion dafür verantwortlich. Kritisch zu
beurteilen ist jedoch die Fallzahl von lediglich einem Patienten und das Fehlen einer
entsprechenden Evaluation in größeren Patientengruppen. Auch im vorliegenden Fall
wurden die beschriebenen Charakteristika bspw. dermatoskopisch nicht gesehen. Treponema pallidum kann ferner mithilfe immunhistochemischer Färbungen im Haarfollikel selbst nachgewiesen
werden [8]. Zusätzlich zur serologischen Diagnostik ermöglicht dies eine Unterscheidung von
syphilitischer diffuser Alopezie und Alopecia areata diffusa anderer Ursache.
Letztlich bleibt jedoch die Serologie der Goldstandard der Syphilis-Diagnostik. Dies
erfordert allerdings eine Berücksichtigung der Syphilis in den differenzial-diagnostischen
Überlegungen einer Alopezie. Dementsprechend verdeutlicht die vorgestellte Kasuistik,
dass auch die diffuse syphilitische Alopezie trotz deren Seltenheit routinemäßig bei
der Differenzialdiagnostik von Alopezien berücksichtigt werden muss.