Arzneimittelsicherheit
Prof. Dr. Christoph Fiehn
Dr. Anja Strangfeld
Unsere Gesellschaft funktioniert unter der Annahme, dass Produkte, die wir zu uns
nehmen, Verkehrsmittel, Bauwerke und vieles mehr so sicher sind, dass wir diesen unser
Leben und unsere Gesundheit ohne Vorbehalt anvertrauen können. Wir verlassen uns dabei
aber nicht nur auf die technische Qualität, sondern setzen auch verantwortliches Handeln
von Menschen und (Aufsichts-)Behörden voraus. Von den Letzteren hoffen wir, dass sie
die Qualität der ihnen anvertrauten Produkte stets kompetent überwachen und sicherstellen.
Ähnlich ist es mit Arzneimitteln, von denen allgemein vorausgesetzt wird, dass sie
„sicher“ sind und ohne größere Schäden verabreicht bzw. genommen werden können. Patienten
haben keine andere Wahl, als sich – zumindest bis zu einem gewissen Punkt – blind
auf die Sicherheit der Medikamente und das verantwortliche Handeln der sie verschreibenden
Ärzte zu verlassen. Die Beurteilung der Sicherheit einer Substanz erfordert Sachkenntnis
über das Nutzen-Risiko-Profil der zu verschreibenden Substanz und nach Möglichkeit
auch darüber hinaus gehendes Wissen, um patientenspezifische Besonderheiten und Risiken
gegenüber dem therapeutischen Zugewinn abwägen zu können.
Tatsächlich ist Arzneimittelsicherheit aber kein statischer Zustand, mit Wissen, das
man sich einmalig aneignen kann, sondern ein dynamischer Prozess, in dem kontinuierlich
neue Erkenntnisse generiert werden und medizinisches Handeln dementsprechend angepasst
werden muss. Medikamente durchlaufen im Zulassungsprozess heute rigide Prüfungen,
sodass moderne Medikamente sehr viel sicherer sind als dies bei früheren Zulassungen
der Fall war. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die in klinische Studien
eingeschlossenen Patienten das Gesamtspektrum der Patienten nicht abbilden können
und dass die Aussagekraft der vor der Zulassung durchgeführten Studien durch die geringe
Anzahl der untersuchten Patienten in den einzelnen Gruppen beschränkt ist. Dies bedeutet,
dass die Sicherheitsbewertung eines Medikamentes mit der Zulassung nicht abgeschlossen
sein kann. Und tatsächlich wird ein beträchtlicher Teil der Kenntnis über die Sicherheit
und Verträglichkeit von Medikamenten und deren Wechselwirkungen erst dadurch erworben,
dass Komplikationen bei der Anwendung in der täglichen Praxis auftreten. Unerwünschte
Arzneimittelwirkungen (UAW) zählen zu den häufigsten Ursachen iatrogener Schäden im
Gesundheitswesen und bedingen 5–10 % aller Krankenhausaufnahmen [1], [2] und laut einer neueren Analyse des Netzwerkes deutscher Pharmakovigilanzzentren
3,5 % der internistischen Aufnahmen [3]. Der Aspekt UAWs wurde deshalb im Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit
in Deutschland als wichtiges Forschungsthema definiert [4], um bessere Kenntnisse über Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen zu erlangen.
In der Rheumatologie ist Arzneimittelsicherheit besonders wichtig, zum einen, da mehrere
bislang als Risikofaktoren identifizierten Merkmale zusammentreffen – häufig ein höheres
Alter der Patienten, aber auch Komorbiditäten und deren Therapien (Polypharmazie) – und
zum anderen die außerordentliche Entwicklung und Erweiterung des pharmakotherapeutischen
Spektrums bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen. Große und international anerkannte
Register, Phase-IV-Studien und die systematische Meldung von unerwünschten Wirkungen
sind einige der Methoden, mit denen die Arzneimittelsicherheit alter und neu zugelassener
Substanzen in der Rheumatologie untersucht wird. Ebenso wichtig wie die Analyse der
Therapiesicherheit und Identifizierung wichtiger Risikofaktoren ist aber auch der
Transfer dieser Erkenntnisse in die Praxis, beispielsweise durch Schulungen der Ärzte.
Denn „Verschreibende“ sollten die Problematik unerwünschter Wirkungen, Wechselwirkungen
und Toxizität der neuen, aber auch der schon lange eingesetzten Medikamente einschätzen
können, damit sie adäquat in aktuelle Therapieentscheidungen miteinbezogen werden
können. Nicht zuletzt muss die Aufmerksamkeit für das Thema „Arzneimittelsicherheit“
regelmäßig neu geweckt werden.
Aus diesem Grunde haben wir den 3. Teil unserer Reihe zur Pharmakotherapie in der
arthritis + rheuma dem Thema „Arzneimittelsicherheit“ gewidmet (Teil 1: „Neues zur
rheumatologischen Pharmakotherapie – konventionelle DMARD und Glukokortikoide“ [a+rh
4/2016]; Teil 2: „Neues zur rheumatologischen Pharmakotherapie – biologische DMARD“
[a+rh 2/2017]).
Zunächst berichten Stammschulte und Kollegen aus der Sicht der Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft zum Thema Arzneimittelsicherheit und Pharmakovigilanz. Wer
schon immer einmal wissen wollte, welchen Weg Spontanmeldungen gehen und wie sie bewertet
werden, wird hier fündig: System und Methodik der Pharmakovigilanz in Deutschland
werden detailliert dargestellt und die Praxis wird anhand anschaulicher Fälle erläutert.
Des Weiteren erhalten Leser die Information, wo sie sich über die Sicherheit bestimmter
Substanzen eingehender informieren können.
Auf eine bestimmte Lebensphase fokussiert ist das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum
für Embryonaltoxikologie (PVZ Embryotox) der Charité. Seit vielen Jahren tragen die
Untersuchungen dieses Zentrums wesentlich zu unserem Wissen über die Sicherheit der
Anwendung vieler Präparate in der Schwangerschaft bei. Weber-Schoendorfer von Embryotox
fasst in ihrem Artikel den Stand des Wissens zur Sicherheit von Antirheumatika in
der Schwangerschaft zusammen. Dass Arzneimittelsicherheit auch bei der Therapie rheumatischer
Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter eine wichtige Rolle spielt, beschreiben Klotsche
und Kollegen, die in ihrem Beitrag spannende Ergebnisse des JUMBO-Registers vorstellen.
Biologische DMARDs gehören zu den Substanzen, bei denen wir inzwischen bis zu 2 Dekaden
lang Erfahrungen in der Rheumatologie sammeln konnten. Wir können deswegen nicht nur
die häufigen und typischen unerwünschten Wirkungen beurteilen, sondern auch über seltene,
aber u. U. umso gravierendere Ereignisse Aussagen machen. In ihrem Artikel fokussieren
Nigg und Feuchtenberger auf seltene Nebenwirkungen von biologischen (b)DMARD und helfen,
die Wachsamkeit für diese zu erhöhen. Einem anderen Wirkprinzip, der JAK-Inhibition
und der Gruppe der gezielten synthetischen (targeted-synthetic = ts) DMARDs widmet
sich Leipe. Er zieht in seinem Beitrag ein Fazit über die Erkenntnisse zur Sicherheit
dieser Medikamente mit Daten aus den klinischen Studien und den ersten Jahren nach
der Zulassung.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Heft Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit wecken,
und dass Sie Spaß beim Lesen haben sowie für Ihre Arbeit in der täglichen Praxis Neues
und Wissenswertes entdecken können.
Ihre
Prof. Dr. med. Christoph Fiehn, Baden-Baden
Dr. med. Anja Strangfeld, Berlin