Arthritis und Rheuma 2019; 39(04): 213-215
DOI: 10.1055/a-0886-5803
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

arthritis + rheuma

Zeitschrift für Orthopädie und Rheumatologie
Christoph Fiehn
,
Anja Strangfeld
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Publication Date:
02 September 2019 (online)

 

Arzneimittelsicherheit

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Prof. Dr. Christoph Fiehn
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Dr. Anja Strangfeld

Unsere Gesellschaft funktioniert unter der Annahme, dass Produkte, die wir zu uns nehmen, Verkehrsmittel, Bauwerke und vieles mehr so sicher sind, dass wir diesen unser Leben und unsere Gesundheit ohne Vorbehalt anvertrauen können. Wir verlassen uns dabei aber nicht nur auf die technische Qualität, sondern setzen auch verantwortliches Handeln von Menschen und (Aufsichts-)Behörden voraus. Von den Letzteren hoffen wir, dass sie die Qualität der ihnen anvertrauten Produkte stets kompetent überwachen und sicherstellen.

Ähnlich ist es mit Arzneimitteln, von denen allgemein vorausgesetzt wird, dass sie „sicher“ sind und ohne größere Schäden verabreicht bzw. genommen werden können. Patienten haben keine andere Wahl, als sich – zumindest bis zu einem gewissen Punkt – blind auf die Sicherheit der Medikamente und das verantwortliche Handeln der sie verschreibenden Ärzte zu verlassen. Die Beurteilung der Sicherheit einer Substanz erfordert Sachkenntnis über das Nutzen-Risiko-Profil der zu verschreibenden Substanz und nach Möglichkeit auch darüber hinaus gehendes Wissen, um patientenspezifische Besonderheiten und Risiken gegenüber dem therapeutischen Zugewinn abwägen zu können.

Tatsächlich ist Arzneimittelsicherheit aber kein statischer Zustand, mit Wissen, das man sich einmalig aneignen kann, sondern ein dynamischer Prozess, in dem kontinuierlich neue Erkenntnisse generiert werden und medizinisches Handeln dementsprechend angepasst werden muss. Medikamente durchlaufen im Zulassungsprozess heute rigide Prüfungen, sodass moderne Medikamente sehr viel sicherer sind als dies bei früheren Zulassungen der Fall war. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die in klinische Studien eingeschlossenen Patienten das Gesamtspektrum der Patienten nicht abbilden können und dass die Aussagekraft der vor der Zulassung durchgeführten Studien durch die geringe Anzahl der untersuchten Patienten in den einzelnen Gruppen beschränkt ist. Dies bedeutet, dass die Sicherheitsbewertung eines Medikamentes mit der Zulassung nicht abgeschlossen sein kann. Und tatsächlich wird ein beträchtlicher Teil der Kenntnis über die Sicherheit und Verträglichkeit von Medikamenten und deren Wechselwirkungen erst dadurch erworben, dass Komplikationen bei der Anwendung in der täglichen Praxis auftreten. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) zählen zu den häufigsten Ursachen iatrogener Schäden im Gesundheitswesen und bedingen 5–10 % aller Krankenhausaufnahmen [1], [2] und laut einer neueren Analyse des Netzwerkes deutscher Pharmakovigilanzzentren 3,5 % der internistischen Aufnahmen [3]. Der Aspekt UAWs wurde deshalb im Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland als wichtiges Forschungsthema definiert [4], um bessere Kenntnisse über Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen zu erlangen.

In der Rheumatologie ist Arzneimittelsicherheit besonders wichtig, zum einen, da mehrere bislang als Risikofaktoren identifizierten Merkmale zusammentreffen – häufig ein höheres Alter der Patienten, aber auch Komorbiditäten und deren Therapien (Polypharmazie) – und zum anderen die außerordentliche Entwicklung und Erweiterung des pharmakotherapeutischen Spektrums bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen. Große und international anerkannte Register, Phase-IV-Studien und die systematische Meldung von unerwünschten Wirkungen sind einige der Methoden, mit denen die Arzneimittelsicherheit alter und neu zugelassener Substanzen in der Rheumatologie untersucht wird. Ebenso wichtig wie die Analyse der Therapiesicherheit und Identifizierung wichtiger Risikofaktoren ist aber auch der Transfer dieser Erkenntnisse in die Praxis, beispielsweise durch Schulungen der Ärzte. Denn „Verschreibende“ sollten die Problematik unerwünschter Wirkungen, Wechselwirkungen und Toxizität der neuen, aber auch der schon lange eingesetzten Medikamente einschätzen können, damit sie adäquat in aktuelle Therapieentscheidungen miteinbezogen werden können. Nicht zuletzt muss die Aufmerksamkeit für das Thema „Arzneimittelsicherheit“ regelmäßig neu geweckt werden.

Aus diesem Grunde haben wir den 3. Teil unserer Reihe zur Pharmakotherapie in der arthritis + rheuma dem Thema „Arzneimittelsicherheit“ gewidmet (Teil 1: „Neues zur rheumatologischen Pharmakotherapie – konventionelle DMARD und Glukokortikoide“ [a+rh 4/2016]; Teil 2: „Neues zur rheumatologischen Pharmakotherapie – biologische DMARD“ [a+rh 2/2017]).

Zunächst berichten Stammschulte und Kollegen aus der Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zum Thema Arzneimittelsicherheit und Pharmakovigilanz. Wer schon immer einmal wissen wollte, welchen Weg Spontanmeldungen gehen und wie sie bewertet werden, wird hier fündig: System und Methodik der Pharmakovigilanz in Deutschland werden detailliert dargestellt und die Praxis wird anhand anschaulicher Fälle erläutert. Des Weiteren erhalten Leser die Information, wo sie sich über die Sicherheit bestimmter Substanzen eingehender informieren können.

Auf eine bestimmte Lebensphase fokussiert ist das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie (PVZ Embryotox) der Charité. Seit vielen Jahren tragen die Untersuchungen dieses Zentrums wesentlich zu unserem Wissen über die Sicherheit der Anwendung vieler Präparate in der Schwangerschaft bei. Weber-Schoendorfer von Embryotox fasst in ihrem Artikel den Stand des Wissens zur Sicherheit von Antirheumatika in der Schwangerschaft zusammen. Dass Arzneimittelsicherheit auch bei der Therapie rheumatischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter eine wichtige Rolle spielt, beschreiben Klotsche und Kollegen, die in ihrem Beitrag spannende Ergebnisse des JUMBO-Registers vorstellen.

Biologische DMARDs gehören zu den Substanzen, bei denen wir inzwischen bis zu 2 Dekaden lang Erfahrungen in der Rheumatologie sammeln konnten. Wir können deswegen nicht nur die häufigen und typischen unerwünschten Wirkungen beurteilen, sondern auch über seltene, aber u. U. umso gravierendere Ereignisse Aussagen machen. In ihrem Artikel fokussieren Nigg und Feuchtenberger auf seltene Nebenwirkungen von biologischen (b)DMARD und helfen, die Wachsamkeit für diese zu erhöhen. Einem anderen Wirkprinzip, der JAK-Inhibition und der Gruppe der gezielten synthetischen (targeted-synthetic = ts) DMARDs widmet sich Leipe. Er zieht in seinem Beitrag ein Fazit über die Erkenntnisse zur Sicherheit dieser Medikamente mit Daten aus den klinischen Studien und den ersten Jahren nach der Zulassung.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Heft Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit wecken, und dass Sie Spaß beim Lesen haben sowie für Ihre Arbeit in der täglichen Praxis Neues und Wissenswertes entdecken können.

Ihre

Prof. Dr. med. Christoph Fiehn, Baden-Baden

Dr. med. Anja Strangfeld, Berlin


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