Schlüsselwörter
Kariesprophylaxe - frühkindliche Karies - Saugerflaschenkaries - Fluoridzahnpasta
- Fluoridlack
Einleitung
Karieserfahrung bei 12-Jährigen
Seit einigen Jahrzehnten ist bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ein deutlicher
Kariesrückgang feststellbar. Die national repräsentativen Deutschen Mundgesundheitsstudien
(DMS) und die ebenfalls deutschlandweit durchgeführten Studien der DAJ (Deutsche Arbeitsgemeinschaft
für Jugendzahnpflege) dokumentieren einen beeindruckenden Rückgang der Karieslast
bei 12-jährigen Kindern. Ausgehend von DMFT-Werten (DMFT: decayed – missing – filled
teeth) von 1,7 im Jahre 1997 (DMS, zitiert bei [1]) bzw. von 2,4 im Jahre 1994 (DAJ-Studie, zitiert bei [2]) wurden zuletzt Werte von 0,5 im Jahr 2014 bzw. 0,4 im Jahr 2016 erhoben [1], [2]. Das bedeutet: Im Durchschnitt ist von zwei 12-jährigen Kindern eines vollkommen
kariesfrei und das andere Kind weist weniger als einen kariösen oder kariesbedingt
versorgten Zahn (Füllungen, Extraktionen) auf. In der Realität hat bei einer Kariesprävalenz
von 18,7% sogar von fünf 12-Jährigen nur ein Kind versorgte oder unversorgte Karies
– die übrigen vier sind kariesfrei [1]. Das Kind mit der Karieserfahrung weist dabei aber bereits 2,5 DMF-Zähne auf.
Merke
Die Gegenüberstellung von rechnerischem Mittelwert und tatsächlicher Kariesverteilung
zeigt, dass bezüglich der Karieslast eine Polarisation besteht.
Zwar ist es gelungen, die Teilgruppe mit hoher Karieserfahrung zu verkleinern: Im
Jahr 2014 zeigten nur noch etwa 6,1% der 12-Jährigen mehr als 2 sanierte oder unsanierte
Zähne [1]. Dies verschärft jedoch letztlich die Kariespolarisation, denn es sind insgesamt
weniger als 5,7% der 12-jährigen Kinder, die sämtliche in ihrer Altersgruppe zu sanierenden
Zähne aufweisen (s. „Info – Erhöhtes Kariesrisiko“).
Info
Erhöhtes Kariesrisiko
Im Zusammenhang mit der Kariespolarisation wird von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko
gesprochen. Diese Begrifflichkeit mag zwar sprachlich nicht ganz korrekt sein, da
letztlich alle Menschen dem gleichen Erkrankungsrisiko unterliegen. In der zahnmedizinischen
Kommunikation hat sich diese Bezeichnung dennoch etabliert – denn bereits vorhandene
Karieserfahrung ist der klinische Beleg für nicht adäquate Präventionsmaßnahmen, denen
zufolge ohne Veränderung kariesrelevanter Parameter weitere kariöse Defekte zu erwarten
sind.
Karieserfahrung bei 6/7-Jährigen
Im Milchgebiss besteht ebenfalls eine Ungleichverteilung der Karies, die bei 6- und
7-jährigen Kindern jedoch weniger ausgeprägt ist. Hier sind 44% der Kinder nicht mehr
kariesfrei, und durchschnittlich hat jedes Kind im Alter von 6 bis 7 Jahren 1,7 Milchzähne
mit Karieserfahrung [2]. Mit einem Kariesrückgang im Milchgebiss von rund 40% innerhalb von 22 Jahren ist
zwar auch hier ein Kariesrückgang feststellbar. Allerdings macht die prozentuale Reduktion
nur etwa halb so viel wie im bleibenden Gebiss aus ([Abb. 1]).
Abb. 1 Veränderung der Karieserfahrung im Milchgebiss (dmft-Werte) bei 6/7-Jährigen und
im bleibenden Gebiss (DMFT-Werte) bei 12-Jährigen in Deutschland [2].
Lässt man die gute Hälfte der 6- und 7-jährigen Kinder ohne Karieserfahrung außen
vor, so zeigt sich: Die von Karies betroffenen 6- und 7-Jährigen weisen im Mittel
bereits 4 kariöse oder infolge von Karies behandelte Zähne auf. Dennoch stellt die
hohe Kariesprävalenz im Milchgebiss einen guten Grund dar, die Präventionsmaßnahmen
bei Kindern vor dem Alter von 6 Jahren allgemein zu verstärken. Diese verstärkten
Präventionsmaßnahmen sollten nicht nur auf Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko beschränkt
werden. Hinzu kommt, dass sich in Deutschland in der Altersgruppe der 6- und 7-Jährigen
ein Stillstand beim Kariesrückgang, in einigen Regionen sogar ein Wiederanstieg der
Karieslast abzeichnet [2]. Auch wenn diese Beobachtungen international in verschiedenen Ländern gemacht werden
[3], drängt dies zu weiteren frühzeitigen Prophylaxemaßnahmen in Deutschland.
Karieserfahrung bei 3-Jährigen
Die hohe Karieslast bei den 6- und 7-jährigen Kindern ist ein dringlicher Anlass,
die Situation bei 3-Jährigen zu betrachten. Hier sind zwar „nur“ 13,7% von manifester,
das Dentin einbeziehender Karies betroffen, doch weisen diese Kinder im Durchschnitt
3,6 erkrankte Zähne auf [2]. Die therapeutischen Konsequenzen sind komplex und herausfordernd und machen oft
eine Behandlung in Allgemeinanästhesie notwendig. Die starke Kariespolarisation im
Kleinkindalter erfordert daher besondere Maßnahmen der Kariesprävention für diese
Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko.
Handlungsbedarf bei Kariesprävention für das Milchgebiss
Der auffällig unterschiedliche Erfolg der Kariesprävention im Milch- bzw. im bleibenden
Gebiss ([Abb. 1]) ist Anlass zur Implementierung verschiedener kariespräventiver Maßnahmen für das
Milchgebiss. Die Instrumente der Kariesprävention sind dabei die gleichen wie diejenigen,
die im bleibenden Gebiss erfolgreich zu dem erheblichen Kariesrückgang geführt haben.
Unter anderem liefert der bislang zu späte Zeitpunkt, zu dem die Kinder in zahnmedizinische
Betreuung kommen, eine Erklärung für die nur geringen Verbesserungen im Milchgebiss.
Wenn die individual- oder gruppenprophylaktische Betreuung erst mit 3 Jahren beginnt,
kann das Kind bereits Karies aufweisen, bevor zielführende primärpräventive Maßnahmen
etabliert und regelmäßig umgesetzt werden. Zudem kommt der frühzeitig einsetzenden
Karies eine wegweisende Rolle bezüglich der weiteren Kariesentwicklung zu [4].
Merke
Aus frühzeitiger erfolgreicher Kariesprävention können langfristige positive Effekte
der oralen Gesundheitsförderung abgeleitet werden.
Strategien der Kariesprävention beim Kleinkind
Strategien der Kariesprävention beim Kleinkind
Karies ist die klinische Folge einer Störung des an der Zahnoberfläche vorliegenden
Gleichgewichtes zwischen De- und Remineralisation. Die bewährten Präventionsmaßnahmen
zielen auf eine Veränderung oder Festigung dieses Gleichgewichts zugunsten der Remineralisation.
Diese bewährten Maßnahmen sind
-
die Mundhygiene zur Kontrolle des kariogenen Biofilms,
-
die Fluoridierung zur Verbesserung der Zahnhartsubstanz und
-
eine angemessene Ernährungsweise mit Verringerung der Saccharosezufuhr.
Zusätzlich besitzt bei Kindern die Versiegelung kariesgefährdeter Fissuren hohe karieshemmende
Effektivität [3].
Fluoridhaltige Zahnpasten
Mundhygienemaßnahmen sind eng an die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasten gekoppelt,
sodass eine Trennung des mechanisch plaquereduzierenden Putzeffektes vom Fluoridierungseffekt
nicht möglich ist.
Merke
Aufgrund der hohen Evidenz der karieshemmenden Wirkung von lokalen Fluoridierungsmaßnahmen
soll bei allen Kindern ab Durchbruch des 1. Milchzahnes eine fluoridhaltige Kinderzahnpasta
verwendet werden.
Die im Jahr 1998 ausgesprochene Empfehlung beinhaltete, dass hierfür Kinderzahnpasten
mit einem Fluoridgehalt von 500 ppm benutzt werden. Diese Empfehlung wurde aktuell
überarbeitet (s. Abschnitt „Kinderzahnpasten mit 1000 ppm Fluorid“).
Die karieshemmende Wirkung von Fluorid beruht auf lokalen Effekten an der Zahnoberfläche
[5]. Die regelmäßige Fluoridapplikation mittels Zahnpasten wird mit hohem wissenschaftlichem
Evidenzgrad als ein Hauptgrund für den Kariesrückgang bei Kindern und Jugendlichen
angesehen [6], [7]. Der kariespräventive Effekt wurde auch im Milchgebiss bei Kindern im Vorschulalter
nachgewiesen [8].
Praxistipp
Besonders ausgeprägt ist der karieshemmende Effekt der regelmäßigen Anwendung fluoridhaltiger
Zahnpaste beim sogenannten überwachten Putzen [9]. Hierunter ist das aktive Einbringen der Eltern bzw. Bezugspersonen in das Zähneputzen
mit regelmäßigem Erinnern, Anleiten und Nachputzen zu verstehen.
Ernährungsgewohnheiten
Auch die Kenntnisse über die Etablierung von Ernährungsgewohnheiten legen eine sehr
frühzeitige zahnärztliche Beratung nahe. Denn aus einer im Kleinkindalter angewöhnten
zuckerreichen Fehlernährung erwachsen langfristige nachteilige Folgen. So wurden Zusammenhänge
zwischen zuckerhaltiger Ernährung im Alter bis zu 12 Monaten und Karies im Alter von
ca. 3 Jahren dokumentiert [10]. Ebenso wurde eine Abhängigkeit der Karieslast im Alter von 5 Jahren von zuckerhaltigen
Getränken in der frühen Kindheit aufgezeigt [11]. In einer prospektiven randomisierten Studie von bis zu 13 Jahren Dauer wurde sogar
nachgewiesen: Die Menge des im Alter von 3 Jahren konsumierten Zuckers ist ein Prädiktor
für die Zuckeraufnahme in den folgenden Jahren. Ist diese Zuckeraufnahme hoch, so
geht sie mit vermehrter Kariesentstehung einher [12].
Neue Möglichkeiten
Im Folgenden sollen aktuelle Weiterentwicklungen einschlägiger Empfehlungen und Versorgungsparameter
dargestellt werden, die vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Kariessituation im
Milchgebiss kürzlich auf den Weg gebracht wurden. Da bei Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko
die üblichen Präventionsmaßnahmen offenkundig nicht zufriedenstellend greifen, sind
darüber hinausgehende Maßnahmen erforderlich. Die für diese Kinder möglichen zusätzlichen
Präventionsmaßnahmen sollen ebenfalls erläutert werden.
Zahnärztliche Untersuchungen für Kleinkinder
Die wenig zufriedenstellende Entwicklung der Karieslast im Milchgebiss ist der Anlass
für verschiedene vor Kurzem beschlossene Veränderungen der Rahmenbedingungen. Aus
diesen werden Impulse für eine erkennbare Reduktion der Karies erwartet. Diese Veränderungen
betreffen alle Kleinkinder. Eine wichtige Neuerung – deren Auswirkung allerdings noch
nicht abzuschätzen ist – wurde mit dem Präventionsgesetz geschaffen:
Merke
Kinderärzte haben die Möglichkeit, im Zuge der routinemäßigen Untersuchungen „U5“
bis „U7“ Kinder zum Zahnarzt zu verweisen.
Das bedeutet: Auf diese Weise können Kleinkinder schon im 6. und 7. Lebensmonat –
entsprechend dem Untersuchungszeitraum der „U5“ – in der zahnärztlichen Praxis vorgestellt
werden. Die entsprechenden Zeiträume der „U6“ und „U7“ sind der 10. bis 12. Lebensmonat
bzw. der 21. bis 24. Lebensmonat. Der Verweisvorgang ist mittels eines Ankreuzfeldes
im „U-Heft“ einfach umsetzbar.
Der kinderärztliche Verweis ab der „U5“ bedeutet für den zahnärztlichen Praxisalltag,
dass Eltern mit sehr jungen Kindern kommen. Diese Kinder müssen auf jeden Fall in
die zahnmedizinische Betreuung überführt werden. Eine Verschiebung auf spätere Lebensmonate
oder gar ein Abweisen der Eltern mit ihren Kleinkindern wäre den jahrelangen Bemühungen
der Zahnärzteschaft gegenüber äußerst kontraproduktiv. Sie vergäbe wertvolle Chancen
auf deutliche Verbesserungen der Zahngesundheit im Milchgebiss. Es soll nicht verkannt
werden, dass die Untersuchung der Mundhöhle von Kleinkindern mitunter schwierig oder
nur eingeschränkt möglich ist. In diesen Einzelfällen unzureichender Inspektionsmöglichkeit
der kindlichen Mundhöhle steht dann die Beratung der Eltern im Vordergrund.
Info
Früherkennungsuntersuchungen
Ganz aktuell werden auch unabhängig von kinderärztlicher Verweisung wesentlich mehr
Eltern mit ihren Kleinkindern in die zahnärztlichen Praxen kommen. Der Grund hierfür
liegt in der Anfang 2019 beschlossenen Ausweitung des Leistungskatalogs der Krankenkassen
auf Kleinkinder unter dem Alter von 34 Lebensmonaten [13]. Bis zu diesem Alter sind 3 zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen vorgesehen.
Das erklärte Ziel dieser zusätzlichen Untersuchungen ist, die geschilderten Missstände
im Milchgebiss zu überwinden. Es geht darum, einen deutlichen Fortschritt bei der
Eindämmung der frühkindlichen Karies sowie der daraus folgenden hohen Karieslast im
Milchgebiss zu erzielen.
Beratung und Anleitung von Kleinkind-Eltern
Im Zuge der zahnärztlichen Untersuchungen der Kleinkinder soll zum einen eine Kontrolle
auf Plaque und Initialkaries bzw. Karies erfolgen. Deutliche Plaqueauflagerungen auf
den Oberkieferfrontzähnen sind ein valider Indikator für einen nachfolgenden erhöhten
Kariesbefall [14]. White Spots auf den vestibulären Flächen der Oberkieferfrontzähne sind ein deutlicher
Hinweis auf die prolongierte Gabe zuckerhaltiger Getränke aus Saugerflaschen bei gleichzeitig
unzureichender Mundhygiene.
Zähneputzen
Allen Eltern sollen die Grundzüge der Kariesprävention im Kleinkindalter vermittelt
werden. So soll das regelmäßige Zähneputzen ab dem 1. Milchzahn mit einer fluoridhaltigen
Kinderzahnpaste propagiert und angeleitet werden. Ein späterer Beginn der Mundhygiene
geht mit einer höheren Karieserfahrung im Alter von 5 Jahren einher [4], [15]. Bei Kleinkindern ist das Zähneputzen die Aufgabe der Eltern. Aber auch bei älteren
Kindern soll die Mundhygiene von den Eltern durchgeführt bzw. kontrolliert werden.
So konnte bei Kindern im Alter von 5 Jahren die regelmäßige elterliche Mitarbeit beim
Zähneputzen ihrer Kinder als kariesreduzierender Faktor ermittelt werden [4], [16].
Saugerflaschenkaries
Weitere große Bedeutung kommt dem Thema der Saugerflaschenkaries zu. Bei der in den
ersten Lebensjahren auftretenden Karies handelt es sich, insbesondere in den ausgeprägteren
Fällen, schwerpunktmäßig um Saugerflaschenkaries. Es muss den Eltern gegenüber deutlich
herausgestellt werden, dass das optimale Getränk für die Kinder – zumindest außerhalb
der Hauptmahlzeiten – Wasser ist.
Cave
Lang andauernde und/oder wiederholte Gabe gesüßter Getränke aus der Saugerflasche
ist unbedingt zu vermeiden!
Die Art des mit der Saugerflasche verabreichten Getränkes (Saft, Schorle, Tee o. a.)
ist, solange es Zucker enthält, von untergeordneter Bedeutung. Der Verzicht auf gesüßte
Getränke ist am einfachsten umzusetzen, wenn das Kleinkind noch gar nicht an die Verabreichung
zuckerhaltiger Getränke mittels Saugerflasche gewöhnt ist.
Ein besonders hohes Kariesrisiko liegt in der Gabe der Saugerflaschen über Nacht [16], da die Zähne dann lange Zeit von zuckerhaltigen Flüssigkeiten umspült sein können.
Ebenso ist auch verlängertes Stillen mit einem erhöhten Kariesrisiko verbunden [4], [15]. Es sei hinzugefügt, dass eine zahnbewusste Ernährungsweise, d. h. die Reduktion
von Menge und Frequenz der Zuckerzufuhr, auch deutliche positive Aspekte für die Allgemeingesundheit
der Kinder aufweist.
Kinderzahnpasten mit 1000 ppm Fluorid
Es ist zu erwarten, dass Kinderzahnpasten in Kürze auf einen Fluoridgehalt von 1000 ppm
umgestellt werden. Für diese Veränderung (von bislang 500 ppm) hat sich unter anderem
die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde ausgesprochen [17]. Hintergrund der aktualisierten Empfehlungen ist die beschriebene unbefriedigende
Verringerung der Karieslast im Milchgebiss. Nach den neuen Empfehlungen soll ab Durchbruch
des 1. Zahnes bis zum 2. Geburtstag zweimal täglich mit einer reiskorngroßen Menge
1000-ppm-Zahnpasta geputzt werden (alternativ mit einer erbsengroßen Menge einer 500-ppm-Zahnpasta).
Ab dem 2. bis zum 6. Geburtstag soll eine erbsengroße Menge der 1000-ppm-Pasta benutzt
werden [17] ([Tab. 1]).
Tab. 1 Aktualisierte Empfehlungen zur Anwendung von Kinderzahnpasten [17].
Alter
|
Konzentration
|
Häufigkeit
|
Menge
|
ab Durchbruch des 1. Zahnes bis zum 2. Geburtstag
|
1000 ppm
|
2-mal tgl.
|
reiskorngroß
|
alternativ
|
500 ppm
|
2-mal tgl.
|
erbsengroß
|
vom 2. bis zum 6. Geburtstag
|
1000 ppm
|
2-mal tgl.
|
erbsengroß
|
Die gegenüber den bisherigen Empfehlungen erhöhte Fluoridkonzentration in der Kinderzahncreme
entspricht verschiedenen internationalen Leitlinien. Im Gegenzug sprechen sich die
Empfehlungen bezüglich der ersten 2 Lebensjahre für das Aufbringen einer sehr geringen
Zahnpastamenge auf die Zahnbürste aus. Diese Menge soll dem Volumen eines Reiskorns
entsprechen. Mit der Erhöhung der Fluoridkonzentration bei gleichzeitiger Reduktion
des in die Mundhöhle des Kleinkindes eingebrachten Pastenvolumens bleibt die Menge
des applizierten Fluorids gleich. Für die Kariesprävention hingegen werden deutliche
Verbesserungen erwartet, denn viele Einzelstudien und daraus generierte Metaanalysen
haben eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Fluoridkonzentration und Kariesreduktion
nachgewiesen [6].
Merke
Je höher die auf die Zahnoberfläche aufgebrachte Fluoridkonzentration ist, desto größer
ist die Anzahl vor Karies bewahrter Zähne. Dieser Zusammenhang ist statistisch signifikant.
In diesem Kontext ist erwähnenswert, dass die bisher benutzten geringen Mengen von
Kinderzahnpasten mit nur 500 ppm Fluoridkonzentration keine statistisch sichere Kariesreduktion
bewirken konnten. Erst ab der Verwendung von Pasten mit 1000 ppm konnte dieser Zusammenhang
nachgewiesen werden [6].
Es gibt sowohl Berechnungen als auch die Erfahrungen aus verschiedenen Ländern, in
denen Kinder ihre Zähne ab dem 1. Milchzahn mit Zahnpasten mit 1000 ppm Fluorid oder
mehr geputzt bekommen. Diese belegen die toxikologische Unbedenklichkeit dieser Erhöhung.
Mit höherer Fluoridaufnahme steigt jedoch das Risiko von Dentalfluorosen. Es muss
aber herausgestellt werden, dass es sich bei den in Industrieländern beobachteten
Fluorosen zum übergroßen Teil um fragliche bis milde Ausprägungen handelt(s. „Info
– Studie zu Dentalfluorosen“). Diese haben keine Relevanz für die allgemeine Gesundheit
der Kinder. Im Gegensatz hierzu gehen mit ausgeprägten kariösen Defekten jedoch starke
Beeinträchtigungen der körperlichen Gesundheit wie auch der psychischen Befindlichkeit
der betroffenen Kinder einher.
Info
Studie zu Dentalfluorosen
Die Prävalenz von Fluorosen in Deutschland ist niedrig und wird in einer regionalen
Querschnittsstudie mit 5,6% angegeben [18]. In dieser Studie wurden in einer der untersuchten Kinderkohorten fluoridhaltige
Kinderzahnpasten ab dem 1. Milchzahn verwendet, ohne dass eine erhöhte Fluoroseprävalenz
oder stärkere Ausprägungsgrade ermittelt wurden. So wurden insbesondere nur sehr wenige
Fälle mit maximal moderater Fluoroseausprägung festgestellt.
Neben den geänderten Fluoridkonzentrationen in Kinderzahnpasten betonen die neuen
Empfehlungen die Einbettung des Zähneputzens in kariespräventive Gesamtkonzepte. Allein
eine Erhöhung des Fluoridgehaltes in Kinderzahnpasten wird bei Kindern mit erhöhtem
Kariesrisiko nur verhaltene Effekte erzielen können, wenn nicht adäquates Putzen und
zahnbewusste Ernährungsweise hinzukommen.
Maßnahmen für Kleinkinder mit erhöhtem Kariesrisiko
Maßnahmen für Kleinkinder mit erhöhtem Kariesrisiko
Die geschilderten kariespräventiven Maßnahmen sind für alle Kleinkinder von Bedeutung.
Wenn bei der zahnärztlichen Untersuchung aber deutliche Plaqueansammlungen erkannt
werden, wenn Initial- oder gar kavitierende Karies gefunden wird, besteht bei dem
Kind offenkundig ein erhöhtes Kariesrisiko. Diese Risikoeinschätzung und die darauf
abgestimmten Präventionsmaßnahmen sind originäre Aufgaben des zahnärztlichen Teams.
Plaqueanfärbung
Hoher Plaquebefall ist unverändert ein deutlicher Indikator für ein erhöhtes Kariesrisiko
[14]. Da die Eltern die Plaquemengen offenkundig nicht realisieren, kann das Anfärben
der Plaque hilfreich sein. Das Wegputzen der angefärbten Beläge sollte bei Kleinkindern
dann auch in der zahnärztlichen Praxis von den Eltern durchgeführt werden.
Praxistipp
In vielen Fällen ist beim Zähneputzen allein der einfache Hinweis mit entsprechender
Demonstration, dass die Oberlippe von den Frontzähnen abgehoben werden muss, von erheblichem
plaquereduzierendem Potenzial.
Fluoridlacke
Weitere Maßnahmen zur Kariesprävention bei Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko liegen
in der Anwendung von Fluoridlacken.
Merke
Die Anwendung von Fluoridlacken ist in hohem Maße indiziert, wenn bereits klinische
Anzeichen von Karies vorliegen.
Hierbei kann es sich um Initialkaries handeln, aber auch das Vorliegen bereits kavitierender
Läsionen ist beredter Ausweis eines erhöhten Kariesrisikos. Neben der restaurativen
Behandlung der kavitierenden kariösen Defekte ist dann die therapeutische Fluoridierung
der Initialläsionen zusammen mit der präventiven Fluoridlackapplikation auf die typischen
Kariesprädilektionsstellen dringend indiziert. Auch hierbei ist aber ein kariespräventives
Gesamtkonzept mit den erläuterten Elementen der Beratung und Anleitung der Eltern
zu optimierten häuslichen Mundhygienegewohnheiten sowie zu Ernährungsmodifikationen
erforderlich.
Die in der zahnärztlichen Praxis angewendeten Fluoridlacke führen zu hohen Kariesreduktionsraten
[19]. Der kariespräventive Effekt der Lackanwendung liegt im Milchgebiss bei ca. 37%
und im bleibenden Gebiss bei 43%. Er ist mit hohem Evidenzgrad untermauert [19].
Praxistipp
Fluoridlacke sind einfach zu applizieren. Die Lacke sollten insbesondere bei Kleinkindern
in geringer Menge gezielt auf Lokalisationen mit erhöhtem Kariesrisiko aufgetragen
werden. In praxi handelt es sich bei den einem erhöhten Kariesrisiko unterlegenen
Flächen im Milchgebiss neben den Fissuren der Milchmolaren um deren gemeinsame approximale
Kontaktflächen. Initialkariöse Veränderungen werden am ehesten auf den Labial- und
Bukkalflächen wahrgenommen.
Im Milchgebiss von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko wurde eine steigende Karieshemmung
mit zunehmender Applikationsfrequenz des Fluoridlackes nachgewiesen [20]. In einer prospektiven Kohortenstudie konnte aufgezeigt werden, dass das regelmäßige
Wahrnehmen zahnärztlicher Kontrolltermine, verbunden mit Fluoridlackapplikation, zu
einer Kariesreduktion führt [4]. Auch bei Kleinkindern wurden bei Anwendung geringer Mengen eines Lackes mit 22 600 ppm
Fluoridgehalt keine unerwünschten Nebeneffekte festgestellt [20]. Grundsätzlich aber soll die Fluoridlackapplikation stets auf zahnärztlicher Indikationsstellung
beruhen.
Zusammenfassung
Da der Kariesrückgang im Milchgebiss nur sehr langsam Fortschritte macht, wurden verschiedene
weitere kariespräventive Maßnahmen beschlossen. Kinderärzten wurde die Möglichkeit
eingeräumt, schon Kinder im 6. – 7. Lebensmonat zum Zahnarzt zu verweisen. Vor allem
aber kann von den Anfang 2019 beschlossenen zusätzlichen zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen
für Kinder unter 34 Lebensmonaten ein starker kariespräventiver Impuls ausgehen. Es
eröffnet sich die Möglichkeit flächendeckender frühzeitiger zahnärztlicher Betreuung,
einer individuellen Kariesrisikoabschätzung und darauf abgestimmter Präventionsmaßnahmen.
Parallel hierzu bedeutet die in die Wege geleitete Erhöhung des Fluoridgehaltes in
Kinderzahnpasten die Chance auf deutliche Kariesreduktionen im Kleinkindalter. Schließlich
können von den ebenfalls beschlossenen Fluoridlackapplikationen im Kleinkindalter
insbesondere für Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko deutliche karieshemmende Effekte
erwartet werden.
Kernaussagen
-
Im Gegensatz zur äußerst erfolgreichen Umsetzung kariespräventiver Maßnahmen im bleibenden
Gebiss zeigen die bislang im Milchgebiss angewendeten Maßnahmen und Strategien nur
vergleichsweise verhaltene Erfolge der Kariesreduktion.
-
Von frühzeitig einsetzenden Präventionsmaßnahmen im Milchgebiss sind deutliche Fortschritte
bei der Kariesprävention zu erwarten.
-
In Kürze werden vermehrt Eltern mit sehr jungen Kleinkindern in die zahnärztlichen
Praxen kommen. Die Kleinkinder sollen vor Vollendung des 1. Lebensjahres zahnärztlich
untersucht worden sein.
-
Die Mundhygiene beim Kleinkind soll von den Eltern ab dem Durchbruch des 1. Milchzahnes
unter Verwendung einer fluoridhaltigen Kinderzahnpasta durchgeführt werden.
-
Neben der regelmäßig suffizient durchgeführten Mundhygiene kommt einer zuckerreduzierten
Ernährung der Kinder hohe gesundheitsfördernde Bedeutung zu.
-
Die Erhöhung des Fluoridgehaltes in Kinderzahnpasten auf 1000 ppm lässt bei weiterhin
bestehender Anwendungssicherheit Fortschritte bei der Kariesprävention im Milchgebiss
erwarten.
-
Größere Plaqueauflagerungen auf den Zähnen, Initial- oder kavitierende Karies sind
deutliche Indikatoren für ein erhöhtes Kariesrisiko.
-
Fluoridlackapplikationen haben hohes karieshemmendes Potenzial auch im frühen Milchgebiss.
-
Der Fluoridlack soll nach entsprechender Indikationsstellung in geringer Menge therapeutisch
oder präventiv auf Zahnflächen mit erhöhter Kariesgefährdung aufgetragen werden.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. Ulrich Schiffner, Hamburg.