Hintergrund
Im Jahr 2016 fanden in deutschen Kreißsälen 77,12 % der vaginalen Geburten in horizontalen
Positionen bzw. im Kreißbett statt [18]. Das entspricht fast 80 % der Geburten. In der außerklinischen Geburtshilfe befanden
sich hingegen 8,0 % der Gebärenden in Rückenlage und 15,3 % in Seitenlage [11]. Hier stellen sich einige Fragen:
-
Welche Vor- und Nachteile haben verschiedene Gebärpositionen?
-
Worin könnte der Unterschied zwischen klinischer und außerklinischer Geburt liegen?
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Wie betreuen Hebammen Frauen hinsichtlich Gebärhaltungen?
Aktuelle Leitlinien und Studien zeigen, dass aufrechte Gebärpositionen mit positiven
Auswirkungen assoziiert werden. U.a. die NICE-Guidelines empfehlen, dass Hebammen
der Gebärenden von liegenden oder halbliegenden Positionen abraten sollen [20]. Die FIGO-Guidelines weisen auf die verschlechterte plazentare Durchblutung in Rückenlage
hin und empfehlen, die Frau zu ermutigen, die Position selbst auszusuchen [25].
Das Cochrane Review von Gupta et al. betrachtet die Effekte von aufrechten Gebärpositionen
bei Frauen ohne Periduralanästhesie (PDA) in der Austreibungsperiode (AP) [12]. Auch wenn die Studienlage noch nicht ausreichend ist, können folgende Vorteile aufrechter Gebärpositionen festgehalten werden:
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kürzere Dauer der AP
-
verminderte Schmerzen bei der Gebärenden und weniger Schmerzmittelgaben
-
weniger vaginal-operative Entbindungen
-
weniger Episiotomien
-
weniger abnormale Herztonmuster beim Fetus
Gleichbleibend sind die Raten an höhergradigen Dammverletzungen sowie die Zahl an
Kaiserschnitten. Häufiger werden Dammrisse zweiten Grades beschrieben sowie ein Blutverlust
von über 500 ml. Dieser könnte aber laut Autorenteam auch an einer verbesserten Messung
des Blutverlustes liegen. Abgesehen von den körperlichen Auswirkungen haben Frauen,
die aufrecht gebären oder ihre Position selbst aussuchen, ein stärkeres Kontrollgefühl
und ein besseres Geburtserleben [21]
[23]. Dieser letzte Punkt kann gerade im Hinblick auf die Prävention traumatisierender
Geburtshilfe einen hohen Stellenwert einnehmen.
Laut Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Hebammen gehört die aktive Lagerung von
Gebärenden zum Ausbildungsinhalt der Hebammenausbildung (Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 HebAPrV,
1981) [2]. Hebammen sollen demnach die Gebärhaltung beeinflussen und sie lernen das auch in
der Ausbildung. Wird davon ausgegangen, dass an deutschen Hebammenschulen und Hochschulen
aktuelles Wissen vermittelt wird, stellt sich die Frage, warum immer noch so viele
Frauen in horizontalen Positionen gebären.
Hier kommt das Phänomen der Theorie-Praxis-Lücke zum Tragen. Bis zu 15 Jahre dauert
es, bis gesichertes Wissen zur Routine in der medizinischen Versorgung wird [7]. Dieses Phänomen ist in der Pflege schon lange bekannt. Welche Möglichkeiten es
geben könnte, um den Theorie-Praxis-Transfer auch im Hinblick auf Gebärpositionen
zu verbessern, wird nachfolgend mit erörtert.
Ergebnisse
Es konnten 6 qualitative, 5 quantitative Studien und 1 Literaturreview eingeschlossen
werden. Bei den quantitativen Studien handelt es sich um 2 deskriptive Studien, 1
Studienprotokoll einer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT), 1 Querschnittstudie
und 1 Pilotstudie in Form eines RCTs. Lediglich das Studienprotokoll bezieht sich
auf Deutschland, die anderen Studien stammen aus Frankreich, Irland, Neuseeland, den
USA, Schweden, Kanada und den Niederlanden. 7 Studien beschäftigen sich explizit mit
Gebärpositionen, die anderen bearbeiten das Thema als Teilaspekt oder sie liefern
Ergebnisse und Aussagen, die auf das Phänomen Gebärpositionen übertragen werden können.
Die thematische Auswertung der Studien kann in diesem Artikel nicht vollständig aufgezeigt
werden. Es wird jedoch versucht, einen Überblick über die vielfältigen Einflussfaktoren
auf Hebammen zu geben.
Die Rolle der Hebamme bei der Auswahl der Gebärposition
9 der 12 ausgewählten Studien treffen Aussagen darüber, wer die Auswahl der Gebärposition
beeinflusst und trifft. Egal, ob Frauen oder Hebammen befragt werden, es wird deutlich,
dass Hebammen eine wichtige Rolle einnehmen. In einer französischen Querschnittsstudie
geben zum Beispiel lediglich 16,2 % der Hebammen an, dass sie die Gebärende die Position
selbst aussuchen lassen. Ein Viertel der Hebammen sagt, dass sie nie oder selten der
Frau die Auswahl der Gebärposition überlassen würden [4]. Auch befragte Frauen beschreiben diesen Einfluss: 17 von 20 Frauen geben an, dass
die Hebamme der wichtigste Faktor bei der Wahl der Gebärposition sei. Manche sagten,
dass der Rat der Hebamme die Entscheidung stärker beeinflusse als der eigene Wunsch
[9]. Eine dazu befragte Hebamme beschreibt, dass sie um ihren Einfluss auf die Gebärende
weiß. Sie benennt das als Macht, mit der sie schwer umgehen könne [10].
Einflussfaktoren auf die Hebammen
Aus allen eingeschlossenen Studien konnten Einflussfaktoren auf die Hebammen identifiziert
werden. Diese beeinflussen sie entweder direkt oder indirekt. Nach der Zusammenstellung
haben sich 5 Überthemen herauskristallisiert [Tab. 2]. Diese Faktoren bedingen sich oft gegenseitig.
Tab. 2
Ermittelte Einflussfaktoren
Einflussfaktoren auf die Hebamme
|
Wissen / Training / Skills
|
gebärende Frau
|
geburtshilfliche Faktoren
|
strukturelle Gegebenheiten
|
persönliche Faktoren
|
Persönliche Faktoren
Zu den persönlichen Faktoren gehören Erfahrungen, Vorlieben und Einstellungen zu Gebärpositionen,
körperliche Faktoren und die persönliche Entwicklung.
Die ersten Erfahrungen mit Gebärpositionen machen Hebammen während ihrer praktischen
Ausbildung. Was sie dort sehen und erleben, prägt die späteren Vorlieben und Anwendungen
von Gebärpositionen [10]. Sehen werdende Hebammen hauptsächlich Geburten in Rückenlage, wenden sie diese
Position auch eher im späteren Berufsleben an [23]. Eine Übertragung auf Deutschland wird durch eine Befragung von Hebammenschülerinnen
in Paderborn gestützt. Diese gaben an, dass 80 % der Geburten, die sie erleben, in
Rückenlage stattfinden [16]. Das passt zu den eingangs genannten Zahlen in Deutschland [18].
Doch nicht nur in der Praxis, auch in der Theorie ist die Rückenlage präsent. In Lehrbüchern
sind immer noch viele Abbildungen von Geburten in Rückenlage zu sehen (z. B. Bilder
zum Dammschutz in Harder & Lippens [14] oder es werden Handgriffe am Phantom, welches auch eine horizontale Nachbildung
der Geburtswege ist, geübt. Es ist nachvollziehbar, dass Hebammen eher die Positionen
empfehlen, mit denen sie vertraut sind. Hieraus können sich dann Routinen entwickeln
[10].
An dieser Stelle soll auf die evidenzbasierte Medizin (EbM) hingewiesen werden. Diese wird durch drei Säulen beschrieben: die individuelle klinische
Erfahrung, Werte und Wünsche der Klientinnen sowie Ergebnisse aus der aktuellen Forschung
[8] [Abb. 2]. Die Erfahrung der Hebamme hat also einen berechtigten Stellenwert in der evidenzbasierten
Hebammenarbeit. Weichen externe Evidenz (Forschungsergebnisse) und Erfahrung stark
voneinander ab, ist die Hebamme dazu angehalten, ihre Erfahrung und Praxis zu reflektieren
und evtl. anzupassen.
Abb. 2 SÄulen der evidenzbasierten Medizin nach Cochrane, 2018 [8]. (Quelle: eigene Darstellung)
Hebammen, die grundsätzlich eine positive Einstellung zu aufrechten Gebärpositionen
haben, betreuen Frauen eher in aufrechten Positionen. Umgekehrt besteht dieser Zusammenhang
ebenso [26]. Dabei beeinflusst auch das medizinische System die Vorlieben der Hebammen: Was
als „normal“ angesehen wird (meist Rückenlage), wird von Hebammen entweder unterstützt
oder kritisch betrachtet [10]. Sich gegen das System zu stellen und einen anderen Weg zu wählen, erfordert jedoch
Selbstvertrauen. So beschreiben Hebammen, dass sie sich zum Teil von anderen Hebammen
oder Ärzten bzw. Ärztinnen beobachtet fühlen und dadurch in ihrer Praxis beeinflusst
oder eingeschränkt werden [23].
Je autonomer die Hebammen arbeiten können, desto eher wenden sie aufrechte Positionen
an [13]
[23]. Freiberufliche Hebammen können unter Umständen autonomer arbeiten als angestellte
Hebammen. Das könnte ein Erklärungsansatz sein für die unterschiedlichen Zahlen in
der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe [18]
[11]. Um die persönliche Entwicklung und Autonomie im klinischen Kontext zu fördern,
sind Supervision und Reflektion denkbar. Hinzu kommt ein Voranbringen der Akademisierung
des Berufes: Wenn bereits werdende Hebammen eine Haltung zu aktueller Forschung und
Praxis entwickeln und diese begründen müssen, können sie möglicherweise im Berufsleben
selbstbewusster auftreten und ihre Meinung gegenüber Kolleginnen und Ärzten mit literaturgestützter
Argumentation besser vertreten.
Wissen, Training und Skills
Erfahrungen beeinflussen das Handeln. Daher liegt es auf der Hand, dass fehlendes
Wissen über aufrechte Gebärpositionen sowie fehlendes Training dieser Gebärpositionen
dazu führt, dass Geburten eher in horizontalen Positionen betreut werden. Im Umkehrschluss:
Je mehr Wissen Hebammen zu aufrechten Gebärpositionen haben, desto eher leiten sie
zu diesen an [23]
[10]. In der Tat bemängeln Hebammen, dass es zu wenig Fortbildungen zu physiologischen
Geburten bzw. aufrechten Gebärpositionen gibt [15]
[23]. Im Fortbildungskatalog der Berliner Berufsordnung für Hebammen ist zwar der Punkt
„Gebärpositionen“ aufgeführt, alle anderen Vorschläge beziehen sich aber auf Notfallsituationen
und Risikoeinschätzungen (Anlage zu § 6 Absatz 3, HebBO, 2010) [6].
Es wäre wünschenswert, dass in der Fortbildung mehr Wert auf die Förderung der Physiologie
gelegt wird. Spannend ist auch, was Hanson festhält: Hebammen, die weniger Zeit mit
dem Lesen von Fachmagazinen verbringen, leiten signifikant häufiger zur Rückenlage
während der Geburt an als solche, die mehr Fachzeitschriften lesen [13]. Deshalb wäre ein Ausbauen von Fortbildungsmöglichkeiten und die Integration von
verschiedenen Gebärpositionen bereits in der Berufsausbildung ein Beitrag zum Theorie-Praxis-Transfer.
Strukturelle Gegebenheiten
Die Gestaltung des Gebärraums und der Arbeitsort der Hebamme haben einen Einfluss
auf die Betreuung und die verwendeten Gebärpositionen [4]
[3]
[22]
[23]
[17]. Jedoch beeinflussen auch die Strukturen im Gesundheitssystem die Hebammen in diesem
Zusammenhang: Hebammen sind die Expertinnen für die physiologische Geburt. Sie stehen
aber unter dem Einfluss der Dominanz der Medikalisierung [15]. Beispielhaft wird das Aufnahme-CTG bei Frauen mit niedrigem Geburtsrisiko genannt.
Dieses sei ärztlich angeordnet und die Hebamme müsse dieser Anordnung nachgehen, obwohl
die Maßnahme nicht evidenzbasiert ist [15]. Zudem werden Interventionen, die Hebammen als sinnlos erachten, zur Absicherung
oder aufgrund des Drucks durchgeführt, ausschließlich perfekte Outcomes zu erzielen
[22]. Es entsteht ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber dem System, aber auch Angst vor falschen
Entscheidungen stellt sich ein. Daraus resultiert eine Kultur der Rückversicherung.
Hinzu kommt noch eine starke Belastung durch vermehrte administrative Aufgaben, die
die Zeit zur eigentlichen Geburtsbetreuung einschränkt.
Eine Hebamme, die in einer hebammengeleiteten Einrichtung in Irland arbeitet, sagt,
dass ihrer Meinung nach alle Frauen eine Doula haben sollten, da sie selbst nicht
genug Zeit für die eigentliche Betreuung habe [15]. Diese Aussage zeugt von Frustration. Anstatt am System etwas zu ändern, verweist
die Hebamme auf eine andere Berufsgruppe, die ihre Aufgaben übernehmen soll. Diese
Aussagen beziehen sich auf physiologische Geburten im Allgemeinen, können aber vermutlich
auch auf die Gebärpositionen übertragen werden.
Diese Hierarchiestruktur wird auch durch eine Aussage aus der Studie von Hodnett et
al. bestätigt [17]. Dafür wurde das Kreißbett aus dem Gebärraum entfernt und untersucht, wie sich die
veränderte Umgebung auf die Betreuung und die Gebärpositionen auswirkt. In zwei Fällen
war der Grund dafür, dass das Bett wieder in den Raum gebracht wurde, der Wunsch der
Ärzte. Hier entschied nicht die Gebärende, wo das Kind zu Welt gebracht wird, sondern
der Arzt oder die Ärztin. Zunehmende Medikalisierung der Geburtshilfe, hierarchische
Strukturen und zu viele administrative Aufgaben beeinflussen demnach Hebammen in ihrer
Betreuung. Die AutorInnen der französischen Querschnittsstudie geben als einen Grund,
warum Hebammen am liebsten die Rückenlage verwenden, eine fehlende Evidenzbasierung
der Arbeit an [4]. Das Voranbringen der Hebammenwissenschaften kann hier Abhilfe schaffen. Wenn Hebammenthemen
von Hebammen beforscht werden, kann der Theorie-Praxis-Transfer verbessert werden.
Wichtig ist dabei, dass die Forschungsergebnisse in Leitlinien Eingang finden. Die
Akademisierung des Hebammenberufes kann dahingehend hilfreich sein, dass Hebammen
Studien bewerten und einschätzen und so fundiert Position beziehen können.
Geburtshilfliche Faktoren
Interventionen während der Geburt, Geburtsfortschritt, Geburtsverlauf und prophylaktische
Maßnahmen zählen zu den geburtshilflichen Faktoren. Das CTG und die vaginale Untersuchung
wurden in der Studie von Priddis et al. als größtes Hindernis für eine aufrechte Gebärposition
identifiziert [22]. Beim CTG ist die Bewegungseinschränkung durch Gurte und Kabel gut vorstellbar.
Auch in Deutschland ist es im klinischen Kontext Standard, ab der späten Eröffnungsphase
(EP) die Herztöne und Wehen kontinuierlich mit dem CTG zu überwachen [24]. Das knüpft an die strukturellen Gegebenheiten an. Hebammen müssen sich daran halten.
Somit wird ihre Betreuung hinsichtlich der Position der Gebärenden beeinflusst.
Bei einer vaginalen Untersuchung liegt die Gebärende meist auf dem Rücken. Eine Frau
beschreibt, dass sie dann auch zur Geburt in dieser Position geblieben wäre [9]. Der Dammschutz wird von Hebammen ebenfalls als ein Grund für Positionswechsel genannt
[5]
[10]. Hierbei ist vor allem entscheidend, eine gute Sicht auf den Damm zu haben. Für
manche Hebammen ist das in jeder Position möglich [5]. Andere bringen Frauen dafür extra in Rückenlage [10]. Doch der Dammschutz als Intervention an sich kann hinterfragt werden. Natürlich
macht es Sinn, den Damm im Blick zu haben, aber Frauen dafür in Rückenlage zu bringen,
erscheint doch fragwürdig. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, dass die Theorie-Praxis-Lücke
in weiteren Bereichen der Hebammenarbeit besteht.
Der Geburtsfortschritt wird von Hebammen auch als Grund angegeben die Frauen anders
zu positionieren. Geht die Geburt in den Augen der Hebammen zu schnell, wird eher
zu einer liegenden Position angeleitet, um die Geburt zu verlangsamen. Soll die Geburt
beschleunigt werden, raten Hebammen oft zu aufrechten Positionen [10]
[9]
[21]. Das deckt sich mit der aktuellen Evidenz, dass eine aufrechte Position die AP verkürzt
[12]. Wenn während der Geburt Komplikationen auftreten (z. B. Schulterdystokie oder abnormale
fetale Herzfrequenz), wird auch die Position der Gebärenden verändert [21]
[10]. Leider wird das nur erwähnt und nicht näher beschrieben, welche Positionen ausgewählt
werden. Dass die Rückenalge prophylaktisch angewendet wird, ist jedoch beschrieben
[10].
Wird eine Notlage des Kindes oder erhöhter Blutverlust vermutet, wird die Frau von
Hebammen bevorzugt auf dem Rücken gelagert. Die Komplikation selbst wird dadurch nicht
verbessert, doch das Management fällt leichter. Das deutet stark darauf hin, wie selten
Notfallsituationen in verschiedenen Gebärpositionen geübt und gemanagt werden.
Gebärende Frau
Neben allen bereits genannten Einflüssen, spielt natürlich auch die Gebärende selbst
eine Rolle. Frauen wünschen sich verschiedene Gebärpositionen. Der Wunsch der Frau
hat einen Einfluss und Hebammen geben diesem nach [21]
[10]
[9]. Oft wünschen sich Frauen aufrechte Positionen [21]
[22], was den aktuellen Evidenzen und Leitlinien entspricht. Doch es ist nicht nur ein
Wunsch, laut Priddis et al. nehmen Frauen instinktiv aufrechte und nach vorne gelehnte
Positionen ein [22]. Interventionen können diesen Prozess aber stören. Hier zeigt sich nochmals der
große Einfluss der strukturellen Faktoren. Viele Interventionen (z. B. CTG-Überwachung
oder vaginale Untersuchung) können die Frau in ihrem instinktiven Verhalten stören.
Weiterhin scheinen Frauen, die sich vorher mit der Geburt beschäftigt haben und Vertrauen
in ihren Körper haben, mehr Impulse für selbst gewählte Positionen zu geben [10]. Grundsätzlich hätten Frauen mit mehr Bildung und Frauen, die in Städten leben,
mehr Wissen über Gebärpositionen [10]. Zudem besuchen Frauen mit mehr Bildung eher einen Geburtsvorbereitungskurs und
holen sich selbst Informationen zu Gebärpositionen ein [23]. Je mehr Informationen und Wissen die Frau über Gebärpositionen hat, desto mehr
Gebärpositionen werden ihr angeboten [10]. Das wahrzunehmen, ist wichtig. Hebammen sollten allen Frauen die Möglichkeit geben,
verschiedene Positionen zur Geburt einzunehmen – nicht nur denen, die diese von selbst
einfordern.
Die Geburtserfahrung der Frau spielt ebenfalls eine Rolle. Zweit- und Mehrgebärende
haben möglicherweise schon eine bessere Vorstellung davon, welche Position sie auswählen
möchten [10]. Zusätzlich beschreiben Hebammen, dass laut ihrem Gefühl auch der kulturelle Hintergrund
einen Einfluss auf die Gebärposition hat. Frauen aus Westafrika würden eher vertikale
Positionen wählen, während Frauen aus der Türkei oder Marokko eher in Rückenlage gebären
[10]. Es wird jedoch nicht auf weitere Hintergründe eingegangen. Die gesellschaftliche
Prägung könnte durchaus eine Rolle spielen. Besonders Medien beeinflussen unsere Wahrnehmung.
Auf ihren Einfluss geht aber keine Studie ein. In der evidenzbasierten Medizin zählt
der Wunsch der Frau genauso viel wie die interne und externe Evidenz. Wenn Hebammen
den Frauen den Raum lassen, ihre Position selbst auszuwählen, kann das zu einem verbesserten
Theorie-Praxis-Transfer führen.
Weiterer Forschungsbedarf
Gerade in Deutschland gibt es noch sehr wenig Forschung zum Thema Gebärpositionen.
Dabei sollte der Fokus nicht nur auf körperlichen Outcomes liegen, sondern auf dem
Geburtserlebnis der Frau und dessen Auswirkung auf die physische und psychische Gesundheit.
Außerdem braucht es weitere Untersuchungen, was Mobilität während der Geburt und aufrechte
Gebärhaltungen fördert und behindert. Es wurde herausgearbeitet, dass Hebammen eine
wichtige Rolle bei der Wahl der Gebärposition spielen. Hier fehlt es an weiterer Forschung
zu Ansichten von Hebammen zu Gebärpositionen. Aber auch die ärztliche Seite sollte
betrachtet werden, da in deutschen Kreißsälen Hebammen und Ärzte bzw. Ärztinnen zusammenarbeiten.
Das Phänomen der Theorie-Praxis-Lücke in der Hebammenarbeit sowie Strategien, diesem
zu begegnen, sollte ein wichtiges Forschungsthema sein, da dieses sicherlich nicht
nur auf das Thema Gebärpositionen zutrifft.
Aktuell überprüft z. B. die Studie „Be-Up: Geburt aktiv“, ob die Intervention „alternativ
ausgestatteter Gebärraum“ einen eigenen Effekt auf den Geburtsmodus (vaginale Geburt)
von Frauen am Geburtstermin sowie deren personenbezogene Outcomes hat (Infos unter:
www.be-up-studie.de).