Nervenheilkunde 2019; 38(08): 585-588
DOI: 10.1055/a-0916-1219
Seelenkunde
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mentale Repräsentationen?

Markus R. Pawelzik
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Publication Date:
01 August 2019 (online)

Im psychiatrischen Diskurs spielen mentale Repräsentationen eine wichtige Rolle: Wir beschreiben Personen als Akteure, die aufgrund von Wünschen und Vorstellungen handeln bzw. im pathologischen Fall aufgrund irrationaler Motive oder wahnhaften bzw. inkohärenten Denkens in Schwierigkeiten geraten. Entscheidend für dieses Handlungsverstehen ist, dass die mentalen Inhalte den (realen oder imaginierten) Sachverhalten entsprechen (bzw. diese im pathologischen Fall verfehlen). Gedanken, Wünsche, Entscheidungen etc. sind „intentionale“ mentale Zustände, die sich auf etwas außerhalb ihrer selbst – den intentionalen Gegenstand nämlich – beziehen bzw. diesen repräsentieren. Diese referenzielle Bezogenheit („aboutness“) mentaler Zustände ist die Voraussetzung dafür, dass etwa der Wunsch nach Vanilleeis das darauffolgende Ich-besorge-mir-ein-Eis-Handeln als Abfolge mentaler Repräsentationen bzw. repräsentationsgesteuerter Handlungen erklären kann: „Ich habe Appetit auf Vanilleeis. Ich glaube, dass es Vanilleeis in der Eisdiele um die Ecke gibt. Ich vergewissere mich, dass ich Geld bei mir habe und entscheide mich dann, zur Eisdiele zu laufen. Dort angekommen bestelle ich Vanilleeis, bezahle und befriedige meinen Wunsch nach Vanilleeis.“

Die Rolle, die mentale Repräsentationen für solche Handlungserklärungen spielen, soll durch 2 wesentliche Merkmale bestimmt sein: Sie gründen – erstens – in der prinzipiellen Isomorphie von Geist und Welt: Mentale Repräsentationen bilden die Welt so ab, wie sie (für uns) ist. Denn wäre es anders, wäre der Geist kein „wahrheitsgetreuer Spiegel der Natur“, ließe sich die Selbstverständlichkeit alltäglichen, über weite Strecken gelingenden Handelns nicht erklären. Dabei ist der Inhalt mentaler Repräsentationen – zweitens – normativ begründet: Es gibt Korrektheitsbedingungen, die festlegen, ob mentale Repräsentationen den repräsentierten Sachverhalten entsprechen oder nicht. Denn mentale Repräsentationen sollten als falsch erkannt werden, wenn sie nicht mit den repräsentierten Sachverhalten übereinstimmen. Falsche Vorstellungen kann es aber nur geben, wenn es subjektunabhängige und deshalb überprüfbare Wahrheitskriterien gibt. (Ein Solipsist, dessen Welt ausschließlich durch den eigenen Geist bestimmt wäre, kann nicht irren.) Wenn ich demnach am anvisierten Ort feststelle, dass es hier keine Eisdiele mehr gibt, dann bin ich Opfer einer falschen Überzeugung geworden. Ich kann den Satz, „Auf der Hammer Straße ist eine Eisdiele.“, nur beurteilen, weil ich die konventionelle, überindividuell verbindliche Bedeutung des Satzes und damit seine Wahrheitsbedingungen kenne. Es gibt keine idiosynkratischen Privatsprachen, mit Hilfe derer sich die Passung von solchen Fakten und semantischen Inhalten beurteilen ließe. Sprachliche Bedeutung – und damit ein großer Teil unserer mutmaßlichen mentalen Repräsentationen – basiert auf kollektiver Bedeutungspraxis und damit verbindlichen Wahrheitsbedingungen.

Solange wir uns auf der personalen Ebene bewegen und einander mentale Repräsentationen zuschreiben, um einander zu verstehen, ist die Rede von mentalen Repräsentationen unproblematisch. Denn mentale Repräsentationen sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Alltagspsychologie, die Handlungen mit Bezug auf Gründe erklärt. Problematisch wird es, wenn man den Anwendungsbereich dieses „lizensierten Sprachspiels der Personenpsychologie“ ausweitet und mentale Repräsentationen auf subpersonalen (kognitiven oder neuronalen) oder auch suprapersonalen (interpersonellen oder sozialen) Ebenen am Werke sieht: Denn im Gegensatz zum häufig (selbst in wissenschaftlichen Veröffentlichungen) anzutreffenden Sprachgebrauch „weiß“ das autobiografische Gedächtnis nichts, „repräsentiert“ der Hippocampus keine räumlichen Relationen und „denkt“ das Gehirn nicht. Und bei einer „Folie à deux“ oder dem „Willen des Deutschen Volkes“ handelt es sich um Metaphern von zweifelhaftem empirischem Gehalt. Warum ist dies so? Warum führt die repräsentationalistische Charakterisierung insbesondere subpersonaler Zusammenhänge in der Nervenheilkunde in die Irre? Ich werde zunächst auf einige bekannte Probleme solcher Zuschreibungen hinweisen, ehe ich eine plausiblere Alternative andeute.

 
  • Literatur

  • 1 Aristoteles. Über die Seele – De anima. (Buch II, Kapitel 12). Hamburg: Felix Meiner; 2017
  • 2 Uttal WR. The new phrenology. Cambridge: Cambridge University Press; 2001
  • 3 Fodor J. Psychosemantics: the problem of meaning in the philosophy of mind. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press; 1987
  • 4 Tognoli E, Kelso J A S. The metastable brain. Neuron 2014; 8: 35-48
  • 5 O’Keefe J, Nadel L. The hippocampus as a cognitive map. Oxford: Oxford University Press; 1978
  • 6 Piaget J. Biologie der Erkenntnis. Frankfurt/M: Fischer Verlag; 1974
  • 7 Bickhard M. The interactivist model. Synthese 2009; 166: 547-591
  • 8 Polànyi M. Personal knowledge. Chicago: University of Chicago Press; 1958
  • 9 Varela F J. The specious present: a neurophenomenology of time consciousness. In: Petitot J. et al (eds.) Naturalizing Phenomenology: Issues in Contemporary Phenomenology and Cognitive Science. Stanford: Stanford University Press; 1999