Viszerale osteopathische Techniken bei Lumboischialgie durch PIRIFORMIS-SYNDROM
DIE 42-JÄHRIGE Sekretärin Lena T. (Name von der Redaktion geändert) leidet seit rund vier Wochen
beidseitig unter starken Lumboischialgien. Ihre Schmerzen beginnen in der Gesäßmitte
und strahlen über die Oberschenkelrückseiten bis in die Waden aus. In den Beinen und
Füßen spürt sie ein Kribbeln und Kältegefühl. Ihre Schmerzen im unteren Rücken beschreibt
sie als Gefühl des Durchbrechens. Aufgrund der Beschwerden kann Lena T. ihre sitzende
Tätigkeit kaum noch ausüben.
Die schulmedizinische Abklärung und ein MRT ergaben keinen pathologischen Befund.
Lena T.s Abschlussdiagnose lautete: Piriformis-Syndrom, eine Kompression des N. ischiadicus
durch den M. piriformis, der zu den tiefen Hüftmuskeln zählt. Als Therapie wurde ihr
symptomatisch Ibuprofen verordnet, das aber keine Besserung erzielte.
Abb. 1 Muskeln, die von direkten Ästen des Plexus sacralis innerviert werden. Beim
Piriformis-Syndrom liegt eine Kompression des N. ischiadicus durch den M. piriformis
vor. Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie.
Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker.
3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011
Steckbrief Piriformis-Syndrom
Der M. piriformis („birnenförmiger Muskel“) hat seinen Ursprung an der Vorderseite
des Sakrums und setzt am Trochanter major des Oberschenkels an. Unter ihm verläuft
der N. ischiadicus auf seinem Weg zur unteren Extremität. Beim Piriformis-Syndrom
handelt es sich um eine Engpasssituation durch Druck des M. piriformis auf den N.
ischiadicus im Bereich des Foramen infrapiriforme (Durchtrittstelle für wichtige Leitungsbahnen
des Beckens), unter anderem durch Traumen im Gesäßbereich oder Fehlbelastungen wie
falsche Körperhaltung, heftige Bewegungen und einseitiges Sitzen.
Zu den typischen Symptomen zählen starke Schmerzen im Gesäß mit Ausstrahlung in die
Rückseiten der Beine, die auch mit Parästhesien einhergehen können. Differenzialdiagnostisch
sind Nervenwurzelreizungen und Bandscheibenvorfälle vorab auszuschließen.
Blasenentzündungen: Blockaden im Beckenbereich als Ursache?
In der weiteren Anamnese erfahre ich, dass die Beschwerden im letzten Jahr immer wieder
auftraten, aber sich jeweils wieder besserten. Auf Nachfrage berichtet Lena T. über
ihr schlechtes Immunsystem. Seit einigen Jahren plagten sie häufig Blasenentzündungen
mit Nierenbeteiligung (siehe Kasten, S. 29). Sie sei zudem oft erkältet. Um die lästigen
Blasenentzündungen loszuwerden, nehme sie häufig Antibiotika ein. Zusätzlich leide
sie seit etwa zwei Jahren unter hartnäckigen Kopfschmerzen, die sie wie einen ständig
drückenden Helm empfinde. Sie nehme fast tgl. 1- bis 2-mal Ibuprofen, um den Kopfschmerz
auf einem erträglichen Level zu halten. Er verschlimmere sich im Lauf des Tages während
der Büroarbeit und ziehe dann vom Nacken über den Hinterkopf bis hin zu den Augenbrauen.
Ihre Verdauung wechsle zwischen Durchfall und Verstopfung. Nahrungsmittelunverträglichkeiten
sind keine bekannt. Lena T. ist 1,75 m groß, wiegt 65 kg, raucht zwischen 10 und 15
Zigaretten am Tag, treibt keinen Sport und hat keine Kinder.
Wie die körperliche Untersuchung zeigt, ist über dem Sakrum die Gewebezone für die
Organe des Urogenitaltrakts (L5–S3) geschwollen und die Haut dort aufgetrieben. Dies
deutet, ebenso wie die Anamnese, auf eine Beckenbeteiligung hin. So ergibt die nähere
Untersuchung des Beckens rechtsseitig eine Blockade des Iliosakralgelenks und einen
Symphysenhochstand. Lokale fasziale Tests weisen außerdem auf eine starke Spannung
über der Symphyse und ein fixiertes Sakrum hin. Ich finde außerdem Blockaden am zervikothorakalen
Übergang (CTÜ) und in den HWS-Segmenten C1 und C2. Aufgrund der Blasenproblematik
(Fixation rechts) sind also offenbar Blockaden im Beckenbereich entstanden (rechts),
die möglicherweise einen Reizzustand des Piriformis verursachen: Blockaden im Bereich
von CTÜ und C1/2 lassen sich über die Zentralsehne erklären sowie über das Zusammenspiel
der kraniosakralen Diaphragmen (Beckenboden, Zwerchfell, Diaphragma zervikothorakale
und Schädelbasis).
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Lena T. leidet unter Lumboischialgien, Blasenentzündungen mit Nierenbeteiligung, Kopfschmerzen
und Verdauungsstörungen, die ärztliche Diagnose lautet Piriformis-Syndrom.
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Blockaden im Bereich von Iliosakralgelenk, Symphyse, Sakrum, zervikothorakalem Übergang
und HWS sowie eine eingeschränkte Blasen- und Nierenbeweglichkeit lassen auf eine
Störung des ligamentären, faszialen und reflektorischen Zusammenspiels zwischen Beckenstrukturen,
Wirbelsäule und Schädelbasis schließen.
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Nach Mobilisation von Blase, Niere, Beckenboden sowie Nervenund Muskeldehnungen verschwinden
die Symptome innerhalb weniger Wochen.
Piriformis-Syndrom und Urogenitaltrakt
Die von der Patientin erwähnten Blasenentzündungen mit Nierenbeteiligung finden sich
bei einem Piriformis-Syndrom häufig in der Anamnese. Denn nicht selten liegen im Bereich
des Urogenitaltraktes Auslöser für eine Irritation des M. piriformis und eine damit
verbundene Lumboischialgie: Rezidivierende Infektionen lassen die Harnblase häufig
mit ihrer Umgebung verkleben und spastisch werden. Dies führt zu einer eingeschränkten
Beweglichkeit des Organs, aber auch der umgebenden Strukturen. Die direkte Verbindung
der Blase zur Symphyse über dieses Band verändert die Beweglichkeit des Beckenrings:
Die Symphyse ermöglicht die Bewegung der beiden Beckenschaufeln in Zusammenarbeit
mit dem Iliosakralgelenk gegeneinander, zum Beispiel beim Gehen. Fixiert das Ligamentum
pubovesikale die Symphyse durch Adhäsionen, ist diese Bewegung eingeschränkt und überträgt
Spannungen auf die untere Extremität. Dies wirkt sich auch über den Piriformis durch
die Einschränkung am Iliosakralgelenk auf den M. obturatorius internus aus. Seine
Muskelfaszie liegt direkt der Blase an. Verklebungen zwischen M. obturatorius internus
und Blase übertragen sich wiederum über den Ansatz des Muskels am Trochanter major
des Oberschenkels auf die untere Extremität: Die Blase „klemmt“ nicht alleine an der
Symphyse. Sie ist zusammen mit Uterus und Rektum in einer Art Hängematte aus Bindegewebe
über dem muskulären Beckenboden – der Lamina von Delbet – zwischen Symphyse und Kreuzbein
aufgespannt. Wenn es an der Symphyse Fixierungen gibt, ist das Kreuzbein beziehungsweise
Iliosakralgelenk auch betroffen – und somit mehr oder weniger alle Muskeln, die von
Becken und Kreuzbein zum Bein verlaufen.
Mobilitätstest und Behandlung der Harnblase über das Ligamentum pubovesicale
Zur weiteren Diagnostik untersuche ich die Beweglichkeit der Blase über das Ligamentum
pubovesicale: Die Patientin befindet sich dazu mit angestellten Beinen in Rückenlage.
Ich stehe seitlich auf Kopfhöhe mit Blickrichtung zu ihren Füßen. Meine Fingerkuppen
lege ich beidseitig oberhalb der Symphyse auf. Die Finger gleiten in das Gewebe hinter
der Symphyse und nehmen mit dem Ligamentum pubovesicale Kontakt auf. Nach Registrieren
der lokalen Spannung versuche ich, das Gewebe in alle Richtungen zu verschieben. Die
Region sollte hier weich und elastisch sowie in alle Richtungen verschieblich sein.
In Lena T.s Fall ist die Beweglichkeit nach links eingeschränkt. Somit kommt es rechts
zu einer schmerzhaften zirkulatorischen Stauungsproblematik, links zu einer chronischen
Überdehnung beziehungsweise Überlastung.
Der Test kann direkt in die Behandlung übergehen (siehe Abb. 2). Ich palpiere dementsprechend
mit meiner kranialen Hand mit Zeige- und Mittelfinger das Ligamentum pubovesicale
bilateral et-was über und lateral der Symphyse. Meine kaudale Hand führt die Beine
in ipsioder kontralaterale Rotation (Knie in Richtung Bank absenken). Meine kraniale
Hand hält oder verstärkt dabei den erzeugten Zug. Die damit erzeugte Dehnung des Ligamentum
pubovesicale löst die Fixierung und verbessert die Zirkulation.
Kontraindikationen dieser Behandlung sind Schwangerschaft, Katheter, Spirale, Hämaturie
und Zystitis.
Abb. 2 Test Mobilisation des Ligamentum pubovesicale n. Barral. Quelle: Hebgen E.
Viszeralosteopathie. 6., unveränderte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018
Abb. 3 Test und Mobilisation der Niere in Rückenlage. Quelle: Hebgen E. Viszeralosteopathie.
6., unveränderte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018
Nieren: Verklebungen im Gleitlager setzen Psoas unter Druck
Die Nieren verlieren durch häufige entzündliche Prozesse ihre atemabhängige Gleitfähigkeit
auf dem M. psoas major (Psoas). Der Muskel reagiert auf den daraus folgenden erhöhten
Druck des Nierengleitlagers mit Anspannung. In seinem Ursprungsbereich umhüllt den
Muskel eine Faszie, die Teil der großen Rückenfaszie (Fascia thorakolumbalis) ist.
Fasziale Fixierungen übertragen wiederum erhöhte Muskelspannungen auf weitere Strukturen
– hier: die autochthone Rückenmuskulatur – mit Rückenschmerzen als Folge. Ich halte
eine Beteiligung der Nieren daher für wahrscheinlich und teste deren Gleitfähigkeit
auf dem M. psoas major.
Mobilitätstest und Behandlung der Nieren auf dem M. psoas major
Für den Test (siehe Abb. 3) befindet sich die Patientin mit angestellten Beinen in
Rückenlage, ich stehe seitlich auf Kopfhöhe mit Blickrichtung zu den Füßen der Patientin.
Auf Höhe der Fossa iliaca (Knochenmulde auf der Innenseite der Darmbeinschaufel) senke
ich die Fingerspitzen der übereinandergelegten Hände langsam ins Abdomen. Um die richtige
Position auf dem M. psoas major zu prüfen, lasse ich Lena T. das Bein auf der betroffenen
Seite kurz anheben. Eine spürbare Muskelkontraktion identifiziert den M. psoas major.
Ich wandere mit den Fingern weiter nach kranial bis zum unteren Nierenpol. Die Handposition
halte ich und bitte sie, tief ein- und auszuatmen. Während der Einatmung sollte sich
die Niere nach kaudal, bei der Ausatmung nach kranial bewegen. Beide Nieren bewegen
sich hinsichtlich der physiologischen Gleitfähigkeit deutlich eingeschränkt nach kranial.
Somit ergibt der Test eine eingeschränkte Nierenmobilität.
Ich setze daher direkt im Anschluss den M. psoas major ein, um die Nieren in ihrem
Gleitlager zu lösen. Dafür fixiere ich nacheinander auf beiden Seiten mit einer Hand
den unteren Nierenpol nach kranial-medial. Das angestellte Bein auf der betroffenen
Seite wird nun in der Ausatmung langsam ausgestreckt. Dies führt zu einer Dehnung
des M. psoas major und in der Folge zu einer Mobilisation der Niere.
Kontraindikationen (für Test und Mobilisation): akute Entzündungen, Hämaturie, Neoplasien,
Zystennieren.
Merke: Die Palpation der Niere wird oft als unangenehm empfunden, sollte aber auf
keinen Fall schmerzhaft sein.
Nerven, Bänder, Faszien: Wirkungsketten hinter dem Geschehen
Mehrere anatomische und physiologische Netzwerke und Wirkungsketten stellen einen
Bezug zwischen den geschilderten Symptomen her und geben wichtige Hinweise auf mögliche
Ursachen.
Ligamentäre und fasziale Verbindungen zwischen Becken, Rücken und Schädelbasis
Im weiblichen Becken sind Harnblase, Uterus und Rektum durch die bindegewebige Lamina
von Delbet ligamentär von anterior nach posterior miteinander verbunden. Diese Verbindung
fasst die drei Organe zu einer funktionellen Einheit zusammen. Sie beginnt am Os pubis
und endet am Sakrum. Spannungen innerhalb dieser Struktur können Symphyse, Sakrum,
Iliosakralgelenke und Beckenbodenmuskulatur beeinflussen. Die Lamina von Delbet ist
der Endpunkt der Zentralsehne. Dieser fasziale Strang von der Schädelbasis bis zum
Beckenboden arbeitet als eine Einheit und kann entsprechend Spannungen übertragen.
Als Auslöser für den Spannungskopfschmerz der Patientin kommt daher dieser Zusammenhang
infrage.
Irritierter Plexus sacralis: Neurologisches Dauerfeuer durch segmentale Reflexe
Eine Irritation der Blase kann außerdem über segmentale Reflexe über das Rückenmark
eine sensible Information in eine motorische Efferenz an den M. piriformis umwandeln.
Dies geschieht über direkte Äste des Plexus sacralis aus den Segmenten L5–S2. Der
Muskel kontrahiert sich somit und engt den darunter verlaufenden N. ischiadicus ein.
Über dessen neurologische Verbindung mit den anderen Nerven des Plexus sacralis treten
auch Irritationen anderer peripherer Nerven aus diesem Geflecht auf, die für die sensible
Versorgung der Oberschenkelrückseite zuständig sind. So lassen sich die Missempfindungen
in den Beinen erklären.
Ein sympathisch innervierter Hypertonus der segmental mit der Harnblase verbundenen
Muskulatur kann ebenfalls Rückenschmerzen auslösen oder verstärken: Die sympathische
Innervation der Blase erfolgt über die Segmente Th10– L2. Aus einigen davon entspringt
der Plexus lumbalis sowie die Innervation des Psoas.
Durale Spannung durch Hypertonus des Beckenbodens
Auch der muskuläre Beckenboden reagiert über den irritierten Plexus sacralis mit reflektorischem
Hypertonus. Seine Ursprünge liegen als M. levator ani an Symphyse, Os pubis und der
Faszie des M. obturatorius internus. Sie enden gemeinsam am Steißbein. Dieses reagiert
auf die veränderten Beckenbodenspannungen. Die Dura mater ist dort wiederum mit ihrem
Endpunkt am Periost befestigt. Weitere Befestigungen im Wirbelkanal sind die Segmente
S2, C2, C3 und das Foramen magnum. Diese Kontaktlinie erklärt eine Spannungsübertragung
auf den Piriformis (S2). Kopfschmerz ist ein typisches Zeichen für kopfnahe durale
Spannungen.
Die veränderte parasympathische Innervation der Nieren über den N. vagus irritiert
die obere HWS. Häufig kommt es in diesem Zusammenhang zu Dysfunktionen des OAA-Komplexes
mit Hartspann der subokzipitalen Muskulatur (C1) und Irritation des N. occipitalis
major (C2). Dieser vermittelt in vielen Fällen Spannungskopfschmerzen. Seine topografische
Nähe zur Nackenmuskulatur begünstigt auch Nackenverspannungen. Sie lassen den Kopfschmerz
im Lauf des Tages schlimmer werden.
Sitzen am Bildschirm: Gift für Becken- und Gesäßmuskulatur
Langes Sitzen mit Bildschirmarbeit wie in Lena T.s Fall verstärkt zusätzlich Rücken-
und Nackenbeschwerden. Die ischiocrurale Muskulatur und der Psoas verkürzen und beengen
auf Dauer den Ischiasnerv und Plexus lumbalis. Das ständige Sitzen komprimiert außerdem
das Gesäß mit den darunter liegenden Strukturen. Die entsprechende Verminderung von
Durchblutung und Gewebestoffwechsel sorgt für zusätzliche Verklebungen des Bindegewebes.
Auch die Dauermedikation mit Ibuprofen könnte zur Klinik beitragen: Das Medikament
hemmt die Prostaglandinsynthese direkt an der Niere. Dieses Gewebshormon regelt unter
anderem die Durchblutung sowie die Perfusionsrate in der Niere. Dies kann zu einer
Überlastung des Organs durch eine erhöhte Durchblutung und vermehrte Reninproduktion
führen. Sekundär sind Hypertonie und Kopfschmerzen möglich. Unter der Einnahme bemerkt
die Patientin die Erstsymptome der Blasenentzündung zudem möglicherweise erst im späteren
Stadium und leitet daher zu spät geeignete Maßnahmen ein. Die folgenden Antibiosen
zerstören die Darmflora und beeinträchtigen das Immunsystem. In der Folge stellen
sich eine schlechte Immunlage und eine unregelmäßige Verdauung ein. Somit lassen sich
alle Symptome und Umstände miteinander in Beziehung setzen.
Release des Beckenbodens über die Lamina von Delbet in Bauchlage
Um die Beckenorgane zu entlasten, entspanne ich die Lamina von Delbet (siehe Abb.
4). Die Patientin befindet sich dazu in Bauchlage. Ich stehe auf Beckenhöhe daneben.
Meine kraniale Hand bildet eine lockere Faust, die ich unter den Bauch der Patientin
knapp oberhalb der Symphyse auflege. Die kaudale Hand lege ich auf das Sakrum. Die
Finger zeigen zum Kopf der Patientin.
Abb. 4 Mobilisation der Lamina von Delbet. Quelle: Langer W, Hebgen E, Hrsg. Lehrbuch
Osteopathie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2017
Über die kaudale Hand baue ich leichten Druck am Bauch der Patientin nach ventral
auf. Sollte dieser nicht gut spürbar sein, weist das auf eine Spannung innerhalb der
Struktur hin. In dem Fall wird der Druck zwischen den Händen so lange gehalten, bis
eine Entspannung eintritt.
Diese Haltetechnik erreicht eine Mobilisierung der Unterbauchorgane und einen Spannungsausgleich
der Bänder. Alternativ kann über eine rhythmische Pumpbewegung der Hand auf dem Sakrum
die Zirkulation reguliert werden.
Öffnen des Foramen infrapiriforme und Dehnung des M. piriformis
Für das Öffnen des Foramen infrapiriforme (siehe Abb. 5) liegt die Patientin auf dem
Bauch. Ich stehe auf Beckenhöhe daneben. Das Bein der zu behandelnden Seite ist im
Knie gebeugt. Ich umgreife den Unterschenkel etwas oberhalb der Knöchel.
Abb. 5 Öffnen des Foramen infrapiriforme und Dehnung des M. piriformis. Quelle: Dierlmeier
D. Nervensystem in der Osteopathie. Stuttgart: Thieme; 2015
Zur Öffnung des Foramen infrapiriforme liegt das Foramen mittig auf einer Linie zwischen
Spina iliaca posterior superior und Tuber ischiadicum. Ich lege den Daumen in das
Foramen und mobilisiere gleichzeitig die Hüfte in Innenrotation. So mobilisiere ich
auch die weiteren Strukturen, die das Foramen begrenzen, entlang meines Daumens.
Zur Dehnung des M. piriformis liegt meine kraniale Hand flächig auf dem Sakrum und
fixiert es nach kaudal. Die kaudale Hand umgreift den Unterschenkel etwas oberhalb
der Knöchel und bringt das Hüftgelenk bis zur Bewegungsgrenze in Außenrotation. Ich
halte die Position für mindestens 30 sec. Die Technik ist auch als Muskelenergietechnik
nutzbar. Dazu spannt die Patientin mit ca. 20 % Kraft das Bein in Adduktion und Innenrotation
gegen den Widerstand meiner Hand am Unterschenkel an.
Ergänzende Dehnungs- und Releasetechniken
Ergänzend behandle ich noch ihre Beine mit faszialen Releasetechniken, um die vom
N. ischiadicus versorgten Gebiete zu entspannen. Den Nerv selbst behandle ich mit
Querdehnungen in seinem Verlauf: N. ischiadicus zwischen der ischiocruralen Muskulatur
aufsuchen, nach fixierter Stelle suchen, beide Daumenkuppen dann auf den Nerv an diese
Stelle setzen und auseinanderziehen.
Die Blockaden im Becken und an der Wirbelsäule löse ich chiropraktisch. Zur Linderung
der Kopfschmerzen dehne ich unter anderem den M. trapezius und den M. occipitalis
major. Da der „Helmschmerz“ vermutlich durch Spannungen der intrakraniellen Membranen
ausgelöst wird, verwende ich Techniken aus der kraniosakralen Therapie zur Entspannung
der Falx cerebri (senkrechte Dura-Membran, die beide Großhirnhemisphären voneinander
trennt) und des Tentorium cerebelli (quer aufgespanntes Duraseptum zwischen mittlerer
und hinterer Schädelgrube). Abschließend schaffe ich über die sogenannte Duraschaukel
den faszialen Ausgleich zwischen Kopf und Sakrum: Kraniale Hand am Okziput, kaudale
Hand auf dem Sakrum (Patientin in Rückenlage), kraniosakralen Rhythmus zwischen den
beiden Strukturen wahrnehmen und auf „Release“ beziehungsweise Harmonisierung warten.
Als Hausaufgabe soll Lena T. mit einigen funktionellen Übungen ihre „Problemzonen“
behandeln. Dazu gehören mehrfaches tägliches Dehnen von Psoas, Piriformis und der
ischiocruralen Muskulatur sowie eine Bewegungsroutine zur venösen Entlastung des kleinen
Beckens und der Beine: Beine in Rückenlage anstellen, einatmen und dabei das Becken
anheben und oben halten, ausatmen und mit angehobenem Becken Beine auseinander drücken,
einatmen und Beine wiederzusammen führen, ausatmen und dabei Becken absenken – insgesamt
10 × wiederholen. Eine abendliche Kopfmassage unterstützt weiterhin die Mobilisation
des N. occipitalis major.
Ich rate ihr zu einer täglichen Trinkmenge von 2–3 l Wasser oder ungesüßten Kräutertees,
um die Nieren zu unterstützen. Lena T.s weitere Behandlung verläuft erfolgreich: Nach
zwei weiteren Sitzungen erscheint sie zum vierten Termin nur noch pro forma – Ischialgie
und Kopfschmerzen sind seit der dritten Behandlung verschwunden. Nach einer folgenden
Darmsanierung mit Probiotika traten schließlich auch keine weiteren Blasenentzündungen
und Verdauungsstörungen mehr auf.
Dieser Artikel ist online zu finden:
http://dx.doi.org/10.1055/a-0922-4326