Schlüsselwörter
Zahnpulpa - Vitalitätsprüfung - Sensibilitätstest - Pulsoxymetrie - Pulpablutung
Einführung
Zahnschmerzen gelten nach wie vor als eine der Hauptursachen dafür, dass Patienten
zahnärztliche Notdienste aufsuchen. Allerdings ist die Differenzierung zwischen einer
vitalen und lediglich reversibel erkrankten Pulpa und einer vitalen, aber irreversibel
erkrankten Pulpa klinisch nicht immer eindeutig möglich. Die Diagnostik in der Zahnmedizin
stellt einen Prozess dar, bei dem die Ergebnisse aus der Anamneseerhebung (allgemein
und speziell) sowie der klinischen Untersuchung letztlich dazu dienen, Abweichungen
von der vermeintlichen Norm zu erkennen.
Merke
Die Diagnose des Pulpastatus sollte also stets eine Synthese aus Anamnese, klinischer
Untersuchung, erweiterten Tests und radiologischer Untersuchung sein und nicht nur
als Ergebnis eines bestimmten Tests angesehen werden.
Die Histologie stellt den Goldstandard zur Bestimmung des Entzündungszustandes von
Pulpagewebe dar [1], [2], kann als ein invasives Verfahren jedoch nicht als Mittel der Wahl gelten.
Die klinische Unterscheidung erfolgt zwischen asymptomatischer und symptomatischer Pulpitis, womit das Leitsymptom „Schmerz“ im Vordergrund steht. Des Weiteren kann
man zwischen reversibler und irreversibler Pulpitis differenzieren, womit die potenzielle Heilung als diagnostischer Parameter
dient. Während man bei der reversiblen Pulpitis erwartet, dass sich die Pulpa nach
Entfernung des verursachenden Reizes erholt, ist im Gegensatz dazu bei einer irreversiblen
Entzündung keine Heilung zu erwarten.
Folgende Pulpazustände sind klinisch relevant:
Alle verfügbaren Diagnoseverfahren, das Entzündungsstadium der Pulpa zuverlässig zu
identifizieren, korrelieren wenig mit dem histologischen Zustand [3]. Eine bessere Korrelation wäre wünschenswert, da die Entscheidungsfindung in der
Therapie zwischen Vitalerhaltung und Wurzelkanalbehandlung ganz entscheidend von einer
genauen Pulpadiagnose abhängt.
Merke
Nach wie vor ist die Sensibilitätsprüfung ein wichtiges Hilfsmittel bei der Diagnose
von pulpalen Erkrankungen und apikalen Parodontitiden. In der Begrifflichkeit werden
Sensibilität und Vitalität häufig als Synonyme gebraucht, jedoch gibt es Unterschiede.
Definition
Sensibilität = nervale Versorgung der Pulpa
Vitalität = Versorgung der Pulpa mit Blut und Blutgefäßen (= Durchblutung)
Der ideale Pulpatest sollte eine einfache, objektive, standardisierte, reproduzierbare,
nicht schmerzhafte, verletzungsfreie, genaue und kostengünstige Methode zur Beurteilung
des Zustands der Pulpa sein. In der Endodontie werden meist thermische Sensibilitätstests,
z. B. Kältetests (Kältespray, [Abb. 3]), CO2-Schnee ([Abb. 4]), Wärmetests (erwärmtes Wasser, warme Guttaperchastange; [Abb. 5]) oder elektrische Pulpatestgeräte (EPT; [Abb. 6], [Abb. 7]) eingesetzt, die letztlich beurteilen, ob es eine Reaktion auf einen entsprechenden
Stimulus gibt oder nicht. Wenn Pulpanervenfasern eine Reizweiterleitung generieren,
kann die Pulpa als überlebensfähig beurteilt werden.
Für die Vitalerhaltung ist die Blutversorgung der Pulpa elementar, und sie wird auch
benötigt, um die Nervenfasern am Leben und funktionstüchtig zu halten. Wenn folglich
die Sensibilitätsprobe positiv ausfällt, ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen, dass auch die Vitalität der Pulpa gegeben ist, wobei im Idealfall eine
Kombination aus verschiedenen Pulpatests verwendet werden sollte, sodass die Ergebnisse
einer Prüfung die Ergebnisse der anderen Prüfung bestätigen können.
Merke
Die Durchblutung ist das genaueste Kriterium zur Bestimmung der Pulpavitalität, da
sie Auskunft darüber gibt, ob das Pulpagewebe vital oder nekrotisch ist [4].
Eine direkte Bewertung der Durchblutung des Zahnes ist mit der Laser- oder Ultraschall-gestützten
Durchflussmessung – beruhend auf dem Doppler-Effekt – oder mit der Pulsoxymetrie prinzipiell
denkbar.
Pulpazellen und Innervation
Pulpazellen und Innervation
Odontoblasten, Fibroblasten, undifferenzierte mesenchymale Zellen sowie neutrophile
Granulozyten, dendritische Zellen und gelegentlich Makrophagen machen den zellulären
Part der Pulpa aus ([Abb. 1]). Um allerdings die Mechanismen zu verstehen, wie die Testergebnisse zum Pulpastatus
zustande kommen, ist es erforderlich, ein Verständnis von der pulpalen Innervation
zu haben. Innerhalb der koronalen Pulpa divergieren die Nervenbündel. Sie verzweigen
sich zur Pulpa-Dentin-Grenze hin und bilden dort ein Netzwerk (Rashkow-Plexus), aus
dem die Endaxone nach der Passage der zellfreien Zone (Weil-Zone) teils als freie
Nervenenden die Odontoblastenschicht durchlaufen und das Dentin erreichen [5], [6], [7].
Abb. 1 Zahnpulpa. Die Odontoblastenkörper (O) liegen dem Prädentin (Pd) in der Pulpahöhle
an. In Richtung zur Pulpamitte folgt auf die Odontoblasten die helle Weil-Zone (W)
mit peripheren Fortsätzen der bipolaren Fibroblasten. Die Zone der Fibroblasten-Zellkörper
(F) weist eine geringfügig höhere Zell(kern)dichte auf als das umgebende gallertige
Bindegewebe. Pulpawärts folgt die Innenzone (I) der Pulpa mit den größeren Leitungsbahnen.
Der subodontoblastische Gefäß- und Nervenplexus ist nicht eindeutig zu erkennen. Paraffinschnitt,
HE-Färbung. D: Dentin. Vergr. 118-fach. (Quelle: Steiniger B, Schwarzbach H, Stachniss
V. Zahnpulpa. In: Steiniger B, Schwarzbach H, Stachniss V, Hrsg. Mikroskopische Anatomie
der Zähne und des Parodonts. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2010.)
Merke
In der Pulpa gibt es 2 Arten von sensorischen Fasern:
Während sich die C-Fasern im Pulpagewebe befinden, durchdringen die A-Fasern überwiegend
das Dentin und sind entsprechend ihrem Durchmesser und ihrer Leitungsgeschwindigkeiten
untergliedert in Aβ- und Aδ-Fasern. Die Aβ-Fasern gelten als empfindlicher auf Stimulationen
als die Aδ-Fasern, die etwa 90% der A-Fasern ausmachen [8]. Aδ-Fasern vermitteln akute, starke Schmerzen und werden durch hydromechanische
Ereignisse in den Dentintubuli wie Präparation oder Trocknung im Luftstrom aktiviert.
Die C-Fasern vermitteln eher einen stumpfen, brennenden und schlecht lokalisierbaren
Schmerz und werden nur durch Reize aktiviert, die das Pulpagewebe erreichen. C-Fasern
haben einen höheren Schwellenwert im Vergleich zu den A-Fasern und sind in der Regel
mit Gewebeschäden verbunden [8]. Die Reaktion auf einen bestimmten Stimulus ist dort am größten, wo die neuronale
Dichte am höchsten ist – das ist im Bereich der Pulpahörner der Fall ([Abb. 2]) [8].
Abb. 2 Nerven und Pulpazellen. Neurofibrillenfärbung des Nervenplexus um die Odontoblasten
mit ungefärbten Zellleibern der Odontoblasten (*). (Quelle: Arnold W. Kronenpulpa.
In: Baumann M, Beer R, Hrsg. Farbatlanten der Zahnmedizin – Endodontologie. 2. Aufl.
Stuttgart: Thieme; 2007.)
Sensibilitätstests
Derzeit beurteilen die meisten Tests primär die Integrität der Aδ-Nervenfasern im
Dentin-Pulpa-Komplex durch einen kurzen Stimulus auf die Außenfläche des Zahnes. Wenn
die Aδ-Nervenfasern erfolgreich stimuliert werden, reagiert der Patient – und nicht
der Zahn – mit der Bestätigung, einen Reiz am Zahn gespürt zu haben. Eine positive
Reaktion weist zunächst auf eine (bis zu einem gewissen Grad) bestehende Funktion
der Nervenfasern hin, gibt aber keinen Hinweis auf die pulpale Durchblutung.
Eine fehlende Durchblutung/Gefäßversorgung der Pulpa führt schnell zur Hypoxie, und
die Aδ-Fasern funktionieren nicht mehr. Es ist jedoch zu beachten, dass es Fälle geben
kann wie nach einem Zahntrauma, in denen zwar ein Blutfluss zur Pulpa stattfindet,
die Aδ-Nervenfasern aber nicht mehr funktionieren.
Thermische Tests
Diese Tests beinhalten die Anwendung von Kälte- und Wärmereizen auf einen Zahn, um
die Empfindlichkeit gegenüber thermischen Veränderungen zu bestimmen.
Kältetests
Ein Kältetest bewirkt letztlich eine Kontraktion des Dentinliquors in den Dentintubuli,
wodurch ein schneller Abfluss Zellflüssigkeit induziert wird. Diese schnelle Bewegung
des Dentinliquors führt zu „hydrodynamischen Kräften“ auf die Aδ-Nervenfasern im Pulpa-Dentin-Komplex,
was im Falle einer gesunden Pulpa mit einem Reiz für die Dauer des thermischen Tests
assoziiert ist.
Cave
Bei der Untersuchung von mehrwurzeligen Zähnen ist Vorsicht geboten, da sie positiv
auf die Tests reagieren können, obwohl nur noch ein Wurzelkanal tatsächlich vitales
Pulpagewebe enthält.
Klinisch relevant ist prinzipiell nur die Unterscheidung zwischen reversibler und
irreversibler Pulpitis, da die Therapieansätze differieren. Hat die Reizapplikation
eine anhaltende, reizüberdauernde Wirkung oder lässt der Schmerz nach dem Entfernen
des Reizes vom Zahn sofort nach? Ein anhaltender Schmerz, auch nach Entfernung des
Kältereizes, steht für die Diagnose einer irreversiblen Pulpitis. Falls der Schmerz
unmittelbar nach der Reizentfernung nachlässt, ist die Diagnose einer reversiblen
Pulpitis wahrscheinlicher. Andere Faktoren, wie eine Vorgeschichte von Schmerzen beim
Liegen, Nachtschmerz oder Spontanschmerz, und die Dauer der Schmerzen sollten ebenfalls
berücksichtigt werden.
Merke
Ein anhaltender Schmerz, auch nach Entfernung des Kältereizes, steht für die Diagnose
einer irreversiblen Pulpitis. Falls der Schmerz unmittelbar nach der Reizentfernung
nachlässt, ist die Diagnose einer reversiblen Pulpitis wahrscheinlicher.
Grundsätzlich sind diese Tests am vermutlich erkrankten Zahn sowie möglichst an einem
gesunden Kontrollzahn (Nachbarzahn oder kontralateraler Zahn) durchzuführen, um aus
den unterschiedlichen Reaktionen des Patienten eine zuverlässige Verdachtsdiagnose
schließen zu können.
Ethylchlorid (entstehende Verdunstungskälte − 41 °C) und Propan-Butan-Gemische (entstehende
Verdunstungskälte − 25 °C; [Abb. 3]) sind komprimierte Kältemittelsprays, die weit verbreitet sind.
Abb. 3 Sensibilitätstestung mit einem Kältespray über die Applikation von einem Schaumstoffpellet.
Ein weiterer effektiver Kältereiz ist „Kohlendioxid-Schnee“ (CO2-Schnee; entstehende Verdunstungskälte − 72 °C). Bei der Testung wird ein festes Stück
CO2-Schnee in einem Kunststoffzylinder auf die bukkale Oberfläche des Zahnes appliziert
([Abb. 4]). Eine schädigende Wirkung, selbst bei längerer Applikation, ist für den Zahn (Schmelz
und Pulpa) nicht dokumentiert [9]. Andererseits kann CO2-Schnee bei keramischen Restaurationen bereits ab 5 s einen Lochfraß auf der Oberfläche
bewirken [10].
Abb. 4 Applikation von CO2-Schnee auf die Zahnoberfläche.
Die Applikationsdauer der Kältetests erfolgt bis zu einer definitiven Reaktion des
Patienten, wobei eine maximale Dauer 15 s nicht übersteigen sollte.
Merke
Je niedriger die Temperatur des Kältemittels ist, desto besser korrelieren Sensibilität
und vermutliche Vitalität des Zahnes, d. h. desto zuverlässiger ist der Test [11].
Wärmetests
Eine erhöhte Empfindlichkeit auf Wärme ist insbesondere ein Indikator für pulpale
oder periapikale Pathologien. Dieser Test wird hauptsächlich zur Verifizierung purulenter
Prozesse genutzt.
Die Testung kann leicht mit einer erwärmten Guttaperchastange oder ebensolchem Wasser
durchgeführt werden. Eine Guttaperchastange wird erwärmt, bis sie weich wird und leicht
glänzt, und auf die vaselinbeschichtete Oberfläche (erleichtert die Entfernbarkeit
der klebrigen Guttapercha) des Testzahns gehalten. Guttapercha erweicht bei etwa 65 °C,
kann aber deutlich mehr erwärmt werden ([Abb. 5]).
Abb. 5 Wärmetest (Guttaperchastange) an dem mit Vaseline beschichteten Zahn 23.
Eine übermäßige Erwärmung kann allerdings zu Pulpaschäden führen – das stellt einen
immanenten Nachteil der Methode dar [12]. Die Reizantwort bei zu langer Applikation läuft dann über eine 2-phasige Stimulation:
zunächst die Aδ-Fasern, gefolgt von den C-Fasern [13]. Falls letztere aktiviert werden, sind anhaltende Schmerzen vorprogrammiert, daher
sollten Wärmetests für nicht mehr als 5 s angewendet werden. Allerdings kann eine
unzureichende Erwärmung der Guttapercha mit einer fehlenden Reizantwort vergesellschaftet
sein [14], weil die Reizschwelle nicht erreicht wurde.
Cave
Wärmetests sollten für nicht länger als 5 s angewendet werden.
Warmes Wasser bei Kofferdamisolation und Reibungswärme (Friktionswärme eines Polierkelchs
auf der bukkalen Zahnoberfläche mit langsam steigender Umdrehungszahl) können ebenfalls
zum Einsatz kommen.
Merke
Bei korrekter Nutzung von Wärmetests sind Pulpaschäden unwahrscheinlich [15].
Elektrische Pulpatester (EPT)
Ziel elektrischer Pulpatests (EPT) ist es, intakte Aδ-Nerven im Pulpa-Dentin-Komplex
durch Anlegen eines elektrischen Stroms an die Zahnoberfläche zu stimulieren. Ein
positives Ergebnis ergibt sich aus einer Ionenverschiebung innerhalb der Dentinflüssigkeit
der Tubuli, diese führen zu einer lokalen Depolarisation und nachfolgenden Erzeugung
eines Aktionspotenzials aus intakten Aδ-Nerven [16].
Der elektrische Pulpatester ist ein batteriebetriebenes Gerät, das mit einer Sonde
verbunden ist, die auf den zu untersuchenden Zahn aufgebracht wird ([Abb. 6], [Abb. 7]). Die Intensität des elektrischen Reizes wird dann langsam erhöht und die Anzeige
auf der Digitalanzeige notiert, sobald der Patient ein warmes oder prickelndes Gefühl
bestätigt.
Merke
Die Anzeige des elektrischen Pulpatesters ist keine quantitative Messung der Pulpagesundheit,
sondern liefert lediglich den Nachweis, dass die Aδ-Fasern auf den elektrischen Reiz
ansprechen.
Abb. 6 Elektrischer Pulpatester (Siemens, München).
Das Trocknen des Schmelzes, das Anbringen eines interproximalen Kunststoffstreifens
und/oder die Verwendung eines Kofferdam können die Übertragung von elektrischen Impulsen
auf benachbarte Zähne oder die Gingiva verhindern ([Abb. 7]) [17].
Abb. 7 Klinische Anwendung eines elektrischen Pulpatesters mit Isolation der Nachbarzähne
mit Kunststoffmatrizen.
Die Leitfähigkeit metallischer Restaurationen impliziert, dass elektrische Pulpatester
hier nicht verwendet werden sollen, da das umliegende Gewebe automatisch ebenfalls
gereizt wird. Um sicherzustellen, dass dennoch der maximale Strom von der Elektrode
zur Zahnoberfläche gelangt, kann ggf. ein leitfähiges Medium (z. B. Zahnpasta) verwendet
werden [18].
Cave
Gerade durchgebrochene Zähne mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum haben u. U.
ein noch nicht vollständig ausgebildetes pulpales Nervengeflecht, weshalb die EPT
falsch negativ ausfallen kann.
Andererseits könnten auch durch die Stimulation der Nachbarzähne oder des Parodontiums
falsch positive Ergebnisse bei der EPT resultieren [19].
Merke
Grundsätzlich stehen Orte hoher neuronaler Dichte in der Regel für eine schnelle und
starke Reaktion auf einen Reiz und sollten deshalb getestet werden.
Bei Inzisivi gelten die Schneidekanten als idealer Applikationsort, weil der Schmelz
dort am dünnsten ist, während sich bei den übrigen Zähnen die Applikation in der Nähe
der Pulpahörner empfiehlt.
Probetrepanation
Dieser Test kann als letzte Option bei der Sensibilitätsprüfung dienen. Er wird nur
dann durchgeführt, wenn sich die Ergebnisse aller anderen Tests als nicht eindeutig
erwiesen haben. Dazu wird an dem nicht anästhesierten Zahn eine Testkavität mit einem kleinen, kugelförmigen diamantierten
Schleifkörper unter ausreichender Wasserkühlung bis in das Dentin präpariert – am
besten unter Kofferdam-Isolation.
Der Patient wird gebeten, ein Zeichen zu geben, wenn während der Präparation Schmerzen
auftreten. Wenn der Patient nach dem Kontakt des Schleifkörpers mit dem gesunden Dentin
Schmerzen verspürt, wird der Eingriff beendet und die Kavität mit einer definitiven
Füllung verschlossen. Der Zahn ist vermutlich vital. Anderenfalls muss eine Wurzelkanalbehandlung
eingeleitet werden.
Selektive Lokalanästhesie
Wenn die Symptome nicht eindeutig zu lokalisieren sind und die Sensibilitätstestung
ein unklares Ergebnis zeigt, ist eine genaue Diagnose äußerst schwierig. In solchen
Fällen kann eine selektive Anästhesie hilfreich sein. Mit einer Infiltrationsanästhesie
oder einer intraligamentären Injektion kann im Verdachtsbereich der Schmerzursache
zunächst der am weitesten distal gelegene Zahn betäubt werden. Wenn der Schmerz nach
der Injektion anhält, kann man sukzessive weiter mesial gelegene Zähne in identischer
Manier anästhesieren, bis die Beschwerden womöglich verschwinden. Dies lässt dann
Rückschlüsse auf den Schmerz verursachenden Zahn zu.
Falls auch so die Schmerzquelle zwischen Ober- und Unterkiefer nicht lokalisierbar
ist, besteht noch die Möglichkeit einer Leitungsanästhesie im Unterkiefer. Wird der
Schmerz so ausgeschaltet, so ist auf die Beteiligung eines Unterkieferzahns auf der
fraglichen Seite zu schließen.
Limitationen der Sensibilitätstests
Überblick
Kriterien von Sensibilitätstests
Alle Tests werden prinzipiell in ihrer Aussagekraft nach den folgenden Kriterien bewertet:
-
Sensitivität: Die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Patienten mit einer Erkrankung ein
bestimmter diagnostischer Test positiv ist.
-
Spezifität: Die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Patienten, der eine Erkrankung nicht
hat (also gesund ist), ein bestimmter diagnostischer Test negativ ist.
-
Positiver Vorhersagewert (PPV): Es ist der Anteil der positiven Testergebnisse, die tatsächlich positiv sind.
-
Negativer Vorhersagewert (NPV): Es ist der Anteil der negativen Testergebnisse, die tatsächlich negativ sind.
Die Validität (Reproduzierbarkeit) eines jeden diagnostischen Tests wird am besten
durch seine Sensitivität und Spezifität beschrieben, während sein klinischer Nutzen
durch seinen positiven prädiktiven Wert (PPV) und seinen negativen prädiktiven Wert
(NPV) erfasst wird ([Tab. 1]).
Tab. 1 Wichtige Kriterien der gängigen klinischen Sensibilitätstests [20].
Test
|
Sensitivität
|
Spezifität
|
PPV
|
NPV
|
NPV: negativer prädiktiver Wert; PPV: positiver prädiktiver Wert
|
Kältetest
|
0,81
|
0,92
|
0,92
|
0,81
|
elektrische Pulpatextung
|
0,71
|
0,92
|
0,91
|
0,74
|
Falsch positive Ergebnisse können vorkommen, wenn Nervenfasern auf den Reiz reagieren, obwohl das umgebende
Pulpagewebe degeneriert ist [21]. Dieser vorübergehende Verlust der Reaktion wird in der Regel durch Verletzung,
Entzündung, Druck oder Spannung an den apikalen Nervenfasern verursacht. Mitunter
kann es einige Wochen dauern, bis eine Reizantwort auf einen entsprechenden Stimulus
ausgelöst wird [22]. Es kann folglich sein, dass zwar vitales Gewebe vorliegt, aber eine Stimulation
der Nervenfasern, die für die Sensibilität mit herkömmlichen Tests notwendig ist,
noch nicht erfolgt. Aus diesem Grund kann es bei Zähnen nach Zahntrauma u. U. sinnvoll
sein, eine endodontische Therapie nicht sofort einzuleiten, um vitales und regenerationsfähiges
Pulpagewebe zu erhalten. Allerdings kann eine verspätete Therapie zu Komplikationen
(z. B. infektionsbedingte entzündliche Resorption) führen.
Andererseits sind falsch negative Ergebnisse ebenfalls denkbar. Das bedeutet, dass ein vitaler Zahn nicht positiv auf Kältetests
reagiert, obwohl die Blutmikrozirkulation der Zahnpulpa intakt ist. Dies kann vor
allem bei kürzlich traumatisierten Zähnen auftreten, aber auch bei solchen mit unvollständiger
Wurzelentwicklung oder Zähnen mit ausgeprägten physiologischen Alterungsprozessen
(Mineralisierung) [22], [23]. Ein vermehrtes Auftreten von falsch negativen Ergebnissen im Vergleich zu falsch
positiven Ergebnissen wurde in einer Studie festgestellt [24].
Korrelation zur Histologie
Verfahren zur Erhaltung der Pulpavitalität können nur dann wirksam sein, wenn der
Status der Pulpa korrekt bewertet wird [25]. Eine genaue Klassifizierung des Pulpazustands ist letztlich nur mit einer histologischen
Untersuchung möglich [26]. Histologische Untersuchungen sind jedoch nicht mit der Vitalerhaltung vereinbar
und können klinisch nicht durchgeführt werden [27].
Die Reaktion auf den Sensibilitätstest korreliert leider nur mangelhaft mit dem histologischen
Befund [1], [21]. Hinter einem klinisch positiven Kältetest kann histologisch eine gesunde Pulpa,
eine reversible Pulpitis oder gar eine irreversible Pulpitis stecken [28]. Allein bei der fehlenden Antwort auf einen Sensibilitätstest scheint es einen statistisch
signifikanten Zusammenhang mit dem Vorliegen einer vollständigen Nekrose zu geben
[1], [14]. Des Weiteren scheint die traditionelle Ansicht fragwürdig, dass eine gesteigerte
Sensibilität bei Hyperämie auf eine akute Pulpitis und eine reduzierte Empfindlichkeit
eher auf eine chronische Pulpitis hinweise [29].
Objektivität und Reliabilität
Inwieweit Patientenaussagen als objektiv einzustufen sind, ist fraglich, weil Schmerz
immer einen individuell subjektiven Charakter hat. Deshalb empfiehlt es sich immer,
einen Kontrollzahn auf der gegenüberliegenden Seite des Mundes zu testen, um die Subjektivität
aus der Antwort desselben Individuums zu erfahren [30]. Allerdings ist selbst dann noch nicht bewiesen, ob der Kontrollzahn überhaupt geeignet
ist, als solcher zu dienen. Zusätzlich muss eine gesteigerte Reaktionsintensität nicht
zwingend mit einem pathologischen Zustand vergesellschaftet sein. Hinweise, dass es
selbst in denselben Individuen zu unterschiedlichen Reaktionen an verschiedenen Tagen
kommen kann, sind ebenfalls dokumentiert [31]. Objektivität und Reproduzierbarkeit der Pulpatests sind und bleiben daher problembehaftet.
Beeinflussende Faktoren
Schmerzstillende oder sedierende Medikamente sind in der Lage, bei einigen Patienten
die Reizschwelle zu erhöhen [32]. Mit Ausnahme von neu durchgebrochenen Zähnen scheinen Alter und Geschlecht des
Patienten keinen nennenswerten Einfluss auf die Schwellenwerte der Pulpatests zu haben
[33], [34]. Dies ist insofern überraschend, wenn man die histologischen Ergebnisse wie Mineralisationen
in der Pulpa (Sekundär- und Tertiärdentinbildung) und verminderte neuronale Dichte
mit zunehmendem Alter in Betracht zieht [35].
Parodontologische Erkrankungen liefern widersprüchliche Aussagen zur Beeinflussung
von Pulpatests: Einerseits wurde keine signifikante Änderung der Stimulierungsschwelle
nachgewiesen [36], andererseits ein Zusammenhang von Pulpitis und Pulpadegeneration bei Parodontalerkrankungen
beschrieben [37].
Messung der Vaskularisation
Messung der Vaskularisation
Eine genauere Beurteilung der Pulpavitalität kann ebenfalls durch die Bestimmung des
Vorhandenseins einer funktionierenden Blutversorgung/Durchblutung erfolgen, sodass
ein etwaiges Heilungspotenzial selbst bei vorübergehenden Sensibilitätseinschränkungen
(z. B. nach Trauma) bewertet werden kann. Folgende Methoden, die allerdings in der
klinischen Praxis bisher keinerlei Bedeutung erlangt haben, können grundsätzlich eingesetzt
werden.
Zahnoberflächentemperaturmessung
Die Thermografie oder Temperaturmessung ist als ein nichtinvasives Diagnoseverfahren
für die Vitalitätstestung menschlicher Zähne beschrieben worden [38]. Das Grundprinzip dieses Verfahrens basiert darauf, dass Zähne mit einer intakten
Blutversorgung (vitales/gesundes Pulpagewebe) eine wärmere Zahnoberflächentemperatur
aufweisen als solche ohne Blutversorgung.
Laser-Doppler-Flowmeter (LDF)
Die Laser-Doppler-Flowmetrie (LDF) ist eine weitere nichtinvasive Methode zur Bestimmung
der Durchblutung in mikrovaskulären Systemen [39]. Das Licht eines Helium-Neon-Lasers wird auf das zu untersuchende Gewebe gerichtet.
Beim Eintritt von Licht in das Gewebe wird es durch die Bewegung von roten Blutkörperchen
und stationären Gewebeelementen gestreut und/oder adsorbiert. Photonen, die mit sich
bewegenden roten Blutkörperchen interagieren, werden nach dem Doppler-Prinzip gestreut
und meist verschoben. Photonen, die jedoch mit unbeweglichem Gewebe interagieren,
werden zwar auch gestreut, sind aber nicht Doppler-versetzt. Ein Teil des Lichts wird
an den Photonendetektor zurückgegeben und erzeugt ein Signal.
Da rote Blutkörperchen die überwiegende Mehrheit der sich bewegenden Objekte innerhalb
der Zahnmasse ausmachen, kann die Messung des Doppler-versetzten rückgestreuten Lichts
als Index für einen pulpalen Blutfluss interpretiert werden. Die LDF kann zuverlässig
zwischen gesunden und avitalen Zähnen unterscheiden und z. B. eine Revaskularisierung
von Zähnen nachweisen [40]. Die Revaskularisierung der Pulpa scheint nach dieser Methode nachweislich etwa
4 Wochen nach der Zahnreplantation möglich zu sein, was viel früher ist, als es bei
herkömmlichen Standard-Sensibilitätstests zu erwarten ist [40].
Merke
Eine LDF-Bewertung für menschliche Zähne nach Traumata nach 4 Wochen und in regelmäßigen
Abständen bis zu 3 Monaten kann hilfreiche Aufschlüsse über regenerative Prozesse
geben.
Ultraschall-Doppler-Blutflussmessung
Bei der UFM (Ultrasonic Flowmetry) werden Ultraschallwellen mit einer definierten
Frequenz ins Gewebe ausgesendet und streuen dort an zirkulierenden Erythrozyten. Aufgrund
dieser Streuung gelangt ein Teil der Ultraschallwellen zurück zum Schallkopf, der
somit sowohl als Sender als auch als Empfänger der Schallwellen dient. Die Erythrozyten
fungieren somit als Grenzfläche, an denen die Schallwellen reflektiert werden, sodass
ein Frequenzanstieg bei Entfernungsabnahme des Schallkopfs zur Grenzfläche erfolgt
und bei Entfernungszunahme die Frequenz abfällt. Dabei erreichen die Schallwellen
eine Penetrationstiefe von bis zu 0,8 cm in das Gewebe [41]. Der Einsatz und die Indikationen der UFM sind folglich vergleichbar mit der LDF.
Der UFM wird eine hohe Sensitivität bei der Bestimmung der Vitalität – insbesondere
bei Z. n. dentalem Trauma – attestiert [42], [43].
Pulsoxymetrie
Die Pulsoxymetrie ist in der medizinischen Praxis ein weit verbreiteter objektiver
Test zur Überwachung der Sauerstoffsättigung im Blut. Das Pulsoxymeter verfügt über
einen lichtemittierenden Sensor, der mithilfe von 2 Dioden rotes Licht (640 nm) und
Infrarotstrahlung (940 nm) generiert, und einen Photodetektor auf der gegenüberliegenden
Seite des Gefäßbetts. Die lichtemittierende Diode überträgt Licht durch ein Organ
(hier: Zahn), wobei oxygeniertes und desoxygeniertes Hämoglobin unterschiedliche Mengen
an rotem/infrarotem Licht adsorbieren. Die pulsierende Veränderung des Blutvolumens
generiert periodische Veränderungen in der Menge an adsorbiertem Licht am Detektor,
womit das Pulsoxymeter insbesondere zur Bestimmung der Sättigung des arteriellen Blutes
genutzt werden kann ([Abb. 8]) [44].
Abb. 8 Schematische Darstellung der Pulsoxymetrie und Anzeige der Sauerstoffsättigung.
Cave
Wenn die arterielle Durchblutung sehr niedrig ist, können Pulsoxymeter-Messungen ungenau
oder bisweilen gar nicht möglich sein.
Eine geringere Spezifität wird auch in Fällen beschrieben, in denen die koronale Pulpa
starke Mineralisierungen aufweist, z. B. nach Trauma, Tertiärdentinbildung nach dem
Legen tiefer Füllungen oder im Rahmen physiologischer Alterungsprozesse. In solchen
Fällen können falsch negative Ergebnisse entstehen.
Immunologische Tests zur Analyse des Pulpastatus
Immunologische Tests zur Analyse des Pulpastatus
Die Funktion von Zytokinen, Proteasen, Entzündungsmediatoren, Wachstumsfaktoren, antimikrobiellen
Peptiden im Rahmen der Abwehrfunktion der Pulpa sind bekannt, sodass diese Faktoren
prinzipiell als Biomarker dienen und somit den Status der Pulpa anzeigen können [45].
Abwehrmechanismen der Pulpa
Bei einer Pulpitis laufen – gesteuert durch molekulare Faktoren – kaskadenartige,
streng regulierte Abfolgen von Gefäß- und Zellereignissen ab. Zunächst findet eine
rein mechanistische Reaktion mit Gefäßveränderungen statt, die durch spezielle Rezeptoren
vermittelt werden und die Freisetzung von messbaren Entzündungsmediatoren (u. a. Interleukin-8,
IL-6, IL-1) beinhalten [46]. Bei der Immunantwort sind insbesondere Odontoblasten, Endothelzellen sowie Makrophagen
und dendritische Zellen beteiligt. Sie sorgen u. a. für mechanische Barrieren (z. B.
Odontoblasten), Reizweiterleitung (Nervenfasern) oder Differenzierung (z. B. adulte
Pulpastammzellen), um Infektionen zu begrenzen, Verletzungen zu signalisieren und
die Reparatur zu fördern. Allerdings ist das Pulpagewebe direkt von Zahnhartsubstanz
umgeben, was die Reaktionslage beeinflusst bzw. einschränkt, im Unterschied zu anderen
von Weichgewebe umgebenen Strukturen.
In der Parodontologie wird der Nachweis bestimmter Biomarker im Speichel oder in der
gingivalen Sulcusflüssigkeit schon lange zur Bestimmung der Progredienz oder der Remission
der Parodontitis eingesetzt [47]. Matrix-Metalloproteinasen (MMP) wie MMP-8 und -9 gelten als zentrale Biomarker
für den Weichteilabbau im parodontalen Gewebe. Aufgrund von Gemeinsamkeiten in der
parodontalen und pulpalen Entzündung – beide münden nach der mikrobiell verursachen
Infektion letztlich in eine Knochenresorption (vertikaler Knochenverlust bzw. apikale
Parodontitis) – wird davon ausgegangen, dass beide Pathologien dieselben Biomarker
exprimieren [48].
Die Pulpa gilt als ein reaktives Gewebe, das mit dem umliegenden Gewebe interagiert.
Änderungen von Proteinmarkern im Pulpablut [49], im Dentinliquor [50], im apikalen Fluid [51] und in der Sulcusflüssigkeit [52], die mit pulpitischen Symptomen korrelierten, wurden bereits nachgewiesen. Bis jetzt
hat die molekulare Diagnostik allerdings bei endodontischen Fragestellungen im Hinblick
auf Diagnostik und Therapieplanung noch keinen Einzug in den klinischen Alltag gehalten
[53].
Diese Technik könnte möglicherweise zukünftig zu einer vielversprechenden Methode
weiterentwickelt werden. Zum Beispiel könnte man bei fraglichen Zähnen Dentinliquor
vor der Füllungstherapie, Pulpablut vor der direkter Überkappung oder auch Sulcusflüssigkeit
([Abb. 9]) gewinnen und auf Entzündungsparameter untersuchen. Anhand der labortechnischen
Parameter kann man dann auf den Pulpastatus schließen. Je nach Untersuchungsergebnis
könnte man anschließend versuchen, Zähne vital zu erhalten, bei denen nach den klassischen
Untersuchungsmethoden eine erfolgreiche Überkappung eher unwahrscheinlich erscheint
oder auch anderenfalls direkt eine Wurzelkanalbehandlung einleiten. In jedem Fall
wären bei einer irreversiblen Pulpitis die Risiken für eine komplette bakterielle
Besiedlung des gesamten Wurzelkanalsystems und die apikale Parodontitis minimiert.
Abb. 9 Mögliche Entnahmestellen zur immunologischen Bestimmung des Pulpastatus. A: Pulpablut;
B: Dentinliquor; C: Sulcusflüssigkeit.
Pulpablutung
Eine Pulpaheilung kann auch nach einer Freilegung im Kariösen erreicht werden, wenn
die Entzündung den Status der reversiblen Pulpitis nicht übersteigt [54]. Die direkte Überkappung ([Abb. 10]) der Pulpa ist bei Zähnen mit reversibler Pulpitis nämlich mit einer hohen Erfolgsrate
assoziiert [28], [55], [56]. Selbst Zähne mit diagnostizierter irreversibler Pulpitis und initialer periapikaler
Beteiligung konnten erfolgreich mit einer direkten Überkappung vital erhalten werden
[28].
Abb. 10 Im Rahmen der Exkavation exponierte Pulpa an Zahn 24.
a Stehende Blutung der Pulpa. Foto: Dr. M. Sabandal, Münster.
b Zustand nach direkter Überkappung mit einem Di- und Trikalziumsilikat-Zement (Biodentin,
Septodont, Saint-Maur-des-Fossés Cedex, Frankreich). Foto: Dr. M. Sabandal, Münster.
c Zahn nach definitiver Füllung bei der Okklusionskontrolle. Foto: Dr. M. Sabandal,
Münster.
Allerdings sollte man das biologische Alter der Pulpa (= Grad der Vorschädigung durch
die Summation der einwirkenden Noxen im Laufe des Lebens) mit in Betracht ziehen.
Viele der Studien zur irreversiblen Pulpitis und partieller Pulpotomie respektive
direkter Überkappung untersuchten zumeist junge Patienten mit Zähnen mit Primärkaries
(= geringer Grad der pulpalen Vorschädigung) und wiesen daher eine gute Regenerationsfähigkeit
auf. Unabhängig davon stellt das Ausmaß der Pulpablutung einen wichtigen Aspekt in
der klinischen Entscheidungsfindung bei vitalerhaltenden Maßnahmen dar.
Kommt es bei der Kariesexkavation zu einer Exposition der Pulpa mit einer Blutung,
so kann das Ausmaß der Blutung dazu dienen, den Zustand der Pulpa zu bewerten. Der
Grad der Pulpablutung kann ein zuverlässigerer Indikator sein – vor allem in Kombination
mit präoperativen Sensibilitätstests, klinischen Befunden und Symptomen [57].
Merke
Die Stärke der Blutung beim Freilegen des Pulpagewebes kann den Grad der Entzündung
der Pulpa widerspiegeln ([Abb. 11]).
Abb. 11 Zahn 47 mit akzidenteller Pulpaeröffnung.
a Spontane Pusentleerung (Bildung eines Eitertropfens) bei einem beschwerdefreien Zahn
(Sensibilität = positiv; Perkussion = negativ).
b Persistierende profuse Blutung mehr als 5 min nach vollständiger Pulpotomie; Indikation
zur Wurzelkanalbehandlung.
Eine übermäßige Blutung des Gewebes deutet in der Regel auf eine Pulpa mit geringer
oder gar keiner Chance auf Heilung hin [58]. Mit zunehmender Blutung bei Exposition steigt die Wahrscheinlichkeit einer irreversibler
Entzündung [57]. Pulpagewebe mit starken und anhaltenden Blutungen weisen deutlich schlechtere Heilungsprognosen
auf als solche mit geringer oder nur kurzzeitigen Blutungen [57].
Klinisch sollte eine Pulpablutung innerhalb von 5 min zum Stehen gebracht werden können
(Wattepellet mit NaOCl getränkt) [54]. Ist dies nicht zu erreichen, kann anstatt der direkten Überkappung eine partielle
oder vollständige Pulpotomie vorgenommen werden ([Abb. 12]).
Abb. 12 Flussdiagramm zur Entscheidungsfindung bei tiefen kariösen Läsionen in Abhängigkeit
vom vermuteten oder verifizierten Pulpastatus.
Merke
Klinisch sollte eine Pulpablutung innerhalb von 5 min zum Stehen gebracht werden können.
Anmerkung: Voraussetzung für eine vitalerhaltende Maßnahme bleibt immer eine Blutung.
Bei der Exposition der Pulpa gibt es jedoch auch Fälle, in denen kaum blutendes Gewebe
zu erkennen ist. Dies kann bisweilen auch als Hinweis auf eine beginnende (partielle
Nekrose) gedeutet werden. Die Abgrenzung ist folglich diffizil, und der klinische
Befund weist einen Interpretationsspielraum auf.
Kernaussagen
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Eine korrekte Diagnose des Status der Pulpa vor vitalerhaltenden Maßnahmen ist ein
Garant für eine erfolgreiche Behandlung, sodass hierfür eine genaue Beurteilung des
Infektions- und der Entzündungsgrads der Pulpa zwingend erforderlich ist [59].
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Den Zustand der Pulpa durch klinische Tests genau zu beurteilen und zwischen gesundem
und verändertem Pulpagewebe zu unterscheiden, gestaltet sich häufig schwierig [26].
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Histologisch verifizierte chronische Entzündungen, Mikroabszesse oder Nekrosen können
sowohl vor als auch nach vitalerhaltenden Maßnahmen ohne Beschwerdebild auftreten
[60]. Auch besteht nicht zwingend ein signifikanter Zusammenhang zwischen spontanen Schmerzen
vor der Behandlung und einer erfolgreichen vitalerhaltenden Maßnahme [57], [61].
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Trotz aller Einschränkungen liefern Sensibilitätstests deshalb wertvolle diagnostische
Informationen, wenn sie von einem erfahrenen Zahnarzt durchgeführt und interpretiert
werden [26]. Sensibilitätstests sollten mit einem möglichst kalten Medium (z. B. CO2-Schnee) erfolgen [11].
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Grundvoraussetzungen für alle vitalerhaltenden Maßnahmen sind eine zumindest regenerationsfähige
Pulpa und die Abwesenheit von Bakterien [62].
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Bei Einhaltung elementarer therapeutischer Spielregeln bei der Kariesexkavation ist
das Risiko einer Kontamination durch vorheriges Anlegen eines Kofferdams („conditio
sine qua non“) und einer stringenten peripher zentral gerichteten Exkavation in Verbindung
mit einer Kavitätentoilette (z. B. NaOCl) erheblich reduziert.
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Zusätzlich gibt es auf dem Gebiet der Überkappungsmaterialien sehr gute Präparate,
die nicht nur das ideale Milieu für die Vitalerhaltung schaffen, sondern auch noch
druckstabil und nicht resorbierbar sind.
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Zur Versorgung und Überschichtung von pulpalem Gewebe gelten hydraulische Zemente
auf Kalziumsilikatbasis [63] als viel versprechende Alternative zu Kalziumhydroxid.
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Voraussetzung für den Erfolg ist in allen Fällen eine definitive bakteriendichte Restauration.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. dent. Sebastian Bürklein, Münster.