Pneumologie 2019; 73(07): 397-398
DOI: 10.1055/a-0942-4142
Standpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Müssen Pneumologen für saubere Luft sein?

Auch ein Beitrag zum 70. Geburtstag der Verfassung der Bundesrepublik DeutschlandDo Respiratory Physicians Have to Advocate Clean Air?A Contribution to the 70th Anniversary of the Constitution of the Federal Republic of Germany
S. Ewig
Kliniken für Innere Medizin, Pneumologie und Infektiologie, EVK Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bochum
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Santiago Ewig
Kliniken für Innere Medizin, Pneumologie und Infektiologie
EVK Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bochum
Hordeler Str. 7 – 9
44623 Herne-Eickel

Publication History

Publication Date:
17 June 2019 (online)

 

    Die Frage klingt befremdlich, und das ist sie auch. Natürlich müssen sie. Doch was ist mit dieser Antwort gewonnen, die ebenso befremdlich, weil eigentümlich gegenstandslos klingt?

    Muss die SPD für Gerechtigkeit sein? Natürlich muss sie. Müssen die Kirchen für den Frieden sein? Natürlich müssen sie. Wieder stellt sich jedoch dieser schale Geschmack der Antworten ein; denn sie klingen nichtssagend, und sie sind es auch.

    Müssen Pneumologen für saubere Luft sein? Die Frage ist inhaltsleer, aber nur scheinbar arglos. Denn in Wahrheit fragt sie nicht nach dem Motiv, das Pneumologen leitet, sondern identifiziert eine definierte Position bezüglich des Weges dorthin mit dem Motiv selbst.

    Wenn die SPD für Gerechtigkeit ist, muss sie einen Weg zeichnen, der dorthin führen kann; wenn Kirchen für den Frieden sind, müssen sie sagen, wie sie diesen herstellen und wahren wollen. Damit setzen sie sich dem Diskurs über den besten Weg zu einem Ziel aus. Wenn sie aber das Ziel mit einem bestimmten Weg dorthin identifizieren, ist der Diskurs beendet; dann gibt es nur die Guten (die das Ziel und den Weg dorthin bejahen) und die Bösen (die das Ziel offenbar nicht teilen); es folgen nur noch moralische Verdikte über die, die ein bestimmter Weg nicht überzeugt oder die für andere Wege werben.

    Pneumologen müssen für saubere Luft sein. Aber 1) Was ist unter sauberer Luft zu verstehen? Was ist sauber genug?, 2) Wie wird die sauberste Luft erreicht? Gäbe es in diesen Fragen unter Pneumologen keine Kontroverse, wäre dies ein sicheres Zeichen für die Herrschaft eines einzigen Denkens und das Verschwinden eines Diskurses, mit anderen Worten, für die Herrschaft einer Ideologie.

    Dass Pneumologen für eine saubere Luft sein müssen, reflektiert den guten Willen unseres Berufsstandes; wir wollen Patienten Luft und damit Leben erhalten. Doch der gute Wille allein ist alles andere als ein Garant für ein gutes Ergebnis seines Bemühens. Im Gegenteil, der beste Wille kann ambivalente oder gar gegenteilige Folgen nach sich ziehen; ja, umgekehrt kann böser Wille sogar Gutes bewirken, wie bereits die Genesis in der Josephsgeschichte erzählt.

    Moralisches Handeln braucht einen guten Willen; es braucht aber auch ein Bewusstsein davon, dass es sich im Endlichen und Fehlbaren vollzieht und daher nur begrenzte Verfügung über die Folgen seines Handelns gewinnen kann. In der Frage nach den Wegen zu einer sauberen Luft gilt dies für die Fehlbarkeit der Erkenntnis der Problemlagen als auch für die Unsicherheiten der Folgen jedweder Intervention. Weil das so ist, kann es moralisches Handeln nur als Handeln von Personen mit einem wachen Gewissen geben, die sich der Begrenztheit ihrer Urteile und Handlungen bewusst sind und die die Verantwortung für die Folgen dieser Begrenztheiten zu tragen bereit sind.

    Ein solches Bewusstsein schließt jeden Anspruch auf alleinige Wahrheit aus, es lebt von seiner Irritierbarkeit und Lernfähigkeit. Dies schließt eine klare und auch leidenschaftliche Positionsnahme keineswegs aus, wohl aber einen Monopolanspruch auf Wahrheit, erst recht eine Identifikation von Zielen und Wegen.

    Ein solches Bewusstsein hat keine Chance der Entfaltung in einer Endzeitstimmung, die insinuiert, es gäbe keine Zeit mehr für Kontroversen, in Kampagnen, die vorgeben, eindeutig zu wissen, was zu tun sei und wie die Folgen dieses Tuns sein werden.

    Der Autor bekennt sich zu der Auffassung, dass deutsche Klimapolitik nur einen marginalen Einfluss auf die Entwicklung des Weltklimas haben kann und dass die These, deutsche Klimapolitik würde andere Länder zur Nachahmung anreizen, nicht viel mehr als Wunschdenken darstellt. Er fürchtet andererseits darum, dass deutsche Symbolpolitik die Potenziale schwächen könnte, die einzig im Weltmaßstab eine wahre Stärke Deutschlands darstellen, nämlich die Fähigkeiten zur Entwicklung neuer und besserer Umwelttechnologien.

    Ist der Autor damit gegen saubere Luft? Natürlich nicht. Er glaubt aber weder daran, dass andere hegemoniale Mächte wie USA, China, Indien, Russland oder Brasilien ihr hohes Energieniveau freiwillig nennenswert senken werden, noch an realistische schnelle Lösungen. Er hält es für unwahrscheinlich, dass es ohne technologische Innovationen bisher unbekannter Art eine Dekarbonisierung der Energie unter Erhaltung des aktuellen (und ja in Zukunft noch steigenden) Energie- und Wohlstandsniveaus geben kann.

    Er wünscht sich (weiterhin) keine Proliferation der Kernkraft, weil keine Technologie in Betrieb sein darf, deren schwere Störfälle (die es in dieser Welt immer geben wird) unkontrollierbare Folgen haben und für deren Abfälle es kein verantwortbares Entsorgungskonzept gibt. Er glaubt, dass es höchste Zeit ist, den Wettbewerb um neue Technologien jenseits der Karbonisierung anzufachen und gerade in unserem Land auf diesem Gebiet in großem Umfang zu investieren. Er hält wenig von Mobilisationen jugendlicher Gutwilligkeit und viel von Motivationen der Jugend zu Exzellenz und Innovation.

    Er ist als Pneumologe für saubere Luft. Natürlich. Aber er unterscheidet seine Vorstellungen über Wege dorthin vom allgemein geteilten Ziel. Er hat ein Bewusstsein davon, dass das Ziel einer „sauberen Luft“ sehr wohl unterschiedlich definiert werden kann und dass es jedenfalls nicht im luftleeren Raum zu verfolgen ist, vielmehr auch innerhalb anderer ebenso höchst legitimer Interessen und Ziele verortet werden muss, also gerade kein Absolutum darstellen kann.

    Er wünscht sich eine Gesellschaft, die die Komplexität der Problemlagen aushält, Nüchternheit und Realismus bewahrt, ihre eigentlichen Ressourcen mobilisiert, Moralismus meidet und den Diskurs um die besten Wege nicht unterdrückt sondern sucht.


    #

    Interessenkonflikt

    Der Autor gibt an, das kein Interessenkonflikt besteht.


    Korrespondenzadresse

    Prof. Dr. med. Santiago Ewig
    Kliniken für Innere Medizin, Pneumologie und Infektiologie
    EVK Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bochum
    Hordeler Str. 7 – 9
    44623 Herne-Eickel