Schlüsselwörter
Schädel-Hirn-Trauma - traumatische intrakranielle Blutung - traumatische axonale Schädigung
- Komplikationen
Abkürzungen
ADL:
Activities of daily Living
ATP:
Adenosintriphosphat
cCT:
kranielle Computertomografie
ICD:
International Classification of Diseases
MCS:
Minimally conscious State
SHT:
Schädel-Hirn-Trauma
SIADH:
Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion
SWI:
Susceptibility weighted Imaging
TGA:
transiente globale Amnesie
Epidemiologie
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes [1] wurden im Jahr 2016 in Deutschland 282 678 Personen mit der Hauptdiagnose eines
SHT vollstationär behandelt, davon über 80% mit einer Commotio cerebri. Diese Häufigkeit
kann hinterfragt werden, weil viele leichte Traumata in Unfallchirurgien ohne klinisch-neurologische
Diagnostik versorgt werden, meist genügen ein CT bei Aufnahme und ein im Weiteren
aus unfallchirurgischer Sicht unauffälliger Verlauf.
Häufigkeitsgipfel des SHT gibt es im Kleinkindes- und Jugendalter sowie bei Senioren
über 75 Jahre. Mittlerweile sind Stürze die häufigste Ursache, Kfz-Unfälle haben über
die Jahre ab-, Zweiradunfälle zugenommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes
starben 2015 5628 Personen mit der Hauptdiagnose eines SHT.
Klassifikation
Die Diagnose nach ICD-10 S06 (intrakranielle Verletzung) setzt Symptome einer Hirnbeteiligung
voraus ([Tab. 1], [Tab. 2]).
Tab. 1 Die ICD-10-GM-Klasse S06 – Intrakranielle Verletzung (gekürzt, nach DIMDI 2019 [1]).
Schlüsselnummer
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Subkategorie
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Bei den Subkategorien S06.0 bis S06.9 ist ein Bewusstseinsverlust mit einer zusätzlichen
Schlüsselnummer aus S06.7 zu verschlüsseln.
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S06.0
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Gehirnerschütterung (Commotio cerebri)
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S06.1
|
Traumatisches Hirnödem
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S06.20 – 28
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Diffuse Hirnverletzung – großer Hirngewebebereich betroffen
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S06.30 – 38
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Umschriebene Hirnverletzung – begrenzter oder umschriebener Hirngewebebereich betroffen
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S06.4
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Epidurale Blutung
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S06.5
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Traumatische subdurale Blutung
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S06.6
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Traumatische subarachnoidale Blutung
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S06.7-!
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Bewusstlosigkeit bei Schädel-Hirn-Trauma; das Ausrufezeichen markiert eine obligatorische Sekundärdiagnose
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Weniger als 30 Minuten
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30 Minuten bis 24 Stunden
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Mehr als 24 Stunden, mit Rückkehr zum vorherigen Bewusstseinszustand
|
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Mehr als 24 Stunden, ohne Rückkehr zum vorher bestehenden Bewusstseinszustand
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Dauer nicht näher bezeichnet
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S06.8
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Sonstige intrakranielle Verletzungen
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S06.9
|
Intrakranielle Verletzung, nicht näher bezeichnet
|
Eine Klassifikation leichter SHT im Sport wurde 1997 von der American Academy of Neurology
vorgestellt [2], später aber zugunsten einer checklistengestützten Diagnostik durch entsprechend
geschultes Hilfspersonal wieder aufgegeben ([Tab. 2]). Sie sollte vor allem eine „second Impact Injury“ verhindern helfen (s. u.).
Tab. 2 Pragmatische Einteilung leichter sportassoziierter Hirnverletzungen der American
Academy of Neurology (1997).
Einteilung
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Kennzeichen
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Grad 1
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Grad 2
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Grad 3
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Eine Studie an Boxern konnte zeigen, dass bei Grad-3-Kommotionen Defizite vor allem
der Aufmerksamkeit und von Gedächtnisleistungen über 3 – 7 Tage nachweisbar waren
[3].
Eine Kasuistik soll das leichte sportassoziierte SHT illustrieren (s. [Fallbeispiel 1]).
Fallbeispiel 1
Leichtes SHT beim Fußball
F: „Bei Ihrem Zusammenprall mit dem Argentinier (…) in der 17. Minute erlitten Sie
eine Gehirnerschütterung mit Bewusstseinsstörungen. Von dieser Szene an bis zu Ihrer
Auswechslung knapp eine Viertelstunde später wissen Sie nichts?“
A: „Null. Ich dachte, wenn ich mir die Fernsehbilder anschaue, kommt was zurück. Da
kam aber nichts.“
F: „Teamarzt und Physiotherapeut waren schnell bei Ihnen.“
A: „Und man sieht auf den Fernsehbildern, dass ich total normal wirke.“
F: „Sie haben dann eine Viertelstunde lang vollkommen normal weitergespielt.“
A: Aber ich war wahrscheinlich in dieser Welt nicht richtig drin: Ich habe am Spiel
teilgenommen, war aber nicht wirklich da.“
(Der Spiegel 34/2014) [4]
Die Erinnerung setzt erst wieder in der Kabine ein.
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie und Pathogenese
Gewalteinwirkungen auf den Schädel können für das Gehirn unterschiedliche Folgen haben.
Schädelbrüche absorbieren Energie und vermindern dadurch die Gewalteinwirkung auf
das Gehirn. Bei Impressionsfrakturen, insbesondere Schusswunden, kann eindringender
Knochen zu umschriebenen Zerstörungen führen. Außerdem können Frakturen in Verbindung
mit Zerreißungen der Hirnhäute eine Eintrittspforte für Keime, meist aus den Nasennebenhöhlen,
darstellen („offene Hirnverletzung“, „Liquorfistel“).
Verletzungsmechanismen beim gedeckten Schädel-Hirn-Trauma
Beim gedeckten SHT können mehrere Verletzungsmechanismen unterschieden werden:
Die fokale Schädigung unterhalb des Ortes der Gewalteinwirkung. Diese Kontusion wird
in der traumatologischen Literatur als „Coup“ bezeichnet.
Die lokale Gewalteinwirkung löst im Gehirn eine Stoßwelle aus, die ungefähr gegenüberliegend
am starren Schädel durch lokalen Über- und Unterdruck im Gehirn eine weitere Kontusion
bewirken kann („Contrecoup“). Bei Coup und Contrecoup kommt es nicht nur zu Quetschungen
des Gehirngewebes, sondern auch zu Gefäßzerreißungen und Blutungen, die ihrerseits
Gewebeschäden nach sich ziehen. Coup- und Contrecoup-Läsionen finden sich vor allem
orbitofrontal, frontopolar und temporal.
Die durch das Gehirn laufende Stoßwelle entspricht einer Abfolge von Fronten mit Unter-
und Überdruck, die zu Dehnungen und Zerreißungen von mehr oder weniger senkrecht zur
Welle stehenden Axonen und Gefäßen führen. Außerdem hat eine rotationale Komponente
der Gewalteinwirkung („Effait“) Scherkräfte an Grenzflächen unterschiedlicher physikalischer
Dichte zur Folge, wie an den Übergängen zwischen grauer und weißer Substanz. Die hervorgerufene
Pathologie wird als „traumatische axonale Schädigung“ (häufig fälschlich „diffuse
axonal Injury“, die Schädigung ist multifokal, nicht diffus) bezeichnet.
Prädilektionsorte im Großhirn sind ebenfalls Frontal- und Temporallappen. Im CT finden
sich meist erst nach mehr als 8 Stunden kleine Hyperdensitäten in Rindennähe, die
Blutungen aus eingerissenen Kapillaren entsprechen ([Abb. 1]). Das MRT kann je nach Sequenz hyper- und hypodense Läsionen (Blutungen und kleine
fokale Ödeme) darstellen. Suszeptibilitätsgewichtete Sequenzen können auch im chronischen
Stadium hämosiderinhaltige Läsionen nachweisen ([Abb. 2]).
Abb. 1 Kleine subkortikale Einblutungen als indirektes CT-Korrelat einer traumatischen axonalen
Schädigung.(Quelle: Wallesch C, Schmidt R. Prädiktoren anhand der Bildgebung. In:
Widder B, Gaidzik P, Hrsg. Neurowissenschaftliche Begutachtung. 3. Aufl. Stuttgart:
Thieme; 2018. doi:10.1055/b-005-143654
)
Abb. 2 Traumatische axonale Schädigung. Darstellung multifokaler punktförmiger Einblutungen,
vorwiegend im Bereich der weißen Substanz, als Indikator einer multifokalen axonalen
Schädigung in der MRT mittels einer Hämosiderin-sensitiven Sequenz (Susceptibility
weighted Imaging, SWI-Sequenz).(Quelle: Wallesch C, Schwenkreis P. Ätiologie und Pathogenese.
In: Diener H, Steinmetz H, Kastrup O, Hrsg. Referenz Neurologie, 1. Aufl. Stuttgart:
Thieme; 2019. doi:10.1055/b-006-163224
)
Beim intakten Schädel kann ein Druckausgleich des Über- und Unterdrucks der Stoßwelle
nur über das Hinterhauptloch erfolgen. Dies führt zu einer besonderen mechanischen
Belastung von Mittelhirn und Hirnstamm mit der makropathologischen Folge „traumatischer
Mittelhirnblutungen“.
Die prognostische Bedeutung von Mittelhirn- und Hirnstammläsionen wurde durch MR-tomografische
Untersuchungen belegt [5].
Mittelhirn- und Hirnstammsymptome prägen die Symptomatik nach schweren Hirntraumata:
Sekundärschäden entstehen durch traumatische Hirnschwellung, Hirnödem, raumfordernde
Blutungen (epidural, subdural, subarachnoidal, intrazerebral), im Weiteren dann durch
Krampfanfälle, Hypoxie, Hypotension und Infektionen (s. [Fallbeispiel 2]).
Fallbeispiel 2
Schwere Sekundärschäden bei initial milder Symptomatik
Ein bekannter Sportler stürzt beim Skifahren und schlägt mit behelmtem Kopf gegen
Stein, Helm birst. An Unfallstelle ansprechbar (klinisch initial am ehesten Commotio).
Transport im Helikopter.
Zwischenlandung zur Intubation (Epiduralhämatom? Hypoxie?).
Notoperation (Epiduralhämatom?), nach Entlastung intrazerebrale Blutungen, wohl aus
bis dahin komprimierten Gefäßen.
Wochenlange Beatmung, monatelange Frührehabilitation in Universitätsklinik.
Outcome unbekannt.
(Die Darstellung stützt sich ausschließlich auf allgemein zugängliche Veröffentlichungen.)
Es ist tierexperimentell belegt, dass die axonale Schädigung in einer biochemischen
Kaskade verläuft, deren Endpunkt ein Axonuntergang ist (Infobox 4). Bei leichterer
Schädigung kommt es zu einem vorübergehenden und umkehrbaren Funktionsverlust, der
mit einer erhöhten Vulnerabilität für ein weiteres Trauma einhergeht („second Impact
Injury“).
Die neurometabolische Kaskade der axonalen Schädigung nach SHT stellt [Tab. 3] dar (nach [6] aus [7]). Bis zu Stufe 7 ist der Schaden prinzipiell reversibel und führt nur zu vorübergehenden
Funktionsstörungen.
Tab. 3 Neurometabolische Kaskade der axonalen Schädigung nach Schädel-Hirn-Trauma.
Stufe
|
Kennzeichen
|
Quelle: Nach McCrea MA. Mild traumatic brain injury and postconcussion syndrome. New
York: Oxford University Press; 2008 [6]; aus Wallesch CW, Kulke H. Schädel-Hirn-Trauma. Neurologische Rehabilitation und
Neuropsychologie. Stuttgart: Kohlhammer; 2017 [7]
|
1
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unspezifische Depolarisation und Auslösung von Aktionspotenzialen
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2
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Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter
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3
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massiver Kaliumausstrom aus der betroffenen Axonregion
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4
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verstärkte Aktivität der Membranionenpumpen, um die Homöostase wiederherzustellen
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5
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vermehrte Glukoseutilisation zur ATP-Generierung, um den Energiebedarf der Ionenpumpen
zu decken; Voraussetzung ist ein ausreichendes Glukoseangebot
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6
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Laktatakkumulation
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7
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Kalziumeinstrom in die Zelle mit der Folge einer mitochondrialen Funktionsstörung
und dadurch Beeinträchtigung des oxidativen Metabolismus
|
prinzipielle Reversibilität der Schädigung bis Stufe 7
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8
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verminderte ATP-Produktion
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9
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Aktivierung von Calpain und Initiierung der Apoptose
irreversible Schädigung
|
MR-spektroskopische Daten von Sportlern mit erlittener Gehirnerschütterung dokumentieren
metabolische Veränderungen über Tag 14 hinaus [8]. Im chronischen Stadium lassen sich mittels Diffusion Tensor Imaging auch nach leichteren
SHT Axonverluste nachweisen, die mit kognitiven Defiziten korrelieren [9].
Die traumatische Hirnschwellung entsteht bei schwereren SHT durch Volumenzunahme der
Nerven- und Gliazellen in den ersten wenigen Stunden, das posttraumatische Ödem mit
Zunahme der extrazellulären Flüssigkeit erreicht seinen Höhepunkt nach ca. 12 Stunden,
woran sich eine tagelange Plateauphase anschließen kann. Blutungen ziehen im Verlauf
regionale Ödeme nach sich.
Weitere Ursachen sekundärer Schäden sind systemische Hypoxie und Hypotonie sowie anhaltende
Krampfanfälle.
Cave
Hirnschwellung, Ödem und raumfordernde Blutungen erhöhen durch die intrakranielle
Volumenzunahme den Hirndruck und senken dadurch den zerebralen Perfusionsdruck.
Typen traumatischer Hirnblutungen
Bei den traumatischen Hirnblutungen lassen sich die folgenden Typen unterscheiden:
Epiduralhämatom
Bei epiduralen Hämatomen handelt sich meist um Blutungen aus einer Hirnhautarterie
(typischerweise A. meningea media bei parietaler Fraktur). Da die Dura an den Schädelnähten
fixiert ist, hat das Hämatom in der Bildgebung meist eine konvexe Form ([Abb. 3]). Als arterielle Blutungen nehmen epidurale Hämatome rasch an Volumen zu und führen
binnen Minuten zu Hirndruck.
Abb. 3 Epidurales Hämatom. Nachweis eines akuten Hämatoms rechts temporal in der kraniellen
Computertomografie (cCT). Charakteristisch ist die konvexe Konfiguration des Hämatoms
(Pfeile).(Quelle: Wallesch C, Schwenkreis P. Ätiologie und Pathogenese. In: Diener
H, Steinmetz H, Kastrup O, Hrsg. Referenz Neurologie. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme;
2019. doi:10.1055/b-006-163224
)
Bei neurochirurgischer Evakuation innerhalb von maximal 2 Stunden ist die Prognose
epiduraler Hämatome günstig. Da ihnen in der Regel eine Fraktur zugrunde liegt, die
kinetische Energie bindet, ist die initial erlittene Hirnschädigung häufig gering.
Subduralhämatom
Ursache subduraler Hämatome ([Abb. 4]) ist meist der Einriss von Brückenvenen, die zwischen Dura und Arachnoidea verlaufen.
Menschen mit Hirnatrophie sind vermehrt gefährdet, weil bei ihnen die Brückenvenen
angespannt sind.
Risikofaktoren sind
Abb. 4 Bilaterales subdurales Hämatom. Nachweis eines bilateralen subduralen Hämatoms in
der MRT (T1-Sequenz). Charakteristisch ist die konkave Konfiguration. Die unterschiedliche
Signalintensität der beiden subduralen Hämatome spricht für eine zweizeitige Entstehung.(Quelle:
Wallesch C, Schwenkreis P. Ätiologie und Pathogenese. In: Diener H, Steinmetz H, Kastrup
O, Hrsg. Referenz Neurologie. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2019. doi:10.1055/b-006-163224
)
Da es sich um venöse Blutungen handelt, verläuft der Druckanstieg langsamer als beim
Epiduralhämatom. Mehrzeitige Blutungen/Nachblutungen sind häufig. Der Zerfall der
großen Hämoglobinmoleküle zu kleineren Molekülen führt zu einem osmotischen Sog und
damit zu weiterer Volumenzunahme infolge zunehmender Raumforderung.
Subarachnoidalblutung
Traumatische Subarachnoidalblutungen entstehen aus Zerreißungen von Hirnoberflächengefäßen
und weisen daher auf eine strukturelle Hirnverletzung hin ([Abb. 5]). Anders als spontane Subarachnoidalblutungen befinden sie sich meist über der Konvexität.
Vasospasmen können zu Infarzierungen als Sekundärschaden führen.
Abb. 5 Traumatische Subarachnoidalblutung. Bilaterale traumatische Subarachnoidalblutungen
in der cCT. Typisch ist der Nachweis von Blut (hyperdens) im Bereich der Konvexität,
das sich bis in die Tiefen der Sulci verteilt.(Quelle: Wallesch C, Schwenkreis P.
Ätiologie und Pathogenese. In: Diener H, Steinmetz H, Kastrup O, Hrsg. Referenz Neurologie.
1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2019. doi:10.1055/b-006-163224
)
Intrazerebrale Blutung
Intrazerebrale Hämatome entstehen durch Zerreißungen von Gefäßen des Hirnparenchyms
infolge der oben beschriebenen Stoßwelle oder im Rahmen von Kontusionen. Bei Verletzung
von Arterien sowie bei Vorliegen von Gerinnungsstörungen kann es zu raumfordernden
Blutungen und dadurch Sekundärschäden kommen. Intrazerebrale Hämatome entwickeln sich
häufig verzögert aus Sickerblutungen im Bereich von Kontusionen, häufig auch nach
Entlastung von epi- und subduralen Hämatomen (s. [Fallbeispiel 2]).
Symptomatik
Merke
Kardinalsymptome einer Hirnbeteiligung beim gedeckten SHT sind Bewusstseinsstörung
und amnestische Lücke. Bei offenen Schädel-Hirn-Traumata, insbesondere bei Schussverletzungen,
können diese wegen des Druckausgleichs über die Verbindung zum Außenraum fehlen („Contusio
sine commotio“).
Umschriebene Hirnschädigungen führen zu fokalen Symptomen, die ebenfalls für das Vorliegen
einer substanziellen Hirnverletzung beweisend sind.
Bewusstseinsstörung
Bewusstseinsstörungen nach SHT können quantitativer und qualitativer Natur sein: Quantitative
Bewusstseinsstörungen reichen von leichter Benommenheit über Somnolenz bis zum Koma.
Zwar korrelieren Dauer und Schwere der Bewusstseinsstörung beim gedeckten SHT mit
der Prognose, eine kurzdauernde Bewusstlosigkeit schließt jedoch erhebliche Hirnverletzungen
nicht aus.
Qualitative Bewusstseinsstörungen äußern sich als Delir/Verwirrtheitszustand, Orientierungsstörungen,
Halluzinationen, illusionäre Verkennungen und psychomotorische Unruhe. Sie sind häufig
mit Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus assoziiert.
Amnesie
SHT führen mit wenigen Ausnahmen zu anterograden und retrograden Amnesien, die im
Verlauf eine Tendenz zur zeitlichen Schrumpfung zeigen. Die verbleibende posttraumatische
Amnesie korreliert mit der Schwere der Hirnverletzung. Retrograde und anterograde
Amnesie betreffen unterschiedliche neuropsychologische Funktionen:
-
die retrograde den Abruf bereits gespeicherter Inhalte,
-
die anterograde die Enkodierung und/oder Speicherung und/oder den Abruf neu aufgenommener
Informationen.
Enkodierung und Transfer in den Langzeitspeicher erfolgen über den Hippocampus, die
Speicherung neokortikal. Der Abruf ist von der Funktion präfrontaler und anterior
temporaler Areale abhängig. Die genannten Strukturen liegen in Prädilektionsorten
sowohl fokaler Kontusionen als auch der traumatischen axonalen Schädigung. Die anterograde
Amnesie erstreckt sich häufig auch über Zeiträume, in denen der Patient wieder ansprechbar
war, z. B. die Untersuchung in der Notaufnahme (s. auch [Fallbeispiel 1]).
Innerhalb der akuten posttraumatischen Phase kann auch nach leichteren SHT eine transiente
globale Amnesie (TGA) auftreten [10] (s. [Fallbeispiel 3]).
Fallbeispiel 3
Ein junger Mann brachte eine sich heftig wehrende junge Frau in die psychiatrische
Notaufnahme. Der diensthabende Psychiater zog den Neurologen hinzu. Die Frau gab an,
den Mann noch nie gesehen zu haben, der Mann, dass seine Ehefrau nach einem Sturz
mit Kopfverletzung verwirrt sei. Die Frau und der Mann gaben für die Patientin unterschiedliche
Nachnamen an. Auf die Frage, welches Jahr wir hätten, lagen die Angaben der beiden
5 Jahre auseinander. Die Frau stellte immer wieder Orientierungsfragen: Wer ist der
Mann? Wo bin ich hier?, deren Antwort sie prompt vergaß und die sie dann erneut stellte.
Es stellte sich heraus, dass die beiden sich vor 3 Jahren kennengelernt und vor 2
Jahren geheiratet hatten, was für die Frau in die amnestische Lücke fiel. Der Zustand
hielt wenige Stunden an, für den Zeitraum der TGA bestand eine Amnesie. Nach Ablauf
der TGA war die Patientin neurologisch und orientierend neuropsychologisch unauffällig.
Tipp
Eine fachneurologische Untersuchung einschließlich orientierend neuropsychologischer/verhaltensneurologischer
Diagnostik innerhalb der ersten Woche nach Trauma verbessert die Identifikation von
Patienten mit struktureller Hirnschädigung bei als unauffällig befundeter Bildgebung
(häufig nur ein CT bei Aufnahme).
Bis zu der Hälfte der Patienten mit bleibender Hirnschädigung sollen bei rein unfallchirurgischer
Versorgung unerkannt bleiben.
Merke
Es wird daher grundsätzlich eine neurologische oder neurochirurgische Untersuchung
in den ersten Tagen nach SHT empfohlen.
Dabei kann auch die Ableitung eines EEG und der Nachweis einer Dynamik von Allgemeinveränderung
oder Herdbefunden im Verlauf ein sensibler Indikator für eine Hirnschädigung sein,
sofern medikamentöse Einflüsse und Vigilanzstörungen ausgeschlossen wurden [11].
Schweres Schädel-Hirn-Trauma
Klinische Hinweise auf ein schweres SHT sind in der Akutphase
-
anhaltendes Koma,
-
eine neurologische Halbseitensymptomatik,
-
pathologische Reflexe der Babinski-Gruppe und
-
vor allem Hirnstammsymptome wie
-
Ausfall von Hirnstammreflexen (Pupillenweite, Pupillenreaktion),
-
Beuge- und Strecksynergismen,
-
Veränderungen des Atmungstyps (Maschinenatmung, ataktische Atmung, Schnappatmung).
Bei schweren SHT helfen somatisch evozierte Potenziale bei der Prognosestellung. Der
beidseitige Verlust später Komponenten signalisiert eine ungünstige Prognose [12]. Auch bestimmte EEG-Befunde, z. B. ein Burst-Suppression-Muster, sind prognostisch
ungünstig.
Take Home Message
Symptome einer Hirnbeteiligung bei Schädel-Hirn-Trauma
-
beobachtete Bewusstlosigkeit oder Bewusstseinsstörung (wenn keine iatrogene Ursache
durch z. B. Sedation vorliegt)
-
neurologische Herdsymptome
-
Krampfanfall
-
anamnestische Angabe einer amnestischen Lücke
-
Darstellung in der Bildgebung:
-
Herdbefund oder Allgemeinveränderung im EEG mit zeitlicher Dynamik
Therapie
Die Initialbehandlung nach SHT ist in den Leitlinien „Schädel-Hirn-Trauma im Erwachsenenalter“
(AWMF 008-001, [13]) und „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ (AWMF 012-019, [14]) beschrieben. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Kortikosteroide in der Akutbehandlung
des SHT unwirksam sind [15].
Komplikationen
Hirnschwellung, Hirnödem, Hirndruck
In der ersten Stunde nach SHT kann bei schwereren Traumata eine Hirnschwellung durch
Volumenzunahme der Nerven- und Gliazellen entstehen. Das posttraumatische Ödem entwickelt
sich in den ersten Stunden nach SHT und erreicht seinen Höhepunkt nach 12 Stunden,
woran sich eine tagelange Plateauphase anschließen kann. Da das intrakranielle Volumen
durch den Schädel begrenzt ist, kommt es zu einem intrakraniellen Druckanstieg.
Merke
Klinisch zeigt sich beim nicht sedierten und relaxierten Patienten der Hirndruck an
einer Verschlechterung der Bewusstseinslage und Hirnstammsymptomen wie Beuge-Streck-
und Streck-Streck-Synergismen, Veränderungen der Pupillenweite und des Atemtyps.
Wenn das Hirnödem und damit die Volumenzunahme nur das Großhirn betrifft, kann es
zu einer Verlagerung des medialen Temporallappens in den Tentoriumschlitz mit der
Folge einer Kompression der Hirnschenkel (Folge: kontralaterale Hemiparese), der okulomotorischen
Nerven, des Mittelhirns und der Brücke kommen (innere Herniation). Bei Hirndruck in
der hinteren Schädelgrube kann ein Vorfall der Kleinhirntonsillen in das Hinterhauptloch
mit der Folge einer Atemlähmung oder hohen Rückenmarkkompression auftreten (Behandlungsmöglichkeiten
s. u.: [Infobox „Therapie“]).
Bei einer Kompression des Mittelhirns treten Beuge-Streck-Synergismen entweder spontan
oder auf Reize auf. Diese Haltung mit gebeugten Armen und gestreckten Beinen wird
auch als „Dekortikationshaltung“ beschrieben, sie entspricht dem Lähmungsmuster nach
Großhirnschädigung. Das Haltungsmuster des Streck-Streck-Synergismus mit gestreckten
Armen und Beinen wurde früher als „Dezerebrationshaltung“ bezeichnet, es markiert
den Übergang vom Mittelhirn- zum Bulbärhirnsyndrom und weist auf eine akute Lebensgefahr
hin. Beim Übergang zum Bulbärhirnsyndrom vertieft sich zunächst die Atmung bis hin
zur Hyperventilation in der „Maschinenatmung“, wird dann unkoordiniert („ataktische
Atmung“), bis schließlich die Schnappatmung ein finales Stadium anzeigt.
Der zunehmende Ausfall von Mittelhirn- und Hirnstammfunktionen zeigt sich im EEG mit
einer zunehmenden Allgemeinveränderung bis hin zum sich über ein Burst-Suppression-Muster
(Bursts von EEG-Aktivität mit zwischenzeitlicher Nulllinie) entwickelnden Nulllinien-EEG
sowie in einem Ausfall der somatosensibel evozierten Potenziale (die die Integrität
der Hirnstamm-Großhirn-Achse erfassen) und der späteren akustisch evozierten Potenziale.
Therapie
Möglichkeiten der Hirndruckbehandlung
-
Oberkörperhochlagerung um etwa 30 Grad – wirkt binnen Minuten.
-
Kontrollierte Hyperventilation bei beatmeten Patienten mit Absenken des CO2-Partialdrucks und reflektorischer Vasokonstriktion.
-
I. v. Gabe von hyperosmolaren Lösungen (Mannit oder Sorbit) – wirkt binnen Minuten,
aber nur für wenige Stunden, danach Ausschleichen wegen Rebound.
-
chirurgische Dekompression als individueller Heilversuch bei uneindeutiger Studienlage
-
Hypothermie – Wirkung nicht belegt, erhöht die Pneumonierate.
Posttraumatischer Hydrozephalus
Besonders gefährdet sind Patienten mit Blutungseinbruch ins Ventrikelsystem sowie
mit traumatischen Subarachnoidalblutungen. Pathophysiologisch handelt es sich um einen
Hydrocephalus malresorptivus ausgelöst durch Verklebungen der Arachnoidalzotten im
Bereich des Sinus sagittalis superior.
Klinisch kennzeichnen den posttraumatischen Hydrozephalus eine ausbleibende Besserung
oder sekundäre Verschlechterung vor allem von Aufmerksamkeitsfunktionen und psychomotorischer
Geschwindigkeit. Diagnosesichernd sind Besserungen nach u. U. wiederholten ausgiebigen
Liquorentnahmen [16].
Tipp
Zur Früherkennung wird ein cCT 6 Wochen nach schwererem Trauma mit intrakraniellen
Blutungen empfohlen.
Die Therapie erfolgt durch Shuntanlage.
Epileptische Anfälle
Man unterscheidet Früh- (innerhalb einer Woche) und Spätanfälle (danach). Frühanfälle
sind Ausdruck der akuten Verletzung und stellen einen Risikofaktor für das Auftreten
einer posttraumatischen Epilepsie dar. Sie dürfen nicht mit Beuge-Streck- und Streck-Streck-Synergismen
verwechselt werden, die Ausdruck einer oberen bzw. unteren Hirnstammschädigung meist
infolge von Hirndruck sind. Ob ein einzelner Frühanfall – abgesehen von einer evtl.
medikamentösen Anfallsdurchbrechung – einen hinreichenden Grund für eine auch nur
vorübergehende antiepileptische Behandlung darstellt, wird unterschiedlich gehandhabt.
Spätanfälle in Verbindung mit einer strukturellen Hirnschädigung sind als erstes Ereignis
einer posttraumatischen Epilepsie zu werten und legen auch bei einmaligem Ereignis
eine evtl. vorübergehende antiepileptische Behandlung nahe.
Praxis
Risikofaktoren für posttraumatische Epilepsien
Wesentliche Risikofaktoren für das Auftreten einer posttraumatischen Epilepsie sind
Ein erhöhtes Risiko besteht außerdem bei
-
fokalen neurologischen Ausfällen,
-
Alter über 30 Jahren,
-
Bewusstlosigkeit über 5 Minuten,
-
männlichem Geschlecht,
-
Alkoholabusus.
(nach [17])
Liquorfistel und Meningitis
Beim offenen SHT können Durarisse Eintrittspforten für Bakterien darstellen. Prädilektionsorte
sind die Frontobasis und der Bereich des Felsenbeins mit nahegelegenen Nebenhöhlen.
Hinweisend sind intrakranielle Lufteinschlüsse im CT und eine Rhinoliquorrhö. Im Verdachtsfall
führen szintigrafische und HNO-endoskopische Untersuchungen zur Diagnose des Lecks.
Neuroendokrine Störungen
Schwerere SHT betreffen häufig auch den Hypothalamus und die Hypophyse.
Beim Diabetes insipidus ist die Produktion von antidiuretischem Hormon vermindert,
der Urin wird nicht ausreichend konzentriert, der Körper verliert Wasser, und es kommt
zur Hypernatriämie. Beim Durstversuch steigt die Urinosmolarität nicht oder nur vermindert
an (Therapie: ADH).
Infolge eines SHT kann es auch zu vermehrter Ausschüttung von in der Hypophyse gespeichertem
ADH mit den Folgen von Hypervolämie und dadurch Hyponatriämie kommen (Syndrom der
inadäquaten ADH-Sekretion – SIADH).
Beim zerebralen Salzverlustsyndrom kommt es zur vermehrten Ausschüttung zerebraler
natriuretischer Peptide mit Flüssigkeits- und Natriumverlust sowie Hypovolämie und
Hyponatriämie (Therapie: Salzzufuhr und Fludrocortison).
Cave
Alle drei genannten Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes können lebensbedrohliche
Ausmaße annehmen.
Schließlich kann es nach schweren SHT akut oder auch im Verlauf zu einer traumatischen
Hypophyseninsuffizienz, meist mit sekundärer Hypothyreose und Hypocortisolismus kommen
[18]. Klinisch hinweisend sind
Rehabilitation
Die neurologische Rehabilitation nach SHT wie auch nach anderen Krankheiten gliedert
sich in Deutschland in 6 Phasen ([Tab. 4]).
Tab. 4 Phasen der neurologischen Rehabilitation in Deutschland (nach [20]).
Einteilung
|
Kennzeichen
|
Phase A
|
Behandlung in der Akutklinik.
|
Phase B
|
Behandlungs-/Rehabilitationsphase, in der noch intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten
vorgehalten werden müssen, mit dem Ziel, die Rehabilitationsfähigkeit zu erlangen.
Die Phase B ist dem akutstationären Sektor zugeordnet und verfügt in Deutschland über
mehr als 6000 Betten, dies entspricht einem Viertel der Akutneurologie.
|
Phase C
|
Behandlungs-/Rehabilitationsphase, in der die Patienten bereits in der Therapie mitarbeiten
können, in der sie aber noch kurativmedizinisch und mit hohem pflegerischem Aufwand
betreut werden müssen. Ziel ist Selbstständigkeit in ADL.
|
Phase D
|
Rehabilitationsphase nach Abschluss der Frühmobilisation. Ziel: soziale und ggf. berufliche
Teilhabe.
|
Phase E
|
Behandlungs- und Rehabilitationsphase nach Abschluss einer intensiven medizinischen
Rehabilitation – nachgehende Rehabilitationsleistungen und berufliche Rehabilitation.
|
Phase F
|
Behandlungs-/Rehabilitationsphase, in der dauerhafte unterstützende, betreuende und/oder
zustandserhaltende Leistungen erforderlich sind.
|
Die Prognose nach SHT ergibt sich wie nach anderen akuten Hirnschädigungen aus den
in der [Übersicht] zusammengefassten Faktoren.
Praxis
Prognose des Schädel-Hirn-Traumas
Die Prognose nach SHT ist abhängig von:
-
Art und Ausmaß der initialen Schädigung,
-
Komplikationen,
-
Komorbiditäten,
-
Intensität und Dauer der Therapie,
-
Aktivierung individueller Ressourcen:
-
kognitiv,
-
motorisch,
-
sozial,
-
finanziell.
Bei der Rehabilitation nach SHT stehen häufig neuropsychologische Beeinträchtigungen
im Vordergrund.
Zur Darstellung der Rehabilitation nach SHT sei auf [7] sowie die Leitlinien „Aufmerksamkeitsstörungen: Diagnostik und Therapie“ (AWMF 030-135,
[21]), „Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen“ (AWMF 030-124, [22]) und „Exekutive Dysfunktionen bei neurologischen Erkrankungen“ (AWMF 030 – 125,
[23]) verwiesen.
Hirnverletzungsfolgen
Schweres Schädel-Hirn-Trauma
Sehr schwere Hirnverletzungen können dauerhaft in ein apallisches Syndrom (Syndrom
reaktionsloser Wachheit, „Wachkoma“) einmünden. Dabei ist das Ausmaß der Hirnstammschädigung
prädiktiv [5]. Der Zustand minimalen Bewusstseins („minimally conscious State“, MCS) ist gegenüber
dem apallischen Syndrom gekennzeichnet durch den eindeutigen und reproduzierbaren
Nachweis von Selbst- und Umweltbewusstsein [24]. Der letzte Punkt ist in der Praxis am bedeutsamsten, die anderen eher trivial.
Übersicht
Merkmale des minimally conscious State
-
Befolgen einfacher Kommandos.
-
Gestische oder verbale Bejahung und Verneinung.
-
Verständliche Verbalisationen.
-
Zielgerichtetes Verhalten: Bewegungen oder Affektäußerungen, die in Zusammenhang mit
Umweltstimuli stehen und nicht auf Reflexaktivität zurückzuführen sind (z. B. Blickfixation,
Blickwendung, aber auch vegetative Reaktion auf Angehörige).
(nach [24])
Mittels funktioneller Neurophysiologie (z. B. P300) und funktioneller Bildgebung können
kognitive Prozesse auch ohne beobachtbares Verhalten im klinisch festgestellten apallischen
Syndrom bei einigen Patienten dargestellt werden. Auch diese Befunde sind als Ausdruck
eines MCS zu werten und sollten verstärkte Therapieanstrengungen nach sich ziehen.
Mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma
Auch jenseits des MCS, also bei nicht ganz so schweren Traumafolgezuständen, stehen
die Folgen der Hirnstammschädigung im Vordergrund (s.[ Infobox]).
Praxis
Folgen der Hirnstammschädigung nach mittelschwerem Schädel-Hirn-Trauma
Leichtes Schädel-Hirn-Trauma
Bei leichteren SHT dominieren neuropsychologische Defizite von Gedächtnis-, Aufmerksamkeits-
und Exekutivfunktionen, des Antriebs, der psychomotorischen Geschwindigkeit und des
Sozialverhaltens [25]. Die differenzierte Erfassung und Therapie von Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und
Exekutivfunktionen ist eine Domäne der klinischen Neuropsychologie. Betroffene klagen
vor allem über Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprobleme. Bei nur leicht Betroffenen
findet sich häufig eine vermehrte Ablenkbarkeit. Aufmerksamkeitsstörungen können zur
Fahruntauglichkeit führen, die Fahrerlaubnisverordnung schreibt eine Batterie neuropsychologischer
Tests zur Fahrtauglichkeitsdiagnostik vor.
Unter den Exekutivfunktionen können Steuerungs- und Planungsfähigkeit, Impulskontrolle,
die Fähigkeiten zu kategorisieren und zu abstrahieren, zu Kritik und Selbstkritik,
zum Wechsel zwischen Handlungen, zur Problemlösung sowie die Fähigkeit, sich in andere
hineinzuversetzen („Theory of Mind“, Empathie) betroffen sein, die psychometrisch
schwer zu erfassen sind. Hier, wie auch bei Störungen des Sozialverhaltens, geben
Fremdanamnese und Verhaltensbeobachtung wertvolle Hinweise.
Merke
Nach SHT sind Depressionen und Angststörungen deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung
[26]. In einer konsekutiven Serie von SHT aller Schweregrade fanden sich bei Nachuntersuchung
in 35% vermehrte Reizbarkeit, in 15% Antriebslosigkeit und in 3% soziale Disinhibition
[27].
Psychopathologisches Management
Psychopathologisches Management
Die Betreuung und Begutachtung von Patienten nach SHT erfordert beim Neurologen psychopathologische
Kompetenzen. Häufig ist die Gabe der psychopathologischen Beobachtung und Analyse
gut ausgeprägt, es hapert aber an Worten. Hierbei hat sich beim Autor die Neurobehavioural
Rating Scale [28] als Folie für einen neuropsychopathologischen Befund bewährt (s. [Infobox]). Es ist zu beachten, dass die Skala primär auf Patienten mit akuten Hirnverletzungen
zugeschnitten ist und nicht nur psychopathologische Inhalte enthält [11].
Praxis
Beobachtungskategorien der Neurobehavioural Rating Scale
-
Alertness bzw. Wachheit
-
Aufmerksamkeit
-
Verständnisstörungen
-
körperbezogene Beschwerden
-
ungewöhnliche Denkinhalte
-
Schuldgefühle
-
Irritabilität bzw. Ablenkbarkeit
-
Feindseligkeit bzw. unkooperatives Verhalten
-
formale Denkstörungen
-
Mangel an Initiative bzw. Motivation
-
Agitiertheit
-
Sprechstörungen
-
Gedächtnisstörungen
-
inadäquate Selbsteinschätzung
-
Angst
-
Affektlabilität
-
Enthemmung
-
Misstrauen
-
Umstellungsfähigkeit
-
Ermüdbarkeit
-
Desorientiertheit
-
expressive Störungen
-
motorische Verlangsamung
-
Halluzinationen
-
depressive Stimmung
-
Affektverflachung
-
Erregtheit bzw. Manie
-
emotionale Zurückgezogenheit
-
Planungsfähigkeit
(nach [28]; aus [19])
Kernaussagen
-
Neben die fokale Kontusion und die Kompression durch Raumforderung ist die diffuse
traumatische Schädigung als weiterer Mechanismus einer substanziellen Hirnschädigung
getreten.
-
Auch leichte Hirnverletzungen, z. B. beim Sport, erhöhen das Risiko schwerer Schäden
bei erneutem Trauma innerhalb der nächsten ca. 14 Tage („second Impact Injury“).
-
Schädel-Hirn-Traumata (SHT) führen zu anterograder und retrograder Amnesie, die im
Verlauf eine Tendenz zur zeitlichen Schrumpfung zeigen.
-
Klinische Hirndruckzeichen sind:
-
Verschlechterung der Bewusstseinslage,
-
Hirnstammsymptome wie Beuge-Streck- und Streck-Streck-Synergismen,
-
Veränderungen der Pupillenweite,
-
Veränderung des Atemtyps.
-
Epiduralhämatome können mit nur geringen Hirnverletzungsfolgen einhergehen, weil die
Schädelfraktur Energie absorbiert.
-
Ein apallisches Syndrom nach SHT ist Folge einer Mittelhirn-/Hirnstammverletzung [5].
-
Mittelhirn- und Hirnstammsymptome prägen die Symptomatik nach mittelschweren SHT:
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Claus-W. Wallesch, Elzach.