Nervenheilkunde 2019; 38(11): 813-818
DOI: 10.1055/a-0949-1367
Schwerpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Früherkennung der Alzheimer-Krankheit mit Biomarkern der Bildgebung oder aus dem Liquor

Early detection of Alzheimer’s Disease using imaging or cerebro-spinal fluid biomarkers
Timo Grimmer
1   Zentrum für kognitive Störungen, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

PD Dr. Timo Grimmer
Zentrum für kognitive Störungen, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
Ismaninger Str. 22, 81675 München
Tel. 089/41404262, Fax 089/41404923

Publication History

Publication Date:
04 November 2019 (online)

 

ZUSAMMENFASSUNG

Seit kurzem ist es möglich, die Alzheimer-Krankheit als die häufigste Ursache demenzieller Syndrome anhand von Biomarkern unabhängig von der klinischen Symptomatik zu diagnostizieren. Gerade die Biomarker, die die Amyloid-Pathologie anzeigen, werden bereits Jahre vor Auftreten der ersten klinischen Symptome positiv; werden zusätzlich die Biomarker der Tau-Pathologie und der Neurodegeneration positiv, erhöht sich die diagnostische Spezifität und die Wahrscheinlichkeit klinischer Verschlechterung im kürzeren Verlauf. Es wird die Güte der Biomarker für die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und für die Prognose des klinischen Verlaufs dargestellt.

Die Alzheimer-Biomarker erlauben die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit, bevor sich ein demenzielles Syndrom entwickelt. Damit können Patienten identifiziert werden, bei denen Interventionen zur Verzögerung des Fortschreitens der klinischen Symptomatik und des Verhinderns der Demenz erprobt werden.


ABSTRACT

Just recently, new diagnostic criteria for Alzheimer‘s disease (AD) allow the diagnosis of the disease solely on biomarkers independently from the clinical syndrome. In particular, biomarkers for Amyloid pathology already become abnormal many years before symptom onset. In addition, if biomarkers for Tau and neurodegeneration turn positive, diagnostic specificity and probability deterioration increases substantially. The usefulness of the AD biomarkers for early detection and prognosis will be discussed.

AD biomarkers allow the detection of AD already at the pre-dementia level. This offers the opportunity to identify candidates for disease-modifying treatment options.


Einleitung

Im Jahr 2011 wurden in den Forschungskriterien der Alzheimer-Krankheit Biomarker im Stadium der Demenz, also bei nachgelassener Kognition in mehreren Domänen und darauf resultierender Beeinträchtigung in der selbstständigen Alltagsbewältigung [[1]], in der prädemenziellen Phase der leichten kognitiven Störung [[2]], bei also noch weitgehend erhaltener selbstständiger Alltagsbewältigung, sowie in der asymptomatischen Phase [[3]], also ohne objektivierbare kognitive Defizite, aufgenommen. 2018 wurde in den aktualisierten Kriterien die Diagnose der Alzheimer-Krankheit, unabhängig von klinischen Stadien, allein auf Basis der Biomarker als Zeichen der pathologischen Veränderungen möglich [[4]]. Angelehnt an das Klassifikationssystem der Tumorerkrankungen kann ein Mensch mit Alzheimer-Krankheit auf dem AT(N)-System abgebildet werden. Basierend auf den typischen pathologischen Veränderungen der Alzheimer-Krankheit – den überwiegend aus dem Peptid Amyloid bestehenden Alzheimer-Plaques, den von hyperphosphoryliertem Tau geprägten Neurofibrillen sowie der neuronalen Schädigung mit Synapsen und Neuronenverlust – wird die Abnormalität eines Biomarkers für Amyloid als A+ , eines Markers für die Tau-Pathologie als T+ und eines Markers für Neurodegeneration als (N)+ bezeichnet. Für die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit bedarf es, wie in den pathologischen Kriterien auch, eines A+T+-Stadiums, die Neurodegeneration ist fakultativ, und die entsprechenden Biomarker werden als unspezifisch für die Alzheimer-Krankheit angesehen, daher wird das N als (N) angegeben.

Die Biomarker der Alzheimer-Krankheit umfassen gegenwärtig sowohl bildgebende als auch Liquormarker. Auf deren Güte zur Früherkennung der Alzheimer-Krankheit soll anhand exemplarischer jüngerer Studien in diesem Beitrag eingegangen werden. Die jüngsten Entwicklungen zu Biomarkern im Blut werden hier nicht behandelt.


Entwicklung der Biomarker-Abnormalitäten im Laufe der Alzheimer-Krankheit

Daten aus der Beobachtung von Menschen mit einer erblichen Form der Alzheimer-Krankheit mit autosomal-dominantem Erbgang im Rahmen des DIAN-Konsortiums ([ Abb. 1 ]) [[5]] als auch Daten von Menschen mit Alzheimer-Krankheit ohne nachgewiesene erbliche Genese, („sporadische“ Alzheimer-Krankheit) aus dem australischen Konsortium AIBL ([ Abb. 2 ]) [[6]], zeigten, dass im Rahmen des Fortschreitens der Erkrankung zunächst die Biomarker für Amyloid positiv werden; in der Regel bereits viele Jahre vor dem Auftreten erster klinischer Symptome wie Vergesslichkeit. Im Weiteren werden die Biomarker der Tau-Pathologie positiv, meist mit Beginn der klinischen Symptomatik, und im Folgenden die Biomarker der Neurodegeneration. Diese zeitliche Reihenfolge der Biomarker-Abnormalitäten passt gut zur Amyloid-Kaskaden-Hypothese der Alzheimer-Krankheit [[7]].

Zoom
Abb. 1 Veränderung der Biomarker bei autosomal-dominanter Alzheimer-Krankheit (Quelle: modif. nach [[5]])
Zoom
Abb. 2 Veränderung der Biomarker bei sporadischer Alzheimer-Krankheit (Quelle: modif. nach [[6]])

Amyloid-Pathologieanzeigende Biomarker

Diese umfassen gegenwärtig den Nachweis von Amyloid-Ablagerungen im Gehirn mithilfe spezifischer Radiopharmaka in der Positronenemissionstomografie (PET) und den Nachweis der verminderten Konzentration des Amyloid-Fragments 1–42 im Liquor cerebrospinales, möglicherweise noch genauer des verminderten Quotienten Amyloid1-42/1–40 im Liquor.

Amyloid-PET ist ein quantitativer Marker, der sehr eng mit der Dichte der histopathologisch gezählten Amyloid-Plaques korreliert [[8], [9]], und ist seit einigen Jahren als zugelassenes Diagnostikum mit kommerziellen Markern verfügbar. Es ist ein äußerst zuverlässiger Marker der Frühdiagnose der Alzheimer-Krankheit, der, je nach angelegtem Grenzwert, bei erblichen Formen 5–10 Jahre vor Symptombeginn [[5]] und bei sporadischen Formen bis zu 15 Jahre vor Eintritt des demenziellen Syndroms [[10]] positiv wird. Zusätzlich ist er ein hilfreicher Marker der Differenzialdiagnose, der nach ersten Forschungen 2008 [[11]] seit einigen Jahren allgemein zur Abgrenzung von Ursachen demenzieller Syndrome bei denen Amyloid ein Kennzeichen ist, von solchen, bei denen das nicht der Fall ist [[12]], etabliert ist. Bei Menschen mit leichter kognitiver Störung (mild cognitive impairment, MCI), einem ätiologisch heterogenen Syndrom, das oft eine prädemenzielle Form der Alzheimer-Krankheit darstellt, ist eine Amyloid-PET häufig positiv ([ Abb. 3 ]) [[13]]. Versucht man bei Menschen mit dem Syndrom der leichten kognitiven Störung eine Vorhersage des klinischen Verlaufs nach 2 Jahren unter Zuhilfenahme einer Amyloid-PET, so schließt ein negatives PET die Entwicklung einer Demenz bei zugrunde liegender Alzheimer-Krankheit aus (negativer prädiktiver Wert, NPV = 100 %), natürlich nicht das Voranschreiten zu einer Demenz aufgrund einer nicht durch Amyloid verursachter Ätiologie. Ein positives Amyloid-PET hingegen schließt eine Remission der kognitiven Störungen im Verlauf aus, nach 2 Jahren kann der Betroffene aber weiterhin an einer leichten kognitiven Störungen bei Alzheimer-Krankheit leiden oder bereits eine Demenz bei Alzheimer-Krankheit entwickelt haben [[14], [15]].

Zoom
Abb. 3 Amyloid-Positivität bei unterschiedlichen neurodegenerativen Erkrankungen (Quelle: modif. nach [[13]])

Die S3-Leitlinie Demenzen empfiehlt die Amyloid-PET gegenwärtig als ein mögliches Diagnostikum zur Differenzialdiagnose unklarer demenzieller Entwicklungen [[16]]. Möglicherwiese wird sich der Stellenwert künftig erhöhen. Eine Studie an über 6900 Patienten mit leichter kognitiver Störung und an über 4500 Patienten mit Demenz zeigte, dass das Ergebnis einer Amyloid-PET in über 60 % der Fälle zu einer Änderung des klinischen Managements, meistens in Form einer Anpassung der Medikation, führte [[17]].

Der erniedrigte Spiegel von β-Amyloid 1–42 in Liquor wird, mit bis zu 10 Jahren vor Symptombeginn, ähnlich frühzeitig im Krankheitsverlauf auffällig wie der Biomarker Amyloid-PET, wie zumindest bei den autosomal-dominanten Formen der Alzheimer-Krankheit gezeigt wurde ([ Abb. 1 ]) [[5]]. Möglicherweise ist der Quotient β-Amyloid 1–42/1–40 noch genauer für die Erkennung der Alzheimer-Krankheit [[18]]. Menschen mit leichter kognitiver Störung haben bei Vorliegen eines positiven Biomarkers von β-Amyloid 1–42 in Liquor ein erhöhtes Risiko kognitiver Verschlechterung in den kommenden 5 Jahren; insbesondere bei gleichzeitiger Positivität für einen Biomarker der Neurodegeneration (hier: FDG-PET) steigt das Risiko auf eine Hazard ratio (HR) von 3,36 bis 3,85 an [[19]].

Bei der Frage, ob man den Biomarker für Amyloid besser mit PET oder mit Liquor bestimmen soll, sollten neben den Erwägungen der Verfügbarkeit, der Kosten, der Kostenerstattung, der Strahlenexposition und der Invasivität, auch bedacht werden, dass die beiden Verfahren mit AUCs von ca. 85 % für die Diagnose einer zugrunde liegenden Alzheimer-Krankheit wahrscheinlich gleichwertig sind [[20]], Amyloid-PET aber ein quantifizierbarer Marker der kumulativen Amyloid-Pathologie ist und β-Amyloid 1–42 im Liquor eher der verminderten Amyloid-Clearance, und dass das Ausmaß der Auffälligkeiten in beiden Biomarkern entsprechend nur in liquornahen Hirnarealen korreliert [[21]].


Tau-Pathologieanzeigende Biomarker

Diese beinhalten gegenwärtig den Nachweis von Tau-Ablagerungen im Gehirn mithilfe spezifischer Radiopharmaka in der PET als auch den Nachweis erhöhter phosphorylierter Tau-Peptide, typischerweise des Tau181, im Liquor. Die Tau-anzeigenden Biomarker werden typischerweise erst später als die Amyloid-anzeigenden Biomarker im Verlauf der Alzheimer-Krankheit positiv. Zur frühen Diagnose einer Alzheimer-Krankheit eignen sich diese trotz der entsprechenden geringeren Sensitivität durch ihre hohe Spezifität, sodass bspw. mit Tau-PET eine Unterscheidung zwischen Gesunden und Patienten mit leichter kognitiver Störung bei zugrundel iegender Alzheimer-Krankheit immer noch mit einer AUC von 86 % gelingt [[22]].


Neurodegenerationanzeigende Biomarker

Diese eher heterogene Kategorie beinhaltet die Erhöhung aller durch Pan-Tau-Antikörper gemessene Tau-Peptide im Liquor, das total Tau (tTau), weiterhin den Alzheimer-typischen Hypometabolismus in der FDG-PET, als auch das verminderte Hirnvolumen, gemessen über voxelbasierte Morphometrie. Diese Biomarker stellen letztlich eine sehr heterogene Gruppe dar, und Patienten mit Alzheimer-Krankheit sind je nach Stadium nicht auf jedem der Marker positiv [[23]]. Im Verlauf der Alzheimer-Krankheit werden diese erst nach Symptombeginn, ([ Abb. 1 ]) [[5]], und wenige Jahre vor der Entwicklung eines demenziellen Syndroms ([ Abb. 2 ]) [[6]], also relativ spät, positiv. Herausgehoben unter diesen Biomarkern soll hier einmal die strukturelle Hirnatrophie, gemessen mit MRT, werden. Ein zerebrales MRT wird ohnehin regelhaft zur Diagnostik eines demenziellen Syndroms durchgeführt („Soll“-Empfehlung, Empfehlungsgrad A [[16]]). Während die visuelle Beurteilung der Atrophie seit vielen Jahren etabliert ist [[24]], könnte der Nutzen als ein Biomarker für die Alzheimer-Krankheit über die Verwendung kommerziell verfügbarer und schnell durchführbarer automatisierter Verfahren zur objektiven Bestimmung der Atrophie zusätzlich steigen. So gelang unlängst eine Unterscheidung zwischen Gesunden und Menschen mit leichter kognitiver Störung bei Alzheimer-Krankheit unter zusätzlicher Verwendung solcher Auswertemethodik mit einer AUC von bis zu 90 % [[25]].



Fortschritte in der liquorbasierten Biomarker-Diagnostik

Während die Vergleichbarkeit der im Liquor bestimmten Biomarker der Alzheimer-Krankheit zwischen Tests und Laboren über viele Jahre eher schwierig war, haben sich in den letzten Jahren durch die Verbreitung von automatisierten Analyseplattformen und die Verbesserung der Qualität der Tests in der Zwischenzeit Variationskoeffizienten von, je nach Parameter, höchstens 10 % ergeben (https://neurophys.gu.se/english/departments/psychiatry_and_neurochemistry/Neurochemical_pathophysiology_and_diagnostics/TheAlzAssQCProgram/about).

FAZIT FÜR DIE PRAXIS

Seit einigen Jahren ist es möglich, die Alzheimer-Krankheit unabhängig von den klinischen Symptomen mittels Biomarker zu diagnostizieren. Während Amyloid-Biomarker als erste im Krankheitsverlauf positiv werden, erhöhen die Biomarker der Tau-Pathologie und der Neurodegeneration die Spezifität der Diagnose. Biomarker für die Bildgebung mit PET als auch für die Diagnostik mit Liquor stehen kommerziell zur Verfügung und erlauben eine diagnostische Trennung der Alzheimer-Krankheit von anderen Ursachen kognitiver Beeinträchtigung und Demenz. Die Alzheimer-Biomarker erlauben die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit bereits Jahre bevor sich ein demenzielles Syndrom entwickelt. Damit können auch Patienten identifiziert werden, bei denen Interventionen zur Verzögerung des Fortschreitens der klinischen Symptomatik und des Verhinderns der Demenz erprobt werden.

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbedingungen für diesen Beitrag

PD Dr. med. Timo Grimmer, München.


Bibliografie

DOI https://doi.org/10.1055/a-0949-1367 Nervenheilkunde 2019; 38: 813–816 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0722-1541




Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen

Forschungsförderung erhalten: ja. Honorare/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja; Bezahlter Berater/interner Schlungsreferent/Gehaltsempfänger: ja; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma: nein

Erklärung zu nicht finanziellen Interessen

Es liegen keine Interessenkonflikte vor.


Korrespondenzadresse

PD Dr. Timo Grimmer
Zentrum für kognitive Störungen, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
Ismaninger Str. 22, 81675 München
Tel. 089/41404262, Fax 089/41404923


Zoom
Abb. 1 Veränderung der Biomarker bei autosomal-dominanter Alzheimer-Krankheit (Quelle: modif. nach [[5]])
Zoom
Abb. 2 Veränderung der Biomarker bei sporadischer Alzheimer-Krankheit (Quelle: modif. nach [[6]])
Zoom
Abb. 3 Amyloid-Positivität bei unterschiedlichen neurodegenerativen Erkrankungen (Quelle: modif. nach [[13]])