Einleitung
Der initiale klinische Befund auf der Stirn des Patienten ließ an eine kutane Anthrax-Infektion
denken. Hierzu passend war die „kohleartige“ festhaftende schwarze Nekrose. Entsprechende
mikrobiologische Untersuchungen erfolgten im Robert-Koch-Institut auf Bacillus anthracis
als auch auf Kuhpockenerreger (Orthopoxviren). In einer Biopsie von einer kutanen
Läsion nach disseminierter Aussaat sowie in einer Leberbiopsie wurde die Diagnose
eines diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms (DGBCL) gesichert. Es ist ein immunhistologisch
heterogenes Non-Hodgkin-Lymphom. DGBCL sind in 30 % nodalen Ursprungs, können jedoch
auch von der Haut und anderen extranodalen Organen ausgehen, was der Erkrankungsgruppe
ein klinisch sehr heterogenes Bild verleiht. Kutane Manifestationen erscheinen häufig
unspezifisch mit ekzematöser, lichenoider oder nodulärer Morphe. Weitere kutane B-Zell-Lymphome
umfassen das primär kutane Marginalzonen B-Zell-Lymphom oder das intravaskuläre großzellige
B-Zell-Lymphom. Klinisch eindrucksvoll war die fulminante AZ-Verschlechterung des
Patienten im stationären Verlauf, was retrospektiv die richtige Einordnung der Dignität
möglich macht. Mittels Immunhistologie und molekularbiologischer Untersuchungen gelingt
heute die weitere Typisierung der Mehrzahl von Lymphomen, was eine Relevanz für die
Therapie und Prognose beinhaltet.
Anamnese
Ein 82-jähriger Patient stellte sich primär über die Hautambulanz mit einer akut aufgetretenen,
rasch progredienten Hautveränderung an der Stirn oberhalb des rechten Auges vor. Diese
bestand zu diesem Zeitpunkt seit etwa 10 Tagen, mit stetiger Vergrößerung und zentral
sich ausbildender schwarzer Kruste. Es bestanden nur mäßige Schmerzen, ein Trauma
oder Tierkontakt ließen sich nicht eruieren. Zusätzlich zeigte sich eine ausgeprägte
Oberlidschwellung. Ambulant in einer HNO-ärztlichen Behandlung, zuletzt auch stationär,
wurden Antibiotika eingesetzt, u. a. die parenterale Gabe von Cefuroxim und Decortin.
Anamnestisch war bei dem Patienten eine Colitis ulcerosa sowie ein Diabetes mellitus
Typ 2 (IDDM) bekannt. Aufgrund der chronisch entzündlichen Darmerkrankung wurde der
Patient langjährig immunsuppressiv mit Azathioprin behandelt.
Klinik
Bei Aufnahme sahen wir einen Patienten in leicht reduziertem Allgemeinzustand und
präadipösem Habitus. In der klinischen Untersuchung präsentierte sich der Patient
kardiopulmonal unauffällig, keine Stuhlunregelmäßigkeiten bei bekannter CED und gut
eingestelltem Diabetes. Im Aufnahme-Labor zeigte sich im Blutbild eine Linksverschiebung
mit Neutrophilie und Lymphopenie, ein gering eleviertes CRP mit 12,2 mg/l (Normwert:
< 5 mg/l) und erhöhte Leberwerte (ALAT 1,4 µkatal/l; ASAT 1,3 µkatal/l).
Lokalbefund
An der Stirn rechtsseitig oberhalb der Augenbraue zeigte sich eine 3,5 cm messende
Plaque mit zentral festhaftender schwarzer Nekrose und erhabenem livid-erythematösen
Randwall ([Abb. 1 ]). Zusätzlich bestand eine deutliche Schwellung des rechten Ober- und Unterlids.
Abb. 1 Lokalbefund von Aufnahme mit einer an der Stirn ca. 3,5 cm messenden ulzerierten
Plaque mit festsitzender schwarzer Nekrose und erhabenem livid-erythematösen Randwall.
Differenzialdiagnostik
Der klinische Befund ließ als initiale Arbeitsdiagnose an eine kutane Anthrax-Infektion
denken. Hierzu passte der vom Patienten initial bemerkte klinische Befund eines kleinen
entzündlichen Knotens als auch die sich im Verlauf ausbildende schwarze festhaftende
Nekrose und ipsilaterale Schwellung. Dagegen sprach der nur wenig eingeschränkte Allgemeinzustand
ohne Fieber, Unwohlsein oder Kopfschmerzen. In der initialen Biopsie aus dem Randbereich
der Ulzeration zeigte sich eine granulomatös imponierende Entzündung. Der einseitige
Befund an der Stirn ließ formal auch an einen atypisch nekrotisch verlaufenden Herpes
zoster denken. Serologisch und mittels einer PCR konnte sowohl ein Herpes simplex-
als auch ein Herpes zoster-Infekt ausgeschlossen werden.
Für eine weitere Antibiose und zum Ausschluss einer Infektion mit atypischen Erregern
(atypische Mykobakterien, Mykosen) wurden sowohl Abstriche als auch Biopsiematerial
hinsichtlich dieser Erreger mikrobiologisch untersucht. Eine PCR aus dem Biopsiematerial
auf Mycobacterium tuberculosum und atypische Mykobakterien verlief negativ.
Weiter wurden Abstriche auf Dermatophyten und Schimmelpilze untersucht. Differenzialdiagnostisch
musste beim Aufnahmebefund auch an eine vaskulitisch-rheumatologische Genese gedacht
werden wie z. B. an eine Manifestation eines Lupus erythematodes. In den immunologischen
Untersuchungen zeigten sich ein normwertiger ANA-Titer und fehlende ANCAs.
In den aus der Primärläsion gewonnenen Abstrichen waren gramlabile Stäbchen zu finden
mit z. T. endständigen Sporen. Zur weiteren mikrobiologischen Diagnostik erfolgten
bei entsprechend klinischem Verdacht im Referenzlabor des Robert-Koch-Instituts sowohl
Untersuchungen auf Bacillus anthracis als auch auf Kuhpockenerreger (Orthopoxviren).
Therapie und Verlauf
Bei initial bestehendem Verdacht auf eine kutane Anthrax-Infektion leiteten wir entsprechend
den aktuellen RKI-Richtlinien eine Antibiose mit Penicillin 3 × 10 Mio IE i. v. ein.
Darunter zeigte sich keinerlei Besserung des Hautbefundes. Im weiteren stationären
Verlauf auf der dermatologischen Station sahen wir eine rasch eintretende fulminante
Allgemeinzustandsverschlechterung des Patienten mit nun auftretenden rezidivierenden
Fieberschüben bis 40,0 °C und plötzlich disseminierter Aussaat neuer kutaner Herde
ähnlich der Morphe der primären Läsion ([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Klinische Verschlechterung des Patienten im stationären Verlauf mit Fieber und disseminiert
neu aufgetretenen livid-erythematösen Papeln am gesamten Integument.
Bei Nachweis von grampositiven Kokken mit Resistenzen u. a. gegenüber Penicillin in
Abstrichen und Blutkulturen eskalierten wir entsprechend dem klinischen Zustand die
Antibiose auf Ceftazidim und Vancomycin.
Zwischenzeitlich gingen die Befunde aus dem Referenzlabor ein, es ergab sich kein
Nachweis von Bacillus anthracis und Orthopoxviren.
Nach einem nächtlichen Sturz initiierten wir eine CCT-Untersuchung, um mögliche intrakranielle
Traumafolgen auszuschließen, und zusätzlich bei weiter bestehendem hohem Fieber unklarer
Genese und Dignität zur weiteren Fokussuche eine CT-Thorax/Abdomen ([Abb. 3 ]). Hier zeigten sich nun multiple Rundherde in allen Lungenlappen, Leberlappen, in
beiden Nieren sowie in der rechten Nebenniere. Ein kraniales CT war unauffällig.
Abb. 3 Im CT multiple Rundherde in allen Leberlappen, beiden Nieren sowie multiple Lungenrundherde.
Zur weiteren Diagnoseklärung erfolgte eine erneute Biopsie zur histologischen Untersuchung
von einer neuen entzündlichen Papel am linken Oberschenkel. Zusätzlich wurde ein Leberrundherd
biopsiert.
Die histologische Aufarbeitung und immunhistochemischen Färbungen von beiden Präparaten
zeigten jeweils ein auffälliges Infiltrat aus pathologisch vergrößerten CD20-positiven
B-Lymphozyten. Diese exprimierten Mum1, CD30, ohne Expression von Bcl6 und CD10. Zusammenfassend
handelte es sich in beiden Biopsien um eine Manifestation eines diffus großzelligen
B-Zell-Lymphoms vom ABC-Subtyp an der Haut und in der Leber ([Abb. 4 ] und [Abb. 5 ]). Hierbei handelt es sich um ein systemisches B-Zell-Lymphom mit sekundärer Manifestation
an der Haut. Die Histologie wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Pathologie
der Universitätsmedizin Greifswald bewertet.
Abb. 4 Histologie der Hautbiopsie. a Deutlich sichtbarer Ephiteliotropismus (Follikelepithel). b Es zeigen sich große Lymphozyten mit hellem Zytoplasma und einzelne Mitosen. c Die Zellen sind kräftig CD20+.
Abb. 5 Histologie der Leberbiopsie. a HE, Übersicht „verdrängendes“ lymphozytäres Infiltrat. b Giemsa. c Deutlich sichtbare CD20+-B-Lymphozyten. d Mum1 positiv. e Bcl6 negativ. f Ki-67 kräftig. g CD10 negativ. h FOXP1 equivocal.
Im weiteren Verlauf zeigte sich der Patient klinisch zunehmend verschlechtert mit
hypoxämisch respiratorischer Insuffizienz, die eine nicht invasive Beatmung (NIV)
notwendig machte. Bei rezidivierenden Fieberschüben über 39 °C unter eskalierter Antibiose
mit nunmehr Meropenem, Linezolid und zusätzlich liposomalem Amphotericin B sowie persistierender
NIV-Pflichtigkeit wurde der Patient auf eine Intensivstation verlegt. Dort war die
nicht invasive Beatmung über insgesamt 11 Tage notwendig. Infektiologisch erfolgte
hier ergänzend, noch in Unkenntnis des histologischen Ergebnisses der Biopsien, mittels
Sputumdiagnostik und Quantiferon-Test erneut der Tuberkuloseausschluss. Auch eine
parallel bestehende Pneumocystis jirovecii-Pneumonie bei aktuell bestehender respiratorisch
hypoxämischer Insuffizienz wurde ausgeschlossen. Insgesamt ergab sich kein spezifischer
Keimnachweis in Blutkulturen, Trachealsekret und Urin, weshalb die antimikrobielle
Therapie im Verlauf nach Erhalt der histologischen Befunde komplett beendet wurde.
Im Rahmen des weiteren Stagings hinsichtlich des histologisch nachgewiesenen systemischen
Lymphoms erfolgte eine Knochenmarkaspiration (KMA), in der eine Infiltration des Knochenmarks
durch das diffus großzellige B-Zell-Lymphom ausgeschlossen werden konnte. Bei Stabilisierung
des Patienten erfolgte noch auf der Intensivstation die Einleitung einer zytostatischen
Therapie mit Vincristin und Prednisolon zunächst mit dem Ziel des Erreichens einer
Remission. Nach ausreichender klinischer Besserung konnte der Patient auf eine periphere
hämato-onkologische Station zur weiteren Therapie verlegt werden. Hier wurde die zytostatische
Vorphase auf insgesamt 9 Tage ausgedehnt. Im weiteren Verlauf zeigte sich der Patient
jedoch delirant und in stark reduziertem Allgemeinzustand. Bei weiter progredienter
Verschlechterung wurden die zytostatischen Therapieansätze beendet. In Rücksprache
mit der Ehefrau wurde die palliative Weiterbetreuung mit entsprechender Symptomlinderung
besprochen. Im Beisein der Ehefrau verstarb der Patient nach 6-wöchigem Krankheitsverlauf.
Diskussion
Das diffus großzellige B-Zell-Lymphom (DGBCL) ist per definitionem eine lymphatische
Neoplasie der B-Zell-Reihe. Das diffus großzellige B-Zell-Lymphom ist die häufigste
Neoplasie des lymphatischen Systems. Wichtige Subtypen sind das T-Zell/Histiozyten-reiche
großzellige B-Zell-Lymphom, das primär kutane diffuse großzellige B-Zell-Lymphom der
unteren Extremität („leg type“) und das Epstein-Barr-Virus-positive diffuse großzellige
B-Zell-Lymphom des älteren Menschen.
DGBCL sind in 30 % nodalen Ursprungs, können jedoch auch von der Haut und anderen
extranodalen Organen ausgehen, was der Erkrankungsgruppe ein klinisch sehr heterogenes
Bild verleiht. Die kutane Manifestation erscheint häufig unspezifisch mit ekzematöser,
lichenoider oder nodulärer Morphe. B-Zell-Lymphome im Speziellen zeigen sich vermehrt
als indolente rote bis rotbraune Papeln und Knoten auf der Haut. Weitere kutane B-Zell-Lymphome
umfassen das primär kutane Marginalzonen-B-Zell-Lymphom oder das intravaskuläre großzellige
B-Zell-Lymphom. Lymphatische Neoplasien der B-Zellreihe sind mit 22 % wesentlich seltener
als T-Zell-Lymphome (73 %) [3 ]. Nach der aktuellen WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2016 bilden die reifen B-Zell-Lymphome
eine große Gruppe an Tumorentitäten neben den Hodgkin-Lymphomen und der Gruppe der
reifen T- und NK-Zell-Lymphomen [4 ]. Innerhalb der reifen B-Zell-Lymphome findet sich dann das DGBCL. Non-Hodgkin-Lymphome
wie das Burkitt-Lymphom oder die Haarzellleukämie können mit EBV-Infektionen assoziiert
sein. In diesem Fall war die EBV-Diagnostik kein Bestandteil der Differenzialdiagnostik,
jedoch gibt es Fallbeschreibungen, in denen ein DGBCL bei einem EBV-positiven Patienten
diagnostiziert wurde [1 ]
[2 ]. Die Prognose des DGBCL bei klinischer Ausprägung mit einer kutanen Läsion ist überwiegend
gut, während das Vorliegen von mehreren Läsionen mit einer weitaus schlechteren Prognose
assoziiert ist. Histologisch kommt ein Infiltrat aus Zentroblasten und/oder Immunoblasten
zur Darstellung. Durch Genexpressionsanalysen konnten in den letzten Jahren 2 Subgruppen
identifiziert werden, was auch in der neuen WHO-Klassifikation berücksichtigt wurde:
der ABC-Subtyp, wie in diesem Fall, vom aktivierten B-Zell-Typ (activated B-cell type)
sowie das DGBCL vom keimzentrumszellähnlichen Typ (germinal-center B-cell like-Typ)
[5 ]. Diese Spezifikation hat klinische Relevanz und prognostischen Wert, da der ABC-Subtyp
über eine NF-KB-Deregulation eine schlechtere Prognose aufweist als das DGBCL vom
Keimzentrumstyp [6 ]. Besonders sog. „double-expressor lymphoma“ mit Koexpression von Myc und BCL2 weisen
eine schlechte Prognose auf [2 ]. Mittels immunhistochemischen Untersuchungen konnte in diesem Fall ein diffus großzelliges
B-Zell-Lymphom vom ABC-Subtyp identifiziert werden, es zeigte sich das entsprechende
Muster mit geringer Expression von CD10, Bcl6 und FOXP1 bei gleichzeitig starker Expression
von BCL2 und Mum1 [7 ]. Die aktuelle WHO-Klassifikation beweist, dass die Mutationen inzwischen besser
verstanden sind, jedoch die klinische Relevanz weiter untersucht werden muss [2 ].
Die Therapie des DGBCL ist ein aktueller Forschungsschwerpunkt. Klassisch erfolgt
eine Chemotherapie als R-CHOP (Rituximab, Cyclophosphamid, Hydroxydaunomycin, Vincristin,
Prednisolon) bzw. R-EPOCH (R-CHOP + Etoposid) unter ZNS-Prophylaxe (2 Zyklen intrathekales
MTX 1,5 g/m2 ). Nach weiterer Subtypisierung mittels Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung und Immunhistochemie
sollten Patienten, wenn möglich, in klinische Studien eingeschlossen werden. Weitere
Therapien wie die CART (Immuntherapie mit chimären Antigenrezeptor-T-Zellen) oder
mit Checkpoint-Inhibitoren sind im Fokus als mögliche zukünftige Behandlungsoption
für das DGBCL.