Einleitung
Das Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm)
an der Universität Osnabrück wurde im Mai 2008 ins Leben gerufen. Hervorgegangen ist
das iDerm mit Unterstützung durch das Land Niedersachsen als Transferinstitut aus
dem Fachgebiet „Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie“ der Universität
Osnabrück und den hier seit 1987 entwickelten vielfältigen Modellprojekten zur Prävention
von berufsbedingten Hauterkrankungen. Hierzu gehörte von Beginn an die Entwicklung
und Evaluation eng verzahnter ambulanter und stationärer Präventionskonzepte bei berufsbedingten
Hauterkrankungen, die später als „Osnabrücker Modell“ bekannt werden sollten und Grundlage
des im Jahr 2004 seitens der gesetzlichen Unfallversicherung veröffentlichten „Verfahrens
Haut“ waren [4 ]
[6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ]. Das den Unfallversicherungsträgern zur allgemeinen Anwendung empfohlene „Verfahren
Haut“ beschreibt Qualitätsstandards für verwaltungsseitige Arbeitsabläufe im § 3-BKV-Berufskrankheitenverfahren,
um der Entstehung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Berufskrankheitenverordnung
(BKV) („BK-Haut“) entgegenzuwirken [2 ]. Die Interventionsstrategie im „Verfahren Haut“ besteht aus einem Programm sich
in ihrer Intensität gestuft steigernder Maßnahmen. Wenn die Maßnahmen der individuell
ambulanten Prävention beim Dermatologen vor Ort in Kombination mit Hautschutzseminaren
nicht ausreichend greifen bzw. bei schweren, therapieresistenten Berufsdermatosen,
steht als weiterer Baustein des „Verfahren Haut“ auf der Ebene der Tertiären Individual-Prävention
das Angebot einer interdisziplinären, stationären Rehabilitationsmaßnahme zur Verfügung
[2 ]
[8 ].
Die Indikation zur Teilnahme an einer derartigen stationären Maßnahme im Rahmen des
„Verfahrens Haut“ der gesetzlichen Unfallversicherung ist daher bei Vorliegen ambulant
therapieresistenter Berufsdermatosen und drohender Gefahr der Erfordernis der Tätigkeitsaufgabe
gegeben [8 ]
[12 ]. Weitere Indikationen können darüber hinaus bei Notwendigkeit wiederholter Heilverfahren
(sog. „Refresher-TIP“) bei älteren Versicherten mit häufigeren Rezidiven der Berufsdermatose
zur Vermeidung des Arbeitsplatzverlustes bei fehlenden Optionen für eine erfolgversprechende
berufliche Rehabilitation, stationäre Heilverfahren zur Minderung von Berufskrankheitenfolgen
bei anerkannter Berufserkrankung nach Nr. 5101 der BKV mit schlechter Heilungstendenz
sowie auch Heilverfahren u. a. zur Verlaufsbeobachtung bei komplexen Erkrankungsbildern
mit fraglicher beruflicher Kausalität und z. B. Abgrenzung zu einer berufsunabhängigen,
schicksalhaften Dermatose sein [12 ].
Individuell stationäre Prävention bei Berufsdermatosen
Im iDerm werden Patienten aus allen Hautrisikoberufen und daher entsprechend Versicherte
aller Unfallversicherungsträger im Rahmen der Teilnahme an der stationären Rehabilitationsmaßnahmen
dermatologisch behandelt und gesundheitspädagogisch beraten. Die meisten Patienten
sind Versicherte der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege,
gefolgt von Versicherten der Berufsgenossenschaft Holz und Metall, der Berufsgenossenschaft
Energie Textil Elektro und Medienerzeugnisse, der Berufsgenossenschaft Handel und
Warenlogistik, der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, der Sozialversicherung
für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau sowie der Unfallkassen. Neben dem Gründungsstandort
Osnabrück hat das iDerm seit 2008 einen zweiten Standort am BG-Klinikum Hamburg. Im
Jahr 2018 wurden an beiden Standorten des iDerm 642 Patienten mit schweren Berufsdermatosen
zur Teilnahme an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme aufgenommen, hiervon 402
am Standort in Osnabrück.
Im Jahr 2016 konnte das iDerm in Osnabrück einen eigens für alle Aufgaben dieses berufsdermatologischen
Schwerpunktzentrums konzipierten Neubau auf dem Gesundheitscampus Osnabrück beziehen,
der auch das Städtische Klinikum Osnabrück als Klinik der Maximalversorgung beherbergt
([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Gebäude des Instituts für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation
(iDerm) an der Universität Osnabrück; gleichzeitig Sitz der Abteilung Dermatologie,
Umweltmedizin und Gesundheitstheorie der Universität und des Niedersächsischen Instituts
für Berufsdermatologie (NIB).
Dieses moderne Gebäude bietet gleichermaßen Raum sowohl für Forschung und Lehre in
allen Bereichen der Berufsdermatologie und Gesundheitspädagogik sowie auch für die
ambulante und stationäre dermatologisch-allergologische und gesundheitspädagogische
Versorgung von Patienten mit Berufsdermatosen.
Für die Unterbringung von Patienten zur stationären Rehabilitation bei Berufsdermatosen
steht am Standort Osnabrück das gesamte dritte Stockwerk mit 26 Einzelzimmern mit
Nasszelle ([Abb. 2 ]) zur Verfügung, sodass zusammen mit den 17 Einzelzimmern für die stationäre berufsdermatologische
Rehabilitation am Standort Hamburg seitens des iDerm durchgängig 43 stationäre Rehabilitationsplätze
angeboten werden.
Abb. 2 Blick in ein Patientenzimmer des iDerm.
Die Durchführung der stationären berufsdermatologischen Prävention erfolgt entsprechend
einer dezidierten Handlungsanleitung („Operation-Manual“) [10 ], welche im Zuge der Weiterentwicklung und multizentrischen Evaluation stationärer
Rehabilitationsmaßnahmen bei Berufsdermatosen in der Bundesrepublik im Rahmen einer
mehrjährigen, seitens der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) geförderten
Studie „ROQ“ (s. u.) erstellt und kontinuierlich weiterentwickelt wurde, und den Standard
für TIP-Maßnahmen seitens der DGUV darstellt.
Aus dem Operation-Manual ergibt sich u. a. der Personalschlüssel für die stationäre
berufsdermatologische Prävention am Standort Osnabrück: Da die Maßnahmen der stationären
Tertiären Individual-Prävention bei fortgeschrittenen Berufsdermatosen personalintensiv
sind, weicht der erforderliche Schlüssel bez. des Verhältnisses der verschiedenen
eingesetzten Professionen zu Rehabilitanten erheblich von dem Personalschlüssel ab,
wie er in der S1-Leitlinie „stationäre dermatologische Rehabilitation“ der Arbeitsgemeinschaft
für Rehabilitation in der Dermatologie (AReD) niedergelegt ist [14 ]. Daher sind im iDerm am Standort Osnabrück in die Versorgung der stationären Rehabilitationspatienten
neben den jeweils an beiden Standorten des iDerm zuständigen Chefarzt und Leitenden
Arzt u. a. 2 Oberärzte[1 ], 3 Fachärzte für Dermatologie, ein Facharzt für Arbeitsmedizin, 5 Weiterbildungsassistenten
in Dermatologie, 8 Gesundheitspädagogen, 2 Gesundheitspsychologen, 2 Ergotherapeuten
und 5 Fachpflegekräfte eingebunden ([Abb. 3 ]).
Abb. 3 Mitarbeiter des iDerm.
Die 3-wöchige stationäre Rehabilitationsmaßnahme ist als interdisziplinäres, medizinisch-gesundheitspädagogisches
Interventionsprogramm konzipiert. Im Zuge der medizinischen Maßnahmen erfolgt neben
allergologischer und hautphysiologischer Diagnostik eine stadienadaptierte hautfachärztliche
Therapie, wobei Glukokortikosteroid-freien therapeutischen Verfahren der Vorzug gegeben
wird.
Parallel zur Intensivierung und Optimierung der dermatologischen Therapie erfolgen
über den Zeitraum des stationären Aufenthaltes intensivierte gesundheitspädagogische
und -psychologische Interventionen zur Motivationssteigerung, Wissens-, Einstellungs-
und Verhaltensmodifikation hinsichtlich der adäquaten Anwendung von Hautschutz unter
Berücksichtigung der betrieblichen Rahmenbedingungen [8 ]
[10 ]
[12 ].
Die empfohlenen Hautschutzmaßnahmen können parallel unter ergotherapeutischer Anleitung
an Arbeitsplatzsimulationsmodellen erprobt und eingeübt werden ([Abb. 4 ], [Abb. 5 ]). Nachfolgend werden diese zum künftigen Gebrauch am Arbeitsplatz ausgehändigt („Starterpaket“)
[10 ]
[12 ]. Die individualpädagogischen Beratungsangebote wurden hierbei über die Jahre kontinuierlich
erweitert: Der größte Bedarf besteht nach wie vor an gesundheitspädagogischen Hautschutzschulungsangeboten
zum Schutz der meist beruflich belasteten Hände; zunehmend werden aber Schulungen
und Beratungen für weitere Anforderungen, wie z. B. spezielle Fußschutzberatungen
bei Betroffenen mit berufsbedingten entzündlichen Hautveränderungen der Füße oder
auch UV-Lichtschutzberatungen bei Patienten mit UV-Licht-sensitiven Dermatosen im
Rahmen des stationären Heilverfahrens durchgeführt [3 ]
[5 ]
[16 ].
Abb. 4 Basis der gesundheitspädagogischen Hautschutzberatung im iDerm: Die „Handschuhbar“
(Ausschnitt).
Abb. 5 Ergotherapeutische Erprobung des in der gesundheitspädagogischen Hautschutzberatung
ausgewählten Handschuhschutzes.
Auf Wunsch stehen den Teilnehmern darüber hinaus regelmäßig zur Klärung offener persönlicher
versicherungsrechtlicher Fragen Berufshelfer der Unfallversicherung in einer Sprechstunde
zur Verfügung. Bei Bedarf und ausschließlich bei Einverständnis des Patienten können
ferner technische/arbeitsplatzbezogene Präventionsansätze auch mit dem Präventionsdienst
sowie dem Betriebsarzt erörtert werden.
Wesentlicher Bestandteil des Konzeptes ist eine mit den stationären Maßnahmen abgestimmte
Weiterbehandlung durch den niedergelassenen Hautarzt am Heimatort im Rahmen des § 3
BKV (ambulanter Heilverfahrensauftrag durch den Unfallversicherungsträger) [8 ]
[12 ]. Durch Kontaktaufnahme mit dem niedergelassenen Hautarzt seitens des iDerm bereits
während der Phase des stationären Aufenthaltes und durch zeitnahe Erstattung des Entlassungsberichtes
mit entsprechenden therapeutischen und Präventions-Empfehlungen wird eine nahtlose
Fortführung der initiierten therapeutischen und präventiven Maßnahmen gewährleistet.
Hierzu schließt sich nach Beendigung der stationären Phase i. d. R. eine dreiwöchige
nachstationäre Phase einer Arbeitskarenz unter ambulanter hautfachärztlicher Betreuung
am Heimatort an, damit sich der im Rahmen des stationären Aufenthaltes erzielte Behandlungseffekt
ohne berufliche Belastung im privaten Umfeld des Patienten stabilisieren und eine
möglichst vollständige Regeneration der epidermalen Barriere erreicht werden kann.
Danach schließt sich als dritte Phase die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit
unter optimierten Hautschutzbedingungen und – soweit erforderlich – Fortführung der
ambulanten dermatologischen Betreuung durch den niedergelassenen Hautarzt am Heimatort
im Rahmen des § 3 BKV an [8 ]
[10 ]
[12 ].
Ergebnisse der stationären Prävention bei Berufsdermatosen
Zur Evaluation der stationären tertiären berufsdermatologischen Prävention über einen
Zeitraum von bis zu 5 Jahren wurden von 2005 – 2015 die DGUV-geförderten Studien ROQ
(„Medizinisch-berufliches Rehabilitationsverfahren Haut – Optimierung und Qualitätssicherung
des Heilverfahrens“) und ROQ II in einem Kooperationsprojekt aller 5 bundesweiten
Standorte, an denen diese Maßnahme angeboten wird (neben den iDerm-Standorten an der
Universität Osnabrück und im BG-Klinikum Hamburg auch BG-Klinikum Falkenstein, Klinik
für Berufskrankheiten Bad Reichenhall und Universität Heidelberg), mit hoher epidemiologischer
Qualität durchgeführt [12 ]. Über den gesamten Verlaufszeitraum konnten bez. des Studienkollektivs bemerkenswerte
gesundheitliche und arbeitsplatzbezogene/sozio-ökonomische Effekte verzeichnet werden:
Ausgehend davon, dass bei allen in die Maßnahme aufgenommenen Teilnehmern die Gefahr
zur Unterlassung der schädigenden Tätigkeit konkret drohte, konnte gezeigt werden,
dass 3 Jahre nach Teilnahme an der Maßnahme 83 % der Teilnehmer beruflich tätig waren, hiervon
71 % im gleichen Beruf wie bereits vor der Maßnahme [1 ]
[11 ]
[15 ]. Die Schwere der zuvor meist chronisch verlaufenden Hauterkrankung konnte langfristig
wesentlich gebessert und der Befund stabilisiert werden [1 ]
[11 ]
[15 ]. Parallel hierzu zeigte sich eine langfristige, signifikante Steigerung der Lebensqualität
[1 ]
[11 ]
[15 ]. Bei hoher Akzeptanz der stationären Rehabilitationsmaßnahme bei den Patienten ließ
sich auch langfristig insofern eine Optimierung der Therapie erzielen, als dass im
Vergleich zu den durchgeführten Therapien vor Teilnahme die Anwendung potenziell atrophogener
Kortikosteroid-haltiger Topika signifikant reduziert und dies auch langfristig nachstationär
beibehalten werden konnte [1 ]
[11 ]
[15 ]. Auch die 5-Jahres -Evaluation wies nach, dass sich diese positiven Trends nach Durchführung der Maßnahme
langfristig fortsetzen: So erfolgte eine Aufgabe der beruflichen Tätigkeit trotz schwerer
Berufsdermatose zusammenfassend über den Gesamtbeobachtungszeitraum von 5 Jahren lediglich
in rund einem Viertel der Fälle [9 ]. Auch die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage, welche in erheblichem Umfang für die
indirekten Kosten von Berufsdermatosen verantwortlich sind, konnte signifikant von
insgesamt 34,5 Tagen im Jahr vor Teilnahme an der stationären Rehabilitationsmaßnahme
auf durchschnittlich 7,3 Tage pro Jahr in den letzten beiden Jahren (3- und 5-Jahres-Nachbeobachtung)
gesenkt werden [9 ].
Die Teilnahme an einer stationären Präventions- und Rehabilitationsmaßnahme bei schweren
Berufsdermatosen ist jedoch nicht nur für die Patienten, bei denen es gelingt, langfristig
einen Berufsverbleib zu erzielen von Nutzen, sondern auch in den Fällen sinnvoll,
bei denen sich herausstellt, dass ein Berufsverbleib trotz Umsetzung aller zur Verfügung
stehender Präventionsmaßnahmen nicht gelingt, da die gewonnenen Erkenntnisse für die
Unfallversicherungsträger eine fundierte Grundlage darstellen, um im jeweiligen Einzelfall
möglichst rasch eine abschließende versicherungsrechtliche Entscheidung zu fällen,
dies insbesondere auch im Hinblick auf Teilhabeleistungen oder Anerkennung einer Berufskrankheit.
Fazit für die Praxis
Die nachgewiesenen langfristig positiven Ergebnisse der stationären Tertiären Individual-Prävention
sind nicht ausschließlich Ergebnis der 3-wöchigen stationären Maßnahme, sondern beruhen
auf der engen Vernetzung mit der ambulanten dermatologischen Versorgung und der langfristigen,
qualifizierten berufsdermatologischen Betreuung der beruflich Hauterkrankten durch
die behandelnden Hautärztinnen und Hautärzte am Heimatort der Patienten. Mit Einführung
der seit Dezember 2015 neu gestalteten Hautarztberichtsformulare bestehen noch konkretere
Möglichkeiten, durch eine neu geschaffene Ankreuz-Option seitens der in das Hautarztverfahren
eingebundenen Hautärztinnen und Hautärzte die erforderlichen präventiven Maßnahmen,
u. a. die Gewährung einer stationären Präventions- und Rehabilitationsmaßnahme in
einem berufsdermatologischen Schwerpunktzentrum bei therapeutisch hartnäckigen Berufsdermatosen,
kausal ungeklärten Fällen, älteren Versicherten mit Gefahr der Chronifizierung etc.,
bei dem zuständigen Unfallversicherungsträger anzufordern [7 ].