Schlüsselwörter
Anämie - Blutverlust - Bluttransfusion - Orthopädie
Einleitung
Liegt die Hämoglobinkonzentration bei Frauen < 12 g/dl und bei Männern < 13 g/dl,
besteht nach Definition der WHO eine Anämie, die wiederum mit einem erhöhten Transfusionsbedarf
von allogenen Erythrozytenkonzentraten (EK) einhergeht. Baron und Kollegen [1] analysierten vor Kurzem knapp 40 000 chirurgische Patienten aus 28 europäischen
Ländern. Überraschenderweise zeigte nahezu jeder 3. Patient bereits vor der Operation
eine Anämie, die mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer sowie erhöhtem Risiko
für Krankenhaussterblichkeit assoziiert war. In der PREPARE-Studie von Lasocki und
Kollegen [2] wurden in 17 europäischen Zentren insgesamt 1534 Patienten nach elektiver Knie-
und Hüftgelenkendoprothetik sowie Wirbelsäulenoperationen nachuntersucht. Die Anämieprävalenz
lag vor der OP bei 14,1% und stieg zum Zeitpunkt der Krankenhausentlassung sogar auf
über 85,0%.
Inzwischen belegen aber zahlreiche Studien die Wirksamkeit eines präoperativen Anämiemanagements
[3] – [9]. Ebenso fordert die Richtlinie Hämotherapie 2017 der Bundesärztekammer [10], dass „vor der Substitutionsbehandlung mit Blutprodukten … Patienten-individuell
anhand jeweils aktueller Befunde zu prüfen ist, ob andere Maßnahmen geeignet sind,
chronische oder akute Mangelzustände zu beheben. Hierzu zählen die Optimierung des
Erythrozytenvolumens, die Minimierung von Blutungen und Blutverlusten sowie die Erhöhung
und Ausschöpfung der Anämietoleranz (Patient Blood Management).“
In der vorliegenden Arbeit sollen die Prävalenz einer präoperativen Anämie und deren
Einfluss auf den Transfusionsbedarf von EK, Krankenhausverweildauer sowie Krankenhaussterblichkeit
in der primären Hüft- und Kniegelenkendoprothetik analysiert werden.
Patienten und Methoden
Als Datengrundlage wurden anonymisierte Registerdaten von 13 Krankenhäusern des epidemiologischen
Begleitforschungsprojektes des Deutschen Patient Blood Management Netzwerks genutzt
[11], das nach Genehmigung der jeweiligen lokalen Ethikkommissionen (federführende Ethikkommission:
Universitätsklinikum Frankfurt Ref. 380/12) volljährige stationäre Patienten (Alter
ab 18 Jahre), die sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen, erfasst (ClinicalTrials.gov
Identifier: NCT02147795). Zudem liegt ein Datenschutzvotum des Hessischen Datenschutzbeauftragten
vor (Ref: 43.60; 60.01.21-ga). Die Daten wurden aus den jeweiligen elektronischen
Krankenhausinformationssystemen extrahiert und für eine weitere Analyse anonymisiert.
Der patientenindividuelle Beobachtungszeitraum reichte von der Krankenhausaufnahme
bis zur Krankenhausentlassung.
Patientenkollektiv
Es wurden Patienten mit Hüft- und Kniegelenkprimärimplantation sowohl bei Gon- und
Koxarthrose als auch bei Schenkelhalsfraktur, die mit folgenden OPS-Kodes (Stand Juni
2019) kodiert wurden, in die Analyse eingeschlossen. Ausschlusskriterien wurden keine
definiert.
-
Kniegelenk (elektive Primärimplantation bei Gonarthrose): 5-822.00-02, 5-822.83-87,
5-822.g0-g2, 5-822.j0-j2, 5-822.k0-k2.
-
Hüftgelenk (elektive Primärimplantation bei Koxarthrose): 5-820.00-02, 5-820.30-31,
5-820.80-82, 5-820.92-96.
-
Hüftgelenk (Duokopfprothese bei Schenkelhalsfraktur): 5-820.40-41.
Endpunkte
Der primäre Endpunkt war die Inzidenz einer präoperativen Anämie, die über den 1.
präoperativ verfügbaren Hämoglobinwert entsprechend der WHO-Definition analysiert
wurde.
Zu den sekundären Endpunkten zählten die Krankenhausverweildauer, Anzahl Patienten
mit EK-Transfusionen, Anzahl transfundierter EKs pro 1000 Patienten, Inzidenz einer
postoperativen krankenhaus-erworbenen Anämie, Anzahl im Krankenhaus verstorbener Patienten
(Tod jeglicher Ursache als Entlassungsart), Anzahl Patienten mit akutem Nierenversagen
(ICD-10: N17.0, N17.1, N17.2, N17.8, N17.9, N19, N99.0) sowie Pneumonie (Viruspneumonie
[J12.0 – J12.3, J12.8, J12.9], Pneumonie durch Streptococcus pneumoniae [J13], Pneumonie
durch Haemophilus influenzae [J14], Pneumonie durch Bakterien [J15.0 – J15.9], Pneumonie
durch sonstige Infektionserreger [J16.0, J16.8], Pneumonie, Erreger nicht näher bezeichnet
[J18.0 – J18.2, J18.8, J18.9]).
Die Ergebnisse wurden zudem nach Alter (< 80 und ≥ 80 Jahre) aufgeschlüsselt.
Statistik
Die statistische Auswertung umfasst für alle Endpunkte eine detaillierte, nach den
3 OP-Gruppen und 2 Altersgruppen aufgeschlüsselte deskriptive Analyse (Mittelwerte
± Standardfehler, Mediane mit 1. und 3. Quartil, prozentuale Raten mit 95%-Konfidenzintervall).
Weiterhin wurden für die Endpunkte Mortalität und Krankenhausverweildauer entsprechende
nicht parametrische Signifikanztests (p-Wert: Mann-Whitney, Fisher) auf Unterschiede
zwischen den relevanten Subgruppen (mit/ohne EK-Transfusion oder präoperativer Anämie)
sowie eine Abschätzung der Stärke der Abhängigkeiten von EK-Transfusion oder präoperativer
Anämie mit Spearmans Rangkorrelationskoeffizient r durchgeführt.
Abschließend erfolgte zur Untersuchung der Abhängigkeit der Endpunkte Mortalität und
Krankenhausverweildauer von den Einflussfaktoren EK-Transfusion und präoperative Anämie
eine Auswertung mithilfe eines multivariaten gemischten Regressionsmodells, das die
Krankenhäuser als Zufallseffekte einschließt, um die krankenhausindividuellen Clustereffekte
zu verrechnen sowie die festen Effekte EK-Transfusion, präoperative Anämie und zusätzlich
Alter, Geschlecht und OP-Gruppe (wenn signifikant) als Einflussvariablen berücksichtigt.
Potenzielle Einflussvariablen für jedes Modell wurden hierbei a priori gesetzt und
dann univariat (nicht parametrisch und im Regressionsmodell) auf Signifikanz für das
Modell getestet, bevor sie in das Endmodell eingeschlossen wurden.
Ergebnisse
Im Zeitraum von Januar 2012 bis September 2018 wurden Routinedaten von insgesamt 378 069
Patienten aus 13 deutschen Krankenhäusern analysiert, von denen n = 10 017 Patienten
eine Hüft- und Kniegelenkprimärimplantation hatten. Ein Patient hiervon wurde von
der Analyse ausgeschlossen, da er sowohl als Hüftgelenk elektiv als auch als Duokopfprothese
gekennzeichnet war.
Die Inzidenz einer präoperativen Anämie betrug bei elektiver Kniegelenkendoprothetik
14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik 22,9% und bei Duokopfprothesenimplantation
sogar 45,0% ([Tab. 1]). Eine präoperative Anämie führte zu einer signifikant höheren EK-Transfusionsrate
32,7 vs. 7,3% (Fisher p < 0,001; Kniegelenkprothese: 8,3 vs. 1,8%, p < 0,001; Hüftgelenkprothese:
34,5 vs. 8,1%, p < 0,001; Duokopfprothese: 42,3 vs. 17,4%, p < 0,001) sowie zu einem
relevant erhöhten EK-Verbrauch 989 ± 50 vs. 174 ± 11 (Mann-Whitney p < 0,001; Kniegelenk:
256 ± 107 vs. 29 ± 5 EK/1000 Patienten, p < 0,001; Hüftgelenk: 929 ± 60 vs. 190 ± 16
EK/1000 Patienten, p < 0,001; Duokopfprothese: 1411 ± 98 vs. 453 ± 42, p < 0,001).
In der multivariaten Regressionsanalyse waren EK-Transfusionsraten und EK-Verbrauch
ebenfalls signifikant höher bei Vorliegen einer präoperativen Anämie (p < 0,001).
Tab. 1 Demografische Daten, Anämierate, Transfusionsrate, EK-Verbrauch sowie klinische Endpunkte.
Primärimplantation
|
Knieprothese (n = 3162)
|
Hüftprothese (n = 4813)
|
Duokopfprothese (n = 2041)
|
*n = 1251 (12,5%) keine präoperativen Hb-Werte; **n = 1163 (11,6%) keine postoperativen
Hb-Werte; # p < 0,001 keine Anämie vs. Anämie (Fisher), ist in allen einzelnen OP-Gruppen und
in der Gesamtgruppe jeweils p < 0,001; ## Mann-Whitney, ist in allen einzelnen OP-Gruppen und in der Gesamtgruppe jeweils p < 0,001.
Hb = Hämoglobin; WHO = World Health Organization
|
Alter
|
70,0 [62,0; 76,0] Jahre
|
71,0 [62,0; 78,0] Jahre
|
84,0 [78,0; 89,0] Jahre
|
Geschlecht, männlich
|
39,7%
|
44,2%
|
33,2%
|
Hb präoperativ*
|
13,7 [12,8; 14,7] g/dl
|
13,5 [12,4; 14,5] g/dl
|
12,4 [11,1; 13,6] g/dl
|
präoperative Anämie (WHO), % (n)*
|
14,8% [13,5 – 16,2%] (398)
|
22,9% [21,7 – 24,2%] (974)
|
45,0% [42,7 – 47,3%] (822)
|
Hb postoperativ**
|
11,0 [10,0; 12,1] g/dl
|
10,2 [9,3; 11,2] g/dl
|
10,0 [9,0; 10,9] g/dl
|
krankenhaus-erworbene Anämie (WHO), % (n)*
|
81,2% [79,6 – 82,6%] (2184)
|
93,6% [92,8 – 94,3%] (3996)
|
93,2% [92,0 – 94,3%] (1764)
|
Krankenhausverweildauer, Tage
|
10,0 [9,0; 12,0] d
|
11,0 [9,0; 13,0] d
|
13,0 [10,0; 18,0] d
|
Tod im Krankenhaus, % (n)
|
0,1% [0,0 – 0,2%] (2)
|
0,8% [0,6 – 1,1%] (39)
|
7,4% [6,3 – 8,7%] (152)
|
Pneumonie, % (n)
|
0,4% [0,2 – 0,7%] (14)
|
1,7% [1,4 – 2,1%] (83)
|
10,5% [9,2 – 11,9%] (214)
|
Nierenversagen, % (n)
|
3,1% [2,5 – 3,8%] (98)
|
4,7% [4,2 – 5,4%] (228)
|
14,3% [12,8 – 15,9%] (291)
|
EK-Transfusionsrate, % [95%-KI] (n)
|
|
|
|
keine präoperative Anämie
|
1,8% [1,3 – 2,5%] (42)
|
8,1% [7,2 – 9,1%] (265)
|
17,4% [15,1 – 19,9%] (175)
|
präoperative Anämie
|
8,3% [5,8 – 11,4%]# (33)
|
34,5% [31,5 – 37,6%]# (336)
|
42,3% [38,9 – 45,8%]# (348)
|
EK/1000 Patienten; Mittelwert ± Standardfehler
|
|
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keine präoperative Anämie
|
29 ± 5
|
190 ± 16
|
453 ± 42
|
präoperative Anämie
|
256 ± 107##
|
929 ± 60##
|
1411 ± 98##
|
Im Gesamtkollektiv war eine präoperative Anämie gegenüber nicht anämischen Patienten
mit einer signifikant verlängerten Krankenhausverweildauer (12,0 [10,0; 17,0] d vs.
11,0 [9,0; 13,0] d; p < 0,001 [Mann-Whitney und multivariates Regressionsmodell])
sowie einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert (5,5% [4,6 – 6,5%] vs. 0,9% [0,7 – 1,2%];
p < 0,001 [Fisher und multivariates Regressionsmodell]). Ebenso stand die Transfusion
von mindestens einem EK mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer (15,0 [11,0;
22,0] d vs. 11,0 [9,0; 13,0] d; p < 0,001 [Mann-Whitney und multivariates Regressionsmodell]))
sowie einer erhöhten Sterberate (7,4% [6,1 – 9,0%] vs. 1,1% [0,9 – 1,4%]; p < 0,001
[Fisher und multivariates Regressionsmodell]) signifikant in Zusammenhang.
Patienten im Alter von 80 Jahren und älter hatten insgesamt eine signifikant höhere
EK-Transfusionsrate (24,2 vs. 8,7%, Fisher p < 0,001), höheren EK-Verbrauch (601 ± 29
vs. 256 ± 152 EK/1000 Patienten, Mann-Whitney p < 0,001), längere Krankenhausverweildauer
(14,6 ± 0,2 vs. 12,1 ± 0,1 d, Mann-Whitney p < 0,001) und eine höhere Sterblichkeit
(5,1 vs. 0,8%, Fisher p < 0,001) als Patienten unter 80 Jahren ([Abb. 1]).
Abb. 1 Transfusionsrate von Erythrozytenkonzentraten bei Patienten ohne Anämie (blau) und
mit Anämie (orange) bei elektiver Kniegelenk- und Hüftgelenkendoprothetik sowie Duokopfprothesenimplantation
jeweils bei Alter < 80 und ≥ 80 Jahre.
Diskussion
Bei etwa jedem 3. Patienten kann eine nicht therapierte präoperative Anämie beobachtet
werden [1], [12]. Verschiedene Observationsstudien kamen zu dem Ergebnis, dass die präoperative Anämie
als ein unabhängiger Risikofaktor für die Transfusion von EKs, potenziellen Komplikationen
sowie postoperativer Sterblichkeit angesehen werden muss [1], [13], [14]. In der eigenen Analyse betrug die präoperative Anämierate bei elektiver Kniegelenkendoprothetik
14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik 22,9% und bei Duokopfprothesenimplantation
sogar 45,0%. In der Literatur werden häufig unterschiedliche Anämiedefinitionen genutzt
und die Operationen an der Hüfte oder Knie nur zusammengefasst analysiert. Eine Metaanalyse
mit 19 Studien und knapp 35 000 Patienten ergab eine Anämie- und Transfusionsrate
für elektive Hüft- und Knieendoprothetik von 24 ± 9% sowie 45 ± 25% und bei Hüftfraktur
von 51% und 44 ± 15% [14]. Während in der eigenen Analyse eine präoperative Anämie mit einem bis zu 10-fach
erhöhten EK-Verbrauch assoziiert war, zeigen andere Studien eine 4- bis 11-fach erhöhte
Wahrscheinlichkeit für EK-Transfusionen [2], [15], [16], [17].
Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein großes Potenzial für ein präoperatives Anämiemanagement,
wie es im Übrigen von verschiedenen internationalen Leitlinien [18], [19], [20], der aktuellen S3-Leitlinie Präoperative Anämie [21] und inzwischen auch in der Richtlinie Hämotherapie 2017 [10] gefordert wird.
Die Ursachen einer Anämie bei orthopädischen/unfallchirurgischen Patienten sind vielfältig
[6], [22], [23], [24]. Zumindest bei einer Teilgruppe dieser Patienten liegt der Anämie ein Eisenmangel
zugrunde. Jans et al. fanden jüngst in einer dänischen Studie mit orthopädischen Knie-
und Hüftpatienten, dass bei mehr als 40% der anämischen Patienten ein Eisenmangel
vorlag [15]. Als mögliche Ursachen für einen Eisenmangel kommen neben Fehl- und Mangelernährung
(Vegetarier, Veganer, Alkoholabhängige) vor allem eine Störung der enteralen Eisenresorption
(z. B. Helicobacter-pylori-Gastritis, Gastrektomie, atrophische Gastritis, chronisch
entzündliche Darmerkrankungen, medikamentöse Einnahme von NSAR oder Protonenpumpeninhibitoren)
oder ein chronischer Blutverlust (z. B. Angiodysplasien, Neoplasien, Ulkus, Divertikel,
gesteigerte Monatsblutung) in Betracht.
Basierend auf der aktuellen S3-Leitlinie [21] sollte eine Anämiediagnostik präoperativ rechtzeitig veranlasst werden. Insofern
ist im Rahmen der Vorbereitungen für eine Operation grundsätzlich die möglichst frühzeitige
Identifizierung (mindestens 2 – 4 Wochen präoperativ) anämischer Patienten entscheidend.
Bei nachgewiesenem Eisenmangel sollte ursachengerecht die Therapie primär mit Eisen
begonnen werden. Nicht wenige Patienten brechen aber eine orale Eisensubstitution
wegen gastrointestinaler Probleme und Unverträglichkeiten ab [25]. Wenn eine orale Eisentherapie unwirksam oder ungeeignet ist, z. B. im Fall einer
Dringlichkeit des Eingriffes (< 6 Wochen), ist prinzipiell eine parenterale Eisentherapie
empfohlen, wobei sich die verfügbaren Präparate u. a. durch ihre Komplexstabilität
sowie Sicherheit voneinander unterscheiden [5], [26], [27], [28]. Bei einer Anämie der chronischen Erkrankung (ACD) oder bei einer renalen Anämie
(Erythropoietinmangel) wird die Behandlung mit Erythropoietin allein oder, bei zusätzlichem
Eisenmangel, in Verbindung mit Eisen empfohlen [21]. Speziell für Patienten mit orthopädischen Elektiveingriffen wurde der Nutzen eines
präoperativen Anämiemanagements bspw. von Theusinger et al. [16] bestätigt. Bei elektiver Kniegelenkendoprothetik konnte die Anämierate von 15,5
auf 7,8% und die Transfusionsrate von 19,3 auf 4,9% sowie bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik
die Anämierate von 17,6 auf 12,9% und die Transfusionsrate von 21,8 auf 15,7% reduziert
werden. Ähnliche Erfolge eines präoperativen Anämiemanagements fanden Kotze et al.
bei orthopädischen Patienten [17]. Im Fokus des demografischen Wandels stellt sich in dieser Studie nun besonders
das geriatrisch-orthopädische Patientenkollektiv dar. Aufgrund der zunehmenden Behandlungsnotwendigkeit
bei älteren Patienten zeigt die durchgeführte Analyse, dass im Bereich der elektiv-orthopädischen
Patientenversorgung die präoperative Anämierate bei Patienten im Alter über 80 Jahren
im Vergleich zu den unter 80-jährigen Patienten deutlich erhöht ist (Knieprothese:
23,9 vs. 13,4%; Hüftprothese: 37,2 vs. 19,7%). Diese Daten unterstützen die Notwendigkeit,
zukünftig im Rahmen von geriatrisch-orthopädischen Konzepten bei elektiver Chirurgie
eine Anämie zu detektieren und dementsprechend auch zu behandeln.
Im Gegensatz zu den Elektivpatienten stellen Patienten mit einer akuten Femurfraktur,
die innerhalb von 24 – 48 h notfallmäßig operativ eine Duokopfprothese erhielten,
eine besondere Herausforderung dar. Die Anämierate lag hier sogar bei 45% und die
EK-Transfusionsrate bei über 40%. Da präoperativ nur sehr wenig Zeit besteht, braucht
es hier neue Konzepte für ein perioperatives Anämiemanagement. Denkbar wäre hier bspw.
eine einfache Labordiagnostik mittels Ferritin am OP-Tag, um am Ende der Operation
oder postoperativ, insbesondere bei einem perioperativen Blutverlust von > 500 ml,
eine parenterale Substitution mit Eisen indiziert vornehmen zu können [29], [30]. Zumindest im Bereich der Herzchirurgie konnte kürzlich gezeigt werden, dass eine
ultrakurzfristige kombinierte Gabe von Eisen IV, Erythropoietin α, Vitamin B12 und Folsäure auch noch 1 Tag präoperativ den postoperativen EK-Verbrauch reduzieren
kann [31].
Eine wesentliche Stärke der aktuellen Auswertung ist die umfassende repräsentative
Analyse von Routinedaten von mehr als 10 000 Patienten mit primärer Hüft- und Kniegelenkendoprothetik
an 13 deutschen Krankenhäusern. Als Datengrundlage wurden anonymisierte Daten eines
etablierten klinischen Patientenregisters genutzt. Klinische Register werden zunehmend
für den Erkenntnisgewinn in der Gesundheitsversorgung verwendet. Vorhandene Datenquellen
können so umfassend genutzt und ausgewertet werden. Die aktuelle Registeranalyse hat
allerdings methodenbedingt den Nachteil, dass trotz Risikoadjustierung unbekannte
Faktoren für eine EK-Transfusion oder postoperative Komplikationen nicht ausgeschlossen
werden konnten (z. B. Einsatz von Blutleere, Tranexamsäure, Drainagenliegedauer, Wund-
und Gelenkinfektionen). Bei einigen Patienten könnte lokal ggf. sogar schon ein präoperatives
Anämiemanagement im Rahmen eines Patient Blood Managements stattgefunden haben. Da
ein präoperatives Anämiemanagement aber weder als OPS noch als ICD-10 kodierfähig
ist und damit nicht routinemäßig erfasst worden ist, konnte der potenzielle Einfluss
eines Anämiemanagements nicht umfassend berücksichtigt werden.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend zeigt die aktuelle Analyse, dass eine präoperative Anämierate bei
elektiver Kniegelenkendoprothetik zu 14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik
zu 22,9% und bei (Notfall-)Duokopfprothesenimplantation sogar zu 45,0% vorkommt. Eine
präoperative Anämie führte zu einem relevant erhöhten EK-Verbrauch und war gegenüber
nicht anämischen Patienten mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer sowie erhöhten
Sterblichkeit assoziiert. Bei Patienten im Alter von 80 Jahren und höher war die Inzidenz
einer präoperativen Anämie und damit die Transfusionsrate nahezu doppelt so hoch wie
bei den unter 80-Jährigen. Vor diesem Hintergrund könnte sich in der Zukunft vor allem
in der elektiven geriatrischen Orthopädie ein relevantes Potenzial ergeben, im Sinne
von Patient Blood Management elektive Patienten besser vorzubereiten, um unnötige
EK-Transfusionen zu vermeiden und so die wertvolle Ressource Blut zu schonen [32].