Z Orthop Unfall 2020; 158(02): 194-200
DOI: 10.1055/a-0974-4115
Original Article/Originalarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Präoperative Anämie in der Hüft- und Kniegelenkendoprothetik

Article in several languages: English | deutsch
Patrick Meybohm*
1   Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy, University Hospital Frankfurt
,
Hendrik Kohlhof*
2   Department of Orthopedics and Trauma Surgery, University Hospital Bonn
,
Dieter Christian Wirtz
2   Department of Orthopedics and Trauma Surgery, University Hospital Bonn
,
Ingo Marzi
3   Department of Trauma, Hand and Reconstructive Surgery, University Hospital Frankfurt am Main
,
Christoph Füllenbach
1   Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy, University Hospital Frankfurt
,
Suma Choorapoikayil
1   Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy, University Hospital Frankfurt
,
Maria Wittmann
4   Department of Anesthesiology and Operative Intensive Care Medicine, University Hospital Bonn
,
Ursula Marschall
5   Head of Department Medicine/Health Care Research, Barmer, Wuppertal
,
Josef Thoma
6   Department of Anesthesiology and Operative Intensive Medicine, ORTENAU KLINIKUM Offenburg-Kehl, Offenburg
,
Klaus Schwendner
7   Department of Anesthesiology and Operative Intensive Care Medicine, Martha-Maria Hospital Nuremberg
,
Patrick Stark
8   Department of Visceral and Vascular Surgery, Klinikum Mittelmosel, Zell
,
Ansgar Raadts
9   Department of Anesthesiology and Intensive Care Medicine, University Hospital Jena
,
Jens Friedrich
10   Department of Anesthesiology and Operative Intensive Care Medicine, Klinikum Leverkusen gGmbH
,
Henry Weigt
11   Department of Anesthesiology, SLK-Kliniken Heilbronn GmbH
,
Patrick Friederich
12   Department of Anesthesiology, Operative Intensive Medicine and Pain Therapy, München Klinik Bogenhausen
,
Josef Huber
13   Institute for Laboratory Diagnostics and Transfusion Medicine, Donauisar Klinikum Deggendorf
,
Martin Gutjahr
14   Department for Anesthesiology, Intensive Medicine and Pain Therapy, Marienhausklinik Ottweiler
,
Elke Schmitt**
1   Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy, University Hospital Frankfurt
15   Institute for Biostatistics and Mathematical Modelling, Goethe University Frankfurt
,
Kai Zacharowski**
1   Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy, University Hospital Frankfurt
› Author Affiliations
Further Information

Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Patrick Meybohm
Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy
University Hospital Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt am Main
Phone: 0 69/63 01-8 72 26   
Fax: 0 69/63 01-58 81   

Publication History

Publication Date:
18 September 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Einleitung Präoperativ liegt bei etwa jedem 3. Patienten eine nicht therapierte Anämie vor, die wiederum im Kontext eines chirurgischen Eingriffs mit einem erhöhten Transfusionsbedarf von allogenen Erythrozytenkonzentraten (EK) sowie Komplikationen einhergeht. In der vorliegenden Arbeit soll die Prävalenz einer prä- und postoperativen Anämie und deren Einfluss auf den Transfusionsbedarf von EK, Krankenhausverweildauer sowie Krankenhaussterblichkeit in der primären Hüft- und Kniegelenkendoprothetik analysiert werden.

Methoden Basierend auf einem anonymisierten Register wurden von Januar 2012 bis September 2018 378 069 erwachsene stationäre Patienten aus 13 deutschen Krankenhäusern analysiert, von denen n = 10 017 Patienten eine Hüft- und Kniegelenkprimärimplantation hatten. Der primäre Endpunkt war die Inzidenz einer präoperativen Anämie, die über den 1. präoperativ verfügbaren Hämoglobinwert entsprechend der WHO-Definition analysiert wurde. Zu den sekundären Endpunkten zählte die Krankenhausverweildauer, Anzahl Patienten mit EK-Transfusion, Inzidenz einer postoperativen krankenhauserworbenen Anämie, Anzahl verstorbener Patienten sowie verschiedene postoperative Komplikationen.

Ergebnisse Die präoperative Anämierate betrug bei elektiver Kniegelenkendoprothetik 14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik 22,9% und bei Duokopfprothesenimplantation sogar 45,0%. Eine präoperative Anämie führte zu einer signifikant höheren EK-Transfusionsrate (Kniegelenkprothese: 8,3 vs. 1,8%; Hüftgelenksprothese: 34,5 vs. 8,1%; Duokopfprothese: 42,3 vs. 17,4%) sowie einem erhöhten EK-Verbrauch (Kniegelenk: 256 ± 107 vs. 29 ± 5 EK/1000 Patienten; Hüftgelenk: 929 ± 60 vs. 190 ± 16 EK/1000 Patienten; Duokopfprothese: 1411 ± 98 vs. 453 ± 42). Im Gesamtkollektiv war eine präoperative Anämie gegenüber nicht anämischen Patienten mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer (12,0 [10,0; 17,0] d vs. 11,0 [9,0; 13,0] d; p < 0,001) sowie einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert (5,5% [4,6 – 6,5%] vs. 0,9% [0,7% – 1,2%]; Fisher p < 0,001). Bei Patienten mit einem Alter von 80 Jahren und höher war die Inzidenz einer präoperativen Anämie und damit die Transfusionsrate nahezu doppelt so hoch wie bei den unter 80-Jährigen.

Zusammenfassung Eine präoperative Anämie kommt bei Knie- und Hüftgelenkprimärimplantation häufig vor und ist mit einem relevant erhöhten EK-Verbrauch assoziiert. Vor diesem Hintergrund könnte sich in der Zukunft vor allem in der elektiven orthopädischen Chirurgie ein relevantes Potenzial ergeben, im Sinne von Patient Blood Management die elektiven Patienten besser vorzubereiten, um unnötige Transfusionen zu vermeiden und so die wertvolle Ressource Blut zu schonen.


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Einleitung

Liegt die Hämoglobinkonzentration bei Frauen < 12 g/dl und bei Männern < 13 g/dl, besteht nach Definition der WHO eine Anämie, die wiederum mit einem erhöhten Transfusionsbedarf von allogenen Erythrozytenkonzentraten (EK) einhergeht. Baron und Kollegen [1] analysierten vor Kurzem knapp 40 000 chirurgische Patienten aus 28 europäischen Ländern. Überraschenderweise zeigte nahezu jeder 3. Patient bereits vor der Operation eine Anämie, die mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer sowie erhöhtem Risiko für Krankenhaussterblichkeit assoziiert war. In der PREPARE-Studie von Lasocki und Kollegen [2] wurden in 17 europäischen Zentren insgesamt 1534 Patienten nach elektiver Knie- und Hüftgelenkendoprothetik sowie Wirbelsäulenoperationen nachuntersucht. Die Anämieprävalenz lag vor der OP bei 14,1% und stieg zum Zeitpunkt der Krankenhausentlassung sogar auf über 85,0%.

Inzwischen belegen aber zahlreiche Studien die Wirksamkeit eines präoperativen Anämiemanagements [3] – [9]. Ebenso fordert die Richtlinie Hämotherapie 2017 der Bundesärztekammer [10], dass „vor der Substitutionsbehandlung mit Blutprodukten … Patienten-individuell anhand jeweils aktueller Befunde zu prüfen ist, ob andere Maßnahmen geeignet sind, chronische oder akute Mangelzustände zu beheben. Hierzu zählen die Optimierung des Erythrozytenvolumens, die Minimierung von Blutungen und Blutverlusten sowie die Erhöhung und Ausschöpfung der Anämietoleranz (Patient Blood Management).“

In der vorliegenden Arbeit sollen die Prävalenz einer präoperativen Anämie und deren Einfluss auf den Transfusionsbedarf von EK, Krankenhausverweildauer sowie Krankenhaussterblichkeit in der primären Hüft- und Kniegelenkendoprothetik analysiert werden.


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Patienten und Methoden

Als Datengrundlage wurden anonymisierte Registerdaten von 13 Krankenhäusern des epidemiologischen Begleitforschungsprojektes des Deutschen Patient Blood Management Netzwerks genutzt [11], das nach Genehmigung der jeweiligen lokalen Ethikkommissionen (federführende Ethikkommission: Universitätsklinikum Frankfurt Ref. 380/12) volljährige stationäre Patienten (Alter ab 18 Jahre), die sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen, erfasst (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02147795). Zudem liegt ein Datenschutzvotum des Hessischen Datenschutzbeauftragten vor (Ref: 43.60; 60.01.21-ga). Die Daten wurden aus den jeweiligen elektronischen Krankenhausinformationssystemen extrahiert und für eine weitere Analyse anonymisiert. Der patientenindividuelle Beobachtungszeitraum reichte von der Krankenhausaufnahme bis zur Krankenhausentlassung.

Patientenkollektiv

Es wurden Patienten mit Hüft- und Kniegelenkprimärimplantation sowohl bei Gon- und Koxarthrose als auch bei Schenkelhalsfraktur, die mit folgenden OPS-Kodes (Stand Juni 2019) kodiert wurden, in die Analyse eingeschlossen. Ausschlusskriterien wurden keine definiert.

  1. Kniegelenk (elektive Primärimplantation bei Gonarthrose): 5-822.00-02, 5-822.83-87, 5-822.g0-g2, 5-822.j0-j2, 5-822.k0-k2.

  2. Hüftgelenk (elektive Primärimplantation bei Koxarthrose): 5-820.00-02, 5-820.30-31, 5-820.80-82, 5-820.92-96.

  3. Hüftgelenk (Duokopfprothese bei Schenkelhalsfraktur): 5-820.40-41.


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Endpunkte

Der primäre Endpunkt war die Inzidenz einer präoperativen Anämie, die über den 1. präoperativ verfügbaren Hämoglobinwert entsprechend der WHO-Definition analysiert wurde.

Zu den sekundären Endpunkten zählten die Krankenhausverweildauer, Anzahl Patienten mit EK-Transfusionen, Anzahl transfundierter EKs pro 1000 Patienten, Inzidenz einer postoperativen krankenhaus-erworbenen Anämie, Anzahl im Krankenhaus verstorbener Patienten (Tod jeglicher Ursache als Entlassungsart), Anzahl Patienten mit akutem Nierenversagen (ICD-10: N17.0, N17.1, N17.2, N17.8, N17.9, N19, N99.0) sowie Pneumonie (Viruspneumonie [J12.0 – J12.3, J12.8, J12.9], Pneumonie durch Streptococcus pneumoniae [J13], Pneumonie durch Haemophilus influenzae [J14], Pneumonie durch Bakterien [J15.0 – J15.9], Pneumonie durch sonstige Infektionserreger [J16.0, J16.8], Pneumonie, Erreger nicht näher bezeichnet [J18.0 – J18.2, J18.8, J18.9]).

Die Ergebnisse wurden zudem nach Alter (< 80 und ≥ 80 Jahre) aufgeschlüsselt.


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Statistik

Die statistische Auswertung umfasst für alle Endpunkte eine detaillierte, nach den 3 OP-Gruppen und 2 Altersgruppen aufgeschlüsselte deskriptive Analyse (Mittelwerte ± Standardfehler, Mediane mit 1. und 3. Quartil, prozentuale Raten mit 95%-Konfidenzintervall).

Weiterhin wurden für die Endpunkte Mortalität und Krankenhausverweildauer entsprechende nicht parametrische Signifikanztests (p-Wert: Mann-Whitney, Fisher) auf Unterschiede zwischen den relevanten Subgruppen (mit/ohne EK-Transfusion oder präoperativer Anämie) sowie eine Abschätzung der Stärke der Abhängigkeiten von EK-Transfusion oder präoperativer Anämie mit Spearmans Rangkorrelationskoeffizient r durchgeführt.

Abschließend erfolgte zur Untersuchung der Abhängigkeit der Endpunkte Mortalität und Krankenhausverweildauer von den Einflussfaktoren EK-Transfusion und präoperative Anämie eine Auswertung mithilfe eines multivariaten gemischten Regressionsmodells, das die Krankenhäuser als Zufallseffekte einschließt, um die krankenhausindividuellen Clustereffekte zu verrechnen sowie die festen Effekte EK-Transfusion, präoperative Anämie und zusätzlich Alter, Geschlecht und OP-Gruppe (wenn signifikant) als Einflussvariablen berücksichtigt. Potenzielle Einflussvariablen für jedes Modell wurden hierbei a priori gesetzt und dann univariat (nicht parametrisch und im Regressionsmodell) auf Signifikanz für das Modell getestet, bevor sie in das Endmodell eingeschlossen wurden.


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Ergebnisse

Im Zeitraum von Januar 2012 bis September 2018 wurden Routinedaten von insgesamt 378 069 Patienten aus 13 deutschen Krankenhäusern analysiert, von denen n = 10 017 Patienten eine Hüft- und Kniegelenkprimärimplantation hatten. Ein Patient hiervon wurde von der Analyse ausgeschlossen, da er sowohl als Hüftgelenk elektiv als auch als Duokopfprothese gekennzeichnet war.

Die Inzidenz einer präoperativen Anämie betrug bei elektiver Kniegelenkendoprothetik 14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik 22,9% und bei Duokopfprothesenimplantation sogar 45,0% ([Tab. 1]). Eine präoperative Anämie führte zu einer signifikant höheren EK-Transfusionsrate 32,7 vs. 7,3% (Fisher p < 0,001; Kniegelenkprothese: 8,3 vs. 1,8%, p < 0,001; Hüftgelenkprothese: 34,5 vs. 8,1%, p < 0,001; Duokopfprothese: 42,3 vs. 17,4%, p < 0,001) sowie zu einem relevant erhöhten EK-Verbrauch 989 ± 50 vs. 174 ± 11 (Mann-Whitney p < 0,001; Kniegelenk: 256 ± 107 vs. 29 ± 5 EK/1000 Patienten, p < 0,001; Hüftgelenk: 929 ± 60 vs. 190 ± 16 EK/1000 Patienten, p < 0,001; Duokopfprothese: 1411 ± 98 vs. 453 ± 42, p < 0,001). In der multivariaten Regressionsanalyse waren EK-Transfusionsraten und EK-Verbrauch ebenfalls signifikant höher bei Vorliegen einer präoperativen Anämie (p < 0,001).

Tab. 1 Demografische Daten, Anämierate, Transfusionsrate, EK-Verbrauch sowie klinische Endpunkte.

Primärimplantation

Knieprothese (n = 3162)

Hüftprothese (n = 4813)

Duokopfprothese (n = 2041)

*n = 1251 (12,5%) keine präoperativen Hb-Werte; **n = 1163 (11,6%) keine postoperativen Hb-Werte; # p < 0,001 keine Anämie vs. Anämie (Fisher), ist in allen einzelnen OP-Gruppen und in der Gesamtgruppe jeweils p < 0,001; ## Mann-Whitney, ist in allen einzelnen OP-Gruppen und in der Gesamtgruppe jeweils p < 0,001. Hb = Hämoglobin; WHO = World Health Organization

Alter

70,0 [62,0; 76,0] Jahre

71,0 [62,0; 78,0] Jahre

84,0 [78,0; 89,0] Jahre

Geschlecht, männlich

39,7%

44,2%

33,2%

Hb präoperativ*

13,7 [12,8; 14,7] g/dl

13,5 [12,4; 14,5] g/dl

12,4 [11,1; 13,6] g/dl

präoperative Anämie (WHO), % (n)*

14,8% [13,5 – 16,2%] (398)

22,9% [21,7 – 24,2%] (974)

45,0% [42,7 – 47,3%] (822)

Hb postoperativ**

11,0 [10,0; 12,1] g/dl

10,2 [9,3; 11,2] g/dl

10,0 [9,0; 10,9] g/dl

krankenhaus-erworbene Anämie (WHO), % (n)*

81,2% [79,6 – 82,6%] (2184)

93,6% [92,8 – 94,3%] (3996)

93,2% [92,0 – 94,3%] (1764)

Krankenhausverweildauer, Tage

10,0 [9,0; 12,0] d

11,0 [9,0; 13,0] d

13,0 [10,0; 18,0] d

Tod im Krankenhaus, % (n)

0,1% [0,0 – 0,2%] (2)

0,8% [0,6 – 1,1%] (39)

7,4% [6,3 – 8,7%] (152)

Pneumonie, % (n)

0,4% [0,2 – 0,7%] (14)

1,7% [1,4 – 2,1%] (83)

10,5% [9,2 – 11,9%] (214)

Nierenversagen, % (n)

3,1% [2,5 – 3,8%] (98)

4,7% [4,2 – 5,4%] (228)

14,3% [12,8 – 15,9%] (291)

EK-Transfusionsrate, % [95%-KI] (n)

keine präoperative Anämie

1,8% [1,3 – 2,5%] (42)

8,1% [7,2 – 9,1%] (265)

17,4% [15,1 – 19,9%] (175)

präoperative Anämie

8,3% [5,8 – 11,4%]# (33)

34,5% [31,5 – 37,6%]# (336)

42,3% [38,9 – 45,8%]# (348)

EK/1000 Patienten; Mittelwert ± Standardfehler

keine präoperative Anämie

29 ± 5

190 ± 16

453 ± 42

präoperative Anämie

256 ± 107##

929 ± 60##

1411 ± 98##

Im Gesamtkollektiv war eine präoperative Anämie gegenüber nicht anämischen Patienten mit einer signifikant verlängerten Krankenhausverweildauer (12,0 [10,0; 17,0] d vs. 11,0 [9,0; 13,0] d; p < 0,001 [Mann-Whitney und multivariates Regressionsmodell]) sowie einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert (5,5% [4,6 – 6,5%] vs. 0,9% [0,7 – 1,2%]; p < 0,001 [Fisher und multivariates Regressionsmodell]). Ebenso stand die Transfusion von mindestens einem EK mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer (15,0 [11,0; 22,0] d vs. 11,0 [9,0; 13,0] d; p < 0,001 [Mann-Whitney und multivariates Regressionsmodell])) sowie einer erhöhten Sterberate (7,4% [6,1 – 9,0%] vs. 1,1% [0,9 – 1,4%]; p < 0,001 [Fisher und multivariates Regressionsmodell]) signifikant in Zusammenhang.

Patienten im Alter von 80 Jahren und älter hatten insgesamt eine signifikant höhere EK-Transfusionsrate (24,2 vs. 8,7%, Fisher p < 0,001), höheren EK-Verbrauch (601 ± 29 vs. 256 ± 152 EK/1000 Patienten, Mann-Whitney p < 0,001), längere Krankenhausverweildauer (14,6 ± 0,2 vs. 12,1 ± 0,1 d, Mann-Whitney p < 0,001) und eine höhere Sterblichkeit (5,1 vs. 0,8%, Fisher p < 0,001) als Patienten unter 80 Jahren ([Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Transfusionsrate von Erythrozytenkonzentraten bei Patienten ohne Anämie (blau) und mit Anämie (orange) bei elektiver Kniegelenk- und Hüftgelenkendoprothetik sowie Duokopfprothesenimplantation jeweils bei Alter < 80 und ≥ 80 Jahre.

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Diskussion

Bei etwa jedem 3. Patienten kann eine nicht therapierte präoperative Anämie beobachtet werden [1], [12]. Verschiedene Observationsstudien kamen zu dem Ergebnis, dass die präoperative Anämie als ein unabhängiger Risikofaktor für die Transfusion von EKs, potenziellen Komplikationen sowie postoperativer Sterblichkeit angesehen werden muss [1], [13], [14]. In der eigenen Analyse betrug die präoperative Anämierate bei elektiver Kniegelenkendoprothetik 14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik 22,9% und bei Duokopfprothesenimplantation sogar 45,0%. In der Literatur werden häufig unterschiedliche Anämiedefinitionen genutzt und die Operationen an der Hüfte oder Knie nur zusammengefasst analysiert. Eine Metaanalyse mit 19 Studien und knapp 35 000 Patienten ergab eine Anämie- und Transfusionsrate für elektive Hüft- und Knieendoprothetik von 24 ± 9% sowie 45 ± 25% und bei Hüftfraktur von 51% und 44 ± 15% [14]. Während in der eigenen Analyse eine präoperative Anämie mit einem bis zu 10-fach erhöhten EK-Verbrauch assoziiert war, zeigen andere Studien eine 4- bis 11-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für EK-Transfusionen [2], [15], [16], [17].

Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein großes Potenzial für ein präoperatives Anämiemanagement, wie es im Übrigen von verschiedenen internationalen Leitlinien [18], [19], [20], der aktuellen S3-Leitlinie Präoperative Anämie [21] und inzwischen auch in der Richtlinie Hämotherapie 2017 [10] gefordert wird.

Die Ursachen einer Anämie bei orthopädischen/unfallchirurgischen Patienten sind vielfältig [6], [22], [23], [24]. Zumindest bei einer Teilgruppe dieser Patienten liegt der Anämie ein Eisenmangel zugrunde. Jans et al. fanden jüngst in einer dänischen Studie mit orthopädischen Knie- und Hüftpatienten, dass bei mehr als 40% der anämischen Patienten ein Eisenmangel vorlag [15]. Als mögliche Ursachen für einen Eisenmangel kommen neben Fehl- und Mangelernährung (Vegetarier, Veganer, Alkoholabhängige) vor allem eine Störung der enteralen Eisenresorption (z. B. Helicobacter-pylori-Gastritis, Gastrektomie, atrophische Gastritis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, medikamentöse Einnahme von NSAR oder Protonenpumpeninhibitoren) oder ein chronischer Blutverlust (z. B. Angiodysplasien, Neoplasien, Ulkus, Divertikel, gesteigerte Monatsblutung) in Betracht.

Basierend auf der aktuellen S3-Leitlinie [21] sollte eine Anämiediagnostik präoperativ rechtzeitig veranlasst werden. Insofern ist im Rahmen der Vorbereitungen für eine Operation grundsätzlich die möglichst frühzeitige Identifizierung (mindestens 2 – 4 Wochen präoperativ) anämischer Patienten entscheidend. Bei nachgewiesenem Eisenmangel sollte ursachengerecht die Therapie primär mit Eisen begonnen werden. Nicht wenige Patienten brechen aber eine orale Eisensubstitution wegen gastrointestinaler Probleme und Unverträglichkeiten ab [25]. Wenn eine orale Eisentherapie unwirksam oder ungeeignet ist, z. B. im Fall einer Dringlichkeit des Eingriffes (< 6 Wochen), ist prinzipiell eine parenterale Eisentherapie empfohlen, wobei sich die verfügbaren Präparate u. a. durch ihre Komplexstabilität sowie Sicherheit voneinander unterscheiden [5], [26], [27], [28]. Bei einer Anämie der chronischen Erkrankung (ACD) oder bei einer renalen Anämie (Erythropoietinmangel) wird die Behandlung mit Erythropoietin allein oder, bei zusätzlichem Eisenmangel, in Verbindung mit Eisen empfohlen [21]. Speziell für Patienten mit orthopädischen Elektiveingriffen wurde der Nutzen eines präoperativen Anämiemanagements bspw. von Theusinger et al. [16] bestätigt. Bei elektiver Kniegelenkendoprothetik konnte die Anämierate von 15,5 auf 7,8% und die Transfusionsrate von 19,3 auf 4,9% sowie bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik die Anämierate von 17,6 auf 12,9% und die Transfusionsrate von 21,8 auf 15,7% reduziert werden. Ähnliche Erfolge eines präoperativen Anämiemanagements fanden Kotze et al. bei orthopädischen Patienten [17]. Im Fokus des demografischen Wandels stellt sich in dieser Studie nun besonders das geriatrisch-orthopädische Patientenkollektiv dar. Aufgrund der zunehmenden Behandlungsnotwendigkeit bei älteren Patienten zeigt die durchgeführte Analyse, dass im Bereich der elektiv-orthopädischen Patientenversorgung die präoperative Anämierate bei Patienten im Alter über 80 Jahren im Vergleich zu den unter 80-jährigen Patienten deutlich erhöht ist (Knieprothese: 23,9 vs. 13,4%; Hüftprothese: 37,2 vs. 19,7%). Diese Daten unterstützen die Notwendigkeit, zukünftig im Rahmen von geriatrisch-orthopädischen Konzepten bei elektiver Chirurgie eine Anämie zu detektieren und dementsprechend auch zu behandeln.

Im Gegensatz zu den Elektivpatienten stellen Patienten mit einer akuten Femurfraktur, die innerhalb von 24 – 48 h notfallmäßig operativ eine Duokopfprothese erhielten, eine besondere Herausforderung dar. Die Anämierate lag hier sogar bei 45% und die EK-Transfusionsrate bei über 40%. Da präoperativ nur sehr wenig Zeit besteht, braucht es hier neue Konzepte für ein perioperatives Anämiemanagement. Denkbar wäre hier bspw. eine einfache Labordiagnostik mittels Ferritin am OP-Tag, um am Ende der Operation oder postoperativ, insbesondere bei einem perioperativen Blutverlust von > 500 ml, eine parenterale Substitution mit Eisen indiziert vornehmen zu können [29], [30]. Zumindest im Bereich der Herzchirurgie konnte kürzlich gezeigt werden, dass eine ultrakurzfristige kombinierte Gabe von Eisen IV, Erythropoietin α, Vitamin B12 und Folsäure auch noch 1 Tag präoperativ den postoperativen EK-Verbrauch reduzieren kann [31].

Eine wesentliche Stärke der aktuellen Auswertung ist die umfassende repräsentative Analyse von Routinedaten von mehr als 10 000 Patienten mit primärer Hüft- und Kniegelenkendoprothetik an 13 deutschen Krankenhäusern. Als Datengrundlage wurden anonymisierte Daten eines etablierten klinischen Patientenregisters genutzt. Klinische Register werden zunehmend für den Erkenntnisgewinn in der Gesundheitsversorgung verwendet. Vorhandene Datenquellen können so umfassend genutzt und ausgewertet werden. Die aktuelle Registeranalyse hat allerdings methodenbedingt den Nachteil, dass trotz Risikoadjustierung unbekannte Faktoren für eine EK-Transfusion oder postoperative Komplikationen nicht ausgeschlossen werden konnten (z. B. Einsatz von Blutleere, Tranexamsäure, Drainagenliegedauer, Wund- und Gelenkinfektionen). Bei einigen Patienten könnte lokal ggf. sogar schon ein präoperatives Anämiemanagement im Rahmen eines Patient Blood Managements stattgefunden haben. Da ein präoperatives Anämiemanagement aber weder als OPS noch als ICD-10 kodierfähig ist und damit nicht routinemäßig erfasst worden ist, konnte der potenzielle Einfluss eines Anämiemanagements nicht umfassend berücksichtigt werden.


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Schlussfolgerung

Zusammenfassend zeigt die aktuelle Analyse, dass eine präoperative Anämierate bei elektiver Kniegelenkendoprothetik zu 14,8%, bei elektiver Hüftgelenkendoprothetik zu 22,9% und bei (Notfall-)Duokopfprothesenimplantation sogar zu 45,0% vorkommt. Eine präoperative Anämie führte zu einem relevant erhöhten EK-Verbrauch und war gegenüber nicht anämischen Patienten mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer sowie erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Bei Patienten im Alter von 80 Jahren und höher war die Inzidenz einer präoperativen Anämie und damit die Transfusionsrate nahezu doppelt so hoch wie bei den unter 80-Jährigen. Vor diesem Hintergrund könnte sich in der Zukunft vor allem in der elektiven geriatrischen Orthopädie ein relevantes Potenzial ergeben, im Sinne von Patient Blood Management elektive Patienten besser vorzubereiten, um unnötige EK-Transfusionen zu vermeiden und so die wertvolle Ressource Blut zu schonen [32].


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

P. M. and K. Z. received funding from B. Braun Melsungen, CSL Behring, Fresenius Kabi and Vifor Pharma for an examiner-initiated study to implement the Patient Blood Management Program at four university hospitals. P. M. and/or K. Z. received grants or travel expense funding for consultations and lectures from the following companies: Abbott GmbH &Co KG, Aesculap Akademie GmbH, AQAI GmbH, Astellas Pharma GmbH, AstraZeneca GmbH, Aventis Pharma GmbH, B, Braun Melsungen AG, Baxter Deutschland GmbH, Biosyn Arzneimittel GmbH, Biotest AG, Bristol-Myers Squibb GmbH, CSL Behring GmbH, Dr, F, Köhler Chemie GmbH, Dräger Medical GmbH, Essex Pharma GmbH, Fresenius Kabi GmbH, Fresenius Medical Care, Gambro Hospal GmbH, Gilead Sciences GmbH, GlaxoSmithKline GmbH, Grünenthal GmbH, Hamilton Medical AG, HCCM Consulting GmbH, Heinen + Löwenstein GmbH, Janssen-Cilag GmbH, med Update GmbH, Medivance EU B. V., MSD Sharp & Dohme GmbH, Novartis Pharma GmbH, Novo Nordisk Pharma GmbH, P. J. Dahlhausen & Co. GmbH, Pfizer Pharma GmbH, Pulsion Medical Systems S. E., Siemens Healthcare, Teflex Medical GmbH, Teva GmbH, TopMedMedizintechnik GmbH, Verathon Medical, Vifor Pharma GmbH. K. S. received grants or travel expense funding for lectures from the companies HAEMA AG and Vifor Pharma GmbH./
P. M. und K. Z. erhielten finanzielle Förderungen von B. Braun Melsungen, CSL Behring, Fresenius Kabi und Vifor Pharma für eine prüferinitiierte Studie zur Implementierung des Patient Blood Management Programms an 4 Universitätskliniken. P. M. und/oder K. Z. erhielten Förderungen oder Reisekostenunterstützung für Beratungen und Vorträge der folgenden Firmen: Abbott GmbH &Co KG, Aesculap Akademie GmbH, AQAI GmbH, Astellas Pharma GmbH, AstraZeneca GmbH, Aventis Pharma GmbH, B, Braun Melsungen AG, Baxter Deutschland GmbH, Biosyn Arzneimittel GmbH, Biotest AG, Bristol-Myers Squibb GmbH, CSL Behring GmbH, Dr, F, Köhler Chemie GmbH, Dräger Medical GmbH, Essex Pharma GmbH, Fresenius Kabi GmbH, Fresenius Medical Care, Gambro Hospal GmbH, Gilead Sciences GmbH, GlaxoSmithKline GmbH, Grünenthal GmbH, Hamilton Medical AG, HCCM Consulting GmbH, Heinen + Löwenstein GmbH, Janssen-Cilag GmbH, med Update GmbH, Medivance EU B. V., MSD Sharp & Dohme GmbH, Novartis Pharma GmbH, Novo Nordisk Pharma GmbH, P. J. Dahlhausen & Co. GmbH, Pfizer Pharma GmbH, Pulsion Medical Systems S. E., Siemens Healthcare, Teflex Medical GmbH, Teva GmbH, TopMed Medizintechnik GmbH, Verathon Medical, Vifor Pharma GmbH. K. S. erhielt Förderungen oder Reisekostenunterstützung für Vorträge von den Firmen HAEMA AG und Vifor Pharma GmbH.

Danksagung

Das Deutsche Patient Blood Management Netzwerk mit dem angeschlossenen Register wurde mit dem Lohfert-Preis 2014 von der Lohfert-Stiftung, dem Deutschen Preis für Patientensicherheit 2016 vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V., sowie dem MSD-Gesundheitspreis (3. Platz) 2018 ausgezeichnet. Dafür danken wir herzlich. Wir bedanken uns zudem herzlich bei Frau Professor Dr. Eva Herrmann (Biostatistisches Institut der Universität Frankfurt, Fachbereich Medizin) für ihre unterstützende statistische Beratung und bei den IT-Mitarbeitern der beteiligten Krankenhäuser für die Bereitstellung der Daten.

* Shared first authorship/geteilte Erstautorschaft


** Shared last authorship/geteilte Letztautorschaft



Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Patrick Meybohm
Department of Anesthesiology, Intensive Care Medicine and Pain Therapy
University Hospital Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt am Main
Phone: 0 69/63 01-8 72 26   
Fax: 0 69/63 01-58 81   


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Fig. 1 Transfusion rate of red blood cell (RBC) concentrates in patients without (blue) and with anaemia (orange) in elective knee and hip joint endoprosthetics as well as implantation of a dual head prosthesis at the age of < 80 or and ≥ 80 years.
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Abb. 1 Transfusionsrate von Erythrozytenkonzentraten bei Patienten ohne Anämie (blau) und mit Anämie (orange) bei elektiver Kniegelenk- und Hüftgelenkendoprothetik sowie Duokopfprothesenimplantation jeweils bei Alter < 80 und ≥ 80 Jahre.