Auf einen Blick: die verschiedenen Aspekte des motorischen Lernens
Abb.: M. Huber
Herr R. erlitt vor drei Monaten einen Schlaganfall mit einer Hemiparese auf der linken
Körperseite. Eins seiner Ziele ist es, zu Hause wieder seinen gewohnten Mittagsschlaf
halten zu können. Dabei möchte er selbstständig und sicher die nötigen Positionsveränderungen
durchführen. Vor allem der Transfer vom Rollstuhl ins Bett ist momentan nicht ohne
Unterstützung für ihn machbar. Dabei ist es sein großes Anliegen, seine Frau zu entlasten.
Modell
Das Lernrad ist ein Modell zum Motorischen Lernen.
Motorisches Lernen gestalten
Motorisches Lernen gestalten
Nach der stationären Reha befindet sich Herr R. wieder zu Hause und in ambulanter
Therapie. Im Zuge des Clinical Reasoning wird für die Partizipations- und Aktivitätsebene
deutlich, dass er als Fußgänger unsicher und auf einen Gehstock sowie auf die taktile
Unterstützung einer Hilfsperson angewiesen ist. Er benötigt noch einen Rollstuhl.
Beim Übergang vom Sitzen zum Stehen bzw. beim Transferieren vom Rollstuhl auf das
Bett ist er unsicher. Das Hauptproblem besteht darin, dass er den Oberkörper nicht
ausreichend nach vorne über die Unterstützungsfläche (Füße) bewegt. Das hat zur Folge,
dass er sich nach hinten in den Rollstuhl schiebt, anstatt das Gesäß abzuheben. So
kann er nicht aufstehen. Auf der Körperfunktions- und -strukturebene zeigt sich eine
moderate Schwäche der Knie- und Hüftgelenksstrecker auf der mehr betroffenen Seite.
Die Konzentrationsfähigkeit ist leicht reduziert.
Die Frage ist: Wie kann das motorische Lernen zur Erreichung des Zieles am besten
gestaltet werden? Der Therapeut entscheidet sich für das implizite (unbewusste) Lernen
(ABB.). Warum? Aufgrund der eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit des Patienten
gilt es die kognitiven Anforderungen zu minimieren.
Transfer
Um eine möglichst hohe Aufgaben- und Umweltspezifität (Transfertendenz) zu erreichen,
übt Herr R. die Aktivität im Rollstuhl und an seinem Bett. Zusätzlich stellt der Therapeut
einen Stuhl mit dem Stuhlrücken vor ihn. Der Abstand des Stuhls ist so gewählt, dass
Herr R. durch die Berührung des Stuhlrückens sein Gewicht nach ventral Richtung Füße
verlagert. Zieht er am Stuhlrücken, wird der Stuhl kippelig – das soll er vermeiden.
Lernformen, Lernstrategien und Instruktion
Lernformen, Lernstrategien und Instruktion
Das implizite Lernen fördert der Therapeut, indem er die Aufmerksamkeit des Patienten
auf den Effekt seiner Bewegung (externaler Fokus) lenkt und nur wenig erklärt. Er
instruiert: „Berühren Sie den Stuhl mit Ihrer Hand. Der Stuhl soll ruhig und fest
stehen bleiben. Ihre Hand bleibt am Stuhl. Stehen Sie dann auf.“ Für den Anfang teilt
der Therapeut die Gesamtbewegung auf und übt nur einen Teil davon mit Herrn R., das
Aufstehen (Part Practice). Das macht er, weil dieser Teil der Gesamtbewegung am schwierigsten
für den Patienten ist. Über Trial-and-Error-Lernen (Ausprobieren) ermuntert er ihn,
erfolgreiche Strategien zu finden.
Praxis
Das Lernrad hilft, das motorische Lernen praktisch umzusetzen.
Feedback
Nach jeder Bewegungsdurchführung gibt der Therapeut dem Patienten die Möglichkeit
zum Selbstfeedback, indem er fragt: „Wie finden Sie die Bewegung? Hat das Aufstehen
geklappt?“ Erst im Anschluss daran gibt er ihm sein Fremdfeedback. Dabei bezieht er
sich auf den Effekt der Bewegung und sagt: „Der Stuhl ist beinahe gekippt. Beim nächsten
Mal soll der Stuhl stabil stehen bleiben.“
Motivation
Die Erfolgserlebnisse fördern die Selbstwirksamkeit von Herrn R. Darüber hinaus erwähnt
der Therapeut, dass er momentan eine Patientin betreut, die anfangs ebenfalls Schwierigkeiten
mit dieser Aufgabe hatte und durch das Üben mittlerweile den Transfer selbst schafft.
Er betont, dass Herr R. seiner Ansicht nach die gleichen Voraussetzungen hat und er
optimistisch ist, dass dieser es auch bald kann. Dadurch beeinflusst er die Erwartungshaltung
von Herrn R. an sich selbst und sein Vertrauen in die Therapie.
Dosierung
Herr R. wiederholt die Bewegung so lange, bis er müde wird und ihm die Bewegungen
deutlich schwerer fallen bzw. unkoordinierter werden (Challenge Point). Das ist nach
ca. 15 Repetitionen der Fall. Der Therapeut empfiehlt ihm, nach der Behandlung mindestens
30 Minuten Pause zu machen.
Zusätzlich vereinbaren sie ein Eigentraining, das Herr R. ohne „große Umstände“ sicher
durchführen kann. Dazu wählen sie einen Teil der Bewegung vom Sitz in den Stand. Der
Patient soll im Stuhl nach vorne und nach hinten rutschen, indem er die Bewegung so
durchführt, wie er es zuvor beim Aufstehen geübt hat. Das heißt, auch dazu verwendet
er einen Stuhl, der vor ihm steht, nur steht er beim Eigentraining nicht ganz auf.
Herr R. stimmt zu, dass er dieses Training täglich zweimal mit je 15 Wiederholungen
durchführt und seine Fortschritte in der nächsten Therapie in zwei Tagen präsentiert.
Martin Huber, Gail Cox Steck, Florian Erzer Lüscher