Pneumologie 2019; 73(10): 619-621
DOI: 10.1055/a-0979-4983
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Antwort

Holger Schulz
,
Stefan Karrasch
,
Georg Bölke
,
Josef Cyrys
,
Claudia Hornberg
,
Regina Pickford
,
Alexandra Schneider
,
Christian Witt
,
Barbara Hoffmann
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Holger Schulz
Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Institut für Epidemiologie
Ingolstädter Landstr. 1
85764 Neuherberg/München

Publication History

Publication Date:
17 October 2019 (online)

 

Wir bedanken uns für die intensive Auseinandersetzung mit unserer Arbeit und möchten gerne im Folgenden auf die wesentlichen Punkte eingehen.

Es wird die Frage angesprochen, bei welchen Konzentrationen von Luftschadstoffen in der Umgebungsluft noch Gesundheitseffekte nachgewiesen werden können. Diese Frage wird in unserer Publikation [1] auf Seite 295 adressiert. Die beobachteten Risikoerhöhungen bei geringer Schadstoffbelastung sind gering, hängen von der untersuchten Population, dem Luftschadstoff und dem betrachteten Endpunkt ab und liegen in der Regel im Bereich von wenigen Prozent.
In Bezug auf die aktuelle Diskussion zur Wirkungsschwelle der NO2-Belastung sei die CanCHEC-Studie aus Kanada [2] ergänzend zu unserer Publikation hier erwähnt, die die Assoziation zwischen NO2-Belastung und Mortalität (nicht-unfallbedingte, respiratorische, kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Mortalität) zwischen 1984 und 2006 an 2,5 Millionen Erwachsenen untersuchte. Die NO2-Belastung wurde mithilfe von Modellen mit einer hohen räumlichen Auflösung für die Wohnadressen der Studienteilnehmer abgeschätzt und lag im Mittel bei 21,8 µg/m3 (Interquartilsabstand 11,3 bis 31,0 µg/m3; Minimum 0, Maximum 96,8 µg/m3), d. h. die die Schadstoffbelastung ist durchaus vergleichbar mit der Deutschlands [3] (mit der Ausnahme des Belastungsminimums) und die mittlere Belastung lag unterhalb des derzeitigen in Deutschland und der EU-geltenden Grenzwertes. Die Analyse ergab eine ca. 5 % erhöhte Mortalität pro 15,2 µg/m3 NO2. Die Abbildung S3 im Supplement zeigt die Expositions-Wirkungsbeziehung über den gesamten Expositionsbereich hinweg. Dabei ist zu beachten, dass als Bezugsgröße die mittlere Expositionskonzentration für die Hazard Ratio genommen wurde, 8,9 µg/m3 für PM2.5 und 21,8 µg/m3 für NO2. Es fällt auf, dass die Kurven von NO2 und Feinstaub keinerlei Hinweis darauf geben, dass die Wirkung unterhalb eines bestimmten Wertes, also eines möglichen Schwellenwertes, nachlässt.

Weiterhin sei hier die Publikation von Di et al. [4] als Beispiel hervorgehoben, die gezielt die Expositions-Wirkungsbeziehung im unteren Belastungsbereich von Feinstaub (< 16 µg/m3 PM2.5) adressierte. Die Studie untersuchte die Mortalität bei allen 61 Millionen älteren Studienteilnehmern (> 65 Jahre) der Medicare-Versicherten aus den USA. In der Publikation wird in der Abbildung 3A die Expositions-Wirkungsbeziehung für die Langzeitbelastung mit Feinstaub und die Gesamtmortalität dargestellt. Auch hier zeigt sich, dass der Zusammenhang zwischen Feinstaubkonzentration und Mortalität über den gesamten Expositionsbereich hinweg weitgehend linear ist und es keinen Hinweis auf das Vorliegen eines Schwellenwertes gibt, unterhalb dessen keine Gesundheitseffekte zu erwarten wären.

Diese Beispiele mögen die generellen statistischen, aber auch biologisch-medizinischen Rahmenbedingungen, denen Studien im unteren Expositionsbereich unterliegen, veranschaulichen. Insofern kann beim derzeitigen Studienstand eine generell geltende „zuverlässige“ Untergrenze, bei der Gesundheitseffekte bei jedem sicher auszuschließen sind, nicht angegeben werden. Wie vom WHO-Gremium vielmehr praktiziert [5], wird bei der Festlegung der empfohlenen Richtwerte die epidemiologisch-medizinische Evidenz kritisch überprüft und in Metaanalysen zusammengefasst. Bei der Festlegung des Richtwertes orientiert man sich daran, ab welchem Wert die statistische Unsicherheit für den Nachweis eines Effekts zunimmt und die Unsicherheit über einer vorher definierten Schwelle liegt, wobei ein geringes Restrisiko für die Bevölkerung auch von der WHO akzeptiert wird.

Herr Dr. Schnitzler geht darüber hinaus auf die Methodik der Krankheitslastberechnung ein und hinterfragt die Sinnhaftigkeit dieser Berechnungen. Die vergleichende Krankheitslastberechnung nutzt die aus epidemiologischen Studien ermittelten relativen Risiken für verschiedene Risikofaktoren (also z. B. Rauchen, hoher Blutdruck, Alkoholkonsum, Luftschadstoffbelastung, etc.). Zusammen mit Informationen über die Häufigkeit des jeweiligen Risikofaktors kann daraus die Bedeutung der verschiedenen Risikofaktoren für das Krankheitsgeschehen in der Bevölkerung berechnet und miteinander verglichen werden. Unter dem Gesichtspunkt der Suszeptibilität von bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie z. B. Patienten mit chronischen internistischen Erkrankungen, ist auch eine differenzierte Bewertung bedeutsam. Diese wird zukünftig in der klinischen Medizin, im Rahmen von klinischem Air Pollution Impact Research an Bedeutung gewinnen und die bevölkerungsbezogenen epidemiologischen Studien ergänzen.

Wichtig bei der vergleichenden Abschätzung ist die Festlegung, wer als exponiert gilt; d. h., für welche Bevölkerungsgruppen das Risiko überhaupt erhöht ist. Das ist im Falle des Risikofaktors Rauchen relativ einfach – meist werden aktuelle Raucher als exponiert angesehen und für diese die Krankheitslast berechnet. Bei Luftschadstoffen ist dies etwas schwieriger, da jeder mehr oder weniger stark exponiert ist. Es wird daher vorher festgelegt, ab welcher Belastungshöhe die Krankheitslast berechnet wird. Würde man z. B. nur Menschen, die oberhalb des gesetzlichen Grenzwertes für Feinstaub leben, als exponiert ansehen und deren Krankheitslast berechnen, käme Null heraus (weil in Deutschland überall der gesetzliche Grenzwert für Feinstaub eingehalten wird). Berechnet man jedoch die Krankheitslast für alle Menschen in Deutschland, die oberhalb des derzeitigen Richtwertes der WHO leben, so resultiert eine relevante Krankheitslast, da ein großer Teil der Bevölkerung in Gebieten lebt, in denen der WHO-Richtwert nicht eingehalten wird.

Zur Abschätzung der Krankheitslast können unterschiedliche Vergleichsmaße berechnet werden, u. a. die Zahl der zuschreibbaren (attributablen) Todesfälle, die verlorenen Lebensjahre und die sogenannten „disability adjusted life years“ (DALYs).
In früheren Publikationen wurde der Begriff „vorzeitige“ Todesfälle geprägt, weil in der Vergangenheit häufig das 65. Lebensjahr als Schnittstelle zwischen „vorzeitigem Tod“ (vor Erreichen des 65. Lebensjahres) und „nicht-vorzeitigem Tod“ (Alter > 65 Jahre) definiert wurde. Diese Abgrenzung wird in der Krankheitslastberechnung der WHO heute nicht mehr verwendet. Stattdessen wird zur Ermittlung der verlorenen Lebenszeit die statistische Restlebenserwartung, die zum jeweiligen Todesalter besteht, genutzt. Insofern ist jeder Todesfall „vorzeitig“, weil auch 100-Jährige vor dem Tod noch eine Restlebenserwartung haben. Insofern hat der Begriff „vorzeitig“ auch nur noch historische Bedeutung und wird heute richtiger durch „attributabel“ oder „zuschreibbar“ ersetzt bzw. ergänzt.

Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten, dass die so berechneten Todesfälle, verlorenen Lebensjahre oder DALYs keine absoluten Größen darstellen, sondern nur durch den Vergleich zwischen verschiedenen Risikofaktoren oder durch den Vergleich eines Risikofaktors über einen längeren Zeitraum hinweg ihre Bedeutung erlangen. So wissen wir z. B. aus solchen Krankheitslastberechnungen, dass die Krankheitslast durch Luftverschmutzung global weit größer ist als die Last durch Passivrauchen oder Bewegungsmangel. Aus der von Herrn Schnitzler zitierten Studie des Umweltamtes zur Krankheitslast durch NO2 lässt sich z. B. erkennen, dass es in Deutschland eine, wenn auch geringe, Krankheitslast durch NO2 gibt und diese in den letzten Jahren geringfügig abgenommen hat.

Entgegen der Vermutung von Herrn Schnitzler ist das Ergebnis jedoch nicht zwangsläufig determiniert. Wenn das Sterbegeschehen bei exponierten und nicht-exponierten Menschen das gleiche ist (also das relative Risiko nicht signifikant von 1 abweicht), dann wird die Abschätzung der Krankheitslast auch keine zuschreibbaren Todesfälle ergeben.

Darüber hinaus wird von Herrn Dr. Schnitzler die Problematik der konkurrierenden Todesfälle angesprochen. In der Tat ist es möglich, dass ein Risikofaktor zu einer erhöhten krankheitsspezifischen Mortalität führt, wodurch dann das Versterben an einer anderen Todesursache unwahrscheinlicher wird. Da die kardiovaskuläre Mortalität jedoch entscheidend die Gesamtmortalität prägt, ist hier das Risiko von substantiellen Verschiebungen gering. Tatsächlich empfiehlt das „Committee on the Medical Effects of Air Pollution“ der britischen Regierung, für Krankheitslastberechnungen für den Effekt von NO2 auf die Gesamtmortalität eine Risikoerhöhung von 2,3 % (entspricht einem relativen Risiko RR von 1,023) zu nutzen [6], was geringfügig niedriger ist als das sich in der UBA-Studie ergebende RR von 1,03) [7].

In diesem Zusammenhang möchten wir noch auf folgende Publikationen hinweisen, die diese und weitere Aspekte zur Bedeutung der NO2-Belastung und der Krankheitslast adressieren:

  • Stickstoffdioxid: Gesundheitliche Bedeutung von Grenzwerten – Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Thema Stickstoffdioxid [8]

  • Umweltbedingte Krankheitslast – Fragen und Antworten [9]

  • Kritik an Population Attributable Fraction bei genauerem Hinsehen nicht gerechtfertigt [10]

  • Frequently asked questions on estimations of attributable burden of disease due to a risk factor [11]

Abschließend sei erwähnt, dass zur Frage der Beurteilung der Kausalität einer Beziehung zwischen umweltbezogenen Risikofaktoren und gesundheitlichen Endpunkten standardisierte Methoden vorliegen, die in unserer Publikation [1] auf Seite 293 – 295 kurz vorgestellt werden und die an anderer Stelle bereits mehrfach beschrieben wurden. Wir weisen hierfür auf die Stellungnahmen der ISEE und ERS [12] und der Leopoldina [13] hin. Für eine detaillierte Darstellung der Methodik kann man z. B. auf die Integrated Science Assessments der US EPA zurückgreifen [14].


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Holger Schulz
Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Institut für Epidemiologie
Ingolstädter Landstr. 1
85764 Neuherberg/München