Schlüsselwörter
Ulcus cruris - Livedovaskulopathie - Paraneoplasie
Key words
Leg ulcer - livedoid vasculopathy - paraneoplasm
Einleitung
Die Livedovaskulopathie (LV) ist eine chronisch rezidivierende Erkrankung und betrifft die Mikrozirkulation der Haut. Thrombotische Verschlüsse kleiner Gefäße führen zum typischen klinischen Bild der Livedo racemosa und äußerst schmerzhaften Ulzerationen, die narbig als Atrophie blanche abheilen. Die Pathogenese ist nicht sicher geklärt. Vermutet wird eine Hyperkoagulabilität, wie sie bei hereditären oder erworbenen Gerinnungsstörungen auftreten kann, aber auch Autoimmunerkrankungen und Neoplasien werden diskutiert [1], [2]. Während bei einigen Patienten keine Ursache für die Erkrankung ausfindig gemacht werden kann, illustriert der hier präsentierte Fall eindrücklich die Koexistenz mehrerer Faktoren.
Kasuistik
Vorgeschichte
Der 32-jährige Patient litt seit 5 Jahren an schmerzhaften Ulzerationen beider Beine. Klinisch wie auch histologisch konnte nach Ausschluss weiterer Ursachen die Diagnose einer Livedovaskulopathie gestellt werden ([
Abb. 1
]). In der erweiterten Gerinnungsdiagnostik zeigte sich damals lediglich ein hereditärer heterozygoter Faktor V-Mangel. Unter der initiierten Antikoagulation mit 80 mg/die Enoxaparin s. c. in Kombination mit 100 mg/die Acetylsalicylsäure kam es über mehrere Monate zu einer guten Schmerzreduktion und einer Abheilungstendenz der Ulzerationen. Die Wiedervorstellung erfolgte bei erneutem Rezidiv mit massiver Zunahme der Schmerzen und neu aufgetretenen Ulzerationen.
Abb. 1 Bizarr konfiguriertes Ulcus mit Fibrinbelägen und Umgebungsrötung.
Aufnahmebefund
Patient in reduziertem Allgemein- und regelrechtem Ernährungszustand (179 cm, 76 kg). Die internistische Untersuchung ergab keinen wegweisenden pathologischen Befund.
Es fanden sich an beiden Unterschenkeln bizzar angeordnete fibrinös belegte Ulcera mit deutlicher Umgebungsrötung ([
Abb. 2
]) und einer Livedo racemosa Zeichnung an Ober- und Unterschenkeln.
Abb. 2 Erneuter Schub der LV mit neuen Ulcera und deutlicher Aktivität.
Erneut erhobene Befunde diagnostischer Untersuchungen
Probebiopsie aus Ulcusnähe Dermal zeigten sich mäßig ausgeprägte eosinophilenreiche Immuninfiltrate. In den kleinen Gefäßen der Subcutis fanden sich zahlreiche Mikrothromben.
Farbduplexsonografie FKDS Beinarterien: Kein Nachweis von vaskulitischen Veränderungen der großen Gefäße.
FKDS Beinvenen: Kein Hinweis auf tiefe Beinvenenthrombose bds. oder postthrombotische Veränderungen. Keine relevante CVI.
Ergänzende Untersuchungen
Labor:
-
Erweitertes Thrombophilie-Screening, Kryoglobuline/-fibrinogen, Kälteagglutinine, Immun-Elektrophorese, ANA/ENA, pANCA, cANCA, Homocystein: opB
-
Erstnachweis einer wiederholt positiven Lupusantikoagulanz-Aktivität
Therapie und Verlauf
In Zusammenschau der neu erhobenen Befunde konnte die Diagnose einer Livedovaskulopathie auf dem Boden einer Hyperkoagulabilität bei heterozygoter Faktor V Leiden-Mutation und positivem Lupusantikoagulanz gestellt werden. Zur Verbesserung der rheologischen Situation wurde die Antikoagulation auf eine therapeutische Dosierung eskaliert und auf Rivaroxaban 20 mg pro Tag umgestellt. Zusätzlich erhielt der Patient täglich 40 µg Alprostadil i. v. über insgesamt drei Wochen. Die Wundbehandlung erfolgte stadiengerecht. Nach kurzzeitiger Besserung der Ulzerationen und Reduktion der Schmerzen kam es erneut zur Verschlechterung der Symptomatik ([
Abb. 2
]). Die stark schmerzhaften Nekrosen reichten am linken Unterschenkel bis auf die Sehne des M. tibialis anterior, sodass diese reseziert werden musste. Bei einer erneut initiierten körperlichen Untersuchung inklusive Palpation der Genitalien fiel eine derbe Vergrößerung des rechten Hodens auf. Der klinisch Verdacht eines Hodentumors bestätigte sich in der Diagnose eines bereits lymphogen metastasierten Embryonalzellkarzinoms des Hodens. Es folgte die stadiengerechte radikale urologische Operation mit anschließender Chemotherapie. Der Patient befindet sich bis heute in Remission. Klinisch auffällig war, dass mit Behandlung des Hodentumors unter Fortführung der Antikoagulation ohne weitere Interventionen eine Abheilung der Livedovaskulopathie begann. Residuelle Ulzerationen konnten nach erfolgreicher Wundkonditionierung mittels Spalthauttransplantation zur Abheilung gebracht werden ([
Abb. 3a
], [
Abb. 3b
]).
Abb. 3 Stabiler Befund nach Therapie des Embryonalzellkarzinoms. a nach Wundkonditionierung b abgeheilter Befund nach Spalthauttransplantation.
Diskussion
Um eine erfolgreiche Therapie für das Ulcus cruris einzuleiten, gilt es zunächst die Ursache der Ulzerationen zu identifizieren [3]. Eine Untersuchung der Gefäße und ggfs. eine Gewebeentnahme können hier Aufschluss geben. Die Diagnose der Livedovaskulopathie erfolgt in erster Linie klinisch und histologisch. Häufig wird die Erkrankung aufgrund ihrer Seltenheit und Unkenntnis erst spät diagnostiziert [4]. Betroffene haben vor allem aufgrund der Schmerzhaftigkeit oftmals einen hohen Leidensdruck [5]. Bei unserem Patienten fiel zwar eine angeborene heterozygote Faktor V Leiden Mutation auf, welche im Zusammenhang mit der LV beschrieben wird, allerdings ist diese nur mit einem vier- bis achtfach erhöhten Risiko für Thrombosen vergesellschaftet [6], [7], [8]. Ein weitaus höheres Thromboserisiko geht mit dem Vorhandensein eines Antiphospholipidsyndroms einher, welches ebenfalls mit der Erkrankung assoziiert sein kann und bei unserem Patienten mit einer wiederholt positiven Lupusantikoagulanz-Aktivität nachgewiesen wurde [9]. Rückblickend erscheint die erst im Verlauf offensichtliche Tumorerkrankung als eine weitere Ursache der Thrombophilie mit erheblichem Einfluss auf die Aktivität der Livedovaskulopathie. Antiphospholipid-Antikörper können im Rahmen von immunologischen Erkrankungen, aber auch als paraneoplastisches (Epi-)Phänomen auftreten [10]. Die Abheilung der Ulzerationen und der Rückgang der Schmerzen nach erfolgreicher Therapie des Hodentumors stützt die Hypothese eines zusätzlichen paraneoplastischen Triggers.
Das Embryonalzellkarzinom des Hodens ist der häufigste Tumor des jungen Mannes [11], [12]. In der konventionellen Schnittbildgebung sind die Körperabschnitte unterhalb der Symphysis pubis meist nicht erfasst. Bei bestehendem Verdacht, aber auch zum Ausschluss eines paraneoplastischen Geschehens, sollte daher eine sorgfältige körperliche Untersuchung mit Palpation der Lymphknoten und Genitalien durchgeführt werden. Vor allem muss bei intensiver kausaler Therapie und weiter bestehender Aktivität der Livedovaskulopathie an einen weiteren bislang nichtdiagnostizierten Trigger gedacht werden.
Eine standardisierte Therapie der LV gibt es aufgrund fehlender Evidenz zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Als wirksam haben sich in erster Linie Antikoagulanzien (Rivaroxaban und niedermolekulare Heparine) erwiesen. Die Frage inwieweit mit systemischen Steroiden und Immunglobulinen eine zusätzliche Verbesserung der Symptomatik erzielt werden kann, wird in der Literatur kontrovers diskutiert und bedarf weiterer klinischer Studien [13], [14], [15].