Balint Journal 2019; 20(03): 90-91
DOI: 10.1055/a-0985-2484
Leserbrief
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Antwort zum Leserbrief Heide Otten

Ernst R. Petzold
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Publication Date:
20 September 2019 (online)

Leserbrief zum Beitrag W. Schüffel et al. Szenen eines deutsch-deutschen Trialoges – Wie politisch ist das Ringen um Salutogenese? Balint 2019; 20: 4–15

Der Leserbrief von H.O. könnte als eine Rezension über das Buch „Psychotherapie in Ostdeutschland“ von Michael Geyer verstanden werden, wenn es da nicht den Versuch gegeben hätte durch einen intensiven Briefwechsel zwischen W.S. und M.G., ein Nicht- Verstehen zu überwinden in einer Zeit, in der eine erneute Spaltung unseres Landes durch das Einander Nicht- Verstehen droht. Wir sind über das Nicht- Verstehen mehr als erschrocken. Wir sind entsetzt. Kann der Versuch, das Nicht-Verstehen zu verstehen in einer fiktiven Großgruppe gefunden werden mit einem Innenkreis, in dem 3 Großvätern transgenerationell von ihrem Ringen um Salutogenese und von der Umsetzung von Psychosomatik und Psychotherapeutischer Medizin in Ost und West berichten - und einem Außenkreis, den Lesern dieses Artikels bilden, deren Antworten aber weitgehend noch offen sind. Offen bleibt auch die Frage, wer ist Leiter?

Verfehlt H.O. im Außenkreis das, was von dem Innenkreis ausgehen will? Die Intention des Trialogs wird nicht erfasst. Nicht erfasst wird das Aufeinander Zugehen verschiedener Erzählgemeinschaften, nicht erfasst die „stimmige Verbundenheit“, die wir selbst (H.O. und E.R.P.) in vielen Ländern, in vielen verschiedenen Balintgruppen erfahren haben. Im Innenkreis höre ich den Unmut und Unzufriedenheit darüber, dass einer von uns „etwas überheblich“ wirkt. Ich höre/lese auch „Wartburggespräche“ und „apostolische Funktion“, „eine neuartig sich entwickelnde Psychosomatik sei nicht erkennbar“. Über die Ergebnisse dieser Erzählgemeinschaften wurde mehrfach im B.J. berichtet.

„Überheblich“ sagte mir auch ein Freund aus Jena, dem ich unseren Beitrag zu lesen geben hatte zu der überheblichen Arroganz vieler Westdeutscher den Ostdeutschen gegenüber, diesen nicht verstehen zu können. Er unterdrückte seinen Zorn darüber nicht. Der Satz, „ein Westdeutscher kann einen Ostdeutschen nicht verstehen“, ist zu verwerfen.

Überheblich. Das geht natürlich gar nicht, aber wenn’s so gehört/gelesen wird, dann muss da etwas dran sein. Was?

In der Einleitung zu dem o.g. Artikel schrieb ich von dem Verstehen und das mit dem Begriff etwas ganz Unmögliches gefordert wird. Niemand kann an der Stelle eines anderen stehen, wenn er ihm zuhört. Das wäre eine Verdrängung. Er kann nur zuhören und antworten, also entgegnen. Ich bezog mich auf den israelischen Psychoanalytiker A. R. Bodenheimer, der lange Zeit in Zürich lebte und gelegentlich in Heidelberg war. In seinem Versuch über das „Verstehen heißt antworten“ (Waldgut Verlag, CH Frauenfeld, 1987) geht es beim Verstehen um Begleiten, Erkennen, aber auch um Verstören, den großen Möglichkeiten des Verstehens einer Arzt-Patient-Beziehung. Wollte H.O. verstören, so muss ich sagen: Es ist ihr gelungen.

Wäre ich Leiter und nicht Mitautor im Innenkreis, dann würde ich mich vor W.S. stellen. Ist das, was er da schreibt, überheblich? Es kann sein, dass er sich und wir uns mit ihm überhoben haben. Unsere deutsche „Geschichte und eigenen Geschichten“ (M.G.) mögen bewegend sein. Sie sind klein gegenüber dem Versagen, gegenüber den Aufgaben der Zeit in der Unfreiheit in der Diktatur, klein gegenüber Schuld, und Scham, manches nicht gesagt, vieles nicht getan zu haben. Verdichtet sind Erleben, Erfahrungen und Entwicklungen paradigmatisch und metaphorisch.

Ich aber aus dem Innenkreis danke H.O. für ihren Versuch über das zu schreiben, was sie mithilfe der Großgruppe zu verstehen sucht. Wir verdanken ihr sehr viel für unsere Balintarbeit.

Unser Ringen um die Salutogenese wird weiter gehen.