Transfusionsmedizin 2019; 9(04): 209-210
DOI: 10.1055/a-0987-2877
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Widerspruchsregelung ist Minimalsolidarität einer lebenswerten Gesellschaft

Rainer Blasczyk
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Publication Date:
18 November 2019 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in jüngster Zeit wird im Zusammenhang mit der Umweltbelastung das Ausmaß der Gefährdung gerne durch die Anzahl vorzeitiger Todesfälle beschrieben. So hat die Europäische Umweltagentur in ihrem Jahresbericht kürzlich festgestellt, dass aufgrund zu hoher Luftverschmutzung allein in Deutschland Zehntausende vorzeitig verstarben. Diese plastische Verdeutlichung eines dringenden Handlungsbedarfs passt auch gut zum Thema Organtransplantation. Im Jahr 2007 hat der Nationale Ethikrat die Einführung einer Widerspruchsregelung empfohlen, um Menschenleben durch ein höheres Organaufkommen zu retten. Außer einer mutlosen Umgestaltung der Zustimmungslösung in die Entscheidungslösung zum 01.11.2012 ist nichts geschehen, sodass in Deutschland Zehntausende Wartepatienten vorzeitig verstarben. Das hätte leicht verhindert werden können. Umso erfreulicher ist es, dass die Regelungen zur Organtransplantation in diesem Jahr wieder ein Dauerthema geworden sind. Die zum 01.04.2019 in Kraft getretene Novellierung des Transplantationsgesetzes mit freigestellten Transplantationsbeauftragten und höherer Vergütung für Entnahmekrankenhäuser beseitigt bisherige Hemmnisse der postmortalen Organspende. Es wird trotzdem nicht reichen, den Bedarf an Spenderorganen annähernd zu decken, da die Datenlage sowohl in Europa als auch den USA zweifelsfrei darauf hinweist, dass ohne verpflichtende Minimalsolidarität jedes Einzelnen keine relevante Zunahme des Organaufkommens zu erreichen ist. In 25 Ländern Europas gilt inzwischen die Widerspruchsregelung, aus denen Deutschland fleißig und ohne Bedenken Organe importiert. Hier hat sich Deutschland mit seinem Sonderweg voller moralischer und rechtlicher Bedenken gewissermaßen zum Schwarzfahrer Europas entwickelt.