Nervenheilkunde 2019; 38(10): 780-781
DOI: 10.1055/a-0997-3161
Kopfschmerz News
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kopfschmerz News der DMKG

Stefan Evers
,
Andreas Straube
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Publication History

Publication Date:
15 October 2019 (online)

 

Haben Migräneattacken mit und ohne Aura dieselben Mechanismen?

**** Butt JH, Rostrup E, Hansen AS, Lambertsen KL, et al. Induction of migraine-like headache, but not aura, by cilostazol in patients with migraine with aura. Brain 2018; 141: 2943–2951

Der cAMP-Akkumulator Cilostazol löst auch bei Migränepatienten, deren spontane Attacken immer von einer Aura eingeleitet werden, nur Migräneattacken ohne Aura aus. Dies spricht für eine Dissoziation der Mechanismen der Migräneaura von den Mechanismen des Migränekopfschmerz.

Inhalt

In den verschiedenen dänischen Arbeitsgruppen, die sich mit der Pathophysiologie der Migräne beschäftigen, wird versucht, Migräneattacken mit Substanzen auszulösen, um anhand dieses humanen Modells Medikamente und andere Aspekte der Migräne zu erforschen. Dabei werden ähnliche Methoden und ähnliche Darstellungsweisen verwendet. Dies hat zu einer gewissen Flut an Publikationen geführt, in denen sich verschiedene Substanzen als geeignet zur Auslösung von Migräneattacken gezeigt haben.

Eine dieser Substanzen ist Cilostazol, das eine cAMP-Akkumulation bewirken kann und bei Menschen mit einer Migräne ohne Aura auch eine Migräneattacke auslöst. In dieser Studie nun wurde Cilostazol eingesetzt bei Probanden mit einer Migräne mit Aura, um zu überprüfen, ob diese Substanz auch eine Aura auslösen kann. Diese Frage muss vor dem Hintergrund der Diskussion gesehen werden, ob Migräne ohne Aura und Migräne mit Aura 2 Erkrankungen sind und ob eine Aura immer (oft von den Betroffenen nicht bemerkt) einer Migräneattacke vorausgeht.

Dazu wurden in einer randomisierten doppelblinden placebokontrollierten Studie 16 Patienten mit Migräne mit Aura eingeschlossen (12 mit ausschließlicher Migräne mit Aura). Sie erhielten an einem Tag 200 mg Cilostazol und an einem anderen Tag Placebo. Parallel wurden endotheliale Funktionen durch Tonometrie und durch Marker wie VCAM1, E-Selectin und VEGFA untersucht. 14 Patienten entwickelten einige Stunden nach Cilostazol-Gabe Kopfschmerzen, bei 12 Patienten entsprachen diese einer Migräne. Unter Placebo entwickelten 6 Probanden Kopfschmerzen, aber nur einer eine Migräne. Eine Aura wurde aber nur bei einem Patienten unter Cilostazol und bei einem Patienten unter Placebo ausgelöst. Die verschiedenen endothelialen Funktionsmarker unterschieden sich nicht zwischen Cilostazol und Placebo. Die Autoren schließen, dass Cilostazol keine Migräneaura auslösen kann, was für eine Dissoziation zwischen Migräneaura und Migränekopfschmerz spricht. Eine Substanz, die zuverlässig eine Migräneaura auslösen kann, ist bis heute noch nicht identifiziert worden.


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Kommentar

Diese Studie besticht durch ihre Einfachheit. In einem klaren, lang etablierten Design konnte gezeigt werden, dass der cAMP-Akkumulator Cilostazol zwar Migränekopfschmerz, aber nicht eine Migräneaura auslösen kann, selbst bei Probanden, die normalerweise nur Migräne mit Aura haben. Dies unterstützt die Hypothese, dass für die Auraentstehung und die Kopfschmerzentstehung verschiedene Trigger verantwortlich sein müssen, und spricht gegen die Hypothese, dass eine Aura (z. B. in Form einer Cortical Spreading Depression) immer einem Kopfschmerz vorangehen muss (wobei postuliert wird, dass die Aura häufig nicht als solche bemerkt wird). Es ist schon bemerkenswert, dass wir inzwischen zahlreiche Substanzen kennen, die in der Lage sind, einen typischen Migränekopfschmerz bei Menschen mit einer Migräneveranlagung auszulösen, dass wir aber noch keine Substanz kennen, die eine Aura auslösen kann. Dementsprechend gibt es bislang ja auch noch kein Akutpräparat, das gegen eine Migräneaura wirksam wäre.

Es wäre wünschenswert, wenn mehr Studien mit einem humanen Modell zur Migräneaura durchgeführt würden, da dies zu einem besseren Verständnis der Migränepathophysiologie beitragen kann. Am Ende bleibt aber immer auch noch die Frage, ob die Migräne, die mit Substanzen induziert wird, in ihrer (Patho-)physiologie auch wirklich einer spontan auftretenden Migräneattacke vollständig entspricht.

Stefan Evers, Coppenbrügge


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Behandlung der chronischen Migräne mit Medikamentenübergebrauch

*** Pijpers JA, Kies DA, Louter MA, et al. Acute withdrawal and botulinum toxin A in chronic migraine with medication overuse: a double-blind randomized controlled trial. Brain 2019; 142(5): 1203–1214

Bei einer chronischen Migräne in Verbindung mit einem Medikamentenübergebrauch sollte immer zuerst an einen Medikamentenentzug gedacht werden. Ob eine zusätzliche Therapie mit Onabotulinumtoxin A einen zusätzlichen Nutzen bringt ist unklar.

Zusammenfassung

Bei der hier vorgestellten Studie handelt es sich um eine monozentrische, randomisierte Studie, die den Effekt einer Medikamentenentzugstherapie plus einer Add-on-Therapie auf die Kopfschmerzhäufigkeit bei Patienten mit chronischer Migräne und Medikamentenübergebrauch untersucht. Als Add-on-Therapie wurde randomisiert entweder eine einmalige Onabotulinumtoxin-A-Therapie nach PREEMPT-Schema oder eine Niedrig-Dosis-Therapie mit nur 17,5 Einheiten Onabotulinumtoxin A in die Stirn (plus Kochsalzinjektionen in die andere Lokalisationen) („Placebo“) durchgeführt. Der primäre Endpunkt war die Kopfschmerzfrequenz (Tage) in der Woche 9–12 verglichen zum Ausgangswert. Insgesamt wurden 179 Patienten eingeschlossen. Es fand sich bezüglich des primären Endpunktes kein Unterschied zwischen beiden Gruppen. Beide Gruppen verbesserten sich signifikant gegenüber dem Ausgangswert (Onabotulinumtoxin A nach PREEMPT: um 26,9 %; „Placebo“ um 20,5 %), bzgl. der Migränetage um 6,2 zu 7,0 Tage. Auch in den sekundären Endpunkten fanden sich keine Unterschiede. Ein Teil der Patienten, die weiterhin an einer chronischen Migräne litten, wurde dann bis Woche 48 nachverfolgt und ein Teil dieser Patienten wurde nach 12 Wochen (open lable) mit Onabotulinumtoxin A nach PREEMPT-Schema behandelt. Auch hier zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. Die Autoren schlussfolgern, dass eine zusätzliche Onabotulinumtoxin-A-Therapie nach PREEMPT gegenüber einem alleinigen Medikamentenentzug keinen Vorteil bringt. Diese Einschätzung beruht auf der Annahme, dass die Niedrig-Dosis-Onabotulinumtoxin-A-Therapie keinen über ein Placebo hinausgehenden Effekt hat.


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Kommentar

Wesentliches Ergebnis der Studie ist, dass ein Medikamentenentzug bei Medikamentenübergebrauch im Rahmen einer chronischen Migräne effektiv ist und bei entsprechender Konstellation immer anzustreben ist. Schwieriger ist die Schlussfolgerung, dass eine zusätzliche Onabotulinumtoxin-A-Therapie keine spezifische Wirkung hat. 2 Punkte sind hier zu diskutieren:

  • Die Wirkung von Onabotulinumtoxin A setzt bei einem Teil der Patienten erst nach der 2. bzw. 3. Injektion ein und nimmt auch über die Zeit zu. In der Studie wurde nur ein Beobachtungszeitraum von 12 Wochen gewählt. Die Daten zu Woche 48 sind schwer zu interpretieren, da vermutlich 32 Patienten der initialen Placebogruppe auch Onabotulinumtoxin A nach Woche 12 erhielten.

  • Das 2. Problem ist, dass die Autoren im engeren Sinne eine Hoch-Dosis-Onabotulinumtoxin-A -Therapie mit einer Niedrig-Dosis-Therapie (nicht einer Placebotherapie) verglichen haben.

Die Autoren diskutieren dieses auch kurz, wobei sie aber nicht auf Studien eingehen, die niedrige Dosierungen verwendet haben. So wurden in den meisten veröffentlichten Studien zu Depression und OnabotulinumtoxinA nur Dosierung zwischen 20–30 Units verwendet [1]. Auch die Studien aus den kosmetischen Anwendungen von OnabotulinumtoxinA, die ja als erste einen Effekt auf die Migräne nahelegten, sind im Niedrig-Dosis-Bereich (z. T. nur 10 Units) [2], [3]. In einer nur auf Kongressen vorgestellte Studie der Deutschen Botulinumtoxin Gesellschaft (persönliche Mitteilung von W. H. Jost) ergaben sich Hinweise, dass auch niedrige Dosierungen (5 Einheiten) wirksam sein könnten. Letztlich ist die Trennung eines spezifischen Therapieeffektes von einem unspezifischen dabei nicht möglich, aber in Bezug auf den Therapieerfolg auch unwesentlich. Leider fehlt eine entsprechende Diskussion in der Arbeit.

Fazit ist, dass bei einer chronischen Migräne mit begleitendem Medikamentenübergebrauch ein Medikamentenentzug angeregt werden sollte. Ein sicherer Zusatznutzen der gleichzeitigen Behandlung mit Onabotulinumtoxin A ist an Hand dieser Studie nicht zu belegen.

Andreas Straube, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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  • Literatur

  • 1 Stearns TP, Shad MU, Guzman GC. Glabellar Botulinum Toxin Injections in Major Depressive Disorder: A Critical Review. Prim Care Companion CNS Disord 2018 20(5). doi: 10.4088/PCC.18r02298
  • 2 Brin MF, Boodhoo TI, Pogoda JM. et al Safety and tolerability of onabotulinumtoxinA in the treatment of facial lines: a meta-analysis of individual patient data from global clinical registration studies in, 1678 participants. J Am Acad Dermatol 2009; 61 (06) 961-70
  • 3 De Boulle K, Fagien S, Sommer B. et al Treating glabellar lines with botulinum toxin type A-hemagglutinin complex: a review of the science, the clinical data, and patient satisfaction. Clin Interv Aging 2010; 5: 101-18

  • Literatur

  • 1 Stearns TP, Shad MU, Guzman GC. Glabellar Botulinum Toxin Injections in Major Depressive Disorder: A Critical Review. Prim Care Companion CNS Disord 2018 20(5). doi: 10.4088/PCC.18r02298
  • 2 Brin MF, Boodhoo TI, Pogoda JM. et al Safety and tolerability of onabotulinumtoxinA in the treatment of facial lines: a meta-analysis of individual patient data from global clinical registration studies in, 1678 participants. J Am Acad Dermatol 2009; 61 (06) 961-70
  • 3 De Boulle K, Fagien S, Sommer B. et al Treating glabellar lines with botulinum toxin type A-hemagglutinin complex: a review of the science, the clinical data, and patient satisfaction. Clin Interv Aging 2010; 5: 101-18