Hintergrund
Beim Very early HELLP-Syndrom sind es vor allem die mütterlichen Risiken, die zu einer
raschen Beendigung der Schwangerschaft drängen. Dem steht der erklärte Wunsch betroffener
Paare gegenüber, den Fetus–unter Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten – in
ein Gestationsalter zu begleiten, zu dem eine Maximalversorgung außerhalb des Mutterleibes
möglich wird. Dabei darf nicht allein auf die Grenze der extrauterinen Lebensfähigkeit
geschaut werden, sondern es muss zukunftsweisend abgewogen werden, unter welchen Voraussetzungen
der Neonatologe eine Maximaltherapie bzw. Unterstützung des Kindes postpartal beginnen
soll.
Das von Weinstein im Jahr 1982 erstmals beschriebene HELLP-Syndrom stellt eine schwerwiegende
Schwangerschaftskomplikation dar [1]. Sie tritt bei 0,5–0,9 % aller Schwangerschaften auf. Je nach Gestationsalter bei
Geburt ist diese Erkrankung mit einer für die betroffenen Frauen und Kinder 1,1 %-igen
maternalen und einer 7,4–34 %-igen fetalen Mortalität verbunden.
Symptome und Therapieoptionen des HELLP-Syndroms
Charakterisiert wird das HELLP-Syndrom durch die Trias aus Hämolyse (LDH > 600 U / L,
Haptoglobin erniedrigt), erhöhten Leberenzymen (GOT > 70 U / L) und Thrombozytopenie
(Thrombozyten < 100 000 / µl) [2]. Zudem können unspezifische Symptome wie allgemeines Unwohlsein, (rechtsseitige)
Oberbauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen und Sehstörungen auftreten.
In 82–88 % der Fälle besteht eine Hypertonie und in 86–100 % der Fälle eine Proteinurie
[3].
Im Hinblick auf die mütterliche und kindliche Morbidität und Mortalität ist es vor
allem die frühe Form des HELLP-Syndroms (Auftreten vor der vollendeten 34. SSW), die
in der industrialisierten Welt von großer Relevanz ist. Aber auch die Late-Onset-Form
dieser Erkrankung gehört global betrachtet zu den Hauptgründen der mütterlichen und
kindlichen peripartalen Todesfälle. Die derzeit einzig bekannte kurative Therapie
ist die Entbindung. Jedoch sollte bei Auftreten einer frühen Präeklampsie die Prolongation
der Schwangerschaft und Induktion der fetalen Lungenreife mittels Kortikosteroiden
erwogen werden [4]. Ziel ist eine Verlängerung der Schwangerschaft über die abgeschlossene 30. SSW
hinaus, durch engmaschige Kontrollen der Laborparameter und eine individualisierte
antihypertensive sowie antikonvulsive Therapie.
Besonderheiten beim Very early HELLP-Syndrom
Ganz anders sieht es jedoch bei Auftreten eines sehr frühen HELLP-Syndroms (Very early
HELLP-Syndrom) aus. Hier ist im Hinblick auf die erheblichen maternalen Risiken und
die sehr fragwürdige Prognose des Kindes bei einer Entbindung vor oder an der Grenze
der extrauterinen Überlebensfähigkeit (≤ 24. SSW) unter maximaler intensivmedizinischer
Intervention insbesondere auch ein Schwangerschaftsabbruch zu diskutieren. Das Ansprechen
dieses Entscheidungsweges löst bei den betroffenen Paaren nicht selten eine existenzielle
emotionale Krise aus, die mit einem nachhaltigen Hinterfragen aller bisher getroffenen
Entscheidungen verbunden ist. Sehr schnell kommt es zu Vertrauensbrüchen, insbesondere,
wenn es in der professionellen Beratung nicht gelingt, einen weitgehend nondirektiven
und von den Eltern mitbestimmten Weg einzuschlagen.
Beim Very early HELLP-Syndrom ist durch die maternale Gefährdung ein Zeitdruck gegeben.
Deshalb erfordert die Beratung des Elternpaares viel Fingerspitzengefühl und eine
gute Einschätzung des individuellen Krankheitsverlaufes.
Beratung der Eltern
Es gilt schon in den ersten Gesprächen mit den Eltern, klar zu machen, dass die Diagnose
eines extrem frühen HELLP-Syndroms äußerst selten ist und meist ohne wesentlichen
zeitlichen Vorlauf gestellt wird [2]. Dies ist ebenso wichtig wie eine Relativierung subjektiv empfundener Verhaltensfehler
der Schwangeren.
Die Beantwortung der Frage nach persönlichen und durch das professionelle Umfeld zu
verantwortenden Versäumnissen nimmt nicht selten einigen Gesprächsraum ein.
Darüber hinaus müssen die Ergebnisse der Sonografie (Doppler, Fruchtwassermenge, Biometrie,
Zeichen einer intrauterinen Mangelversorgung etc.) erläutert und der Interpretationsspielraum
bezüglich der Bedeutung für das „Outcome“ des Kindes veranschaulicht werden. Ob neben
den sonografischen und charakteristischen maternalen Befunden zur Prädiktion und Diagnostik
einer frühen Präeklampsie auch der sFlt-1 / PlGF-Quotient herangezogen werden kann,
dessen Anwendung auf der Basis der Empfehlungen einer internationalen Konsensusgruppe
bei Einlingsschwangerschaften ab der abgeschlossenen 24. SSW beruht, bleibt abzuwarten.
Für ein sehr frühes HELLP-Syndrom ist dieser Quotient nicht validiert, kann bei der
Diagnose und insbesondere in der Diskussion des zu erwartenden Verlaufes dennoch eine
Hilfe sein.
Fallbeispiele
In dieser Arbeit sollen 2 exemplarische Fallbeispiele mit Auftreten eines sehr frühen
HELLP-Syndroms vor der 24. SSW und das Management in diesen Situationen vorgestellt
und diskutiert werden.
Fall 1 – Erstgravida (29) in der 18 + 3 SSW
Die stationäre Aufnahme der 29-jährigen Erstgravida erfolgte in der 18 + 3 SSW mit
seit 2 Wochen bestehenden Oberbauchschmerzen und einem Blutdruck von 155 / 102 mmHg.
Nebenbefundlich wurde eine Hypothyreose diagnostiziert. Sonografisch zeigte sich eine
Plazentainsuffizienz mit schwerer symmetrischer fetaler Wachstumsretardierung und
Oligohydramnion. Die fetalen Doppler waren unauffällig, die uterinen Doppler jedoch
beidseits erhöht und zeigten ein Notching. Des Weiteren fiel bei der sonografischen
Untersuchung des Feten ein hyperechogener Darm auf. Darüber hinaus bestand kein Anhalt
für fetale Fehlbildungen. Die maternale Thrombozytenzahl lag mit 239 000 / µl im Normbereich,
die GOT war mit 246 U / l erhöht. Das β-HCG lag mit 65 000 IE / l etwas über dem für
diese Schwangerschaftswoche zu erwartenden Normwert (6 Tage später mit 40 000 IE / l
im Normbereich). Der sFlt-1 / PlGF-Quotient war mit 310 deutlich erhöht. Bei persistierenden
starken Schmerzen im Magenbereich erfolgte ein chirurgisches und internistisches Konsil,
jedoch ohne Anhalt für eine akute internistische oder chirurgische Ursache der Beschwerden.
Bei Verdacht auf eine frühe, schwere Präeklampsie wurde die Schwangere werteneutral
und umfassend beraten. Sie entschied sich zunächst gegen einen Schwangerschaftsabbruch
und für einen Prolongationsversuch. Die Blutdruckeinstellung erfolgte mit Methyldopa
und eine Flüssigkeitsbilanzierung wurde durchgeführt. Zudem erhielt die Frau Magnesiumsulfat
i. v. und im Verlauf, bei sinkenden Thrombozytenzahlen, eine Kortisonstoßtherapie
mit jeweils 32 mg Methylprednisolon an 2 aufeinander folgenden Tagen. Bei erhöhten
Infektparametern erfolgte eine antibiotische Therapie. Weitere durchgeführte Untersuchungen
wie eine initiale CVS / AC, TORCH-Untersuchung, Hepatitisserologie, HIT-Diagnostik
und Eiweißausscheidung im Urin zeigten unauffällige Ergebnisse. Ein hämolytisch-urämisches
Syndrom (HUS) wurde ausgeschlossen.
Bei im Verlauf zunehmender Beschwerdesymptomatik (Prodrome) der Patientin und pathologischen
fetalen Dopplern im Sinne einer Zentralisation wurde – nach mehrfachen ausführlichen
Beratungen der Frau – in der 19 + 3 SSW die Indikation zum Schwangerschaftsabbruch
gestellt und durch eine Einleitung der Geburt mittels Misoprostol vaginal (nach entsprechender
Aufklärung über den Off-Label-Use) durchgeführt. Die Frau erhielt eine psychologische
Betreuung.
Die Laborparameter stabilisierten sich nach der Entbindung rasch wieder. Der Patientin
ging es binnen weniger Tage klinisch deutlich besser und daher konnte die stationäre
Behandlung bereits am 5. Tag nach Abbruch der Schwangerschaft beendet werden. Die
Obduktion zeigte einen hypotrophen weiblichen Feten ohne Fehlbildungen. Die Plazenta
war mit 83 g untergewichtig und zeigte Zottenreifungsstörungen sowie disseminierte
alte Infarkte und ältere Blutungen. Der humangenetische Befund war unauffällig.
Zwei Monate postpartal war die klinische Symptomatik weitestgehend verschwunden, die
Laborparameter befanden sich im Normbereich. Es bestand jedoch weiterhin eine arterielle
Hypertonie, welche bereits präexistent gewesen sein könnte. Bei wiederholt nachweisbaren
Antiphospholipid-Antikörpern wurde nach Abbruch der Schwangerschaft die Verdachtsdiagnose
eines Antiphospholipid-Syndroms gestellt und die Beratung bezüglich einer weiteren
Schwangerschaft in dieser Richtung ausgestaltet.
Fall 2 – Erstgravida (32) in 16 + 2 SSW
Die Aufnahme der 32-jährigen Erstgravida erfolgte in der 16 + 2 SSW mit epigastrischen
Beschwerden. Nebenbefundlich waren eine Hypothyreose und Hüftdysplasie beidseits bekannt.
Die Schwangerschaft war im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung durch Stimulation entstanden.
Die Thrombozytenzahl lag bei Aufnahme bei 66 000 / µl, die GOT bei 136 U / l und das
β-HCG bei 61 000 IE / l. Der sFlt-1 / PlGF-Quotient war mit > 1000 stark erhöht. Eine
Hypertonie bestand initial nicht. Sonografisch zeigte sich eine asymmetrische fetale
Wachstumsrestriktion ohne Anhalt für Fehlbildungen oder eine Molenschwangerschaft.
Die maternale Doppler-Untersuchung der Aa. uterinae zeigte einen auffälligen Befund
beidseits mit erhöhtem Widerstand und Notching. Weitere durchgeführte Untersuchungen
wie eine TORCH-Untersuchung, Hepatitisserologie und Kontrolle der Eiweißausscheidung
im Urin zeigten unauffällige Ergebnisse. Ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
wurde ausgeschlossen. Es wurde ein gastroenterologisches und kardiologisches Konsil
durchgeführt, welches sich mit Ausnahme eines Schleimhauterythems im Antrum unauffällig
zeigte.
Bei Verdacht auf ein Very early HELLP-Syndrom erfolgte die Therapie mit Magnesiumsulfat
i. v. und die mehrfache Gabe von Methylprednisolon (initial 64 mg bei Aufnahme sowie
erneut 64 mg am Folgetag und 32 mg bzw. 16 mg an den beiden darauffolgenden Tagen).
Zunächst gelang es, die Thrombozytenzahl zu stabilisieren, die Leberwerte fielen und
der Schwangeren ging es unter analgetischer Therapie klinisch deutlich besser. In
dieser Zeit fanden mehrfache Gespräche bezüglich der Prolongation oder des Abbruchs
der Schwangerschaft statt. Die Patientin war über lange Zeit bezüglich einer Entscheidung
sehr ambivalent.
Am 5. Tag nach Aufnahme kam es klinisch und laborchemisch zu einer erneuten Progredienz
des Very early HELLP-Syndroms. Es zeigte sich eine milde Hypertonie. Erschwerend kam
hinzu, dass die Religionszugehörigkeit der Frau eine Bluttransfusion nicht erlaubte.
Dies war im Hinblick auf eine massive Hämolyse und fallende Thrombozytenzahlen bei
der weiteren Behandlungsplanung zu bedenken. Schließlich wurde im Einvernehmen mit
der Patientin in der 17 + 0 SSW die Indikation zum Schwangerschaftsabbruch gestellt.
Der Schwangerschaftsabbruch erfolgte durch eine Einleitung der Geburt mittels Mifepriston
und Misoprostol. Zur Stabilisierung der Thrombozytenzahl erhielt die Frau erneut initial
64 mg Methylprednisolon i. v., sowie 32 mg bzw. 16 mg an den beiden darauffolgenden
Tagen.
Nach der Geburt eines avitalen Mädchens erfolgte die instrumentelle Nachtastung sowie
bei verstärkter Blutung die Gabe von Nalador und Einlage einer intrakavitären Tamponade.
Bei einem Hämoglobinwert von 8,8 g / dl erhielt die Patientin eine Eiseninfusion.
Im weiteren Verlauf stabilisierten sich die Laborwerte und es kam zu einer deutlichen
Besserung der klinischen Symptomatik, sodass die Frau eine Woche nach Abbruch der
Schwangerschaft in die ambulante Betreuung entlassen werden konnte.
Die Obduktion zeigte einen hypotrophen Feten (Gewicht entsprechend der 12. SSW) mit
geringgradiger Retrognathie und tiefsitzenden Ohren. Die Plazenta war mit 44 g deutlich
untergewichtig. Es fielen dissoziierte Zottenreifungsstörungen, ausgeprägte Stromablutungen
und fokale Zottennekrosen auf. Die humangenetische Untersuchung lieferte eine unauffällige
Karyotypisierung. Das Thrombophiliescreening zeigte einen unauffälligen Befund. Einen
Monat später erfolgte die Wiedervorstellung der Patientin. Ihr ging es klinisch gut
und sie erkundigte sich über Risiken und Präventionsmöglichkeiten im Falle einer erneuten
Schwangerschaft. Die Beratung bezüglich einer weiteren Schwangerschaft erfolgte auf
der Basis der erhobenen Befunde und der aktuellen Literatur.
Ein Jahr später kam es zu einem Abort in der 9. SSW ohne Komplikationen oder verstärkte
Blutungen. Im Jahr darauf folgte eine erfolgreiche Schwangerschaft, die erfolgreich
ausgetragen werden konnte. Es wurde eine intensive Schwangerschaftsbetreuung gewährleistet
und es kam zu keinerlei Zeichen einer Präeklampsie.
Diskussion
Ein HELLP-Syndrom wird in 0,5–0,9 % aller Schwangerschaften und in 10–20 % aller Schwangerschaften
mit schwerer Präeklampsie manifest [2]
[3]. 10 % aller HELLP-Syndrome beginnen vor der 27. SSW [4].
Das Auftreten eines HELLP-Syndroms vor der extrauterinen Lebensfähigkeit des Feten
(Very early HELLP-Syndrom) ist äußerst selten. Der sehr frühe Beginn der Erkrankung
steht nicht selten im Zusammenhang mit weiteren Komorbiditäten, z. B. einer fetalen
Triploidie, einer Partialmole oder einem Antiphospholipid-Syndrom [5]
[6]
[7]
[8]. Dies muss daher in der klinischen Diagnostik Berücksichtigung finden (Infobox).
Als weitere Risikofaktoren für ein HELLP-Syndrom gelten Multiparität, erhöhtes mütterliches
Alter, afroamerikanische Abstammung, das Auftreten eines HELLP-Syndroms in der Eigen-
oder Familienanamnese oder vorbestehende rheumatische Erkrankungen (z. B. systemischer
Lupus erythematodes) [9]
[10]
[11]
[12]
[13]. Demgegenüber sind in der Literatur Fälle beschrieben, die keinen dieser Risikofaktoren
erkennen lassen [14].
Die Präeklampsie und die spezielle Form des Very early HELLP-Syndroms sind plazentaassoziierte
Schwangerschaftserkrankungen. Bei ihrer Pathogenese – die bisher nicht vollständig
verstanden wurde – spielen immunologische und genetische Faktoren eine Rolle [15]
[16]
[17]
[18]. Dabei werden eine Kombination mehrerer Genvarianten und Störungen in der Stoffwechselkaskade
mit weiteren maternalen und Umweltfaktoren bei der Ätiologie dieser Erkrankung diskutiert
[19]
[20]. Eine immunologische Anpassungsstörung führt vermutlich im 1. Trimester zu einer
maternalen Abstoßungsreaktion gegenüber den sich einnistenden Trophoblasten [21]. Es werden antiangiogenetische Faktoren (z. B. soluble fms-like Tyrosinkinase-1 = sFlt-1)
ausgeschüttet, die zu einer Entzündungsreaktion und Aktivierung der Gerinnungskaskade
mit thrombotischer Mikroangiopathie führen [15]
[20]. Ein Teil der Pathophysiologie und der maternalen Symptome lässt sich so schlüssig
erklären, ein Teil jedoch nicht.
Differenzialdiagnosen des HELLP-Syndroms (nach Daten aus [22])
Schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen:
Infektionserkrankungen, Entzündungen
Sonstige Thrombozytopenien
-
idiopathische Thrombozytopenie (ITP)
-
systemischer Lupus erythematodes (SLE)
-
Antiphospholipid-Syndrom (APS)
thrombotische Mikroangiopathien
Klinische Betreuung
Die klinische Betreuung des Very early HELLP-Syndroms hält viele Stolpersteine bereit.
Beispielhaft kam es in beiden Fallberichten zu einem akuten Auftreten der Erkrankung
ohne wesentliche Vorwarnzeichen. Entsprechend musste ein für die betroffenen Paare
tragfester Entscheidungsweg stringent angebahnt werden. Neben dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen
(siehe Infobox) ist ein wesentliches Element die „Entschleunigung“ des Krankheitsgeschehens,
indem die Symptome der Erkrankung und die Krankheitsentwicklung medikamentös beeinflusst
werden – also eine maternale Stabilisierung angestrebt wird.
In beiden Fällen mussten die Schwangerschaften bei erneutem Progress der Erkrankung
aus maternaler Indikation und im Hinblick auf die infauste kindliche Prognose beendet
werden. Hervorzuheben ist, dass sich jeweils ein deutlich erhöhter sFlt-1 / PlGF-Quotient
zeigte. Dieser ist zwar erst für eine spätere Schwangerschaftswoche validiert [23]. Er kann jedoch gerade in diesen frühen Schwangerschaftswochen als Parameter herangezogen
werden, der die Diagnose eines Very early HELLP-Syndroms stützt und zusammen mit den
weiteren klinischen und laborchemischen Parametern die Dringlichkeit zu handeln unterstreicht,
da der Quotient bei der frühen Präeklampsie und dem frühen HELLP-Syndrom stärker ansteigt
als bei den späten Formen [16]. Für eine valide Aussage sind hier jedoch die Ergebnisse weiterer klinischer Studien
abzuwarten.
Ein individuelles und mit den Wünschen der Schwangeren abgestimmtes Vorgehen scheint
in vergleichbaren Situationen mehr als ratsam. Dabei ist Voraussetzung, dass die Frau
zu jedem Zeitpunkt über den Schweregrad der Erkrankung sowie die damit verbundenen
Komplikationen und eine möglicherweise bevorstehende Beendigung der Schwangerschaft
informiert ist. Dem Vorgehen stimmt sie in der Situation angepassten Beratungen im
Sinne eines „Informed Consent“ zu [24]
[25].
Es hat sich bewährt, dass die betroffenen Paare die Informationen nicht nur durch
den Geburtshelfer bzw. Pränataldiagnostiker erhalten, sondern auch durch Hebammen,
Kinderärzte, Anästhesisten, Psychologen und ggf. Seelsorger beraten werden. Es wird
für sie spürbar, dass man versucht, sich dem Problem von mehreren Seiten (mütterlich,
kindlich, intensivmedizinisch, psychologisch, seelsorgerisch …) zu nähern und dabei
die individuellen Belange von Mutter, Vater und Kind zu berücksichtigen.
Über den gesamten Behandlungszeitraum sollte eine intensive maternale Überwachung
gewährleistet sein. Trotz des Zeitdrucks, für die Mutter vermeidbare Komplikationen
auszuschließen, darf nie der Eindruck entstehen, das Kind in utero vorschnell aufgegeben
zu haben. Es geht nicht ausschließlich darum, ob eine Prolongation der Schwangerschaft
medizinisch vertretbar ist, sondern auch darum, den Eltern Zeit zu verschaffen, sich
auf den Gedanken eines Schwangerschaftsabbruchs einzulassen. Das heißt aber auch,
die Option einer aktiven Schwangerschaftsbeendigung nicht generell auszuschließen.
In beiden vorgestellten Fällen wurde der Versuch unternommen, den Verlauf des Very
early HELLP-Syndroms – also die Dysbalance antiangiogenetischer und entzündlicher
Faktoren – mittels Kortikosteroiden zu beeinflussen [26]. Eine Hochdosistherapie mit Kortikosteroiden wird in der Literatur nicht ohne Grund
kontrovers diskutiert. Einige Studien zeigen verbesserte Laborergebnisse und eine
Reduktion der maternalen Morbidität durch eine frühe Therapie mit Kortikosteroiden
[11]
[12] sowie nachweisbar reduzierte Entzündungsmediatoren (wie z. B. sFlt-1) im maternalen
Blut [26]
[27]
[28]. Andere fanden in ihrer Studie jedoch keine Verbesserung des maternalen Outcomes
und keinen Unterschied im Hinblick auf schwerwiegende Komplikationen [29]. Zu diesen zählen beispielsweise die vorzeitige Plazentalösung, das akute Nierenversagen,
das Lungenödem, die disseminierte intravasale Koagulopathie sowie die perinatale mütterliche
und kindliche Mortalität. In Kenntnis dieser Ergebnisse sollte im Falle einer maternalen
Befundverschlechterung der Symptome eine zeitnahe Entbindung angestrebt werden [22]. Diese Entscheidung bedeutet nicht selten eine klinische und ethische Gratwanderung.
Soweit möglich wird im Rahmen des Schwangerschaftsabbruchs eine vaginale Entbindung
angestrebt. Je nach klinischem Verlauf kann jedoch auch eine Sectio parva erforderlich
werden.
Maternale und kindliche Risiken einer Folgeschwangerschaft
Bei erneutem Kinderwunsch der Frau stellt sich die Frage bezüglich des Wiederholungsrisikos
eines Very early HELLP-Syndroms und einer möglichen Früherkennung bzw. Prävention.
In der Schwangerschaft zuvor erhobene Befunde können dabei wegweisend sein, wenngleich
eine genaue individuelle Risikoeinschätzung derzeit nicht möglich ist. Generell wird
das Wiederholungsrisiko eines HELLP-Syndroms in einer Folgeschwangerschaft mit 19–27 %
angegeben, das Auftreten einer Präeklampsie nach HELLP-Syndrom in einer vorigen Schwangerschaft
mit 43 % [30]. Für das Wiederholungsrisiko eines Very early HELLP-Syndroms gibt es keine verlässlichen
Zahlen. Es ist jedoch – ableitbar aus den Untersuchungen zur Wiederholungswahrscheinlichkeit
eines frühen HELLP-Syndroms – als hoch einzuschätzen.
Mittelpunkt der Beratung müssen neben den maternalen Risiken auch die vom Gestationsalter
abhängigen kindlichen Risiken sein. So zeigen Frühgeborene, die im Rahmen einer frühen
Präeklampsie geboren werden, gegenüber Frühgeborenen gleichen Gestationsalters ohne
Präeklampsie der Mutter eine höhere perinatale Mortalität (13 vs. 7 %, p = 0,03) und
Säuglingssterblichkeit (16 vs. 9 %, p = 0,03), sowie ein 20 % niedrigeres Geburtsgewicht
(1150 vs. 1430 g, p < 0,001). Die Frühgeborenen waren häufiger SGA-Kinder (22 vs.
9 %, p < 0,001) und hatten mehr neonatale Komplikationen [31]. Es ist daher sehr wichtig, in der aktuellen und in einer Folgeschwangerschaft,
das fetale Wachstum ab der 18. SSW zu beobachten, um eine frühe Wachstumsrestriktion
mit in die weiteren Entscheidungen (Fortsetzung der Schwangerschaft oder Schwangerschaftsabbruch)
einzubeziehen, da die oben genannten Komplikationen vor allem mit SGA-Kindern assoziiert
sind [31]. Mittels Screeningalgorithmen im 1. Trimenon (mütterliche Anamnese, biophysikalische
und biochemische Marker) können zwar bei einer Falschpositivrate von 10 % ca. 96 %
der Schwangerschaften identifiziert werden, die aufgrund einer Präeklampsie vor der
34. SSW entbunden werden, allerdings hilft dies in der Entscheidung und im Management
bezüglich einer weiteren Schwangerschaft nicht wirklich weiter, denn alleine der Umstand,
dass die Frau bereits ein Very early HELLP-Syndrom in der Eigenanamnese aufweist,
bedeutet für sie ein deutlich erhöhtes Wiederholungsrisiko für eine Frühgeburt [32].
Eine in den Niederlanden durchgeführte retrospektive Analyse an 120 Frauen nach einer
1. Schwangerschaft mit einer frühen Präeklampsie konnte einen in der Mehrzahl günstigen
Verlauf in der folgenden Schwangerschaft zeigen [33]. Dies wird durch weitere aktuelle Daten gestützt, die Anlass geben, darüber nachzudenken,
dass in der Vergangenheit das Risiko für das erneute Auftreten einer Präeklampsie
in der Folgeschwangerschaft und das damit verbundene schlechte Outcome von Mutter
und Kind zu negativ bewertet wurden [34]. Da jedoch die beschriebenen Fallzahlen von Very early HELLP-Syndromen sehr niedrig
sind, sind alle diese Aussagen sehr vorsichtig zu bewerten. Eigene Erfahrungen in
unserem Zentrum geben Anlass – mit Blick auf die aktuelle Literatur –, betroffenen
Paaren Mut für eine weitere Schwangerschaft zu machen.
Betreuung bei erneuter Schwangerschaft
Im Falle einer erneuten Schwangerschaft sollte bei einem erhöhten Risiko für ein erneutes
Auftreten eines schweren HELLP-Syndroms oder einer Präeklampsie eine engmaschige Betreuung
der Frau – möglichst in Anbindung an ein Perinatalzentrum – erfolgen, um eine umfassende
Betreuung von Mutter und Kind bei Komplikationen zu gewährleisten [35].
Neben dem erweiterten 1. Trimesterscreening sollten ab der 18. SSW 2-wöchentliche
ärztliche Kontrollen erfolgen – idealerweise im Wechsel zwischen dem betreuenden Frauenarzt
und dem Perinatalzentrum. Zur Überwachung der intrauterinen Entwicklung des Feten
dienen engmaschige Doppler- und Wachstumskontrollen. Inwieweit die serielle Bestimmung
des sFlt-1 / PlGF-Quotienten bei der Überwachung hilfreich sein kann, ist derzeit
noch unklar. Es fehlen Daten, dass die konsequente serielle Nutzung des Quotienten
das Outcome von Mutter und Kind in einer Schwangerschaft nach einem Very early HELLP-Syndrom
verbessert. In jedem Fall kann die Bestimmung des sFlt-1 / PlGF Quotienten in Grenzsituationen
helfen zu differenzieren, in welche Richtung sich der weitere Schwangerschaftsverlauf – unter
dem hohen Risiko, schon einmal ein Very early HELLP-Syndrom in der Eigenanamnese erlebt
zu haben – gestalten wird, um den besten Entbindungszeitpunkt festzulegen [36].
Eine in der Frühschwangerschaft begonnene Einnahme von niedrig dosiertem ASS (150 mg / d
vor der 16 + 0 SSW begonnen) zeigt eine signifikante Risikoreduktion für das erneute
Auftreten einer frühen Präeklampsie und sollte daher im Zustand nach einem Very early
HELLP-Syndrom unbedingt empfohlen werden [37]. Die derzeitige Datenlage legt nahe, die Substitution von Kalzium und Vitamin D
ebenso zu empfehlen [38]
[39]
[40]. Allerdings fehlen auch hier für eine umfassende Bewertung ausreichende Studiendaten.
Dies gilt in besonderer Weise für andere diskutierte präventive Maßnahmen, wie beispielsweise
eine salzreiche Diät, und andere. Neben dem erhöhten Risiko für das Auftreten einer
erneuten Präeklampsie bzw. eines erneuten Very early HELLP-Syndroms muss in der Beratung
auch das erhöhte Risiko bezüglich des Auftretens kardiovaskulärer Erkrankungen oder
Depressionen unabhängig von einer angestrebten weiteren Schwangerschaft thematisiert
werden [41].
Postpartale Erfahrungen mit der Plasmapherese geben Anlass, auch über einen Einsatz
derselben in der Schwangerschaft nachzudenken [42]
[43]. Ziel wäre das Erreichen der fetalen Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes
bzw. eine Prolongation der Schwangerschaft in ein höheres Gestationsalter. In einer
Pilotstudie wurden 3 Frauen ab der 28. SSW mittels Plasmapherese von sFlt-1 behandelt.
Es gelang eine Prolongation der Schwangerschaften durch Kontrolle der maternalen Symptome
über 15–23 Tage [44]. Ein solches Vorgehen ist jedoch weiterhin experimentell und sollte ausschließlich
in Studien durchgeführt werden. Bei einem Very early HELLP-Syndrom ist zudem die erforderliche
Zeitspanne für den Feten bis zum Erreichen der Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes
zu hinterfragen, die unter Umständen 4–6 Wochen betragen kann. Es kann nicht Ziel
eines sinnvollen geburtshilflichen Managements sein – sollte eine Prolongation gelingen
–, eine Entbindung in der 23.–24. Schwangerschaftswoche bei ausgeprägtem SGA-Wachstum
unter katastrophalen fetalen Bedingungen anzustreben. Von Interesse ist darüber hinaus
die Anwendung monoklonaler Antikörper. Eculizumab beispielsweise ist zugelassen zur
Behandlung des atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms (aHUS) und führt zu einer
Hemmung oben angedeuteter immunologischer Reaktionen. Unter dieser Medikation ist
bereits eine Prolongation der Schwangerschaft über 17 Tage in der 26. SSW beschrieben
worden [45]. Darüber hinaus gibt es mehrere Fallberichte zur Therapie des aHUS in der Frühschwangerschaft
[46]
[47]
[48]. Eculizumab hat jedoch bei der Therapie des Very early HELLP-Syndroms keine Zulassung.
Noch reichen die Daten klinischer Studien aus, um eine Anwendung generell zu rechtfertigen.
Die Substanz ist jedoch gerade bei dieser Fragestellung interessant und sollte in
weiteren Studien untersucht werden.
Das Very early HELLP-Syndrom stellt eine große Herausforderung für alle Beteiligten
dar. Es gilt, dieser interdisziplinär und mit einer klaren Strategie zu begegnen.
Das Ziel ist, alle Entscheidungswege für die betroffenen Paare nachvollziehbar darzustellen
und die Untersuchungsergebnisse sowie deren Veränderungen weitreichend zu erläutern.
Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, Zeit zu gewinnen, um tragfeste Entscheidungen
anzubahnen, ohne eine massive maternale Gefährdung in Kauf zu nehmen. Dabei ist von
allen beteiligten Fachkräften viel fachliches Augenmaß, aber auch eine hohe menschliche
Kompetenz zu fordern.
Dieser Artikel ist beruht auf der Originalveröffentlichung der Autoren: Pauluschke-Fröhlich
J, Kagan K, Bihler M et al. Very early HELLP-Syndrom – vergeblicher Aktionismus oder
geordneter Rückzug?. Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2018; 78(07): 671–676. doi:10.1055/a-0589-4227